#1

Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 04.03.2014 17:20
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte

Auswuchs

Die Stadt verspricht noch Lichtmanie;
deswegen komm ich nicht, Marie,
sogleich zu dir nach Hause.

Die Herren sind verölt wie nie;
der Tresen liebt und höhlt sein Vieh
in jeder kleinen Klause.

Die Damen warten feucht, juchei,
und nehmen, was so kreucht, herbei,
ob Künstler, ob Banause.

Entlang der Straßen liegen sie,
den Wanst gefüllt mit Ziegenbrie.
Auch Tote machen Pause.

Die Glocke spielt ein Wiegenlied;
doch niemand, der sich schmiegend gibt.
Im Bett liegt Pfarrer Krause.

Der Morgen hat das Amen satt;
er streift sich meinen Atem sacht
vom Zwirn wie eine Flause.


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zuletzt bearbeitet 04.03.2014 17:21 | nach oben

#2

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 05.03.2014 13:45
von salz (gelöscht)
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Guten Morgen Herr Boldt!

Manchmal ha habe ich auch meine Mühe die Einteilung der Foren richtig zu verstehen. Diese Sause
unter Philosophisches zu plazieren wäre mit nicht eingefallen. Humor vllt oder Satire oder so.
Nur weil da Tote drin sind? Anders als von der Spaßvogelseite kann ich die Verse kaum auffassen.
Jedenfalls nicht ernst. Ziegenbrie gefüllter Wanst liest sich eher komisch.
Nix für ungut. Gefallen hat es mir durchaus. Salzige Grüße XXX

zuletzt bearbeitet 05.03.2014 13:46 | nach oben

#3

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 06.03.2014 16:53
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte

Hallo salz.
Die Einordnung geschah wegen der Enttäuschung des lyr. Subjekts.
Die satirischen Elemente sind lediglich Ausdruck dessen.

Beste Grüße
AB


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#4

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 08.03.2014 10:09
von gheggrun | 377 Beiträge | 377 Punkte

Hallo, zusammen!
Dem Trübsinn entspringt der Schwarze Humor
in die Düsternis. Sowas soll vorkommen.
VG


Hastanirwana
GHEG
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#5

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 09.03.2014 11:18
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte

Wohin der Lebensbetrachter die Worte schreibt, ob unter Philosophie, Düsteres oder unter Humor, ist belanglos.
Mir wäre auch 'Gesellschaft' recht gewesen.
Der Autor gibt ein Zeichen, das eindrucksvoll ist, aber nicht nur deswegen weil er sich rar gemacht hat.
Zugleich muss ihm eine gewisse Distanz zur Normgesellschaft attestiert werden, die erforderlich ist,
um einige wesentliche Dinge herauszugreifen zu können, die er für die kurze Skizze verwendet.
Andere würden eine Brille brauchen, die er nicht benötigt, da ihm der Auswuchs immer allgegenwärtig
zu sein scheint. Schwer, sich von ihm abzuwenden, denn wohin?

Gruß
Joame

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#6

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 12.03.2014 15:35
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte

Hallo zusammen!

@Joame: Ich glaube, wir stimmen darin überein, dass jeder, der etwas beschreiben möchte, notgedrungen (zumindest temporär) den Blick von außen werfen muss. Und ich denke, dass der Auswuchs jedem gegenwärtig ist - sei es durch die Medien oder (dann im kleineren Format) direkt vor der eigenen Haustür. Der Titel über diesem Gedicht spricht aber nicht nur von Dingen, die für das lyrische Ich störend sind, sondern auch von der eigenen Existenz, die zum Schluss beendet ist.

@all: Schade finde ich, dass sich keiner von euch direkt mit dem Gedicht beschäftigt hat und es hier niederschrieb.
Die Kommentare drehten sich um die Einordnung in eine Rubrik (1), gefolgt von einem Kommentar, der meine Antwort wiederholte (2), die Äußerung, als Autor bräuchte man Distanz zum Gegenstand (3) und schließlich, dass zwei Zeilen gefallen (4) (aber nicht, warum und im Umkehrschluss auch nicht, was und weshalb nicht gefiel).

Bitte nicht falsch verstehen: vielleicht gibt der Text ja nicht viel her - das kann ja sein. Und damit muss ich dann zurechtkommen. Aber (auf den Text bezogen) inhaltsleere Kommentare zu beantworten, widerstrebt mir irgendwie. Es hat doch irgendwie keinen Sinn. Ein analytischer Verriss ist mir da doch tausendmal lieber. ;)
Beste Grüße
AB


http://arnoboldt.wordpress.com/
zuletzt bearbeitet 12.03.2014 15:36 | nach oben

#7

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 14.03.2014 01:21
von Gedichtbandage • Mitglied | 531 Beiträge | 525 Punkte

arno, hey,
du hier?

ich brauchte noch etwas... ;-)

zum bezug/inspiration vermute ich: karneval, alltägliches possenspiel, faust, die bibel, die totsünden etc. ...

ja, das ist nett, dies hier im kontext der dekadenz und deren narretei zu lesen,
von versoffener karnevalsendzeitstimmung ahnt mariechen, das reine, nichts.

nun wandelt das l.i. durch das shooting des wahns
des ausbruchs aus der anstalt
von lämmern, wölfen und zombiemutanten
durch feuchtgebiete jedweder art
und seziert die unschuld.

welches ich starb, das hungrige oder das übersatte und was bleibt?

das reine geht, besudeltes bleibt, zynismus eingeschlossen.
versöhnlich endet der tanz im tod, der alles nichtet.

aber der tanz geht weiter, mein lieber.

herzliche grüße
gb.


_________________________________________________________
>> Du verdammter Sadist:
Du versuchst deine Leser zum Denken zu zwingen.<< - E. E. Cummings zu Ezra Pound
zuletzt bearbeitet 14.03.2014 01:22 | nach oben

#8

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 18.03.2014 21:05
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte

Hallo gb!

Danke für deinen Kommentar.
Vorweg sei gesagt, dass ich das Gedicht zwar erst jetzt gepostet habe, es aber bereits ein paar Monate in der Schublade lag. Für mich hat bzw. hatte es also erst einmal nichts mit Karneval zu tun. Aber das ist im Grunde ein Gedanke, dem ich sicher noch nachgehen werde, ob es für mich schlüssig ist.

Vielleicht doch ein kurzer Gedanke dazu: Wenn man es i.S. einer Karnevalsstimmung sieht, verliert es - so denke ich - an satirischer Schärfe. Warum? Wer kann die Menschen schon erst nehmen, die ein Datum zum Anlass nehmen, um sich teils grotesk zu betrinken? Die Dekadenz tritt doch desto stärker heraus, je reiner der Mensch mitsamt seinem Ego im Mittelpunkt steht.

Mir gefällt der Ausdruck von dir ¨seziert die Unschuld¨. In der Tat. Das sehe ich auch so. Das LI schafft es, indem lediglich am Anfang (Maria) und in der vorletzten Strophe (Glocke) dieses benennt, und ansonsten aber durch Ausschluss der Beobachtungen sagt, was nicht dazu gehört. Dadurch, so denke ich, kann der Verdacht aufkommen, das LI selbst sei unschuldig - v.a. wenn man die letzte Strophe liest. Aber ist das so? Einerseits ist es lediglich Beobachter, andererseits ist es Beobachter und trennt sich - zumindest örtlich gesehen - von Maria. Dh. man kann die Frage stellen, warum das LI nochmal in die Stadt geht. Strophe eins suggeriert vielleicht, dass es noch einmal etwas erleben will.

Dementsprechend passt deine Frage vorzüglich: Welches LI starb da eigentlich: das hungrige oder das übersättigte Ich?

Ob der Tod allerdings so versöhnlich ist, wage ich zu bezweifeln. Schließlich streift der Morgen den Atem wie eine Flause vom Zwirn. Aber letztlich hast du recht mit der Bemerkung, dass der Tod des Ichs alles ¨nichtet¨. Dem Morgen scheint es schlicht egal zu sein, wer da stirbt. :)

Danke nochmal.
Beste Grüße
AB


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#9

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 22.03.2014 17:50
von Gedichtbandage • Mitglied | 531 Beiträge | 525 Punkte

hey arno,

karneval ist immer, wesentlicher ist evtl.:
...alltägliches possenspiel, faust, die bibel, die totsünden etc. ...
es ging um mein lesen deiner orgienhaft erschreckend natürlichen darstellung des tierkreises in seinem erschaffenen raum. eigentlich ziemlich ungeschminkt im auge des l.i.

mach es bloß nicht an dem einen wort fest, und sowieso ja zum rest.

ach so, mir gefällt's.

bis bald,
hg
gb.


_________________________________________________________
>> Du verdammter Sadist:
Du versuchst deine Leser zum Denken zu zwingen.<< - E. E. Cummings zu Ezra Pound
zuletzt bearbeitet 28.03.2014 19:01 | nach oben

#10

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 28.03.2014 17:27
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte

Hallo gb!

Danke nochmal für deine Mühe, mir manchmal begriffstutzigem Mann deine Gedanken nahezulegen. Ja, ich war dann vom ¨Karneval¨ gefangen und trieb mich damit herum. :D

Beste Grüße
AB


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zuletzt bearbeitet 28.03.2014 17:28 | nach oben

#11

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 03.04.2014 22:56
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo Arno,
noch nicht nachhause zu gehen ist für mich eine Art Flucht vor was auch immer (Beziehungsprobleme, Krankheit usw.).
Sich den Verlockungen des Lichts, des Alkohols und der käuflichen Liebe hinzugeben, sind die Ausflüchte vor
der Realität des Morgens.
Die Strophen vier und fünf verwässern für mich den Text unnötig, der Schluss ist wieder Klasse.
LG
Perry

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#12

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 06.04.2014 23:09
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte

Hallo Perry, danke für den Kommentar.

Beim weniger eindringlichen Lesen kann sicher der Eindruck entstehen, Str. 4 und 5 verwässerten den Text. Tatsächlich konkretisieren sie ihn aber. Während in Str. 4 der Fokus neu eingerichtet wird und eine andere Sicht auf die Gruppen der Herren und Damen gelegt wird, veranschaulicht Str. 5 - lapidar gesagt - das Fernbleiben kirchlicher/religiöser Pflichten und Tugenden. Dies ist die (letzte) Vorbereitung auf die Str. 6.
Beste Grüße
AB


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#13

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 28.08.2014 19:29
von LottaViktualia | 31 Beiträge | 31 Punkte

Lieber Arno B.,

der satirische Eindruck rührt wohl vom Reimschema her. Da ist etwas, was immer wieder kehrt (um es mal zu untertreiben). Es ist vorhersehbar, wie es weiter gehen könnte. Ein neuer Tag bricht an.

(Aber: Wenn der Pfarrer wacht, wird es sich dann auch reimen?)

Du steigst ein mit einer mächtigen, da Personifizierten Objektwelt in der das lyrI sich bewegt und treiben lässt. Diese vermeintlichen "Verlockungen" scheinen aber auf das lyrI keine besonders anziehende Wirkung zu haben. Was die "Manie" zunächst verhieß, bleibt aus. Stattdessen wendet sich das Blatt von den Erwartungen hin zur abstoßend dargestellten Bildern der vom lyrI wahrgenommenen Realität: Die Herren degradiert zum Vieh am Tresen. Die Damen wahllose Wolllüstige.
Schön finde ich an dieser Stelle, das Aufgreifen der Kunst im Gedicht. Ein Kunstwerk thematisiert sich immer selbst, habe ich irgendwann einmal aufgeschnappt. ;) Ob es den Damen an Urteilskraft fehlt oder es Ihnen aus anderen Motiven heraus egal ist, wer Künstler, wer Banause ist, das lässt du offen.

Zu den pausierenden Toten habe ich eine Idee, die sich aber in den Rest der "Story" nbicht ganz nahtlos einfügen mag. Zu abgedroschen. (Nur die Toten schwimmen mit dem Strom und wenn die Nachts Pause machen, dann Verlassen Sie das Terrain gesellschaftlich akzeptierter Verhaltensweisen.)

Zu dem ersten Teil hatte ich eine Reihe Assoziationen, die mit den Todsünden und einem Gemälde dazu zu tun haben, das ich kürzlich sah. Kenne mich aber dann doch nicht gut genug aus, um in deinen Zeilen nach allen zu suchen. Würde ich sie alle finden?

Jetzt kommt noch eine Wende: Der Pfarrer, als moralische Instanz und Vertreter der Kirche/ Religion, schläft in der Nacht. Die Glocke, natürlich auch Sinnbild für die Kirche, kann mit ihrem Wiegenlied lediglich auf den Pfarrer ihre Wirkung entfalten.

Interessant wird nun am Ende der Personifizierte Morgen. Da fallen mir abertausend Gedanken zu ein:
Hier machst du das lyrI zur moralischen Instanz, der dem Morgen eine Predigt hält (Amen), und den Morgen zu einer der Personen am Straßenrand, die den Wanst voll haben. Ja, ok, das ist übertrieben...

Aber der Morgen streift den Atem, Innbegriff des Lebens, ab. Die Manie ist vorbei. Das lyrIch soll (wieder?) tot sein und seine Pause vom Totsein nun beenden. Das lyrI wird damit am Ende doch eine/r von "denen". Es gelingt nicht, sich abzugrenzen.
... ...

Sprachlich finde ich es an manchen Stellen etwas merkwürdig, "sich schmiegend geben" ist dafür ein Beispiel. Es ist auch nicht leicht, so ein Schema x-fach durchzuhalten.

Beste Grüße
Lotte

PS: Ich wollte einigermaßen unvoreingenommen sein und habe nicht alle Kommentare gelesen.

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#14

RE: Auswuchs

in Düsteres und Trübsinniges 05.08.2015 09:52
von Elektra | 250 Beiträge | 250 Punkte

Hey Arno Boldt,

schmunzelsatirische Beschreibung einer Nacht in der Stadt, vielleicht einer Kleinstadt. Darauf komme ich wegen Pfarrer Krause, der da eine Rolle zu spielen scheint, in der Großstadt mit all ihren atheistischen Häretikern passiert das nicht. Ich hätte mir vielleicht mehr Überspitzungen gewünscht, es geht alles ein bisschen geruhsam, sozusagen auf dem Sofa sitzend und schmunzelnd. Deutschland ist Provinz, und Provinz Deutschland liest man heraus, und das macht Spaß, und das ist schön. Weil es einfach stimmt.

Du probierst verschiedene Reimformen, das macht sich aber nur gut, wenn du da Durchhaltevermögen aufbringst und sich zum Beispiel der Binnenreim durch das ganze Gedicht zieht.

Elektra


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