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Viel Öl und wenig Arbeit - Leiharbeiters Abenteuer
Viel Öl und wenig Arbeit - Leiharbeiters Abenteuer
in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 23.01.2015 16:07von Ringelroth • | 213 Beiträge | 213 Punkte
Auch im dritten Teil meiner Erinnerungen ist Mobbing wieder ein Thema, wenn auch in einer subtileren Variante, als im zweiten Teil beschrieben.
"Was genau da zu tun ist, weiß ich auch nicht", antwortete der Disponent des Personaldienstleisters auf meine Frage, was denn meine Arbeit dort wäre. "Die stellen Gummidichtungen für Autos her."
Er tat so, als könne er keine detailliertere Arbeitsbeschreibung benennen. Wie ich jedoch später beobachten konnte, war ihm der Betrieb sehr wohl bekannt, und da er es auch bei späteren Gesprächen mit der Wahrheit mir gegenüber nicht so genau nahm, war es seine Absicht mir Näheres vorzuenthalten. Denn das könnte schon mal Diskussionen herauf beschwören, zumal dieser Arbeitsplatz mehr als 50 Kilometer von meinem Wohnort entfernt war, was bedeutete, dass ich für Hin- und Rückfahrt jeweils eine knappe Stunde investieren musste. Für einen Festangestellten ist dieser Umstand akzeptabel, aber ein miserabel bezahlter Zeitarbeiter bekam einen Fahrtkostenzuschuss, der im Nanobereich angesiedelt war.
Schon bei meiner Ankunft in der Fertigungshalle des Autozulieferers fiel mir auf, dass der Betrieb einen sehr heruntergekommenen Eindruck machte. Um die Halle herum lagen überall verrostete Metallbehälter, Paletten, Folienreste in aufgeweichten Pappkartons und anderer Müll.
Nach einer kurzen Begrüßung durch die Leiterin der Firma, wurde ich in den Aufenthaltsraum geschickt, da die Nachtschicht noch etwa 15 Minuten lief, bis um 6 Uhr die Frühschicht begann. Der Aufenthalts- und Pausenraum bestätigte meinen Eindruck, den ich bisher gewonnen hatte.
An einer Wand stand eine vergammelte Küchenzeile, bestehend aus mehreren Ober- und Unterschränken, die nur oberflächlich von Fett und Schmutz gesäubert worden waren. Das Geschirr musste von Hand gespült werden. An der alten Spülmaschine hing ein Zettel: „Defekt. Nicht benutzen.“
Die Essecke und der Tisch hatten auch schon mal bessere Zeiten gesehen. Das Polster der Sitzbank war zerschlissen, und mit Ölflecken übersät. Die Füllung drängte sich an einigen Stellen bereits durch den fadenscheinigen Oberstoff. In einer Ecke stand ein alter Ohrensessel. Die ursprüngliche Farbe des Polsters war nur noch zu erahnen. Auf der Sitzfläche befand sich ein großer, schwarzer Ölfleck. Das alles wies darauf hin, dass die gesamte Einrichtung vor Jahren auf einer Sperrmülldeponie gefunden, und hier her verfrachtet worden war.
Das fleckige Linoleum auf dem Fußboden, hatte sich stellenweise vom Boden gelöst und dicke Blasen geschlagen, die sich als Stolperfallen erwiesen. Ich war schon in vielen Pausenräumen zu Gast, aber dieser hier stellte den absoluten Tiefpunkt dar.
Bei Schichtwechsel führte mich der Vorarbeiter zu meinem Arbeitsplatz. Dabei fiel mir der ölverschmierte Hallenboden und ein stechender Geruch auf. Beim Gehen war Vorsicht geboten, denn es fühlte sich an, als liefe man auf Glatteis. Immer wieder rutschten mir die Füße weg.
Die vom Disponenten angekündigten Gummiteile suchte ich allerdings vergebens, denn die Firma stellte für verschiedene Automarken Fensterrahmen und die als "Hutablagen" bekannten Teile her. Und diese bestanden aus Kunststoff.
In der Nähe meines Arbeitsplatzes standen drei große Formpressen auf einem etwa achtzig Zentimeter hohen und vier Meter im Quadrat messenden Betonsockel. Die Pressen selbst waren umgeben von einer vierseitigen Glaswand die mit einer Tür versehen war.
Bei einer der drei Pressen entdeckte ich um alle vier Seiten des Sockels herum, auseinandergefaltete Verpackungskartons, die man, zusammen mit Zeitungspapier, auf den Boden gelegt hatte. Der Grund für diese Vorgehensweise war, dass diese Presse Öl verlor, das von den Sockelwänden herunter auf den Hallenboden floss. Die Kartons und das Papier sollten das Öl aufsaugen. Es lag ein penetranter Geruch nach Maschinenöl in der Luft, der gewiss der Gesundheit aller Anwesenden nicht zuträglich war. Von Ölbindemittel und Arbeitsschutz hatte diese Firma wohl noch nie etwas gehört.
Wenn sich dieses ungeeignete Material vollgesogen hatte, sickerte das permanent auslaufende Öl auf den Boden, und wurde von den Schuhen der Arbeiter und den Rädern des Gabelstaplers auf allen Lauf- und Fahrwegen verteilt.
Auf meine Nachfrage hin, erklärte mir der Staplerfahrer: „Das geht schon seit Monaten so. Es gab auch schon mehrere Unfälle. Einmal hat sich ein Kollege bei einem Sturz mehrere Rippen gebrochen. Warum man die Presse nicht endlich repariert, weiß ich auch nicht.“
Meine Arbeit bestand darin, kleine Kunststoffknöpfe in den „Hutablagen“ durch vorgestanzte Löcher zu drücken - und zwar im Akkord.
Nach kurzer Zeit waren die Finger meiner rechten Hand beinahe taub vor Schmerz. Die Kollegen empfahlen mir, Handschuhe anzuziehen. Ich folgte ihrem Rat, stellte aber fest, dass ich dann die kleinen Knöpfe nicht mehr richtig greifen konnte. Nach wenigen Minuten lagen von den kleinen, weißen Dingern mehr am Boden, als tolerierbar war. Diese Arbeit wurde auch größtenteils von Frauen verrichtet. Eine war krank geworden, und ich war als Ersatz vorgesehen.
Nach der Frühstückspause hatte der Vorarbeiter ein Einsehen und beorderte mich in einen, von der Fertigungshalle abgetrennten Teil, den er „die Mühle“ nannte. Dorthin wurden in großen Behältern die Ausschussteile gebracht, die in einem Schredder zu Granulat zerkleinert wurden. Mit Gehör- und Mundschutz versehen, versorgte ich für den Rest der Schicht den Schredder mit hunderten misslungener Kunststoffformteile.
Als ich an diesem Tag wieder zu Hause war, schrieb ich eine Mail an meinen Disponenten, da ich ihn telefonisch nicht erreichen konnte. Darin wies ich ihn auf die Unfall- und Gesundheitsgefahren durch das auslaufende Maschinenöl hin. Hatte man uns doch immer wieder gesagt, wir sollten Missstände, die uns bei den Kunden auffielen, sofort melden.
Im Laufe der Jahre hatte ich allerdings herausgefunden, dass sich unsere Disponenten nicht gerade mit Ruhm bekleckerten, wenn es darum ging, einen Kunden auf seine Fehler aufmerksam zu machen. Schließlich lief man dabei Gefahr, ihn an einen Konkurrenten, der weniger zimperlich war, zu verlieren.
Am nächsten Morgen, es war Freitag, bekam ich große Augen, als ich die Halle betrat. Der Boden glänzte sauber und ölfrei. Um die defekte Presse herum hatte man Ölbindegranulat geschüttet.
Der Staplerfahrer sagte: „Heute kommt Besuch von Audi. Morgen sieht's hier wieder aus wie gestern.“
Das passt, dachte ich bei mir, begab mich wieder in die Mühle und startete den Schredder. Als gegen 9Uhr30 absehbar war, dass das Material zur Neige ging, suchte ich in der großen Halle nach einem der Vorarbeiter, die man mir am ersten Tag vorgestellt hatte. Ich fand einen und meldete ihm, dass ich neues Material bräuchte.
„Geh zum Staplerfahrer. Der ist dafür zuständig.“
Aber der Kollege auf dem Stapler war gerade dabei, einen LKW zu beladen und beschied mir, ich müsse warten. Ich fütterte den Schredder mit dem Rest des Ausschusses und freute mich auf die Mittagspause.
Nachdem ich mich gestärkt hatte, reklamierte ich beim Staplerkollegen die ausgebliebene Lieferung.
„Ich habe alle Hände voll zu tun. So wie ich Zeit habe, bringe ich dir was“, sagte er.
Er war der einzige Staplerfahrer und musste die LKW be- und entladen, alle Kollegen in der Fertigung mit neuem Material versorgen und die bearbeiteten Teile ins Lager bringen.
Gegen 14 Uhr klingelte mein Handy. Eine unserer Disponentinnen rief an und eröffnete mir, dass ich auch morgen, am Samstag, hier arbeiten müsse, da sich wohl wieder jemand krank gemeldet hätte. Ich erklärte ihr, dass ich nicht bereit sei, morgen zu arbeiten.
„Ich stehe nun seit halb zehn hier herum und warte, dass man mir entweder neues Material bringt, oder mich mit anderer Arbeit betraut. Ich sehe nicht ein, dass ich heute Däumchen drehe, dafür aber morgen wieder hundert Kilometer Arbeitsweg in Kauf nehmen soll."
Nach einigem Hin und Her, legte sie auf, nicht ohne mir zuvor noch eine Abmahnung in Aussicht gestellt zu haben. Eine solche Warnung beeindruckte vielleicht die jüngeren Kollegen, aber ich hatte mit meinem Arbeitgeber bereits so viele Kämpfe ausgefochten und innerlich mit diesem Thema abgeschlossen. Eine Kündigung wäre für mich eine Befreiung gewesen.
Um 15Uhr30 war Arbeitsende. Um 15Uhr25 brachte mir der Staplerfahrer eine kleine Kiste mit Ausschuss. Ich sagte ihm, die könne er sich jetzt an den Hut stecken. Er zuckte mit den Schultern und fuhr davon.
Könnte es denn sein, dachte ich, dass mein Disponent bei der Werksleitung angerufen hatte und dort meine Beschwerde zur Sprache gebracht hatte? Dass man mich deshalb hier zappeln ließ und mir eine Samstagsschicht aufs Auge drücken wollte? Als Rache für meine Dreistigkeit?
Gewundert hätte es mich nicht.
Pünktlich zum Feierabend ging ich zur Werksleiterin, um meinen Arbeitsstundenzettel für diese Woche unterschreiben zu lassen. Die Lady ließ mich erst einmal 10 Minuten warten und blätterte derweil in ihren Papieren herum. Dann bat sie mich zur Audienz. Als ich ihr das Formular, das man normalerweise erst am letzten Tag einer Arbeitswoche vorlegte, zur Unterschrift gab, sagte sie:
„Hat Ihnen Ihre Firma nicht mitgeteilt, dass Sie morgen auch noch arbeiten müssen?“
Ich antwortete: "Seit heute Morgen um 9Uhr30 stehe ich mir hier die Beine in den Bauch, weil ich trotz mehrmaliger Reklamation kein Material bekommen habe, und man nicht in der Lage war, mir andere Arbeit zu geben. Ich denke, Sie kommen morgen auch ohne mich gut zurecht.“
Wortlos unterschrieb sie meinen Stundenzettel und knallte ihren Stempel drauf. Sie gab mir meinen Durchschlag, und ich verließ das Büro mit einem freundlichen "Schönes Wochenende."
Ich bekam keine Abmahnung und musste auch nie mehr in diese Bruchbude.
Einige Jahre danach, las ich in der Zeitung, dass dieses Werk von einem Konkurrenten übernommen worden war.
Mein neues ebook: "Himmelthor und Hondo" - ISBN 978-3-7368-5196-2
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