Stehen bleiben, einen Moment rasten, ausruhen. Ich schüttele den Kopf. Einen Schluck Wasser trinken, den Mund befeuchten, spüren wie das Wasser kühl die Kehle herabrinnt. Trocken schlucke ich. Die Wasserflasche ist leer, die alte Plastikflasche, die ich vor einigen Tagen fand und seither mit mir trage. Mein einziger Besitz.
Einmal las ich, dass die Aborigines einen kleinen Stein unter die Zunge legten, fanden sie nichts zu trinken. Er sollte die Speichelproduktion anregen. Suchend blicke ich umher. Große Steine liegen verstreut neben dem, was einmal Straße genannt wurde. Löcher, Gräben klaffen zwischen Beton und Metallstreben. Das Vorwärtskommen ist mühsam. Ein Gefühl der Bedrohung ergreift mich. Seit Langem habe ich mir angewöhnt, auf dieses Gefühl zu achten, ihm nachzugeben. Fieberhaft suche ich nach einem Versteck.
Eine gewölbte Betonplatte lässt einen Spalt frei. Ich gleite hinein, presse mich in den Staub. Hoffentlich legt sich der Staub schnell, damit er meinen Schlupfwinkel nicht verrät. Diese mörderische Hitze. Ich bemühe mich wach zu bleiben, spähe aufmerksam hinaus, aber ich bin erschöpft. Die Augen fallen mir zu.
Ich schrecke zusammen, bin ich eingeschlafen? Wie lange habe ich geschlafen? Tropfen haben mich geweckt. Es regnet. Ohne meine Lage zu verändern öffne ich den Mund, lasse das lebensspendende Nass die vertrockneten Schleimhäute des Mundes und mein Gesicht benetzen. Die Flasche, wo ist die Flasche. Kein Tropfen darf ungenutzt versickern. Mit zitternden Händen taste ich umher, bekomme die Flasche zu fassen, drehe mühsam den Verschluss auf, klemme sie zwischen Steinen fest. Fasziniert betrachte ich, wie sich die Flasche Tropfen für Tropfen zu füllen beginnt.
Da erst wird mir bewusst, dass sich die Umgebung verändert hat. Dünne Halme, sie sehen aus wie damals Gras, füllen die Lücken zwischen der geborstenen Straße. Immer höher wachsen die Halme, bedecken mich, verbergen mich. Behutsam richte ich mich in meinem grünen Nest auf, atme vorsichtig ein. Die Luft strömt ohne das bekannte Brennen in meine Lungen.
Die Sonne wird durch eine wabernde Schicht Grau verdeckt. Die mörderische Hitze quält mich nicht mehr. Neben mir raschelt es. Eine kleine schwarze Nase kommt zum Vorschein, schnuppert. Der Rest des Körpers folgt. Es ist eine Maus. Ich strecke meinen Zeigefinger einladend aus. Sie nimmt die Einladung an und krabbelt auf den Finger, setzt sich auf den Handrücken. Sicherlich sehen wir beide gleich zerzaust aus. Schmutzig, voller Staub und hungrig. Ob die Halme essbar sind? Zaghaft knabbere ich an einem Stängel. Ein bisschen bitterlich, aber essbar, denke ich. Besonders die Körner in den Rispen schmecken mir. Wie schnell sie nachwachsen. Als liefen die Jahreszeiten im Zeitraffer ab. Wasser und Körner füllen meinen Magen. Die Maus verschwindet.
Ich richte mich auf, blicke umher. In der Ferne, wie ein verwischter Strich, der Horizont. Scherenschnittartig ragen Baumreste auf. Vertrocknet und schwarz.
Die grünen Halme haben meinen Magen gefüllt. Proviant, schießt es mir durch den Kopf. Ich brauche Proviant, damit ich Kraft zum Gehen habe. Ich habe keine Tasche, aber ich weiß mir zu helfen. Büschelweise reiße ich die Halme aus und binde sie mit einem anderen Halm zusammen. Viel kann ich nicht tragen.
Langsam trotte ich vorwärts. So etwas wie Lächeln verzieht mein Gesicht, habe ich doch einmal ein Buch mit dem Titel Soweit die Füße tragen gelesen. Mal sehen wie weit mich meine Füße tragen.
Ich nähere mich den Baumstümpfen. Wie verfaulte Zähne ragen sie aus dem Boden. Schlagartig wird es dunkel. Die Schwärze fällt wie ein Tuch über die Ebene. Der Mond steigt empor. Heute ist er grün, gestern war er violett. Die ganze Farbpalette sah ich schon. Strahlend weiß gruppieren sich die Sterne in konzentrischen Kreisen um ihn herum.
In einiger Entfernung sehe ich etwas flackern. Kleine, gelbrote Flammen lecken an einem Baumstumpf. Vorsichtig schleiche ich mich heran. Jemand muss das Feuer entzündet haben. Mein Herz klopft schneller. Ich streiche durch mein verrußtes Haar, reibe meine Augen. Die Flammen flackern weiter, also keine Halluzination. Neben dem Feuerchen kauert ein Wesen, sieht mich mit großen leer wirkenden Augen an. Verhungert, fast verhungert, denke ich und reiche ihm eine Handvoll Halme. Kraftlos greift eine abgezehrte Hand danach. Ich denke an die Maus, an ihre schwarzen Augen. Genauso hat sie mich angesehen.
Mein kostbares Wasser, soll ich? Ich deute darauf, „einen Schluck nur“, sage ich. Jetzt sehe ich, dass mein Gegenüber ein Mann ist, etwa so alt wie ich, aber in schlechtem Zustand. Seine Augen schließen sich. Er rollt sich zusammen und schläft. Ich bin müde, sinke neben ihm in den Staub. Als ich erwache, brennt wieder unbarmherzig die Sonne. Kein Lufthauch ist zu spüren und kein Atem neben mir. Still liegt er da, mein Gefährte für eine Nacht.
Soll ich hier, neben ihm liegen bleiben? Noch besitze ich einige Halme zerkaue sie sorgfältig zu einem Brei und trinke den vorletzten Schluck Regenwasser. Nein, ich werde nicht aufgeben. Wo Leben ist, ist Hoffnung – und wenn es nur eine Maus ist, die atmet.