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Das öffentliche Haus

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 05.09.2008 09:34
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Das öffentliche Haus


Es gibt keine Türen mehr. Nur noch die Toiletten haben Türen. Aber da sind viele toleranter geworden. Jedenfalls ist es so, dass die Wohnungen und Häuser keine Türen mehr haben.

Ich gebe zu, auch ich habe schon häufiger meine Nachbarn besucht. Bei einem meiner ersten Besuche, waren sie mitten beim Essen. Und wie die gegessen haben. Schrecklich. Und worüber die sich unterhalten haben? Keine Ahnung die Leute. Aber am schlimmsten war der Wein den sie zum Essen ausgewählt hatten. Habe ich denen auch gesagt. Sonst hätte ich es keine fünf Minuten länger ausgehalten. Stellt sich dieser Wichtigtuer von Vater darauf doch hin und fängt an mir – ausgerechnet – was von Esskultur zu erzählen. Nur weil ich gesagt habe, dass der Wein zum Fisch und nicht zum Braten gehört. Das war eine Info. Nett gemeint. OK? Stellt der sich hin und poltert mich an: wer ich denn bitteschön sei und ich hätte ja gar keine Ahnung. Da habe ich ihm gesagt, das sei mein Job so etwas zu wissen. Unerquicklich, sehr unerquicklich. Natürlich stand bald das halbe Haus im Esszimmer und es bildeten sich Fraktionen. Bis der Jüngste den Kassler-Ananas Braten wieder auf den Teller kotzte und sagte ihm sei schlecht. Dann kam der Hausmeister und hat uns gebeten den Raum zu verlassen.
Sowas passiert häufiger. Du hast keine Türen, die du zumachen kannst. Immerzu kommt und geht einer. So richtig weiß ich auch nicht mehr wo meine Wohnung ist.

Als die Ersten Mieter damit begonnen hatten ihre Schlösser und bald darauf die Türen rauszunehmen, verbreitete sich dieser Trend wie ein Lauffeuer. Alle fanden es großartig sich frank und frei verhalten zu können. Ich aber habe nicht gleich mitgemacht und wusste nicht was ich davon halten sollte. Am Ende war ich ziemlich isoliert. Wenn ich rausging, dann fühlte ich mich wie ein Anzugträger auf dem FKK Strand. Ziemlich deplaziert. Die anderen guckten dann auch so. Wenn ich dann wieder die Tür hinter mir zuzog und abschloss, habe ich die Leute draußen trotzdem hören können. Die vielen Türen, die den Schall sonst dämmten, fehlten und so kam ich nicht umhin weiter zu hören, was sie brabbelten, was sie erzählten und welchen Spaß sie hatten. Da fühlte ich mich schon ein bisschen allein.

Aber eigentlich schraubte ich meine Tür erst ab, nachdem Tag wo jemand – das muss man sich mal vorstellen – Merlot als die Königin der Trauben pries. So ein Schmarrn. Es gibt nichts langweiligeres als Merlot. Furchtbar. Da bin ich dann raus und habe ihm erklärt - vom Glasboden bis zum Korkverschluss - wie Wein gemacht wird und das ein Wein der gekelterte Augenblick eines Lebens ist. Wie ein Flaschengeist, kann er Wünsche erfüllen, aber ein Merlot verkörpert höchstens den Wunsch sich zu entleeren. Natürlich kamen auch an diesem Tag wieder viele Mieter zusammen und man stritt sich bis der Hausmeister kam, aber ich lernte interessante Menschen kennen, die schon länger ohne Türen lebten.

Früher hättest du einen angezeigt, der sich einfach in dein Wohnzimmer plauzt und dir Vorträge darüber hält, wie Scheiße deine Inneneinrichtung ist. Aber das erträgt man jetzt oder ruft den Hausmeister. Ich vermute, dass es sich evolutionär entwickelte, dass die meisten jetzt kommen und selbst die schrägsten Puttenfiguren und das hässlichste Wandgemälde ganz toll finden. Das ist wie mit dem Handschlag: man gibt sich die rechte Hand und signalisiert, dass man nicht zum Schwert greift. Natürlich gibt es auch die anderen. Mir hat man auch schon gesagt ich sei so ein aggressiver Kacksack, der immer gleich persönlich und verletzend wird. Blödsinn.
Aber und das ist die Kehrseite der Medaille, die Vollidioten und die Psychos haben auch die Türen abgeschraubt. Ein Freund von mir meinte zynisch lächelnd, dass die ihr Glück kaum fassen konnten. Als ich ihn fragte wie ich das Verstehen darf, bemerkte er nur, dass in seinen Augen 99,9 % aller Mieter einen leichten bis mittelschweren Dachschaden hätten und der aber nicht mehr bemerkt werden würde, da alle den hätten. Es mache eben keinen Unterschied ob man vor oder hinter der Tür sei. Hier bin ich Mensch hier darf ich sein? Das hier sei jetzt Überall. Die eine Umdrehung mehr, die sie zu einem pathologischen Fall mache, die falle doch nicht mehr auf und nachdem er das gesagt hatte, grinste er mich blöd an. Ich glaube er ist weggezogen oder der Hausmeister hat ihn rausgeschmissen - aber sicher bin ich mir da nicht.

Die Vollidioten sind aber lästig. Manche begegnen diesem Problem mit dem Zettelchen Prinzip. Sie lächeln sich an, finden alles großartig und stecken sich geheime Botschaften zu: wie : B. ist ein Psycho, seine Wohnung hässlich und seine Frau eine Schlampe. B. wird das selbstverständlich nicht gesagt. Ich weiß nicht, mich erinnert das an das Türenprinzip. Vielleicht hatte es doch was für sich? Die eigenen Vier Wände waren eine heuchelfreie Zone. Die gibt es nicht mehr. Man wurde auch nicht ständig belästigt mit diesem privaten Müll. Manche haben’s drauf und erzählen ungeniert – auch wenn du zufälligerweise nur vorbeikommst – von ihren Orgasmusproblemen. Furchtbar. Das hat es früher nicht gegeben. Oder dass im Flur alle ihre Urlaubsbildchen hinhängen. Unlimited Dia Show. Alles ist im Grunde ganz furchtbar aufdringlich geworden.

Neulich guckte ich mich mal so um, und ging von Wohnung zu Wohnung, da kam so eine Schranze zu mir und textete mich zu. Ob ich Celine und ihre Prophezeiungen kennen würde. Bitte? Als ich dann etwas grob wurde, kamen gleich Allesversteher um die Ecke und nannten mich eklig. Ich habe dann gebrüllt, dass die mich mal könnten mit ihrem rumgespeichel und, dass es mir scheißegal sei ob sie einen Dachschaden oder traumatisiert seien, weil sie ihren Mann verloren haben oder was weiß ich denn. Da sind die Furien richtig abgegangen: das sei ja das mieseste was sie je gehört hätten, denn Madame Celine hätte kürzlich ihren Mann verloren und das hätte auch unten am schwarzen Brett gestanden und in ihrer Küche hinge doch auch der Abschiedsbrief. Mir verschlug es augenblicklich die Sprache. Sollte ich nächstens durch jede Wohnung marschieren und alles lesen? Jeden privaten – das gibt es doch nicht mehr – Tagebucheintrag, jeden weinerlichen Furz eines hormonell fehlgesteuerten Backfisches?




Morgens finde ich mich in irgendwelchen Wohnungen wieder. Ich spreche nicht mehr viel und grinse meist dämlich. Das mit den Zetteln funktioniert leidlich, aber man muss auch aufpassen, wem man was steckt. Wie sich das weiterentwickeln wird, weiß ich nicht. Manche haben wieder angefangen Türen einzusetzen, aber – alter Schwede – , wenn die sich blicken lassen, wird denen die Hölle heiß gemacht. Noch bedenklicher scheint mir der neueste Trend zu sein: Spiegel vernichten. Hat schon ganz schön um sich gegriffen; ich habe mich schon lange nicht mehr gesehen.
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