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Nimm den Wagen, wenn du gehst
#1
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Nimm den Wagen, wenn du gehst
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 02.09.2008 23:16von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Nimm den Wagen, wenn du gehst
Das Huhn verpasste seinen Bus und dachte "Mist! Schon wieder." Jeden Morgen passierte ihm das. Es stellte den Wecker täglich etwas früher. Erst auf 7:00 Uhr. Dann auf 6:55 Uhr, dann auf 6:53 Uhr. Mittlerweile sogar auf 5:48 Uhr. Aber es half nichts. Manchmal kam es einfach nicht aus dem Bett hoch, dann verpuzzelte es sich im Bad oder der Hahn wollte noch was. Immer war was. Es musste doch eine Möglichkeit geben, das Problem in den Griff zu bekommen.
Der Chef in der Eierfabrik beäugte schon argwöhnisch die Verspätungen des Huhns, das natürlich auch immer ein zwei Stück weniger produzierte als die anderen - aus Zeitmangel. Das Huhn war nämlich Legehenne und arbeitete in der Eierfabrik, wo es am Fließband Eier legte. Kein besonderer Job, zum einen, weil jede andere Henne, die unser Huhn kannte, genau den gleichen Job hatte, zum anderen, weil man dafür nicht gerade studiert haben musste. Es war ihm sozusagen in die Wiege gelegt.
Dabei las das Huhn wirklich gerne. Nietzsches "Geburt der Tragödie" zum Beispiel war eines seiner Lieblingsbücher. Es spürte gelegentlich auch immer mal wieder diese dionysische Leidenschaft in sich. Doch stets, wenn ein rauschartiger Zustand das Huhn überkam, machte es "PLOPP" und ein Ei fiel hinten aus ihm raus. War es denn zu mehr nicht geschaffen? So saß es in seiner Legebatterie in der Fabrik oder stand eben morgens an der Bushaltestelle und sinnierte über sein Leben nach.
Aber heute dachte es: So kann das nicht weiter gehen. Es könnte jetzt zwar auf den nächsten Bus warten, zu spät zur Arbeit kommen, sich beim Chef entschuldigen und wieder "loslegen" - im wahrsten Sinne des Wortes. Es könnte aber jetzt auch etwas ganz und gar Unerwartetes tun.
Bei diesem Gedanken ging ein innerer Blitz durch seinen Körper. Endlich spürte es seine Bestimmung bis in die Federspitzen. Nun war es bereit seinem Schicksal ins Auge zu blicken. Heute würde es geschehen!
Aber was?
Keine Ahnung. Es wartete.
Da erschien der Fuchs. Das Huhn kannte ihn schon gut, denn er nahm auch immer den späteren Bus. Nur dass der Fuchs pünktlich zur Arbeit kam, denn er arbeitete in der Hühnerschlachterei, und dort begann die Schicht eine halbe Stunde später.
"Hallo Herr Fuchs." sagte das Huhn.
"Hallo Frau Huhn", grüßte er zurück, "Na, wieder spät dran?"
"Jaja", antwortete das Huhn. "Aber heute ist es in Ordnung."
Der Fuchs hob eine Augenbraue. "Aha. Inwiefern, wenn ich fragen darf?"
Das Huhn plusterte sich etwas auf und sprach, "Ich weiß nicht. Ich fühle mich heute so lebendig, als müsste ich etwas Außergewöhnliches tun."
Der Fuchs lächelte. "Na, da wünsche ich Ihnen aber viel Glück."
„Danke.“
Der Fuchs war neugierig. "Darf ich fragen, was Sie im Sinn haben?"
Das Huhn schüttelte jetzt entschlossen den Kopf. "Das weiß ich noch nicht. Aber das wäre ja auch langweilig, Nein. Es muss einfach auf mich zu kommen. Ich will es auf mich zu kommen lassen."
Der Fuchs schaute skeptisch aber verschmitzt. Der Bus näherte sich. Er sah das Huhn an und meinte, "Na, dann seien Sie mal trotzdem vorsichtig. Kommen Sie mir nicht unter die Räder. Wir brauchen Sie noch."
Das Federvieh schüttelte geschmeichelt den Kopf. "Ach, nicht doch. Machen Sie sich mal keine Sorgen. Ich komm schon klar."
Als der Fuchs in den Bus einstieg, nickten sie sich zu, der Fuchs rief, "Man sieht sich!"
Der Bus fuhr ab.
So stand das Huhn den ganzen Vormittag an der Haltestelle. Viele Leute kamen, viele Busse fuhren.
Bald bekam es Hunger. So setzte es sich in Bewegung und machte sich auf die Suche nach Essbarem, Getreidekörner oder so. Es begann die Straße entlang zu laufen, fand aber nichts. Bis es ein verirrtes Küken traf. Das Huhn sprach es an: "Liebes Küken, weißt du, wo ich etwas zu Essen finde?"
Das Küken zitterte am ganzen Leib und antwortete, "Nein, ich habe selber Hunger.“
„Na gut. Nichts für ungut“, erwiderte das Huhn freundlich und wollte schon weiter gehen. Da fügte das Küken hinzu: „Ich bin aus der Hühnerschlachterei entkommen, bin nun auf der Flucht und habe den ganzen Tag noch nichts gegessen."
Das Huhn meinte kurz entschlossen: "Küken. Dann komm doch mit mir mit. Ich will heute mal etwas ganz anderes machen als sonst. Ich will etwas Besonderes erleben und so den Sinn meines Lebens erkunden. Aber erstmal suche ich was zu essen. Ich habe nämlich Hunger. Magst du mich dabei begleiten?"
Das Küken antwortete insbesondere auf den Teil mit dem Essen bezogen: "Klar. Gerne." Und so gingen sie gemeinsam weiter.
Nach einer Stunde hatten die beiden immer noch keine Nahrung entdeckt - doch sie gelangten an einen Imbiss.
Das Küken las die Aufschrift "Kentucky Fried Chicken."
Das Huhn meinte: "Ach, leider nichts Vegetarisches."
"Aber vielleicht haben sie einen Job für uns", regte das Küken an, "Dann bekämen wir Geld, und könnten uns da drüben was kaufen." Das Küken deutete auf einen kleinen Supermarkt auf der anderen Straßenseite, den das Huhn noch gar nicht registriert hatte. Da spürte das Huhn wieder diesen Blitz in seinem Körper und ihm kam eine diebische Idee. Es raunte verschwörerisch dem Küken zu: "Ich bleibe doch heute nicht der Arbeit fern, um mir einen neuen Job zu suchen. Nein. Lass mal. Ich habe einen Plan. Folge mir."
Das Huhn ging so breitbeinig wie es nur konnte über die Straße. Aus einem Autoradio vom Parkplatz vor dem Supermarkt erscholl die dazu passende Westernmusik von Ennio Morricone. Das kleine Küken tapste hinterher. Wie durch ein Wunder wurden sie in dem regen Verkehr nicht überfahren.
Vor dem Eingang des Ladens sprach das Huhn zum Küken: "Du sicherst die Tür. Ich bin gleich wieder zurück."
Das kleine Küken hatte keinen Schimmer, was es tun sollte, aber es versuchte sich in die Stimmung des Huhns hineinzufühlen, lauschte auf das Autoradio und blieb mit verkniffenen Augen am Eingang stehen.
Das Huhn betrat den Laden, was ihm mittlerweile etwas schwer fiel. Denn der breitbeinige Gang war nicht nur durch die Musik bedingt, sondern auch durch die Tatsache, dass es an dem Tag noch kein einziges Ei gelegt hatte. Normalerweise hätte es auf das Fließband um diese Zeit schon zehn Stück von sich gegeben.
Nun stellte es sich mit dem Hintern zum Kassierer, einem alten Wolf, gewandt und sagte über die Schulter: "Hey, Fiffi, her mit den Körnern!" Der Wolf lachte es bloß aus. Da schoss das Huhn, sich erleichternd, einpaar Eier in das Zigarettenregal hinter dem Kassierer, welches darauf krachend zusammenbrach. Das Huhn dachte bei sich „Das wollte ich schon immer mal machen“ und gackerte dabei noch mal knapp zum Wolf: "Die Körner!"
Der begann erschrocken herumzufuchteln und rief: "Natürlich. Sofort", rannte zum nächsten Regal und begann die Körnertüten herauszuzerren. Das Huhn behielt ihn dabei im Visier.
Plötzlich hörte es vom Eingang her einen spitzen Schrei des Kükens. Das Huhn wandte sich zur Tür und sah dort plötzlich seinen Bekannten von der Bushaltestelle, Herrn Fuchs, wie er das Küken gepackt hielt und sagte, "Da bist du ja. Dachtest du, du könntest uns einfach so entkommen?" Das Huhn drehte sich blitzschnell um 180° und feuerte drei weitere Eier in Richtung Fuchs. Das erste durchschlug die gläserne Eingangstür, an der der Fuchs stand, und spritzte ihm einen Scherbenregen über den Körper. Das zweite traf ihn mitten ins schreiende Gesicht, die Schalentrümmer des dritten gruben sich in seine blutende Brust. Er ließ stöhnend das ergriffene Küken fallen und sank zu Boden. Der Kassiererwolf knallte nun die Körnertüten auf den Tresen und sagte "Hier. Mehr hab ich nicht. Bitte verschone mich und meinen Laden. Ich habe Familie." Das Huhn schnappte sich, ohne auf das Gefasel zu hören, eine große Tüte Körner mit dem Schnabel, gab einen weiteren Eierschuss auf den Tresen ab, auf dem es saß, ließ sich durch den Rückstoß zur Eingangstür katapultieren und schlitterte mitsamt der Tüte vor die Füße des Kükens. "Kannst du Autofahren?" fragte es durch den geschlossenen Schnabel. "Klar." antwortete das Küken, und verstand diesmal sogleich, was das Huhn im Sinn hatte. Sie stürmten gemeinsam auf den Parkplatz zu dem Auto mit der Filmmusik. Hinter dem Steuer saß ein Mann. Das Huhn sprang auf das offene Beifahrerfenster und schoss zu der mittlerweile erklingenden Titelmelodie von Mission Impossible den Rest seiner Eier auf den Menschen, der mit jedem Schuss ein Stückchen weiter durch die offene Fahrertür aus dem Auto gestoßen wurde bis er schwer verwundet und bewusstlos ganz hinaus plumpste. Das Küken, nicht faul, hievte flatternd den Körnersack über den Mann auf den Fahrersitz mit fast überkükigen Kräften. Aus dem Supermarkt kam nun der Wolf heraus gerannt mit der obligatorischen Schrotflinte in den Pfoten, die er unter dem Tresen hervorgeholt hatte, und gab vor der Tür mit den Worten "Halt Stehen bleiben!" einen Warnschuss in die Höhe ab, woraufhin Dachziegel und Putzbrocken des soeben von ihm selbst durchschossenen Vordachs seines Ladens auf ihn herab polterten, so dass er aua-schreiend und hustend umfiel. Das Huhn und das Küken sahen sich kurz an, dann riefen sie beide: "Hauen wir ab!" Das Huhn ließ sich vom Fenster auf den Beifahrersitz fallen, während das Küken flatternd die Fahrertür zuzog. Mit dem Schnabel drehte das Huhn den steckenden Zündschlüssel herum und stellte den Automatikhebel auf „Drive“. Das Küken stieß das schwere Körnerpaket mit einem kräftigen Ruck vom Fahrersitz direkt aufs Gaspedal im Fußraum, woraufhin der Wagen abrupt losfuhr. Beide Tiere sprangen auf das Steuerrad, um gemeinsam rauszuschauen und zu lenken.
Es wurde eine atemberaubende Verfolgungsjagd. Innerhalb von weniger als vier Stunden waren zwei Drittel sämtlicher Polizeiwagen des Bezirks und sogar ein Polizeihubschrauber hinter ihnen her. Schließlich wurden Sie an einem Canyon eingekreist. Sie fuhren einfach über dessen Klippe hinweg und stürzten in den Abgrund, wo das Auto unten beim Aufschlagen explodierte. Angeblich hatten sie beide beim Absprung laut "Freiheit!" gegackert wie Mel Gibson in "Braveheart" auf der Folterbank. Aber so genau weiß das keiner.
Auch gab es Gerüchte, sie hätten sich noch aus dem fallenden Auto retten können. Denn das Wrack wurde nie auf ihre Überreste untersucht.
Andere sagten, die sind tot und starben, weil sie einfach nicht wussten, wie sie bremsen sollten.
Jedenfalls trat das Ereignis eine neue Diskussion mit Umweltschützern über artgerechte Haltung von Hühnern in Legebatterien und in Schlachthöfen los. So hatte das Ganze also auch sein Gutes.
Das Huhn verpasste seinen Bus und dachte "Mist! Schon wieder." Jeden Morgen passierte ihm das. Es stellte den Wecker täglich etwas früher. Erst auf 7:00 Uhr. Dann auf 6:55 Uhr, dann auf 6:53 Uhr. Mittlerweile sogar auf 5:48 Uhr. Aber es half nichts. Manchmal kam es einfach nicht aus dem Bett hoch, dann verpuzzelte es sich im Bad oder der Hahn wollte noch was. Immer war was. Es musste doch eine Möglichkeit geben, das Problem in den Griff zu bekommen.
Der Chef in der Eierfabrik beäugte schon argwöhnisch die Verspätungen des Huhns, das natürlich auch immer ein zwei Stück weniger produzierte als die anderen - aus Zeitmangel. Das Huhn war nämlich Legehenne und arbeitete in der Eierfabrik, wo es am Fließband Eier legte. Kein besonderer Job, zum einen, weil jede andere Henne, die unser Huhn kannte, genau den gleichen Job hatte, zum anderen, weil man dafür nicht gerade studiert haben musste. Es war ihm sozusagen in die Wiege gelegt.
Dabei las das Huhn wirklich gerne. Nietzsches "Geburt der Tragödie" zum Beispiel war eines seiner Lieblingsbücher. Es spürte gelegentlich auch immer mal wieder diese dionysische Leidenschaft in sich. Doch stets, wenn ein rauschartiger Zustand das Huhn überkam, machte es "PLOPP" und ein Ei fiel hinten aus ihm raus. War es denn zu mehr nicht geschaffen? So saß es in seiner Legebatterie in der Fabrik oder stand eben morgens an der Bushaltestelle und sinnierte über sein Leben nach.
Aber heute dachte es: So kann das nicht weiter gehen. Es könnte jetzt zwar auf den nächsten Bus warten, zu spät zur Arbeit kommen, sich beim Chef entschuldigen und wieder "loslegen" - im wahrsten Sinne des Wortes. Es könnte aber jetzt auch etwas ganz und gar Unerwartetes tun.
Bei diesem Gedanken ging ein innerer Blitz durch seinen Körper. Endlich spürte es seine Bestimmung bis in die Federspitzen. Nun war es bereit seinem Schicksal ins Auge zu blicken. Heute würde es geschehen!
Aber was?
Keine Ahnung. Es wartete.
Da erschien der Fuchs. Das Huhn kannte ihn schon gut, denn er nahm auch immer den späteren Bus. Nur dass der Fuchs pünktlich zur Arbeit kam, denn er arbeitete in der Hühnerschlachterei, und dort begann die Schicht eine halbe Stunde später.
"Hallo Herr Fuchs." sagte das Huhn.
"Hallo Frau Huhn", grüßte er zurück, "Na, wieder spät dran?"
"Jaja", antwortete das Huhn. "Aber heute ist es in Ordnung."
Der Fuchs hob eine Augenbraue. "Aha. Inwiefern, wenn ich fragen darf?"
Das Huhn plusterte sich etwas auf und sprach, "Ich weiß nicht. Ich fühle mich heute so lebendig, als müsste ich etwas Außergewöhnliches tun."
Der Fuchs lächelte. "Na, da wünsche ich Ihnen aber viel Glück."
„Danke.“
Der Fuchs war neugierig. "Darf ich fragen, was Sie im Sinn haben?"
Das Huhn schüttelte jetzt entschlossen den Kopf. "Das weiß ich noch nicht. Aber das wäre ja auch langweilig, Nein. Es muss einfach auf mich zu kommen. Ich will es auf mich zu kommen lassen."
Der Fuchs schaute skeptisch aber verschmitzt. Der Bus näherte sich. Er sah das Huhn an und meinte, "Na, dann seien Sie mal trotzdem vorsichtig. Kommen Sie mir nicht unter die Räder. Wir brauchen Sie noch."
Das Federvieh schüttelte geschmeichelt den Kopf. "Ach, nicht doch. Machen Sie sich mal keine Sorgen. Ich komm schon klar."
Als der Fuchs in den Bus einstieg, nickten sie sich zu, der Fuchs rief, "Man sieht sich!"
Der Bus fuhr ab.
So stand das Huhn den ganzen Vormittag an der Haltestelle. Viele Leute kamen, viele Busse fuhren.
Bald bekam es Hunger. So setzte es sich in Bewegung und machte sich auf die Suche nach Essbarem, Getreidekörner oder so. Es begann die Straße entlang zu laufen, fand aber nichts. Bis es ein verirrtes Küken traf. Das Huhn sprach es an: "Liebes Küken, weißt du, wo ich etwas zu Essen finde?"
Das Küken zitterte am ganzen Leib und antwortete, "Nein, ich habe selber Hunger.“
„Na gut. Nichts für ungut“, erwiderte das Huhn freundlich und wollte schon weiter gehen. Da fügte das Küken hinzu: „Ich bin aus der Hühnerschlachterei entkommen, bin nun auf der Flucht und habe den ganzen Tag noch nichts gegessen."
Das Huhn meinte kurz entschlossen: "Küken. Dann komm doch mit mir mit. Ich will heute mal etwas ganz anderes machen als sonst. Ich will etwas Besonderes erleben und so den Sinn meines Lebens erkunden. Aber erstmal suche ich was zu essen. Ich habe nämlich Hunger. Magst du mich dabei begleiten?"
Das Küken antwortete insbesondere auf den Teil mit dem Essen bezogen: "Klar. Gerne." Und so gingen sie gemeinsam weiter.
Nach einer Stunde hatten die beiden immer noch keine Nahrung entdeckt - doch sie gelangten an einen Imbiss.
Das Küken las die Aufschrift "Kentucky Fried Chicken."
Das Huhn meinte: "Ach, leider nichts Vegetarisches."
"Aber vielleicht haben sie einen Job für uns", regte das Küken an, "Dann bekämen wir Geld, und könnten uns da drüben was kaufen." Das Küken deutete auf einen kleinen Supermarkt auf der anderen Straßenseite, den das Huhn noch gar nicht registriert hatte. Da spürte das Huhn wieder diesen Blitz in seinem Körper und ihm kam eine diebische Idee. Es raunte verschwörerisch dem Küken zu: "Ich bleibe doch heute nicht der Arbeit fern, um mir einen neuen Job zu suchen. Nein. Lass mal. Ich habe einen Plan. Folge mir."
Das Huhn ging so breitbeinig wie es nur konnte über die Straße. Aus einem Autoradio vom Parkplatz vor dem Supermarkt erscholl die dazu passende Westernmusik von Ennio Morricone. Das kleine Küken tapste hinterher. Wie durch ein Wunder wurden sie in dem regen Verkehr nicht überfahren.
Vor dem Eingang des Ladens sprach das Huhn zum Küken: "Du sicherst die Tür. Ich bin gleich wieder zurück."
Das kleine Küken hatte keinen Schimmer, was es tun sollte, aber es versuchte sich in die Stimmung des Huhns hineinzufühlen, lauschte auf das Autoradio und blieb mit verkniffenen Augen am Eingang stehen.
Das Huhn betrat den Laden, was ihm mittlerweile etwas schwer fiel. Denn der breitbeinige Gang war nicht nur durch die Musik bedingt, sondern auch durch die Tatsache, dass es an dem Tag noch kein einziges Ei gelegt hatte. Normalerweise hätte es auf das Fließband um diese Zeit schon zehn Stück von sich gegeben.
Nun stellte es sich mit dem Hintern zum Kassierer, einem alten Wolf, gewandt und sagte über die Schulter: "Hey, Fiffi, her mit den Körnern!" Der Wolf lachte es bloß aus. Da schoss das Huhn, sich erleichternd, einpaar Eier in das Zigarettenregal hinter dem Kassierer, welches darauf krachend zusammenbrach. Das Huhn dachte bei sich „Das wollte ich schon immer mal machen“ und gackerte dabei noch mal knapp zum Wolf: "Die Körner!"
Der begann erschrocken herumzufuchteln und rief: "Natürlich. Sofort", rannte zum nächsten Regal und begann die Körnertüten herauszuzerren. Das Huhn behielt ihn dabei im Visier.
Plötzlich hörte es vom Eingang her einen spitzen Schrei des Kükens. Das Huhn wandte sich zur Tür und sah dort plötzlich seinen Bekannten von der Bushaltestelle, Herrn Fuchs, wie er das Küken gepackt hielt und sagte, "Da bist du ja. Dachtest du, du könntest uns einfach so entkommen?" Das Huhn drehte sich blitzschnell um 180° und feuerte drei weitere Eier in Richtung Fuchs. Das erste durchschlug die gläserne Eingangstür, an der der Fuchs stand, und spritzte ihm einen Scherbenregen über den Körper. Das zweite traf ihn mitten ins schreiende Gesicht, die Schalentrümmer des dritten gruben sich in seine blutende Brust. Er ließ stöhnend das ergriffene Küken fallen und sank zu Boden. Der Kassiererwolf knallte nun die Körnertüten auf den Tresen und sagte "Hier. Mehr hab ich nicht. Bitte verschone mich und meinen Laden. Ich habe Familie." Das Huhn schnappte sich, ohne auf das Gefasel zu hören, eine große Tüte Körner mit dem Schnabel, gab einen weiteren Eierschuss auf den Tresen ab, auf dem es saß, ließ sich durch den Rückstoß zur Eingangstür katapultieren und schlitterte mitsamt der Tüte vor die Füße des Kükens. "Kannst du Autofahren?" fragte es durch den geschlossenen Schnabel. "Klar." antwortete das Küken, und verstand diesmal sogleich, was das Huhn im Sinn hatte. Sie stürmten gemeinsam auf den Parkplatz zu dem Auto mit der Filmmusik. Hinter dem Steuer saß ein Mann. Das Huhn sprang auf das offene Beifahrerfenster und schoss zu der mittlerweile erklingenden Titelmelodie von Mission Impossible den Rest seiner Eier auf den Menschen, der mit jedem Schuss ein Stückchen weiter durch die offene Fahrertür aus dem Auto gestoßen wurde bis er schwer verwundet und bewusstlos ganz hinaus plumpste. Das Küken, nicht faul, hievte flatternd den Körnersack über den Mann auf den Fahrersitz mit fast überkükigen Kräften. Aus dem Supermarkt kam nun der Wolf heraus gerannt mit der obligatorischen Schrotflinte in den Pfoten, die er unter dem Tresen hervorgeholt hatte, und gab vor der Tür mit den Worten "Halt Stehen bleiben!" einen Warnschuss in die Höhe ab, woraufhin Dachziegel und Putzbrocken des soeben von ihm selbst durchschossenen Vordachs seines Ladens auf ihn herab polterten, so dass er aua-schreiend und hustend umfiel. Das Huhn und das Küken sahen sich kurz an, dann riefen sie beide: "Hauen wir ab!" Das Huhn ließ sich vom Fenster auf den Beifahrersitz fallen, während das Küken flatternd die Fahrertür zuzog. Mit dem Schnabel drehte das Huhn den steckenden Zündschlüssel herum und stellte den Automatikhebel auf „Drive“. Das Küken stieß das schwere Körnerpaket mit einem kräftigen Ruck vom Fahrersitz direkt aufs Gaspedal im Fußraum, woraufhin der Wagen abrupt losfuhr. Beide Tiere sprangen auf das Steuerrad, um gemeinsam rauszuschauen und zu lenken.
Es wurde eine atemberaubende Verfolgungsjagd. Innerhalb von weniger als vier Stunden waren zwei Drittel sämtlicher Polizeiwagen des Bezirks und sogar ein Polizeihubschrauber hinter ihnen her. Schließlich wurden Sie an einem Canyon eingekreist. Sie fuhren einfach über dessen Klippe hinweg und stürzten in den Abgrund, wo das Auto unten beim Aufschlagen explodierte. Angeblich hatten sie beide beim Absprung laut "Freiheit!" gegackert wie Mel Gibson in "Braveheart" auf der Folterbank. Aber so genau weiß das keiner.
Auch gab es Gerüchte, sie hätten sich noch aus dem fallenden Auto retten können. Denn das Wrack wurde nie auf ihre Überreste untersucht.
Andere sagten, die sind tot und starben, weil sie einfach nicht wussten, wie sie bremsen sollten.
Jedenfalls trat das Ereignis eine neue Diskussion mit Umweltschützern über artgerechte Haltung von Hühnern in Legebatterien und in Schlachthöfen los. So hatte das Ganze also auch sein Gutes.
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#2
von Pog Mo Thon (gelöscht)
Nimm den Wagen, wenn du gehst
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 03.09.2008 09:08von Pog Mo Thon (gelöscht)
Hallo GW,
was ist das? Nick Park & Quentin Tarantino drehen gemeinsam GTA 5? Jedenfalls hatte ich Spaß bei der Lektüre, auch wenn ich bisweilen das gefühl hatte, du hättest dich zu arg mitreißen lassen und am Ende nicht mehr so rechte Puste gehabt, bzw. alle Eier verschossen.
Danke für das Schmankerl am Morgen.
Beste Grüße
Mattes
was ist das? Nick Park & Quentin Tarantino drehen gemeinsam GTA 5? Jedenfalls hatte ich Spaß bei der Lektüre, auch wenn ich bisweilen das gefühl hatte, du hättest dich zu arg mitreißen lassen und am Ende nicht mehr so rechte Puste gehabt, bzw. alle Eier verschossen.
Danke für das Schmankerl am Morgen.
Beste Grüße
Mattes
#3
von Alexa (gelöscht)
Nimm den Wagen, wenn du gehst
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 03.09.2008 10:10von Alexa (gelöscht)
auf jeden Fall waren die Beiden mal für kurze Zeit glücklich. Was für ein klägliches Ende wäre es in der Schlachterei oder in der Eierfabrik geworden.
Danke GW, ich muss immer noch lachen. Vor allem die Szene mit den Eierschüssen - Korn her oder ich zereier dich
Alexa
Danke GW, ich muss immer noch lachen. Vor allem die Szene mit den Eierschüssen - Korn her oder ich zereier dich
Alexa
#4
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Nimm den Wagen, wenn du gehst
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 04.09.2008 09:04von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
#5
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Nimm den Wagen, wenn du gehst
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 04.09.2008 13:02von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
mir fällt dauernd Ei-n: drEive, dr_EI_ve, drEIve
"Nimm den Wagen, wenn du gehst" bleibt für mich jedenfalls weit hinter dem Witz der Story zurück.
hallo GW
die Story ist amüsant und kurzweilig. gefällt mir gut. die fabelhaften Protagonisten überzeugen. schade dass im Wagen ein Mensch sitzen muss. ein Marder oder ein Igel hätte da vielleicht besser gepasst. den Wolf als Ladenbesitzer fand ich auch etwas überqualifiziert. Eichhorn oder Hamster tätens auch.
"Hey, Fiffi, her mit den Körnern!"? Fiffi? wieso Fiffi? für mich klingt das bescheuert. außerdem hatte ich die ganze Story über den Satz von Alexa gesucht (Körner her, oder ich zereiere dich!) und nicht gefunden. sowas würde hier, bei der Szene vor der Kasse, definitiv besser passen.
"Das Huhn ließ sich vom Fenster auf den Beifahrersitz fallen, während das Küken flatternd die Fahrertür zuzog. Mit dem Schnabel drehte das Huhn den steckenden Zündschlüssel herum und stellte den Automatikhebel auf „Drive“. Das Küken stieß das schwere Körnerpaket mit einem kräftigen Ruck vom Fahrersitz direkt aufs Gaspedal im Fußraum, woraufhin der Wagen abrupt losfuhr. Beide Tiere sprangen auf das Steuerrad, um gemeinsam rauszuschauen und zu lenken. " die Stelle halte ich für viel zu umständlich am Leserbedarf vorbeigeulkt. in meiner Phantasie sind alle Prots längst zu zweibeinigen behaarten und befiederten Fabelhominiden geworden, die so selbstverständlich die Zündung und die Lenkung bedienen können, wie cool sie den Hebel auf Drive legen.
mein Favorit war der gackernde Gibson - geiler Vergleich!
Gruß
Alcedo
"Nimm den Wagen, wenn du gehst" bleibt für mich jedenfalls weit hinter dem Witz der Story zurück.
hallo GW
die Story ist amüsant und kurzweilig. gefällt mir gut. die fabelhaften Protagonisten überzeugen. schade dass im Wagen ein Mensch sitzen muss. ein Marder oder ein Igel hätte da vielleicht besser gepasst. den Wolf als Ladenbesitzer fand ich auch etwas überqualifiziert. Eichhorn oder Hamster tätens auch.
"Hey, Fiffi, her mit den Körnern!"? Fiffi? wieso Fiffi? für mich klingt das bescheuert. außerdem hatte ich die ganze Story über den Satz von Alexa gesucht (Körner her, oder ich zereiere dich!) und nicht gefunden. sowas würde hier, bei der Szene vor der Kasse, definitiv besser passen.
"Das Huhn ließ sich vom Fenster auf den Beifahrersitz fallen, während das Küken flatternd die Fahrertür zuzog. Mit dem Schnabel drehte das Huhn den steckenden Zündschlüssel herum und stellte den Automatikhebel auf „Drive“. Das Küken stieß das schwere Körnerpaket mit einem kräftigen Ruck vom Fahrersitz direkt aufs Gaspedal im Fußraum, woraufhin der Wagen abrupt losfuhr. Beide Tiere sprangen auf das Steuerrad, um gemeinsam rauszuschauen und zu lenken. " die Stelle halte ich für viel zu umständlich am Leserbedarf vorbeigeulkt. in meiner Phantasie sind alle Prots längst zu zweibeinigen behaarten und befiederten Fabelhominiden geworden, die so selbstverständlich die Zündung und die Lenkung bedienen können, wie cool sie den Hebel auf Drive legen.
mein Favorit war der gackernde Gibson - geiler Vergleich!
Gruß
Alcedo
#6
von Pog Mo Thon (gelöscht)
Nimm den Wagen, wenn du gehst
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 04.09.2008 13:27von Pog Mo Thon (gelöscht)
Am Wichtigsten von allen wertvollen Hinweisen Alcedos erachte ich das mit dem Menschen am Steuer des Wagens. Der ist mir tatsächlich auch aufgestoßen, der besitzt Zerstörungspotential für die gesamte Geschichte!
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