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Der Mann grinst. Eindeutig. Das ist kein abgeklärtes, wissendes Lächeln, kein Schmunzeln über die Albernheit der Welt. Es ist ein Grinsen. Ein zufriedenes, sattes Grinsen. Er liegt in der Sonne, gemütlich auf dem Bauch ausgestreckt, die Haare fallen ihm in die Stirn, die Augen sind geschlossen, die Wange liegt auf seiner Faust. In der Gesäßtasche steckt eine leere Flasche mit dem Etikett irgendeiner No-Name-Schnapsmarke. Alles passt zusammen: das Wetter, die zwitschernden Vögel, der Lärm der vorbei fahrenden Autos, die Rufe und das Lachen der Passanten. Das Blut, das ihm in dickem, regelmäßig pulsierendem Strahl aus dem Hinterkopf und aus der Nase schießt, fügt sich nahtlos in dieses Bild ein. Das Rot, das Grau des Asphalts, die gelbe Plastiktüte, der schwarze Bart, die weiße Haut.... Einfach schön. Ästhetisch schön. Schön kitschig.
Vor etwa vier Minuten habe ich ihn an der Hauswand lehnen sehen. Mit der rechten Hand hielt er sich an der Wand fest, mit der linken an seiner Tüte. Einer von den vielen Pennern, Säufern, Verlorenen, Umgeknickten, die diese Straße in dieser mir immer noch so fremden Stadt bevölkern. Jeden Mittwochmittag stehen sie zu vierzig, fünfzig vor der Suppenküche schräg gegenüber von meinem Fenster. Man nimmt sie wahr, verschwendet einen oder keinen Gedanken an sie, macht weiter mit seiner Arbeit. Bis zum nächsten Mittwochmittag.
Der ist nicht nur besoffen, denke ich noch, als ich ihn so kämpfen sehe. Und: Gerne tu ich’s zwar nicht; aber sollte er noch da stehen, wenn ich vom Kiosk zurück komme, werde ich ihn ansprechen, fragen, ob er Hilfe braucht. Lächerlich. Natürlich braucht er Hilfe. Aufatmen auf dem Rückweg. Er ist weg. Als erstes sehe ich das Rot, dieses wunderschöne, warme, lebendige, fließende Rot. Ein Fuß auf dem Gehweg, die gelbe Tüte daneben, der Körper im Rinnstein. Er grinst mich an, ganz verschwörerisch, wie eine alte Freundin, um deren Geheimnisse er seit langem weiß, und unwillkürlich muss ich zurück grinsen. Am liebsten würde ich mich zu ihm setzen, ihm einen freundschaftlichen Knuff in die Seite geben und sagen: Na, altes Haus? Wo hast du denn so lange gesteckt? Wie ich sehe, geht's dir blendend.
Stattdessen tu ich, was man in einer solchen Situation wohl tun muss: Ich laufe hinauf in die Wohnung und wähle die 110. Als ich wieder auf der Straße stehe, hat sich ein Häuflein Menschen um meinen Freund versammelt. Sie sind erschrocken, neugierig, debattieren, schütteln die Köpfe. Ich setze mich etwas entfernt von den anderen auf den Bordstein, um auf den Krankenwagen zu warten. Tja, junge Frau, sagt der Sanitäter, als er meinen Blick bemerkt, da sind wir wohl ein bisschen zu spät gekommen; der Mann ist tot.
Erst als ich wieder oben in der Wohnung bin, beginnen die Knie weich zu werden, die Hände zu zittern, überfallen mich der Brechreiz und die Gewissensbisse. Aber all das hört wieder auf, nach ein paar Stunden, ein paar Tagen. Heute sind die Knie wieder stabil, die Hände ruhig, der Magen besänftigt, und sogar das Gewissen tönt nicht mehr so laut. Auch das Grau, das Gelb, das Schwarz, das Weiß verblassen mit der Zeit. Nur das Rot. Das bleibt.
Vor etwa vier Minuten habe ich ihn an der Hauswand lehnen sehen. Mit der rechten Hand hielt er sich an der Wand fest, mit der linken an seiner Tüte. Einer von den vielen Pennern, Säufern, Verlorenen, Umgeknickten, die diese Straße in dieser mir immer noch so fremden Stadt bevölkern. Jeden Mittwochmittag stehen sie zu vierzig, fünfzig vor der Suppenküche schräg gegenüber von meinem Fenster. Man nimmt sie wahr, verschwendet einen oder keinen Gedanken an sie, macht weiter mit seiner Arbeit. Bis zum nächsten Mittwochmittag.
Der ist nicht nur besoffen, denke ich noch, als ich ihn so kämpfen sehe. Und: Gerne tu ich’s zwar nicht; aber sollte er noch da stehen, wenn ich vom Kiosk zurück komme, werde ich ihn ansprechen, fragen, ob er Hilfe braucht. Lächerlich. Natürlich braucht er Hilfe. Aufatmen auf dem Rückweg. Er ist weg. Als erstes sehe ich das Rot, dieses wunderschöne, warme, lebendige, fließende Rot. Ein Fuß auf dem Gehweg, die gelbe Tüte daneben, der Körper im Rinnstein. Er grinst mich an, ganz verschwörerisch, wie eine alte Freundin, um deren Geheimnisse er seit langem weiß, und unwillkürlich muss ich zurück grinsen. Am liebsten würde ich mich zu ihm setzen, ihm einen freundschaftlichen Knuff in die Seite geben und sagen: Na, altes Haus? Wo hast du denn so lange gesteckt? Wie ich sehe, geht's dir blendend.
Stattdessen tu ich, was man in einer solchen Situation wohl tun muss: Ich laufe hinauf in die Wohnung und wähle die 110. Als ich wieder auf der Straße stehe, hat sich ein Häuflein Menschen um meinen Freund versammelt. Sie sind erschrocken, neugierig, debattieren, schütteln die Köpfe. Ich setze mich etwas entfernt von den anderen auf den Bordstein, um auf den Krankenwagen zu warten. Tja, junge Frau, sagt der Sanitäter, als er meinen Blick bemerkt, da sind wir wohl ein bisschen zu spät gekommen; der Mann ist tot.
Erst als ich wieder oben in der Wohnung bin, beginnen die Knie weich zu werden, die Hände zu zittern, überfallen mich der Brechreiz und die Gewissensbisse. Aber all das hört wieder auf, nach ein paar Stunden, ein paar Tagen. Heute sind die Knie wieder stabil, die Hände ruhig, der Magen besänftigt, und sogar das Gewissen tönt nicht mehr so laut. Auch das Grau, das Gelb, das Schwarz, das Weiß verblassen mit der Zeit. Nur das Rot. Das bleibt.
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