#1

Hermann Kant

in Gesellschaft 17.08.2016 06:11
von Antigone | 85 Beiträge | 85 Punkte

Im Dunst des Nachrufs viel Distanz.
Kant ging, was bleibt von seinen Worten?
Am Ende wohl nur Ignoranz
bei Besserwissern und Verbohrten.

Was seine Bücher je erreicht,
wir Leser wissen es zu schätzen.
Ihn zu verstehen schien nicht leicht,
manch Zeilen mussten sich erst setzen.

Er wollte, sagte er, dies Land.
Nicht jenes heutige voll Schmerzen.
Ihm war es Sinn und Gegenstand,
es reimte sich bei ihm auf Herzen.

Ein Trauertag, ein Kämpfer ging.
Sein Leben war das Wort, das Schreiben,
voll Spaß und Ernst. Kein Schreiberling.
Und das, sein Wort, es wird uns bleiben.

16.8.16

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#2

RE: Hermann Kant

in Gesellschaft 17.08.2016 09:33
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Guten Morgen Antigone,

einen gelungenen Nachruf sind Poeten einander wahrscheinlich schuldig und du hast es gewagt:
Wohlwollend, wie es das Genre verlangt, aber ohne Spannungen zu übersehen, die Kritiker - eher politisch
als literarisch - an die Kantschen Fersen heften. Dem Besprochenen dient es so oder so. Auch Schelte hält
bekanntlich im Gespräch.

Die Würdigung eines literarischen Werkes von der politisch korrekter Aufstellung des Verfassers abhängig zu
machen, misfällt mir als Dichter zutiefst. Dergleichen ist zunehmend zu beobachten. Wir sollten Kriterien haben,
Qualität zu messen. Den Schreibstil, Verflechtung der Inhalte, die Geschicklichkeit, Leser einzubinden. Nur eine
Meinung zu teilen ist trauriger Ersatz für Laien und Kinder: Das Krokodil wird ausgebuht.

Noch mal zur Form: Am Feinschliff einzelner Zeilen kann poliert werden.
S2Z4 setzen sich Zeilen in gemischter Metaphorik. Gemeint sind Inhalte, deren Verarbeitung Zeit braucht.
S3Z1 scheint Z2 zu widersprechen: Wollte er "dies Land" oder dann doch nicht. Glatter flutscht: wollte ...
ein Land ... ohne Schmerzen. Also eine grammatische und inhaltliche Verbindung der Zeilen.

S3Z4 wie wäre: reimte sich in seinem Herzen. Vor sog. Unworten wie Herz, Schmerz und Seele müssen wir uns nicht
fürchten. Reimt sichs aber aufs Herz, dann fallen mir Kirmesstände ein. Was auch geht, wenn die Assoziation hinkommt.

In S4 halte ich die Schlußzeilen für problematisch. Den Verstorbenen als Schreiberling zu bezeichnen, der er nicht
war, hat den Stellenwert von: Du brauchst wirklich überhaupt keine Angst zu haben. Das Reizwort wird unter die
Nase gerieben. S4Z4 genügt "Sein Wort, es wird uns bleiben" und kommt metrisch besser aus..

So lange Kommentare schreibe ich selten und nur, wenn es mir wirklich wichtig ist. Gerne gelesen. HG - mcberry

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#3

RE: Hermann Kant

in Gesellschaft 17.08.2016 13:45
von Antigone | 85 Beiträge | 85 Punkte

Hallo Mcberry,

Du schreibst sehr allgemein. Habe ich die Werke des Autors Kant von seiner politischen Einstellung abhängig gemacht? Ich denke, dass nicht, bin aber der Ansicht, dass die Betonung des Politischen gerade bei ihm sehr wichtig ist. Aber gerade Kant ist ein Beispiel dafür, dass er ohne "dies Land" niemals ein Schriftsteller geworden wäre und letztlich dann noch Vorsitzender des Schriftstellerverbandes. Sein Leben ist sehr eng mit der DDR verbunden gewesen, man kann sagen: Ohne DDR kein Kant. Das muss natürlich herausgestellt werden. Und wessen Meinung teile ich hier, glaubst du? Ich denke, die erste Zeile sagt genug.

Zu S2Z4: Zeilen eines Schriftstellers transportieren immer Inhalte bzw. sollten dies tun. So ist es legitim, von "seinen Zeilen" zu sprechen und nicht kleinpusselig unbedingt das Wort Inhalte zu erwähnen. Es ist ein Gedicht und kein Kathedervortrag, wo es auf die Genauigkeit der Begriffe unbedingt ankommt, denke ich. Es handelt sich bei "seinen Zeilen" um eine Metapher, aber nicht um Metaphorik, sie ist der Oberbegriff für die Verwendung von Metaphern.

Zu S3Z1: "Dies Land" ist ein Zitat Kants (verwendete er auch in einem Interview mit der FAZ), damit umschreibt er, natürlich, die DDR. Und mit Zeile 2 ist natürlich die BRD gemeint, die er "nicht wiederhaben wollte" (auch dies Zitat) und die ihm und so vielen DDR-Schriftstellern so vieles genommen hat, vor allem die Gewissheit, dass der Fortschrittsgedanke von der jüngeren Generation weitergetragen wird, was nun durch die politische Entwicklung unterbrochen worden und eher zum Rückschritt verurteilt worden ist. Deshalb Land der Schmerzen. Was du herausliest, hat er nicht gesagt. Er hat es genau andersrum gemeint.

Ich habe was gegen "flutschen" und "Glätte" in einem Gedicht. Das ist nicht meine Art zu schreiben. Wenn ich betone, dass er "kein Schreiberling" war, so ist das heutzutage sehr nötig, wenn du mal einen Blick in die Gegenwartsliteratur wirfst. Deshalb schreibe ich ja auch von "Spaß und Ernst". Bekanntlich war der politische Schriftsteller Kant vor allen Dingen auch Stilist, gekonnt und hinterfotzig - um nicht zu weinen, behaupte ich. Er hatte ja manchen Strauß mit der DDR-Regierung für seine "Schäfchen" auszufechten.

Hab besten Dank für deinen langen Kommentar, aber ich denke, es war einiges richtigzustellen, auch wenn es nicht der Lesart von "Welt", "Süddeutscher" und FAZ entspricht. Die Nachrufe dieser Zeitungen enthalten sich erstaunlicherweise der üblichen Hetze gegen Kant, wollen ihn aber herunterspielen in seiner Bedeutung. Ich denke, die, die wir schreiben, können von solch einem Großen immer noch etwas lernen.

Gruß, Antigone

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