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Kirschblütensommer
#1
von Roderich (gelöscht)
Kirschblütensommer
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 10.04.2006 02:06von Roderich (gelöscht)
Kirschblütensommer
Ein Schritt neben den anderen. Am Weißen Haus vorbei, an den Menschen vorbei, die Schlange stehen – scheinbar nur um des Schlangestehens willen. Der Wind zerrt an meiner Jacke, scheint von allen Seiten gleichzeitig zu kommen. Mein Haar wird zerzaust, ich halte meinen Fotoapparat fest aus Angst, er könnte weggeblasen werden. Bei dem Gedanken lächle ich.
Dann sehe ich die Kirschbäume.
Ein kleines Wäldchen, vielleicht zwanzig, dreißig Bäume, dicht aneinandergedrängt. Ihre leicht rosa blühenden Kronen decken die Fläche völlig ab. Und wie ich Schritt für Schritt auf dieses kleine Kirschbaumblütenwäldchen zugehe, kann ich es auch riechen: Süßlich, sehr dezent. Nicht wie Kirschen – eher, wie frisch geschnittenes Gras, nur nicht so intensiv.
Der Wind bringt all die kleinen, rosa-weißlichen Blüten durcheinander, spielt mit ihnen und sie folgen seinem Spiel, tanzen wild umher. Die knorrigen Äste bewegen sich auf und ab und mit ihnen die Blüten, die sie tragen. Es rauscht und knistert in dem kleinen Wald.
Am Himmel schieben sich die blauen Gewitterwolken bedrohlich zusammen, bilden eine unheilvolle Allianz, in der Ferne höre ich Donnergrollen. Elektrizität liegt in der Luft. Ich rieche Regen. Es können nur noch Minuten sein.
Vereinzelte Kirschblüten werden vom Wind von ihren Ästen gerissen und schweben zu Boden. Manchmal verharren sie in der abwärts treibenden Bewegung, stehen still in der Luft, als könnten sie sich nicht entschließen, ob sie wieder hinauf in die schützenden Baumkrone oder doch hinab zur Erde wollten.
Eine Blüte bleibt in meinen Haaren hängen, eine andere verfängt sich im Kragen. Ich nehme die aus dem Kragen auf, drehe sie zwischen meinen Fingern, samtig, weich, eher weiß als rosa, hell, duftend. Dann lasse ich sie weiterfliegen und blicke ihr nach, bis sie einige Meter von mir entfernt auf der weichen Erde zu Ruhe kommt.
Der Stamm des kleinen Bäumchens, zu dem ich mich setze, ist kühl und glatter, als ich dachte. Über mir spielt sich eine wilde Szenerie ab: Die Blüten in aufgeregtem Tanz, darüber die drückende Gewitterfront – der Wind als Vermittler, als derjenige, der das Aufrüsten des Himmels mit dem tanzenden Wäldchen verbindet. Ich sehe die Gesichter der anderen Touristen ängstlich nach oben blicken. Kameras werden hektisch in Taschen verstaut.
Ich schließe die Augen.
Und lausche.
Ich höre die Geschichten des Windes. Er erzählt von längst vergangenen Zeiten, als er schon hier war und es sonst nichts gab. Er erzählt von dem Bau der Stadt, wie sie Stein für Stein, Haus für Haus zusammengesteckt wurde, einem Baukasten gleich. Dann die Jahrhundertwende, das Jahr 1907 und das großzügige Geschenk der Japaner. Er hat mitverfolgt, wie die Washingtoner die Samen eingepflanzt haben, überall, in der ganzen Stadt. Tausende. Einige hat er fort getragen – er hatte andere Pläne für sie. Die meisten aber blieben in der Stadt, hier, genau hier. Dann die ersten, zarten Äste, die sich aus der Erde wagten. Er hat schon damals mit ihnen gespielt. Sie wuchsen heran in den Jahren, verbreiteten sich, starben wieder, gaben ihr Erbe an ihre Nachkommen weiter – ein sich ständig erneuender Zyklus. Und immer war der Wind bei ihnen. Er kennt die alten Geschichten. Alles ist immer gleich, flüstert er mir ins Ohr. Nur die Menschen ändern sich, aber um die kümmere ich mich nicht. Für mich zählen nur meine Kirschbäume und ihre herrlichen weißen und rosafarbenen Blüten, die ich zum Tanzen bringe. Das ist alles, was zählt, seit hundert Jahren.
Ich öffne die Augen. Der Himmel ist mittlerweile von einem sehr intensiven Blau, das langsam in Grau übergeht. Und noch immer kein Tropfen Regen.
Ich atme tief durch, atme die Kirschblütenluft, die der Wind in meine Lungen presst. Es ist Anfang April, und doch ist bereits Sommer.
Kirschblütensommer.
Ein Schritt neben den anderen. Am Weißen Haus vorbei, an den Menschen vorbei, die Schlange stehen – scheinbar nur um des Schlangestehens willen. Der Wind zerrt an meiner Jacke, scheint von allen Seiten gleichzeitig zu kommen. Mein Haar wird zerzaust, ich halte meinen Fotoapparat fest aus Angst, er könnte weggeblasen werden. Bei dem Gedanken lächle ich.
Dann sehe ich die Kirschbäume.
Ein kleines Wäldchen, vielleicht zwanzig, dreißig Bäume, dicht aneinandergedrängt. Ihre leicht rosa blühenden Kronen decken die Fläche völlig ab. Und wie ich Schritt für Schritt auf dieses kleine Kirschbaumblütenwäldchen zugehe, kann ich es auch riechen: Süßlich, sehr dezent. Nicht wie Kirschen – eher, wie frisch geschnittenes Gras, nur nicht so intensiv.
Der Wind bringt all die kleinen, rosa-weißlichen Blüten durcheinander, spielt mit ihnen und sie folgen seinem Spiel, tanzen wild umher. Die knorrigen Äste bewegen sich auf und ab und mit ihnen die Blüten, die sie tragen. Es rauscht und knistert in dem kleinen Wald.
Am Himmel schieben sich die blauen Gewitterwolken bedrohlich zusammen, bilden eine unheilvolle Allianz, in der Ferne höre ich Donnergrollen. Elektrizität liegt in der Luft. Ich rieche Regen. Es können nur noch Minuten sein.
Vereinzelte Kirschblüten werden vom Wind von ihren Ästen gerissen und schweben zu Boden. Manchmal verharren sie in der abwärts treibenden Bewegung, stehen still in der Luft, als könnten sie sich nicht entschließen, ob sie wieder hinauf in die schützenden Baumkrone oder doch hinab zur Erde wollten.
Eine Blüte bleibt in meinen Haaren hängen, eine andere verfängt sich im Kragen. Ich nehme die aus dem Kragen auf, drehe sie zwischen meinen Fingern, samtig, weich, eher weiß als rosa, hell, duftend. Dann lasse ich sie weiterfliegen und blicke ihr nach, bis sie einige Meter von mir entfernt auf der weichen Erde zu Ruhe kommt.
Der Stamm des kleinen Bäumchens, zu dem ich mich setze, ist kühl und glatter, als ich dachte. Über mir spielt sich eine wilde Szenerie ab: Die Blüten in aufgeregtem Tanz, darüber die drückende Gewitterfront – der Wind als Vermittler, als derjenige, der das Aufrüsten des Himmels mit dem tanzenden Wäldchen verbindet. Ich sehe die Gesichter der anderen Touristen ängstlich nach oben blicken. Kameras werden hektisch in Taschen verstaut.
Ich schließe die Augen.
Und lausche.
Ich höre die Geschichten des Windes. Er erzählt von längst vergangenen Zeiten, als er schon hier war und es sonst nichts gab. Er erzählt von dem Bau der Stadt, wie sie Stein für Stein, Haus für Haus zusammengesteckt wurde, einem Baukasten gleich. Dann die Jahrhundertwende, das Jahr 1907 und das großzügige Geschenk der Japaner. Er hat mitverfolgt, wie die Washingtoner die Samen eingepflanzt haben, überall, in der ganzen Stadt. Tausende. Einige hat er fort getragen – er hatte andere Pläne für sie. Die meisten aber blieben in der Stadt, hier, genau hier. Dann die ersten, zarten Äste, die sich aus der Erde wagten. Er hat schon damals mit ihnen gespielt. Sie wuchsen heran in den Jahren, verbreiteten sich, starben wieder, gaben ihr Erbe an ihre Nachkommen weiter – ein sich ständig erneuender Zyklus. Und immer war der Wind bei ihnen. Er kennt die alten Geschichten. Alles ist immer gleich, flüstert er mir ins Ohr. Nur die Menschen ändern sich, aber um die kümmere ich mich nicht. Für mich zählen nur meine Kirschbäume und ihre herrlichen weißen und rosafarbenen Blüten, die ich zum Tanzen bringe. Das ist alles, was zählt, seit hundert Jahren.
Ich öffne die Augen. Der Himmel ist mittlerweile von einem sehr intensiven Blau, das langsam in Grau übergeht. Und noch immer kein Tropfen Regen.
Ich atme tief durch, atme die Kirschblütenluft, die der Wind in meine Lungen presst. Es ist Anfang April, und doch ist bereits Sommer.
Kirschblütensommer.
#3
von Roderich (gelöscht)
Kirschblütensommer
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 11.04.2006 15:13von Roderich (gelöscht)
Servus Gem,
danke für dein nettes Feedback, das mich sehr gefreut hat. Schön, wenn noch was vom "alten Rod" in mir schlummert.
Allerdings muss ich dich gleich vorwarnen: Die Paranoia-Serie ist noch nicht abgeschlossen, da habe ich erst einmal Halbzeit. Sorry, Gem, aber da müsst ihr durch.
Grüße
Thomas
danke für dein nettes Feedback, das mich sehr gefreut hat. Schön, wenn noch was vom "alten Rod" in mir schlummert.
Allerdings muss ich dich gleich vorwarnen: Die Paranoia-Serie ist noch nicht abgeschlossen, da habe ich erst einmal Halbzeit. Sorry, Gem, aber da müsst ihr durch.
Grüße
Thomas
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