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#1
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Irrlicht
in Liebe und Leidenschaft 18.01.2007 13:22von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Irrlicht
Es war nur eine Handvoll,
doch die wog ein Leben
und wann die Mauer fiel,
weiss keiner mehr.
Jedoch aus Regung wurde Beben,
aus Träumerei ein zähes Streben,
und aus der Heiterkeit
ein stetes Trauerspiel.
Wir trugen unser Schwarz durch
viele müde Jahre
und manchmal hält uns bloss
ein leidlich Tun.
So bleibt ein Platz auf einer Bahre,
ein Sommer, den ich schützend wahre
und eine Leichtigkeit
beim letzten Atemstoss.
© Margot S. Baumann
Hallo Margot
Das Reimschema ist ein strophenübergreifendes, eher seltenes
A-B-C-D
B-B-E-C
F-G-H-I
G-G-E-H
Dein Gedicht liest sich flüssig. Doch während sich in S2 bis S4 ein direktes Verstehen offenbart, bleibt mir in S1 vorerst die getragene Stimmung, ein Sinn ist mir beim ersten Lesen noch nicht richtig zugängig, ich kann die Strophe nicht auf Anhieb entschlüsseln.
Mauerfall, klar, aber die kleine Schar, vor allem: warum wog diese Schar ein Leben ?
Aus den drei folgenden ist direkt herausgelesen, wie aus Leichtigkeit und Beseelung Schwere und Durchhalten, zuletzt Enttäuschung wird.
Es bleib der sichere Tod und die Erinnerung an einen Sommer (vermutlich jenes "Wann" aus S1), die dem Leben beim letzten Atemzug Trost spenden wird.
Zurück zu S1 . "Wann die Mauer fiel" ja, das weist auf den Untergang der DDR. "Es war nur eine Handvoll" die dies erstritten - ja, das könnte so verstanden sein, auch wenn es deutlich mehr als eine Handvoll war (?). Aber wieso wog diese Handvoll ein Leben? Das des LI ? Wie in den folgenden Strophen ausgeführt - sorgt diese Handvoll für die Leichtigkeit beim letzten Atemstoss - ist das so gemeint?
Das würde meines Erachtens passen und ließe sich so gut verstehen:
das Aufkeimen der Hoffnung (Regen, Beben, Träumerei) geht auf die Handvoll zurück, die Mauer fiel. Alle Hoffnungen gehen in der Folge verloren, doch dieser eine Sommer des Aufbruchs, der erinnernd bewahrt wird und letztlich für Zufriedenheit sorgt, bleibt. Als letztes Glück und "lebenswiegend" aufgefasst. Auch der Titel passt dazu. Das Irrlicht der vergeblichen Hoffnung.
Wie gesagt, der direkte Zugang zum Inhalt wird mir durch, die etwas erschwert. Beim zweiten Lesen bekomme ich es zusammen. Der Zugang zur getragenen Stimmung, zur offenen Sprache ist unvermittelt da.
Worte, in denen eine kleine Hürde steckt sind für mich das "Beben" und der "Atemstoss", ganz einfach deshalb, weil sie nicht die gleiche Gebräuchlichkeit besitzen, wie das restliche Vokabular des Gedichtes. Bzw. Gebräuchlichkeit in der verwendeten Bedeutung: bezogen auf das Beben bleibt mir eigentlich unklar, ob es als einfache Steigerung der "Regung" oder -analog zu Folgezeile- als deren erschwerende Fortführung aufzufassen ist.
Lieber Gruß
Ulrich
Edit: jetzt seh ich, dass ich in Liebe und Leidenschaft kommentierte - dann liege ich vermutlich total daneben...
Das Reimschema ist ein strophenübergreifendes, eher seltenes
A-B-C-D
B-B-E-C
F-G-H-I
G-G-E-H
Dein Gedicht liest sich flüssig. Doch während sich in S2 bis S4 ein direktes Verstehen offenbart, bleibt mir in S1 vorerst die getragene Stimmung, ein Sinn ist mir beim ersten Lesen noch nicht richtig zugängig, ich kann die Strophe nicht auf Anhieb entschlüsseln.
Mauerfall, klar, aber die kleine Schar, vor allem: warum wog diese Schar ein Leben ?
Aus den drei folgenden ist direkt herausgelesen, wie aus Leichtigkeit und Beseelung Schwere und Durchhalten, zuletzt Enttäuschung wird.
Es bleib der sichere Tod und die Erinnerung an einen Sommer (vermutlich jenes "Wann" aus S1), die dem Leben beim letzten Atemzug Trost spenden wird.
Zurück zu S1 . "Wann die Mauer fiel" ja, das weist auf den Untergang der DDR. "Es war nur eine Handvoll" die dies erstritten - ja, das könnte so verstanden sein, auch wenn es deutlich mehr als eine Handvoll war (?). Aber wieso wog diese Handvoll ein Leben? Das des LI ? Wie in den folgenden Strophen ausgeführt - sorgt diese Handvoll für die Leichtigkeit beim letzten Atemstoss - ist das so gemeint?
Das würde meines Erachtens passen und ließe sich so gut verstehen:
das Aufkeimen der Hoffnung (Regen, Beben, Träumerei) geht auf die Handvoll zurück, die Mauer fiel. Alle Hoffnungen gehen in der Folge verloren, doch dieser eine Sommer des Aufbruchs, der erinnernd bewahrt wird und letztlich für Zufriedenheit sorgt, bleibt. Als letztes Glück und "lebenswiegend" aufgefasst. Auch der Titel passt dazu. Das Irrlicht der vergeblichen Hoffnung.
Wie gesagt, der direkte Zugang zum Inhalt wird mir durch
Worte, in denen eine kleine Hürde steckt sind für mich das "Beben" und der "Atemstoss", ganz einfach deshalb, weil sie nicht die gleiche Gebräuchlichkeit besitzen, wie das restliche Vokabular des Gedichtes. Bzw. Gebräuchlichkeit in der verwendeten Bedeutung: bezogen auf das Beben bleibt mir eigentlich unklar, ob es als einfache Steigerung der "Regung" oder -analog zu Folgezeile- als deren erschwerende Fortführung aufzufassen ist.
Lieber Gruß
Ulrich
Edit: jetzt seh ich, dass ich in Liebe und Leidenschaft kommentierte - dann liege ich vermutlich total daneben...
#3
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Irrlicht
in Liebe und Leidenschaft 19.01.2007 09:35von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hallo Ulrich
Ja, Liebe und Leidenschaft.
Ich war mir – beim Schreiben - nicht bewusst, dass für Euch Deutsche, jeder Mauerfall (unweigerlich natürlich) mit dem Fall der Berliner Mauer zusammenhängt. Wie auch 'braun' für Euch wahrscheinlich immer mit einer politischen Einstellung einher geht, für mich aber zuallererst eine Farbe ist. Und hätten wir hier nicht Rubriken, wäre Deine Interpretation gar nicht so abwegig. Sie lässt sich am Text ja auch belegen. Das ist schon mal nicht schlecht und gefällt mir, als Autor, natürlich, wenn man die Verse auf mehrere Arten deuten kann.
Meine Intention war aber eine andere. Ich kann Dir gerne kurz aufzeigen, was ich verdichten wollte. Eigentlich ganz einfach, wenn man es weiss …
Die Handvoll bezieht sich auf eine gemeinsame Zeit, die nur kurz, doch für die Protagonisten sehr bedeutend war (wog ein Leben). Die Mauer dient als Metapher für das Fallen der Zurückhaltung, die aus (moralischen) Bedenken bestand.
Die nachfolgenden 2 Str. zeigen die Entwicklung dieser Beziehung, die wohl von Anfang an keine Zukunft hatte. Was die Beiden wohl auch spürten. Die anfängliche Begeisterung und das *gegen-alle-Regeln*-Gefühl wird immer schwächer, um sich am Ende ganz aufzulösen.
Die letzt Str. zeigt, ‚was vom Tage übrig blieb’: Sicher ist nur der Platz auf der Bahre, dieser Sommer (die Erinnerung) und die Leichtigkeit des Gehens (im religiösen Sinne gemeint).
Vielen Dank für Deine Interpretation und den Kommentar. Und es ist ganz egal, ob Du recht liegst oder nicht. Wenn ich danach gehen würde, wären praktisch alle meine Kommentare für die Katz. *g
Beste Grüsse
Margot
P.S.
So war es gemeint.
Ja, Liebe und Leidenschaft.
Ich war mir – beim Schreiben - nicht bewusst, dass für Euch Deutsche, jeder Mauerfall (unweigerlich natürlich) mit dem Fall der Berliner Mauer zusammenhängt. Wie auch 'braun' für Euch wahrscheinlich immer mit einer politischen Einstellung einher geht, für mich aber zuallererst eine Farbe ist. Und hätten wir hier nicht Rubriken, wäre Deine Interpretation gar nicht so abwegig. Sie lässt sich am Text ja auch belegen. Das ist schon mal nicht schlecht und gefällt mir, als Autor, natürlich, wenn man die Verse auf mehrere Arten deuten kann.
Meine Intention war aber eine andere. Ich kann Dir gerne kurz aufzeigen, was ich verdichten wollte. Eigentlich ganz einfach, wenn man es weiss …
Die Handvoll bezieht sich auf eine gemeinsame Zeit, die nur kurz, doch für die Protagonisten sehr bedeutend war (wog ein Leben). Die Mauer dient als Metapher für das Fallen der Zurückhaltung, die aus (moralischen) Bedenken bestand.
Die nachfolgenden 2 Str. zeigen die Entwicklung dieser Beziehung, die wohl von Anfang an keine Zukunft hatte. Was die Beiden wohl auch spürten. Die anfängliche Begeisterung und das *gegen-alle-Regeln*-Gefühl wird immer schwächer, um sich am Ende ganz aufzulösen.
Die letzt Str. zeigt, ‚was vom Tage übrig blieb’: Sicher ist nur der Platz auf der Bahre, dieser Sommer (die Erinnerung) und die Leichtigkeit des Gehens (im religiösen Sinne gemeint).
Vielen Dank für Deine Interpretation und den Kommentar. Und es ist ganz egal, ob Du recht liegst oder nicht. Wenn ich danach gehen würde, wären praktisch alle meine Kommentare für die Katz. *g
Beste Grüsse
Margot
P.S.
Zitat: |
Das Irrlicht der vergeblichen Hoffnung. |
So war es gemeint.
Hallo Marge!
Nachdem du dich nun ausgebreitet hast, muss man ja nicht mehr interpretieren.
Also reicht es, mein grundsätzliches Gefallen mitzuteilen, welches jedoch - da stimmt nun wieder deine Theorie - zum Ende hin abnimmt. Während in S3 das "leidlich Tun" nur böse ist und insofern okay, driftet S4 in die Larmoyanz und die Bilder werden seltsam: Diese Bahre, sprich: Totenliege, ist unverdaulich, so oder so gesehen. Sie passt weder zum schützenswerten Sommer, noch zur unerträglichen Leichtigkeit des finalen Schnaufers, der zwar rilkemäßig keucht, aber fehl am Platz ist. Ich keuche jedenfalls schwer.
Digitale Grüße
P.S.: Die zufälligen Reime gefallen mir auch, das dürfte aber bekannt sein.
Nachdem du dich nun ausgebreitet hast, muss man ja nicht mehr interpretieren.
Also reicht es, mein grundsätzliches Gefallen mitzuteilen, welches jedoch - da stimmt nun wieder deine Theorie - zum Ende hin abnimmt. Während in S3 das "leidlich Tun" nur böse ist und insofern okay, driftet S4 in die Larmoyanz und die Bilder werden seltsam: Diese Bahre, sprich: Totenliege, ist unverdaulich, so oder so gesehen. Sie passt weder zum schützenswerten Sommer, noch zur unerträglichen Leichtigkeit des finalen Schnaufers, der zwar rilkemäßig keucht, aber fehl am Platz ist. Ich keuche jedenfalls schwer.
Digitale Grüße
P.S.: Die zufälligen Reime gefallen mir auch, das dürfte aber bekannt sein.
#5
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Irrlicht
in Liebe und Leidenschaft 19.01.2007 10:04von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Ich bringe Dich aber mit dem grössten Vergnügen zum Keuchen!
Sicher nicht mein grösster Wurf, ich weiss, und die letzte Str. vermutlich die schwächste. Vielleicht werde ich es - in einer stillen Stunde - überarbeiten. Es ist schon 1 Jahr alt und ich habe es zufällig in meinen Ordnern entdeckt. Zum Schreiben, wie auch zum Überarbeiten, braucht es - bei mir - aber immer einen inneren oder äusseren Anstoss, und der fehlt im Moment. Aber wenn er kommt, werde ich Deine Ratschläge sicher befolgen.
Danke fürs Vorbeischauen.
Margot
Sicher nicht mein grösster Wurf, ich weiss, und die letzte Str. vermutlich die schwächste. Vielleicht werde ich es - in einer stillen Stunde - überarbeiten. Es ist schon 1 Jahr alt und ich habe es zufällig in meinen Ordnern entdeckt. Zum Schreiben, wie auch zum Überarbeiten, braucht es - bei mir - aber immer einen inneren oder äusseren Anstoss, und der fehlt im Moment. Aber wenn er kommt, werde ich Deine Ratschläge sicher befolgen.
Danke fürs Vorbeischauen.
Margot
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