#1

Baumsage

in Natur 06.11.2012 17:21
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Längst schlafen meine schwestern auf der erde.
In meine rinde
Schrieb ein jüngling sein gedicht.
Er hoffte, dass es frühling werde.

Durch meine äste wandert spätes licht:
Der honig aus den sonnenwaben.
Zuweilen hör ich weiche schritte,
Als käme einer spät nach haus.

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#2

RE: Baumsage

in Natur 06.11.2012 19:09
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Wunderschön, lieber Otto,

die Schätze des Sommers noch im Sinn, nehmen wir die Blaupausen unserer Lebenspläne in die Zukunft mit.

Die Zeilen lese ich personifiziert, als Vermächtnis des frühen und Aufgabe des spät heimkehrenden lyrischen Ichs.

Beschrieben in formvollendeten Metaphern, beschwören sehnsüchtige Verse die Fülle einer Vergangenheit, deren
Verheißungen umzusetzen nun übrig bleibt. Sich selbst treu zu bleiben wie dem Gedenken an prägende Einflüsse
der frühen Jahre, das fordert erwachsene Bäume, bevor sie sich zu den Schwestern gesellen. Chapeau - mcberry

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#3

RE: Baumsage

in Natur 06.11.2012 20:10
von yaya (gelöscht)
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Guten Abend, Otto,

davon bin auch ich begeistert. So sicher mit freien Versen umzugehen, das imponiert.
Die Baumsage werde ich als Herbstgedicht nominieren.

Beim ersten Lesen dachte ich noch, S1Z2/Z3 gehörten zusammen in eine Zeile. Doch
kann ich jetzt sehen, dass die Form stimmt: Rindenträger haben etwas hoch zu halten.

Du scheinst eine sehr produktive schöpferische Phase zu durchleben. Grüße von Yaya

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#4

RE: Baumsage

in Natur 07.11.2012 09:56
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Danke für das Lesen, die freundliche Aufnahme.

Gruß, otto im November.

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#5

RE: Baumsage

in Natur 07.11.2012 16:29
von Kokoschanell (gelöscht)
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lieber otto, ja, ich schließe mich den anderen ein, ein sehr metaphorisches, berührendes gedicht. ich lese es jedoch als eine art liebesgedicht.
in die rinde des baumes schnitzt man liebesverse, herzen.
der baum ist unruhig, er sehnt sich.
die honigwaben für die fruchbarkeit der bienen und das gold vergangener tage mit dem oder der geliebten.
die weichen schritte, die sanften, liebenden, die erwartet werden, aber nicht kommen.
zuweilen hört der baum sie- er wartet.
wirklich schön, lieber otto.
lg von koko

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#6

RE: Baumsage

in Natur 07.12.2012 11:53
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo Otto,
inhaltlich und bildlich schließe ich mich gerne meinen Vorkommentatoren an.
Was die Form anbelangt, sehe ich eher eine Vermischung von Endreim und freier Schreibweise.
Mich würde interessieren, warum Du das anfängliche Reimschema, am Schluss aufgegeben hast.
Ich könnte mir den Text als freie Form mit Binnenreimen auch gut vorstellen.
LG
Perry

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