#1

Jadebusenblues

in Philosophisches und Grübeleien 13.05.2018 00:31
von Artbeck Feierabend | 119 Beiträge | 72 Punkte

Jadebusenblues

Blau streift die Brise meine Gänsehaut,
während sausende Schwanenschwingen
über mir heisere Lieder singen,
Eiderenten mich mit ihren Tänzen
in knisternde Schaumkronen locken.

Schroff küsst mich die rissige Landzunge
zum Abschied – und ich? Ich wate.
Wate im Schlick und ertaste Priele,
spür‘ im Trüben zarte Meersalzbisse,
höre Scheidenmuschelschalen knacken.

Schwefelgeruch perlt in Blasenketten
zur Oberfläche, eine Kompassqualle
weist mir den Weg: Nesselfäden prickeln
im Nacken – und ich? Ich schwimme.
Schwimme allein, allein auf off‘ner See.

Gleite müd‘ durch schummrig-grüne Jade,
tauche ab in Meereseichenreiche,
lausche, wie Sirenensilbenstimmen
unkenhell von Nuschelbänken klingen,
wälze mich mit Wortwalriesen nächtelang.

Und du? – Du bestreitest diese Tage,
flickst im Sturm die Deiche unsrer Warften,
wuchtest Wellenbrechertetrapoden
in die Brandung, baust mir Rettungsbojen,
löschst mit deinem Lächeln unsre Ladung.

zuletzt bearbeitet 28.10.2018 22:58 | nach oben

#2

RE: Jadebusenblues

in Philosophisches und Grübeleien 20.05.2018 14:07
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Hallo Artbeck,

nicht einfach, diese Verse thematisch einzuordnen. Ein unruhiger Geist auf einem nächtlichen Ausflug. Er verlässt das Ufer und wagt sich ins Meer. Erinnert eine Beziehung, die Trost zu spenden vermag.
In vollendeter Übereinstimmung äusserer und innerer Seelenlandschaften lassen uns die Zeilen das LI ein Stück begleiten.
Ein guter Text darf die Auffassungsgabe des Lesers fordern. Frohe Pfingsten - mcberry

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#3

RE: Jadebusenblues

in Philosophisches und Grübeleien 22.05.2018 12:27
von Artbeck Feierabend | 119 Beiträge | 72 Punkte

Danke, mcberry! Wünsche dir auch schöne Pfingsten gehabt zu haben.

Über deine Wahrnehmung der Darstellung "äusserer und innerer Seelenlandschaften" freue ich mich sehr, trifft es doch den Kern des Textes. Bei der inhaltlichen Einordnung möchte ich mich an dieser Stelle noch zurückhalten...es ging mir darum, viele Bereiche zu berühren.

Gruß,
Artbeck

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#4

RE: Jadebusenblues

in Philosophisches und Grübeleien 25.05.2018 07:40
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

Zitat von Artbeck Feierabend im Beitrag #1
Jadebusenblues

Blau streift die Brise meine Gänsehaut,
während sausende Schwanenschwingen
über mir heisere Lieder singen,
Eiderenten mich mit ihren Tänzen
in knisternde Schaumkronen locken.

Rau küsst mich die rissige Landzunge
zum Abschied – und ich? Ich wate.
Wate im Schlick und ertaste Priele,
spür‘ im Trüben zarte Meersalzbisse,
höre Scheidenmuschelschalen knacken.

Faul perlt Eigeruch in Blasenketten
zur Oberfläche, eine Kompassqualle
weist mir den Weg: Nesselfäden prickeln
im Nacken – und ich? Ich schwimme.
Schwimme allein, allein auf off‘ner See.

Gleite müd‘ durch schummrig-grüne Jade,
tauche ab in Meereseichenreiche,
lausche, wie Sirenensilbenstimmen
unkenhell von Nuschelbänken klingen,
wälze mich mit Wortwalriesen nächtelang.

Und du? – Du bestreitest diese Tage,
flickst im Sturm die Deiche unsrer Warften,
wuchtest Wellenbrechertetrapoden
in die Brandung, baust mir Rettungsbojen,
löschst mit deinem Lächeln unsre Ladung.


das Ewig-Weibliche zieht uns hinan, lockt uns hinaus, treibt uns, lässt uns dahintreiben.
oder das Frauliche, das ewig, ewig Frauliche: der Einstieg ist hier so sehr auf Frau getrimmt, dass mir sogar die Qualle nicht als Kompassrose, sondern eher schon als Nachgeburt, als aderndurchzogene Plazenta von Gaia herself erscheint.

erst der Busen, dann drei mal fast holzhammermässig; Frau, Frau, Frau (im Text als Starthebung der ersten drei Strophen: „Blau, Rau, Faul“ - drei mal der gleiche Diphthong, mit verschiedenen unbetonten Konsonanten als schmuckloses Beiwerk, wobei mir das letzte „Faul“ bedeutungsmässig recht unschön aus der Reihe tanzt: zumindest hier hätte ich ein anderes Adjektiv genommen, eines ohne au und somit weniger abfällig und insgesamt wäre es dann vielleicht weniger auf Holzhammer getrimmt. als ob das „locken“, die „Sirenen…stimmen“, usw. nicht reichen würden.

war das jetzt alles was mir unschön auffiel? Warften (nur wegen dem Wortklang) musste ich nachschlagen: ah, ja, aufgeworfene Erhebungen, ja das passt.
nur die Unken würden im Salzwasser eingehen, diese salzwasserscheuen Amphibien. welcher Vogel ruft stattdessen hell? eine Limikole? ein Regenpfeifer? ein Knutt?

ok, das war jetzt alles gewesen was mir missfiel.

hallo Art

denn hier tauche ich im großen Ganzen ein in Gefallen: ich steige mit dem lyrischen Ich aus den Marschen in das Watt, tiefer und tiefer bis mir die See bis an die Ohren steigt, ich die Füße aus dem Schlamm ziehe und schwimmend entgleite in „Meereseichenreiche“ aus grüner Jade. für mich ein Farbenspiel bei Morgen- oder Abendlicht umhüllt von Wat-, Wasser- und Tiergeräuschen. zwar habe ich das in der Nordsee so noch nie getan, aber ich spüre dabei lebendig das Flussufer meiner Jugend zwischen den Zehen, rieche den Schlick und höre das Glucksen, den Touch des Wassers, sonnenwarm am Ufer und kalt und intim bis zum Trommelfell beim Schwimmen und Tauchen.

rätselhaft dieses Du der letzten Strophe: ist hier Gaia höchstpersönlich gemeint? die Weiblichkeit des gesamten Planeten? warum fühle ich mich an Lems Solaris erinnert, dieser Männerwelt im rein-weiblichen Kosmos? ist es doch nur die kurzzeitige Flucht vor einer bestimmten Frau? warum ist keine Flucht möglich in einer fast geschlossenen Bucht? weil wir über bald 300 Grad (da wären wir wieder beim Kompass, bei der Busole) beim hinausschwimmen sicher anlanden werden, auch ohne umkehren zu müssen. und so wie wir hinausstiegen aus den Marschen, so kehren wir zurück, nackt, nass, salzig triefend, weniger blutverschmiert und ohne Nabelschnur, aber doch wie neu geboren.

ja, das hat mir wirklich gefallen, Art,
und die Wortwalriesen erinnerten mich am Rande auch an Melvilles Moby Dick, der anderen literarischen Männerschar mit Starbuck, Ahab und Konsorten, auf der letztlich erfolglosen Jagd, aber schön wars, nicht wahr, sonst könnte Mann nicht schwelgen nach dem ersten Satz: „Call me Ishmael.“

Gruß
Alcedo

https://www.deutsche-vogelstimmen.de/knutt/

https://www.deutsche-vogelstimmen.de/flussregenpfeifer/


e-Gut
zuletzt bearbeitet 25.05.2018 07:59 | nach oben

#5

RE: Jadebusenblues

in Philosophisches und Grübeleien 28.10.2018 22:56
von Artbeck Feierabend | 119 Beiträge | 72 Punkte

Hallo, Alcedo!

Ich habe mich noch gar nicht bei dir für deine ausführliche Antwort bedankt, was ich hiermit tun möchte - es ist schon so viel Zeit verstrichen...

Zitat
drei mal fast holzhammermässig; Frau, Frau, Frau (im Text als Starthebung der ersten drei Strophen: „Blau, Rau, Faul“ - drei mal der gleiche Diphthong, mit verschiedenen unbetonten Konsonanten als schmuckloses Beiwerk, wobei mir das letzte „Faul“ bedeutungsmässig recht unschön aus der Reihe tanzt: zumindest hier hätte ich ein anderes Adjektiv genommen, eines ohne au und somit weniger abfällig und insgesamt wäre es dann vielleicht weniger auf Holzhammer getrimmt. als ob das „locken“, die „Sirenen…stimmen“, usw. nicht reichen würden.


Deinen Ratschlag habe ich nun umgesetzt und oben einige entsprechende Änderungen vorgenommen - so müsste es weniger gezwungen klingen...

Zitat
nur die Unken würden im Salzwasser eingehen, diese salzwasserscheuen Amphibien. welcher Vogel ruft stattdessen hell? eine Limikole? ein Regenpfeifer? ein Knutt?


Danke für deine Überlegungen und alternativen Vorschläge mit den Links. Sie sind natürlich viel realistischer, aber an dieser Stelle ging es mir um die Zeichnung eines melancholischen lyrischen Ichs, das sich in dieser Phase von der Wirklichkeit entfernt. Ich habe vor zwei, drei Jahren abendliche Unkenrufe in einem Dorfweiher auf Rügen gehört - und wusste zuerst gar nicht, was da von den Backsteinmauern hallte. Die Klänge haben mich magnetisch angezogen, so entrückt klangen sie; hatte so etwas noch nie gehört. Hier ein kleiner Eindruck:

Rufe der Rotbauchunke

Dass ich mit einigen Zeilen maritime Stimmungen und Sinne ansprechen konnte, freut mich sehr, ebenso verhält es sich mit deinen Bezügen zu Moby Dick...

Inhaltlich geht es mir vor allem um das Austarieren einer angenommenen (Un)Vereinbarkeit von Schreiben und Alltag und um die Rolle der Natur als eine Art Katalysator des Nachdenkens. Es geht ebenso um die Verlockung, über passende Worte zu sinnieren, auch wenn es seinen Preis hat, wenn es grad eigentlich überhaupt nicht passt, um den Luxus, den man sich leistet, etwas Wichtiges grad nicht nicht zu erledigen, weil man etwas aufschreiben will...um die Gefahr einer mentalen Abwesenheit, wenn hellwache Präsenz erforderlich ist, wenn der Partner Aufgaben übernimmt, die man sich selbst auferlegt hat usw...

Gruß,
Artbeck

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#6

RE: Jadebusenblues

in Philosophisches und Grübeleien 01.11.2018 07:05
von TheMonkeyPaw (gelöscht)
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Weißt du Artbeck, der beste Kritiker, ist der Schriftsteller selbst.

Wortwalriesen


TMP

Jetzt hast du einmal einen Brocken. Verdau den, und dann neu aufs Papier.

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