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Oktoberschnee
Der erste kalte Ostwind scheucht die Wespen
ins Warme, in die hellen Bäckerein,
dort härmen erste Huster Herbstlichsein
und schlürfen Kaffee mit den letzten Wespen.
Drei Krähen wärmen sich am kahlen Schornstein
im Morgennebel und am grauen Rauch,
die eine krault der andern das Gefieder
und wispert ihr wohl Krähenliebeslieder
ins Ohr. Die dritte kauert auch
daneben. Sie wärmt bloß der Schornstein.
Der frühe Schnee glasiert die Walnussblätter
mit grüngefleckten Bäuchen an den Zweigen.
Vom dunklen Holz der Kronen hochgehalten,
entsprechen Bäume knöchernen Gestalten,
die im Kontrast zum Zucker aufwärts zeigen.
Ein Buchfink zupft an einem toten Zweige
mit aller Kraft, sodass es herb vibriert,
er klaubt sich einen Kern, der Satt gebiert,
die Elster spaltete die Schalen. Buchfink, schweige.
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Lieber Alcedo,
Schnee im Oktober, etwas ungewöhnlich in unseren Breiten. Aber vielleicht schreibst du von deiner ursprünglichen Heimat, vielleicht schneit es dort schon im Oktober. Du konzentrierst dich auf die Veränderungen, die ein strenger Herbst mit sich bringt für Mensch, Insekt und Vögel. Das Gedicht ist gereimt, Jambus, fünf Hebungen.
Sprachlich bewegst du dich im Umgangsdeutsch, was dem Gedicht eine gewisse Lockerheit verleiht, ihm aber auch Tiefe des Ausdrucks nimmt. Die Alliteration zum Beispiel von 2/2 kommt für meine Begriffe zu gewollt rüber. Die Melancholie, die bei solchen Veränderungen in der Natur immer auch mitspielt, vermeidest du konsequent, es sei denn die Aufforderung an den Buchfink zu schweigen in der letzten Zeile. Die vierversigen Strophen 1 und 4 umarmen die fünfversigen Strophen 2 und 3. Insgesamt sind das naturalistische Beobachtungen, der offensichtlich beabsichtigte Humor kommt mir etwas bemüht vor.
Rein technisch bin ich nicht so richtig zufrieden. Zum Beispiel ist der Nordwind immer kalt, das muss also nicht betont werden, den Bäckereien fehlt aus reimtechnischen Gründen das e, kommt aber nicht gut an, der Kaffee wird besser auf der zweiten Silbe betont, und dass die Bäume knöchernen Gestalten "entsprechen", ist Bürokratendeutsch, wie vibriert ein Zweig "herb", ist ein beschneiter Zweig "tot" - das sind so die sprachlichen Auffälligkeiten, die bei mir nicht so gut ankommen. Dem letzten Vers gönnst du eine Hebung mehr, was ohne Abstriche an der Aussage hätte vermieden werden können.
Am Ende sagt der Leser vielleicht: "Aha, auch die Vögel!"
Ich hoffe, du kannst mit meinen Hinweisen etwas anfangen.
Lieben Gruß, Antigone
hallo Antigone
Danke für die Hinweise und für die Ausführlichkeit deiner Rückmeldung. es handelt sich um den Oktober 2012. wollte das Jahr aber nicht unbedingt in der Überschrift festhalten. kann sein dass solch frühe Wintereinbrüche wie 2012 ja wieder kommen.
den Nordwind ändere ich gleich zum Ostwind: da hast du recht. und Nordostwind geht ja schlecht.
"Die Alliteration zum Beispiel von 2/2 " kann ich leider nicht verorten. was meinst du? das mit den Hustern? danke auch fürs bescheinigte Vermeiden der Melancholey. Humor war eigentlich nicht meine Absicht.
die restlichen Anmerkungen lasse ich mir noch durch den Kopf gehen.
Gruß
Alcedo
Änderungen:
erste Zeile war:
Der erste kalte Nordwind scheucht die Wespen
RE: Oktoberschnee
in Natur 21.10.2016 17:58von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte
Hi Alcedo,
mit S1 hadere ich. Die wiederholten Wespen nerven ähnlich den echten Insekten, aber es wirkt nicht elegant.
Der Ostwind scheucht Insektenschwärme / in Stuben voller Licht und Wärme.
Wer hustet, wird erschreckt verstummen /wo Wespen über Tellern summen. - Nein, auch nicht elegant.
Mit Z5 könnte auch ... S2 sich schließen. S3 Ein früher Schnee ...
Ohne dudenkonform zu verkleben, ein unverständliches Deutsch: "Satt gebiert" was zum Teufel ist das denn?
macht Leser nicht wirklich glücklich. Die Sprache will hier und da noch ein wenig gefeilt werden. HG - mcberry
@Antigone:
ja, fast alle Zeilen sind fünfhebig (außer dem Ende von Strophe 2, wo ich zwei vierhebige habe).
in die letzte Zeile wollte ich eine Aufspaltung einbauen/bewirken. eigentlich sollte sie gleichfalls fünfhebig zu lesen sein - dazu wollte ich das Metrum zwischen Elster und Fink auf drei Senkungen runterbügeln:
die Elster spaltete die Schalen. Buchfink, schweige.
xXxXxxxXxXxXx
(habe aber auch kein Problem damit wenn jemand das spaltete auf der letzten Silbe betont, es also sechshebig lesen sollte.)
Hintergrund: der Fink befindet sich am Spaltplatz der Elster. er käme ja sonst nicht an die Walnusskerne heran. wo die Elster die Schalen spaltete, kann er noch Reste aufklauben. vielleicht sollte er aber da nicht so lauthals auf sich aufmerksam machen. jedenfalls käme er ohne die Elster nicht an den Kern. kommt sie wieder, muss er aber wohl oder übel weichen.
zur Technik des beschriebenen Zweigzupfens: kleinere Vögel vermögen recht geschickt relativ starke Zweige oder auch Wurzeln zu lösen, indem sie sich mit aller Kraft ziehend mir dem Schnabel per Hals- und Körpermuskulatur in ein hochfrequentes Vibrato versetzen und sich mit den Füssen dagegenstemmen. das löst recht große Wurzeln für den Nestbau aus dem Boden, oder wie hier beschrieben, abgestorbene Efeuranken vom Ast um an die darunter liegenden Kernbruchstücke zu kommen. das abgestorbene Efeu war also tatsächlich tot und vibrierte wegen seiner Trockenheit umso stärker, nehme ich an.
zu den Entsprechungen: ich benutze sie eigentlich nur als Werkzeug der Symbolik. tut mir leid, dass es bürokratisch klingt. war jedenfalls nicht beabsichtigt.
„herb“ ist synästhetischer Beschreibung geschuldet und auch ein wenig Pawlowscher Reflex: die Walnüsse schmecken um die Zeit wegen des noch nassen Kernüberzuges etwas bitterer oder herber als im getrockneten, reiferen Zustand.
immerhin hat die Singvogeldramaturgie dann doch ein Stück weit funktioniert: dein Resümee "Aha, auch die Vögel!" war mir eine schöne Bestätigung. Vielen Dank.
@mcberry:
danke für die Vorschläge.
nun ja, der identische Reim sollte wirklich etwas Penetranz erzeugen und nicht Eleganz. ein wenig nerven darf er also, aber nicht zu sehr. störte dich auch das verschluckte e bei den Bäckerein?
Zitat
"Satt gebiert" was zum Teufel ist das denn?
tja, das kommt dabei raus wenn man „Sattsein“ oder „satt geworden sein“ besonders originell umschreiben möchte. mittlerweile sagte mir noch jemand das sei ein ziemlicher Schnitzer. war/bin mir dessen gar nicht so recht bewusst.
Grüße
Alcedo
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