#1

Two Steps from Hell, the Greatest Show on Earth

in Zwischenwelten 30.04.2020 21:40
von Imothek | 19 Beiträge | 43 Punkte

"Wohin gehen wir?" fragte ich den alten Mann, als er mich den gewundenen Pfad entlangführte.
Während er mich zwischen hochgewachsenen, lichten Bäumen und einigen knorrigen Büschen und Sträuchern hindurchführte, änderte sich langsam die Umgebung. Der Boden wurde steingier, schließlich fast feslig und immer unebener.
"Wir besuchen einen alten Bekannten von dir." antwortete mein Lehrer.
Ich kannte ihn gut genug, um keine weiteren Fragen zu stellen. Die Antworten würden mich nur verwirren, und im Laufe der Zeit hatte ich gelernt, das als eine Art Test aufzufassen. Neugierde und Ungeduld waren, wie alles andere, Möglichkeiten, denen man sich hingeben konnte, jedoch nicht musste.
Früher hätte ich diese meine Eigenschaften verteufelt, hätte mich geschämt ob meiner Unzulänglichkeiten. Doch ich hatte auch gelernt, dieses Verhalten zu zügeln, mich nicht davon beherschen zu lassen, es statt dessen als Ansporn zur Selbstvervollkommnung genutzt.
'In Maßen statt in Massen, jedoch auch die Massen in Maßen', wie mein Lehrer zu sagen pflegte, und langsam verstand ich, was er damit meinte.
Wir waren mittlerweile an der Spitze des Berges angekommen, und verschiedenste Gräser sowie vereinzelte Büsche und Felsbrocken hatten den Wald abgelößt. Und dort stand der Alte Runenstein, an welchem ich meine erste Prüfung abgelegt hatte, spektakulär gescheitert war und schließlich doch aufgrund meines 'Erfolgs im Scheitern' von meinem Lehrer akzeptiert wurde.
Doch von einem alten Bekannten fehlte jede Spur, mein Lehrer und ich waren alleine.
Da ich wusste, dass er meine Frage erwarten würde, schaute ich mich sorgfältig um und suchte aufmerksam nach dem alten Bekannten, der wohl hier sein musste. Nie hatte mich mein Lehrer angelogen, und obwohl die Verdrehung von Zustandschilderungen durchaus vorkam, sagte mir etwas, dass es diesmal nichts dergleichen war.
Schließlich stellte ich die Frage trotzdem: "Ich... sehe niemanden, Meister. Der alte Bekannte von dem ihr spracht, er ist kein Mensch, sondern ein Zustand oder Objekt, richtig?"
"Sehr richtig, und doch keines von beidem" erwiederte mein Lehrer. Fast hatte ich den Eindruck er kicherte in sich hinein. Wer könnte es ihm verdenken? Ich stand hier, ohne Ahnung was überhaupt das Ergebniss dieser Unterrichtseinheit sein sollte, und versuchte fieberhaft die nicht gestellte Aufgabe zu lösen.
Das war die Form von Lektion, die er am liebsten mochte: Eine Erkenntniss, die ich erlangen sollte, und zu der er mich geleiten konnte ohne dass ich es bis dato merkte.
Klar hätte er mir auch einfach ein paar nette Sätze sagen können um die Botschaft zu verpacken, doch davon hielt er nicht viel. 'Selbsterarbeitetes und erlerntes Wissen ist mehr wert als jede gegebene Inofrmation' war sein Motto in diesem Punkt. Und irgendwo hatte er Recht. Hätte er mir eine metaphorische Karte zur Erleuchtung einfach gegeben, wäre es keine Erleuchtung gewesen die ich erlangen würde, es wäre unangebrachte Gewissheit und Eitelkeit. Dadurch, dass er mir fast schon nervtötend passiv half, den Weg selbst zu finden, ließ er vollsten Raum für die individuelle Anwendung und Auswertung seiner Lektionen.
Er ließ mich eine Weile grübeln, bevor er ein Buch hervorholte und sich auf einen nahen Stein setzte. "Wenn du etwas brauchst, dann melde dich. Ansonsten gedenke ich zu lesen."
Das war nichts Neues, beinahe jeder Unterricht dieser Art beinhaltete das, und er hatte es schon seit langer Zeit nichtmehr für nötig gehalten es auch nur zu erwähnen. Das er es jetzt also sagte brachte es mit dem nicht gestellten Rätsel in verbindung. Ich suchte also etwas, eine Gesammtheit aus Zustand, Gegenstand und vielleicht noch einiges Anderes. Und irgendetwas an diesem Ort, dem Ort meines ersten Scheiterns in seiner Lehre, und dem Potentiel einer Frage an ihn, musste mich zur Lösung bringen.

Nach einiger Zeit war ich der Lösung immer noch nicht näher gekommen, und war kurz vorm aufgeben.
Doch gerade hier, gerade an diesem Ort, durfte ich nicht nochmal scheitern. Ich hatte schon so lange nicht mehr bei seinen Rätseln aufgegeben, und hatte kein Interesse daran gerade hier wieder damit anzufangen.
Ich KONNTE das Rätseln lösen, ich WÜRDE nicht aufgeben. Das war allerdings seltsam: Irgendetwas an diesem Gedanken, fühlte sich an als sei ich auf der richtigen Spur. War das Aufgeben diesmal das Ziel der Lektion? Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr leuchtete es mir ein. Und doch, Aufgeben war für mich direkt mit Scheitern gleichzusetzen, und das verlangte mein Lehrer nicht von mir.
Mit diesem Gedanken verstand ich dann. Das Aufgeben war diesmal kein Scheitern, weil es das Ziel der Lektion war. Vielmehr würde ich diesmal durch das Aufgeben einen Fortschritt erreichen, ein Prinzip welches mir bis gerade eben vollkommen fremd war.
Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, als ich in meinem Geist die Worte zurechtlegte.
"Ich habe den alten Bekannten gefunden, Meister.", sagte ich, "Doch jetzt, da ich ihn sehe, kommt er mir nichtmehr bekannt vor. Ich muss mich also eurem Rätsel geschlagen geben." Mein Meister schaute mich prüfend an: "Aber ist das nicht effktiv eine Aufgabe von dir? Du gibst dich doch sonst nicht mit Scheitern zufrieden?"
"Natürlich nicht, Meister. Aber ich sehe das hier eher als bewusstes Aufgeben denn als Scheitern an. Zu scheitern heißt, dass ich stehenbleibe oder zurückgebe. Bewusstes aufgeben jedoch erlaubt es mir, einen anderen Weg zu suchen udn somit möglicherweise mehr zu lernen. Zumindest mehr, als ich auf dem einen, mir gewiesenen Pfad erlernen könnte."
"Dann gratuliere ich dir zu dieser Erkenntniss. Es ist wahr; man kann einen Weg, welcher nicht wie gewünscht zum Ziel führt, immer verlassen, um das Ziel auf andere Weise zu suchen.", sagte mein Meister, während er mich freudig anblickte. "Man kann lernen, wie viel Aufwand welcher Weg wert ist, und sich dann den geeignesten heraussuchen." Dann nuschelte er noch etwas in seinen nicht vorhandenen Bart.
Ich sah ihn fragend an, doch diesmal schwieg mein Meister.

zuletzt bearbeitet 30.04.2020 21:42 | nach oben

#2

RE: Two Steps from Hell, the Greatest Show on Earth

in Zwischenwelten 01.05.2020 09:28
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Ja, gefällt mir, der Text.
Auch der unverhohlene Sadismus dieser buddhistischen Unterweisung wirkt glaubwürdig.
Dem Protagonisten rate ich, diesen Lehrer stehen zu lassen und woanders weitere Erkenntnisse zu sammeln. Der Typ nervt.
Dem Autoren empfehle ich einen Thesaurus, der Verdreher wie feslig und Inofrmation aus dem Text rausholen wird.
Netter Start in den Mai! Sonnige Grüsse - mcberry

zuletzt bearbeitet 01.05.2020 09:28 | nach oben

#3

RE: Two Steps from Hell, the Greatest Show on Earth

in Zwischenwelten 01.05.2020 09:30
von Imothek | 19 Beiträge | 43 Punkte

Bücher hast du sicherlich noch keine von mir gelesen, denn weder habe ich welche geschrieben, noch habe ich das bisher vor

Allerdings freut es mich zu lesen, dass es dir gefallen hat

und an mcberry: die dreher sind ergebniss meiner art zu schreiben, und obwohl ich daran arbeite,... je länger der text ist, desto mehr kommen offenbar darin vor, allerdings übersehe ich beim korrekturlesen auch umso mehr

zuletzt bearbeitet 01.05.2020 09:32 | nach oben


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