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Sauberkeit + Ordnung = Sicherheit - Leiharbeiters Abenteuer

in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 30.01.2015 19:58
von Ringelroth | 213 Beiträge | 213 Punkte

Ein Hüttenwerk ist eine beeindruckende Welt.
In seiner Fläche so groß wie eine Kleinstadt – mit asphaltierten Straßen, Bäumen, parkähnlichen Anlagen, Ententeich, Verwaltungs- und Schulungsgebäuden, Werkshallen, Gleisanlagen über die per Diesellok auf speziellen Wagons riesige Brammen (zu meterlangen, tonnenschweren Platten gewalztes Eisen) und glühendes, zähflüssiges Metall transportiert wird, Kräne, Laufkatzen, Gasometern, Hochöfen, sowie vertikale (über mehrere Stockwerke reichend) und horizontale Walzstraßen.
Die Männer die dort tätig sind, gehören einem besonderen Menschenschlag an. Sie fürchten weder Hitze noch Kälte, weder Trockenheit noch Nässe, weder Staub, noch Ammoniak in der Atemluft; sie sind schwindelfrei und lärmerprobt. Und für alle gilt die Parole:
Sauberkeit + Ordnung = Sicherheit

Mehr als ein Jahr war ich zu Gast in diesem lärmenden, stinkenden Moloch.
Eine kleine Firma – ich nenne sie aus nachvollziehbaren Gründen „Müller“ – fungierte dort zumeist als Subunternehmer für ein, auf dem gesamten Werksgelände tätiges, großes Hoch- und Tiefbauunternehmen, erhielt aber auch Aufträge direkt von der Werksleitung.

Müller bestand aus sechs oder sieben Bagger- und LKW-Fahrern, einem Vorarbeiter, einem Buchhalter und einem selten anwesenden Chef. Die einfacheren Arbeiten, die mittels Schaufel, Hacke, Rüttelmaschine und anderen Kleingeräten ausgeführt werden mussten, oder auch
kleinere Transporte per Radlader wurden von Leiharbeitern getätigt. Eingeteilt und überwacht wurden diese Arbeiten von einem Vorarbeiter, oder einem von ihm beauftragten Kollegen.

Es war üblich, dass man spezielles Werkzeug, wie z. B. einen Presslufthammer irgendwo auf dem Gelände „auslieh“. Das lief ungefähr so ab: Der Leiharbeiter setzte sich zum Vorarbeiter in dessen Mercedes Sprinter mit offener Ladefläche, und man fuhr über die Werksstraßen bis man einen verwaisten Presslufthammer herumliegen sah. Dann sprang der Leiharbeiter aus dem Wagen und „lieh“ sich dieses gerät aus, indem er es kurzerhand auf die Ladefläche legte. Danach fuhr man zur Baustelle und konnte, da immer ein Druckluftanschluss in der Nähe war, mit dem Presslufthammer arbeiten. Den dazu notwendigen Druckluftschlauch „organisierte“ man auf ähnliche Weise.
Im „Ausleihen“ war diese Firma sehr versiert. Benötigte man ein paar Kubikmeter Sand, um einen Graben zuzuschütten, fuhr man mit dem LKW zu einer hütteneigenen Sandverladestelle vor einem der Hochöfen, gab dem dort Zuständigen etwas Handgeld, oder eine Kiste Bier und fuhr danach mit einem LKW voll Sand zur Baustelle.
Dass der Subunternehmer dieses Material seinem Auftraggeber als das Eigene berechnete, muss wohl nicht extra erwähnt werden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass wir Leiharbeiter oftmals nicht unter Zeitdruck standen, denn ob wir nun arbeiteten oder nicht, die Kosten für unsere Arbeitszeit, die Müller unserem Personaldienstleister zahlen musste, holte er sich von seinem Auftraggeber wieder zurück – und der wiederum von seinem Auftraggeber.

An einem sonnigen, warmen Frühlingstag wurde ich mit einem Kollegen zu einer Baustelle gebracht die abseits des geschäftigen Werksgeländes an einer schnurgeraden, mehrere hundert Meter langen Straße lag. Dort war, parallel zur Straße, ein ebenso langer Graben ausgebaggert worden, da neue Rohre verlegt worden waren. Dieser Graben musste nun wieder mit Sand auf Straßenniveau aufgefüllt werden. Auf der dem Graben gegenüberliegenden Straßenseite, etwa zehn Meter von unserem Standort entfernt, hatte man bereits eine LKW-Ladung Sand abgeladen. Ein Kollege transportierte den Sand mit einem Radlader zu uns rüber und kippte ein paar Schaufeln voll in die Tiefe.
Ich stand mit meinem Kollegen auf den Rohren und wir konnten, ohne uns zu strecken, nicht über den Grabenrand hinausschauen. Ich schätze, dass der Graben oben etwa zwei Meter tief und an seinem Rand ebenso breit war. Zu unseren Füßen war er vielleicht noch 75 bis 80 Zentimeter breit.
Wir begannen nun den Sand über den Rohren zu verteilen, als der Fahrer des Radladers über Funk zu einer anderen, wohl dringenderen Baustelle gerufen wurde. Er gab uns Bescheid und fuhr davon.
Das war gegen 8Uhr30. Nach kurzer Zeit hatten wir den Sand verteilt, und dann warteten wir.
Unsere Mittagspause verbrachten wir im Schatten, den uns ein Gasometer spendete. Ich weiß nicht mehr wie viele PKW und LKW an diesem Tag an uns vorbei fuhren – vielleicht fünf oder zehn. Die Straße lag, wie bereits erwähnt ziemlich abseits des Trubels. Aber von all jenen Passanten gehörte niemand zu unserer Firma. Und so standen wir auch noch den Nachmittag über, munter plaudernd, in unserem Graben. Wir hatten uns entschlossen, eine halbe Stunde vor Feierabend den Rückweg anzutreten, denn wir hatten ein paar Kilometer Fußweg zur Firma Müller und zu unseren Autos vor uns. Gerade als wir unser Vorhaben in die Tat umsetzen wollten, kam ein Müller-LKW des Weges, dessen Fahrer uns lachend und kopfschüttelnd in sein Gefährt einlud und uns so den Fußmarsch ersparte. Man hatte schlichtweg „vergessen“, dass es uns gab.

Auch bei der folgenden Episode spielt das „Vergessen“ eine große Rolle.
Diesmal erwischte es nur mich. Mein Kollege war mit anderen Aufgaben betreut. Ich lud gemeinsam mit dem Vorarbeiter an einem Freitag die Rüttelmaschine auf dessen Mercedes Sprinter.
Er brachte mich zu einer großen Halle, in der die bereits erwähnte Hoch- und Tiefbaufirma eine „Wanne“ in den Hallenboden gebaut hatte. Sie maß geschätzte 30 mal 10 Meter und war etwa zwei Meter tief. Der Boden und die Wände dieser Wanne waren betoniert und der Beton war so weit gehärtet, dass nun alles Aushubmaterial weggebracht worden war.
Der natürliche Boden um die Wanne herum sollte zu einem Teil mit der Rüttelplatte geebnet werden. Das war nun meine Aufgabe.
Wir waren gegen 7Uhr30 vor Ort, und nach dem Abladen der Maschine und einem kurzen Gespräch mit dem zuständigen Mann der Hoch- und Tiefbaufirma begann ich mein Werk. Mein Vorarbeiter wollte mich später wieder abholen und brauste mit seinem Sprinter davon.
Es wird so gegen zehn Uhr gewesen sein, als ich mit meiner Arbeit fertig war. Der Mann der auftraggebenden Firma war zufrieden und ich machte Frühstückspause.
Danach verfolgte ich das geschäftige Treiben in der Halle.
Dann war es Zeit für die Mittagspause.
Danach verfolgte ich wieder das geschäftige Treiben in der Halle.
Langsam wurde mir langweilig.
Es war bereits Nachmittag. Nach einem Blick auf die Uhr und dem Abschätzen der Zeit, die ich benötigen würde, um per pedes zurück zur Firma zu kommen, warf ich den Motor der Rüttelmaschine an, brachte diese in eine Position, wo sie niemanden stören würde und schaltete sie wieder aus. Ich zog den Anlasserhebel ab, steckte ihn in meinen Rucksack und begab mich auf den Rückweg.
Zur gleichen Zeit, da ich bei der Firma ankam, fuhr auch der Sprinter auf das Gelände.
Mein Vorarbeiter stieg aus, lächelte und sagte: „ Dich habe ich ja ganz vergessen. Du hast hoffentlich daran gedacht, den Anlasserhebel mitzubringen.“

Für die knapp zweieinhalb Stunden, die ich an diesem Tage arbeitete, hatte Müller der Hoch- und Tiefbaufirma garantiert den vollen Tagessatz in Rechnung gestellt.
Aber macht ja nix, diese wiederum bekam die Kohle ja von der Hütte – mit Aufschlag – wieder zurück.


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