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Leiharbeiters Abenteuer
Leiharbeiters Abenteuer
in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 21.01.2015 09:03von Ringelroth • | 213 Beiträge | 213 Punkte
Als ich meine Unterschrift unter einen befristeten Vertrag bei einer der größten deutschen Zeitarbeitsfirmen gesetzt hatte, war ich mir sicher, damit mindestens zwei Sprossen auf einmal auf meiner beruflichen Karriereleiter nach oben erklommen zu haben.
Das hatte ich einem Kollegen zu verdanken, der sich bei der Arbeit in einer Kunststofffabrik, die sich darauf spezialisiert hatte, Paletten aus recycelten Joghurtbechern und Weichspülerflaschen herzustellen.
Pech für ihn - Glück für mich, dachte ich, als ich nervös, aber frohen Mutes, meine Arbeit an den Pressen begann,
die die Deckel und die Kufen der schwarzen Paletten, aus einer etwa 70° Celsius heißen Kunststoffmasse formten.
Es dauerte keine zwei Stunden, und ich hoffte, dass auch mir bald das Cuttermesser eine nette kleine, aber tiefe Wunde an meinem linken Arm zufügen würde.
Denn was der hinterlistige Disponent meines neuen Arbeitgebers verschwiegen hatte war, dass an diesen Pressen Akkord gearbeitet wurde.
Der festangestellte Kollege, der die heiße und bestialisch stinkende Kunststoffmasse mit ellbogenlangen Schutzhandschuhen in die Formen legte, verrichtete seine Arbeit im Laufschritt. Jedes Mal, wenn dieser Kollege mit der heißen Rohmasse in meine Nähe kam, wurde mir von dem Geruch so übel, dass ich heftig Schlucken musste, um mich nicht zu übergeben.
Wie er mir in der Pause erklärte, bekam er einen nicht allzu üppigen Festlohn. Es bestand eine Mindestvorgabe für die zu formenden Teile, und jedes Teil, das über dieser Vorgabe lag, wurde extra bezahlt. Zwischen 1600 und 1800 Euro netto springen dabei für ihn raus.
Ich freute mich für ihn, wenn ich auch nur 6 Euro und ein paar Zerquetschte brutto in der Stunde bekam, aber man muss ja auch jönne könne.
Meine Arbeit bestand darin, die fertig gepressten Formteile aus den Pressen herauszunehmen und zu stapeln.
Danach musste ich diese Teile mit einer Karre zu dem Kollegen bringen, der sie zu einer fertigen Palette zusammenbaute.
Den Palettendeckel, also das Teil, auf das später einmal die Waren gelegt wurden, musste ich zuvor mit dem Cuttermesser an den vier Seiten entgraten.
Das erforderte Kraft, da sich in dem Kunststoff auch winzigste Metallteile befanden, die den Schwung, mit dem das Messer über die Kanten fuhr, jedes Mal abrupt stoppten. Was natürlich auch die gebogenen Klingen in Mitleidenschaft zog und auch meine Finger- und Handgelenke und die Schulter.
Eine neue Klinge bekam ich ausschließlich vom Vorarbeiter, einem netten, geduldigen Pakistani, den ich aber dazu immer in der großen Halle suchen musste, was meiner Arbeitsgeschwindigkeit nicht zuträglich war.
Die Kufen, sprich die Teile, die unter dem Deckel angebracht wurden und an denen sich jeweils drei "Füße" befanden, auf denen die Palette später ruhte, mussten mittels Hebestange aus einer schulterhohen Presse herausgehebelt werden. Ein falscher Hebelansatz ließ die Teile in der Form verkanten und machte viele Hebelansätze notwendig, um sie herauszubekommen.
Nach drei Schichten ging ich beinahe wörtlich auf dem Zahnfleisch. Mein pakistanischer Vorarbeiter zeigte Herz und setzte mich fortan für Reinigungsarbeitenin und um die Produktionshalle herum ein. Dabei entdeckte ich die riesigen Behälter, in denen sich das Kunststoffgranulat befand, welches in den Extrudern zu der stinkenden, zähen Masse verarbeitet wurde, aus denen am Ende die Pallettenteile geformt wurden.
Diese Behälter waren mannshohe Säcke, deren Inhalt mehrere hundert Kilo wog, und aus recycelten Plastikverpackungen aller Art bestand.
Prima, dachte ich, dann wird wenigstens etwas Vernünftiges aus dem Inhalt unserer Gelben Säcke hergestellt, die wir so umweltbewusst in unseren Haushalten füllen. Doch beim genaueren hinsehen las ich den kleinen Aufdruck unter der Artikelbezeichnung auf den Bigpacks:
Made in Argentina - na, dann Mahlzeit.
Mein neues ebook: "Himmelthor und Hondo" - ISBN 978-3-7368-5196-2
bei vielen ebook-Händlern erhältlich
RE: Leiharbeiters Abenteuer
in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 21.01.2015 09:20von yaya (gelöscht)
Guten Morgen Ringelroth,
du solltest um diese Uhrzeit die Frühschicht schon angetreten haben. Dein Artikel vermittelt überaus
interessante soziale Einblicke in die Kunststofffabrikation. <- Sieht doch schrecklich aus, diese 3 fff !
Leider schreibst du keine Glosse, denn die Verschiffung von Abfällen rund um den Globus findet statt.
Als ob wir nicht genügend einheimische Plastikbecherchen bereit stellen könnten! Eßt Yoghurt Leute!
Auch gesammeltes Leergut von Spülmittel, Spezial- und Haushaltsreinigern ist recyclefähig. Grüße von Yaya
RE: Leiharbeiters Abenteuer
in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 21.01.2015 09:36von Ringelroth • | 213 Beiträge | 213 Punkte
Guten Morgen yaya,
zum Glück sind für mich die Zeiten der Sklavenarbeit vorbei.
Übrigens wurden in dieser Fabrik mit den 3 F in drei Schichten rund um die Uhr gearbeitet.
Bei uns hat der Inhalt der Gelben Säcke ein kurzes Leben - und auch nur eines, ein endgültiges.
Sie enden nämlich in großen Verbrennungsanlagen.
Wir haben in einem Umkreis von 50 Kilometern zwei davon und die müssen bestückt werden.
Soviel zum Thema Recycling.
Schönen Tag noch
Ringelroth
PS: an dieser Stelle werde ich noch weitere, teils haarsträubende Abenteuer zum Besten geben
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RE: Leiharbeiters Abenteuer
in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 21.01.2015 13:22von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte
Drarauf dürfen wir gespannt sein, Ringelroth,
denn gerade der zunehmende Alltagswahnsinn sollte in den Focus der Betrachtung. Hier haben wir,
wenn auch begrenzten, Einfluß und dürfen überlegen, wieviel Unterstützung wir ihm leisten wollen.
Zur Form mache ich mal einen harmlosen Vorschlag:
Man muss ja auch "jönne könne". Mein Bruttolohn läßt Spielraum nach oben.
Unverdrossen wuchtete ich für 6 € und ein paar Zerquetschte pro Stunde viele fertig gepresste Formteile aus den Pressen und verhob mich beinahe, sie aufeinanderzuschichten. Danach hatte ich die Stapel in die Montagehalle zu karren.
Zukünftige Palettendeckel musste ich mit dem Cuttermesser an allen vier Seiten entgraten, bevor sie obendrauf durften. Leider hatten winzigste Metallteile im Kunststoff, Nanopartikel genau genommen, die Unart an sich, meinem Messer immer wieder den Schwung zu nehmen. Vollbremsungen verbogen Klingen und lädierten, sozusagen als Kollateralschaden, Finger- und Handgelenke und per Rückstoß auch die Schulter.
Manchmal kann ich es einfach nicht lassen. Die Story gefällt mir genau so, wie sie ist. Rumdröselgrüße - mcberry
RE: Leiharbeiters Abenteuer
in Kommentare, Essays, Glossen und Anekdoten 21.01.2015 14:43von Ringelroth • | 213 Beiträge | 213 Punkte
Hallo mcberry,
danke für deinen Kommentar.
Der Alltagswahnsinn eines manchen Zeitarbeiters ist schon was Spezielles. Man muss dabei bedenken, dass man in der untersten Entlohnungsstufe für'n Appel und'n Ei dieselbe Arbeit wie der Festangestellte macht, aber für oftmals weniger als die Hälfte dessen Einkommens. Das frustriert auf Dauer. Auch der häufige Wechsel der Entleihfirma trägt nicht zur Zufriedenheit bei. Heute montierst du Teile eines Auto-Armaturenbrettes, morgen arbeitest du am Hochofen einer Eisenhütte, übermorgen schraubst du Möbel in einer Schreinerei zusammen.
Um nur mal kurz einige Aspekte anzuführen.
Wenn man der Leiharbeit, wie ich sie kennenlernte, etwas Gutes abgewinnen kann, dann die Tatsache, dass das Gehirn jung bleibt, da man sich ständig einer neuen Umgebung, neuen Kollegen und vor allem neuen, nie gekannten Arbeitsvorgängen widmen muss.
Zu deinem harmlosen Vorschlag: ja, so hätte man es auch schreiben können.
Wobei es sich nicht nur um Nanopartikel handelte, denn einige Metallteilchen waren gut erkennbar und einige Millimeter lang. Da es sich bei Paletten nicht um Artikel handelt, die ästhetische Merkmale erfüllen müssen, wurde das Granulat nur grob vom Metall getrennt. Ob das auch heute noch so ist, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis.
Den zweien Teil meiner Erinnerungen habe ich dem Thema Mobbing gewidmet.
Gruß
Ringelroth
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