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Überholvorgang
Heute Abend steht der zunehmende Mond
hoch und wirft scharfe
Schatten vom Stativ.
Leuchtend dominiert Jupiter den
östlichen Sternenhimmel in vollkommener
Opposition.
Kühl erzittert das Teleskop beim
Scharfstellen
Langsam sinkt er
wie ein blasses
Muttermal im Negativ
samt den galileischen Monden
aus dem Okular
Welcher dieser kleinen, hellen Punkte
ist wohl die kraterreiche
Kallisto?
Heute überhole ich Jupiter
innen auf seiner Umlaufbahn
Zwölf Jahre für mich sind
eines für ihn
Seiner Zeit nach
habe ich noch
etwa drei
.
.
Guten Morgen Alcedo,
einen beschwingten Blick in den Nachthimmel hast du abgeliefert.
Nach unserem Ermessen für die Ewigkeit aufgestellt, obwohl wir einige Bewegungen feststellen konnten.
Nach universalen Gesichtspunkten funktioniert Zeit nur als lokaler Logarithmus einer unbekannten Basis.
Wir wagen uns instrumentenbespikt mit zitternden Händen in einen Raum vor, der uns noch nie kannte.
Aber egal - die Ehre lag schon immer beim Erkenntnisprozeß, also ganz auf unserer Seite. Grüße von Yaya
RE: Überholvorgang
in Natur 13.04.2017 20:04von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte
Hi Alcedo,
nicht ganz einfach, aber lohnend, diesen astronomischen Aus- und Einsichten zu folgen. Von der Form
her überrascht flüchtig das verblassende Muttermal - aber ja, Luna bleibt weiblich, während der männlich
definierte Jupiterplanet das Terrain (oh grause Wortwahl) also die himmlischen Sphären übernimmt. Alles
nur eine Frage des Blickwinkels. Dem Sterngucker schlägt keine Stunde. Übernächtigte Grüße - mcberry
Hallo, Alcedo!
Dein Gedicht erinnert mich an die ersten „Sehversuche“ mit einem einfachen Teleskop, die ich neulich unternommen habe. Das von dir geschilderte „kühle Erzittern beim Scharfstellen des Teleskops“ finde ich sehr anschaulich beschrieben. Besonders gut gefällt mir dein Vergleich an folgender Stelle:
Zitat
Langsam sinkt er
wie ein blasses
Muttermal im Negativ
samt den galileischen Monden
aus dem Okular
Das Sinken des Planeten mit seinen Monden aus dem Okular verweist, so wie ich es lese, zum einen auf die Schwierigkeit, das Gerät in den planetaren Dimensionen präzise auszurichten und so zu arretieren, dass es nicht durch die Schwerkraft langsam einige Millimeter nach unten rutscht (ich als Anfänger fand das sogar schon mit so einem großen Objekt wie dem heimischen Mond schwierig genug…). Zum anderen ist es aber auch eine feinsinnige Anspielung auf unser menschliches Unvermögen, sich auf die (wahren) Dinge von kosmischen Ausmaßen zu fokussieren oder sie in Relationen zu unserer Existenz zu erfassen (auch das Kostbare unserer Erde, ihre Bedrohung und Winzigkeit in den unfassbar großen Dimensionen verlieren wir allzu oft aus unserem Blickfeld).
Sehr passend dazu der Versuch des lyrischen Ichs in den letzten fünf Zeilen, für die unglaublich großen planetarischen Vorgänge einen fassbaren irdischen Zeitmaßstab zu finden, indem es die Laufbahn des Jupiters um die Sonne mit der eigenen (durchschnittlichen) Lebenserwartung in Relation setzt: eine scheinbar kühle, lakonisch-mathematische Berechnung, die aber gleichzeitig sehr berührt, weil sie die Begrenztheit des menschlichen Individuums aufzeigt:
Zitat
Zwölf Jahre für mich sind
eines für ihn
Seiner Zeit nach
habe ich noch
etwa drei
Ein Gedicht wie ein Freund, mit dem man abends beim Zelten in den Sternenhimmel schaut und mit dem man sinniert und übers All philosophiert.
Gruß,
Artbeck
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