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Angekettet

in Ausgezeichnete Prosa 17.09.2008 19:17
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beitr�ge | 645 Punkte

[b] Angekettet [/b]

- oder : Leon Skrzipek stellt sich vor -

Ich bin Leon Skrzipek und komme aus Berlin. Es ist gar nicht lange her, da hat mir mein Neffe einen Computerdingsbums installiert und mir die Grundbegriffe beigebracht, damit ich in der weiten Welt herumtollen kann. Allerdings hat er mich eingeschr�nkt. Das hat er wortw�rtlich in einem Satz gespickt mit reichlich Kauderwelsch gesagt: eingeschr�nkt.
Mittlerweile vermute ich die Bedeutung liegt darin, dass ich dieses Dingens nicht ver�ndern kann und somit garantiert ist, dass es funktioniert. Ganz sch�n trickreich mein Neffe. Aber weil dieser Blechonkel so sch�n funktioniert, erkunde ich gerade die Weiten des Internets. Knifflig, sage ich Euch. Ganz sch�n knifflig.

Anarchisch und frei habe ich mir die Welt des Webs vorgestellt. Spannende Menschen, sch�ne Menschen, h�ssliche Kerle, friedfertige M�uschen, Krawallos und Entspanntis wollte ich finden. Aber ich musste schnell lernen, dass es ganz wichtig ist, sich zuerst die Nutzungsbedingungen durchzulesen, bevor man mitmischt. Was soll ich sagen? Wenn ich mir was kaufe, dann packe ich es aus und les mir nie das Handbuch durch und Regelmeier mag ich nicht. Zum Gl�ck hat mein Neffe mir endlich dieses �berwachungsprogramm ausgeschaltet, dass mir gleich alles rot ankreidete, wenn ich mich verschrieben hatte. Versteht ihr was ich meine? Regeln, die sich dadurch legitimieren, dass sie Regeln sind � das ist wie : Das war schon immer so. Find ich furchtbar.

Ja, ja ich wei�, das kann schnell gef�hrlich werden, aber Handb�cher, Anleitungen, Regelwerke und Gesetzb�cher � gibt es langweiligere Texte? Die armen W�rter, die f�r immer in solche Satzstraflager eingeknastet worden sind. Wobei ich mich gerade frage, ob es m�glich w�re, nur mit den Worten aus dem Strafgesetzbuch oder diesen Riesenanleitungen f�r eine sachgem��e Benutzung eines Forums eine sch�ne Geschichte oder ein tolles Gedicht zu verfassen? Vielleicht ist das ja gar nicht m�glich? Vielleicht taugen diese W�rter nur zur Anleitung und Korsettierung menschlichen Verhaltens? Dann br�uchten mir diese W�rter auch nicht leidtun, denn dann st�nden sie ja in der Gesellschaft in der sie sich wohl f�hlen.

Wenn ich mir dagegen die Bibel ansehe, wie viele hervorragende Geschichten in ihr enthalten sind, so frage ich mich, wie h�tte ein Forengott seine Bibel begonnen? Am Anfang war der erste Paragraph, mit dem der Forengott die Welt in Mein und Dein teilte und das Urheberrecht erschuf. Vielleicht so �hnlich, aber bestimmt nicht so genial wie : Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.

Zur�ck zu den Regeln. Nachdem ich das Ziel ins Auge gefasst hatte, die Netiquette und Nutzungsbedingungen der Foren zu studieren, entschied ich mich f�r die Leonsche keep-it-smart-and-simple Methode, die da besagt, sich von allem was st�rt zu befreien, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu k�nnen. Also zog ich mich v�llig aus, druckte bergeweise Seiten und machte es mir in meinem Studierzimmer bequem. Bis auf einen toll gewachsenen Elefantenfu�, der mich an eine Zeit erinnert wo meine Haare das Gegenteil seiner Bl�tter und meine Hast das Gegenteil seiner Standhaftigkeit und Langmut waren, ein Stehpult, ein Sitzkissen und meine niemals aufgebende Friedenspalme und nat�rlich meinen Freund Gnorp, ist mein Studierzimmer ratze putz leer.

Nun stand ich nackt vor meinem Stehpult und hatte einen dicken Papierstapel vor der Nase. Aber ich war willens, ach was, ich war fest entschlossen und beherzt, mich richtig zu verhalten. Doch der Wille gut zu sein, gemahnte mich nach den ersten gelesenen S�tzen wieder zur Demut.

Korrektes Verhalten, stets das �bliche und Richtige zu tun ist ein Mu�. Un�bliches Verhalten macht Angst, weil wir es nicht berechnen k�nnen.

Ein Allgemeinplatz. Aber wie schwierig es manchmal ist das Richtige zu tun, erinnerte mich an eine Geschichte, die sich in einem Sommer meiner Adoleszenz begab.

Der beste Freund meines Vetters Paul hei�t Ruben. Ruben traf ich h�ufiger in einem Land das ein Anderer einmal so beschrieben hat: Sch�ne Welt, b�se Leut. Paul lebte dort und Ruben und ich besuchten ihn regelm��ig im Sommer. Auch Ruben und ich verstanden uns gut. Pauls Eltern betrieben einen Hof. Er hie� Zum gr�nen Baum oder J�gerhof oder wie diese H�fe halt hei�en, die gut tausend Meter �ber dem Meeresspiegel liegen. Sie waren damals mit die ersten, die sich dem Tourismus zu �ffnen begannen und sich vom Almbauern zum Gastwirt wandelten.

Immer wenn wir in dieser wildromantischen Gegend, die Ereignisse aus Winnetou nachgespielt hatten und wieder in die Gaststube von Pauls Eltern wollten, um uns mit Kaiserschmarrn zu st�rken, kamen wir unweigerlich an Barri vorbei. Barri war ein Bernersennenhund und wurde stets an kurzer Kette gehalten. Nie anders, als mit dieser Eisenkette an einen Pflock gekettet, hatte ich Barri je gesehen. Der Boden im Radius der Kette war nur noch M�lm. Immerhin, er hatte eine H�tte, aber da sahen wir ihn nie, denn wenn Barri uns sah, bellte er aggressiv, sprang in unsere Richtung und riss an der Kette, bis wir in der Stube verschwunden waren. Barris Fell wirkte immer ungepflegt, Speichel hing ihm von den Lefzen und Fliegen schwirrten stets in seiner N�he. Ich mochte ihn nicht, hatte Angst vor ihm und konnte mir seine Existenz nur damit erkl�ren, dass es noch Schlimmeres in der Welt geben m�sse, um einen Barri vor der eigenen T�r halten zu m�ssen.
Ruben, dem ich wohl ein-, zweimal erz�hlt hatte, wie ich �ber den Hund dachte, sch�ttelte jedes Mal seinen Kopf und bedeutete mir, dass er den Hund verstehen kann. Wie soll er mit dem Schwanz wedeln, Leon, wie sich �ber einen neuen Tag freuen, wenn er wie ein Hund gehalten wird? Aber, Ruben, er ist doch ein Hund, entgegnete ich dann und dann sagte Ruben meist nur noch: Na, dann? Und grinste mich h�hnisch an. Ich hatte das nie verstanden.

Ruben ging immer gelangweilt an Barri vorbei, so als mache das Gebelle ihm nichts aus, doch ich war stets in Sorge, dass dieser wilde, aggressive Hund den Pflock aus der Erde und mich zu Tode rei�en w�rde. Dieses aggressive Verhalten legte Barri bei jedem an dem Tag. Nur nicht bei Pauls Vater, Paul selbst oder seiner Mutter. Die lie� er gew�hren, aber ich hatte stets das Gef�hl als k�nnte Barri auch seine eigene Familie nicht leiden. Was im Nachhinein auch kein Wunder w�re, wenn ich daran denke, mein Leben bei Wind und Wetter in einem Radius von zwei Metern verbringen zu m�ssen?

Wie alt mochten wir gewesen sein, Ruben und ich, als wir uns das letzte Mal auf dem Hof getroffen hatten? Vierzehn ich, F�nfzehn er? Das Wetter war sch�n gewesen, Winnetou nicht mehr Thema Nummer eins aber M�dchen daf�r von brennendem Interesse. Wir kamen vom Dorf, latschten hungrig hunderte H�henmeter herauf zum Hof und hatten Durst, gro�en Appetit und freuten uns auf die gute K�che von Pauls Mama. Aber kurz vor dem Ziel, mussten wir an Barri vorbei, der Nachmittags, wenn ihm bei gutem Wetter die Sonne das Fell und seinen Bregen gegrillt hatte, besonders aggressiv war. Als wir oben auf dem Hochplateau ankamen und Hof und Hund schon von Weiten sehen konnten, sagte Ruben immer: Komm schon Leon, der kann uns nicht kriegen.
Aber ich blieb wie immer zwei, drei Schritte leicht versetzt hinter meinem Freund und beobachtete gebannt den Hund und den Anker, der ihn hielt. Barri war, soweit es die Kette zulie�, in unsere Richtung gelaufen und bellte und knurrte und der Seiber lief ihm von den Lefzen. Mein Herz schlug wie verr�ckt und ich ging feste davon aus, dass es dieses mal nicht gut gehen, dass Barri dieses mal mich kriegen w�rde. Meine Augen gingen zum Hund, zum Pflock, zu Ruben, zum Hund, zu Ruben und dann sah ich, oder bildete mir ein, just als Ruben sich nochmals zu mir umsah, seine Augen verdrehte, um mir so zu verstehen zu geben, dass ich oder der Hund ein gro�es Problem h�tten, just da sah ich, dass der Pflock sich ein St�ck weit aus der Erde hob. Reflexartig blieb ich stehen. Nun schlug sich Ruben erst Recht die H�nde �ber den Kopf . Was sei ich doch f�r ein elender Feigling, n�rgelte er und schritt direkt und entschlossen auf Barri zu.

Das Tier drehte v�llig durch und zog wie irre an der Kette, denn Ruben hatte sich nur um Zentimeter getrennt, vor ihm aufgebaut. Der Hund stemmte sich auf die Hinterbeine, versuchte Zentimeter zu gewinnen und lie� nur dann ab, wenn er zu ersticken drohte. Ruben besa� die Frechheit, sich auch jetzt noch zu mir umzudrehen und mir mit breitem Grinsen mitzuteilen, dass dieser Hund, zwar laut sei und gef�hrlich ausschaue, aber, so rief Ruben mir zu, Barri werde niemals eine Chance bekommen seinen Zorn befriedigen zu k�nnen. Der Zorn werde ihn auffressen, rief Ruben mir zu und da hatte ich erstmals das Gef�hl, weil er weder h�hnte noch lachte, dass er Mitleid mit der Kreatur hatte. H�rst Du das Leon? Zorn und Hass, fressen ihn auf, rief er ein ums andere mal und dann leiser aber immer �fter: Du frisst keinen au�er dich selbst.

Barri reagierte stets gleich. Ob Ruben mir etwas zurief oder leiser Theorien �ber Barri murmelte, Barri wollte Ruben immer nur an die Kehle. Da stetes Bellen ziemlich laut und nervig ist, rief schlie�lich Pauls Vater Alfred uns aus der Stube zu, dass wir reinkommen und das Tier nicht verr�ckt machen sollen. Alfred selbst, kam nicht heraus, Alfred schaute nicht nach dem Rechten, nein, er rief einfach hinter geschlossenen T�ren, dass wir uns benehmen sollten.

Aber als Alfreds Stimme erschall, hatte ich einen Moment die Hoffnung, dass dieser Alptraum vor�ber sei. Denn jeden Moment rechnete ich damit, dass Barri sich losrei�e und Ruben zerfleische oder dass Barri sich die Kette so sehr in den Hals dr�cke, dass er ersticken oder sich gleich den Kopf in G�nze abzutrennen. Aber weder das eine, noch das andere geschah und auch kein Vorhang, gezogen von den Eltern, beendete die Szene.

Ich wei� nicht, was in Ruben vorgegangen war, geschweige denn was Barri empfand, als Alfreds Stimme zu ihnen drang. Zu Ruben rief ich aber, alleingelassen, weil Pauls Papa sich nicht blicken lie� und weil ich mir keinen anderen Rat mehr wusste, dass Pauls Papa Recht h�tte und wir das Tier nicht qu�len d�rften und wir endlich reingehen sollten.
Ohne mich anzuschauen, nickte Ruben nur und schwieg. Barri trachtete ihm immer noch nach seinem Leben. Ruben nickte noch einmal, drehte sich zu mir, sagte bestimmt: Du bleibst da stehen! Und verschwand in der Stube.

Als Ruben mit wenigen Schritten im T�reingang verschwunden war, h�rte Barri auf zu bellen und mit den Z�hnen zu fletschen. Mich hatte Barri anscheinend vergessen, denn er nahm keine Notiz von mir. Er wirkte m�de auf mich. Barri hechelte, keuchte, kotzte wie ein Asthmatiker, riss aber nicht mehr an der Kette und ich sp�rte, dass f�r Barri die Jagd beendet war. Dieser gro�e Hund war einsam wie der Mond.

Ruben kam wieder heraus. Barri, als h�tte man ihm in die Hoden gezwickt, nahm sofort Notiz und st�rzte sich in die Kette. Mir aber, drohten die Knie wegzusacken, an Stimme war gar nicht zu denken, denn Ruben hatte das Gewehr von Pauls Vater im Anschlag und warf mir einen Blick zu, der keine Spur ironisch, sarkastisch oder wissend war. Heute glaube ich, dass Ruben immer schon ebenso viel Angst wie ich vor Barri hatte. Das Gewehr seines Vaters hatte Paul uns unter dem Sigel der Verschwiegenheit gezeigt und uns beschworen, niemals, nie nicht sein Geheimnis zu verraten.

Jetzt hielt Ruben den Lauf des Gewehrs nur Zentimeter vor Barris fanatischen Fang w�hrend meine Beine wie in Beton gewachsen und meine Stimme verschlossen war. Ich weinte, ich weinte schon, bevor Ruben abdr�ckte, und Barris Sch�del in tausend Teile verspritzte und ich bin mir sicher, dass Ruben auch geweint hat.

Blut und Knorpel klebten in unseren Gesichtern und mit Angst verbissenem Kiefer, sah ich Ruben verheult und blutverschmiert an. Ich las aus Rubens Augen, dass er mich nicht um Vergebung bat, sondern um Zustimmung warb, dass diese Kreatur nicht mehr hatte leiden d�rfen, dass er, dass ich, dass wir, das Recht gehabt h�tten, Barri zu erl�sen.

Pauls Familie war mittlerweile auch heraus gest�rzt aus ihrer Gaststube, schlugen das Gewehr aus Rubens Hand, zerrten ihn und dann mich vom Tatort und drohten uns mit �belsten Verw�nschungen. Paul sprach nie wieder ein Wort mit mir. Mit Ruben bestimmt auch nicht.

Es hie�, Ruben und ich h�tten gemeinschaftlich gehandelt, denn wer einen Hund abknallt oder zul�sst, dass ein Hund get�tet wird, der kann nicht ganz gesund sein.

Ja, so war das damals, als Ruben Barri erschoss. Bis heute wei� ich nicht, ob Ruben richtig oder falsch gehandelt hat. Nat�rlich war Ruben zu bestrafen. Es war nicht nur rohe Gewalt, es war Ausdruck eines Charakters, der seine Unsicherheit mit Hybris �berspielte. Aber Barri freizulassen war uns unm�glich. Wir waren jung und h�rten von Lehrern und Eltern viel von korrektem Benehmen und Anst�ndigkeit und gehalten wurde Barri aber von einem Erwachsenen, der ein Tier und wahrscheinlich jede Kreatur � au�er sich selbst- f�r nichts anderes, als f�r ein St�ck Fleisch hielt. Wobei ich mir nicht sicher bin, dass Alfred so etwas wie Selbstachtung besessen hat.