Damals, ich war etwa sechs oder sieben, besuchte Mutter einen Nähkurs, wo sie mir eine neue Sonntagshose schneiderte. Auch wenn sie mir anfangs nicht sonderlich gefiel, sie war wohl mit Liebe genäht, das kann sein, wobei diese Geschichte nicht von Liebe erzählt, sondern von einer Hose und nur am Rande von damals. Jedenfalls konnte Mutter den kommenden Sonntag kaum erwarten. Schon frühmorgens sagte sie ganz aufgeregt: "Heute Nachmittag darfst du zu den Grosseltern die neue Hose anziehen. Aber dass du mir Sorge trägst!" Sorgfältig musterte Grossmutter die Handarbeit ihrer Tochter und war voll des Lobes. - Dass ich meine Grossmama liebte, gehört nicht hierhin. Wie erwähnt, um solches geht es in dieser Geschichte nicht. - So bekam auch ich irgendwie Spass am neuen Beinkleid und war bemüht, mich leicht und vornehm darin zu bewegen.
Auf dem Heimweg alberte ich mit meinen drei jüngeren Schwestern rum. "Pass mir auf die neue Hose auf!“, warnte Mutter wiederholt. Und dann geschah es: Ich stolperte über die Gehsteigkante und fiel aufs rechte Knie. Ein langer Stoffriss, der einen rechten Winkel beschrieb, klaffte über dem blutenden Knie. Ich verbarg den Schmerz, so gut es ging. - "Ein Dreiangel", schrie die Mutter, "mein Gott, ein Dreiangel!" Sie heulte und beklagte auf dem ganzen weiteren Weg ihr Unglück mit mir. "Na warte, bis wir daheim sind!", drohte Vater in jenem bekannten Ton, der stets Schlimmes bedeutete.
Zuhause wurden die damals noch recht kleinen Geschwister gleich zu Bett gebracht, während ich auf dem Sofa auf meine Ankläger und Richter zu warten hatte. Vater befahl mir, in der Küche die grosse Holzkelle zu holen. Ohne Widerspruch gehorchte ich. Unter den Augen von Mutter und ihrer Zustimmung gewiss, versohlte er mir mit dem schweren hölzernen Ding den Hintern, dass mir Hören und Sehen verging. Dann bekam ich noch ein Pflaster für das lädierte Knie und durfte endlich aufs Zimmer. Auch wenn ich jämmerlich schluchzte, ich wollte damals die elterliche Strafe für verdient halten. Aber das gehört auch nicht in diese Geschichte, die von einer Sonntagshose, nur am Rande von damals und sonst von nichts erzählt.
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