#1

Erträgnis

in Philosophisches und Grübeleien 27.01.2012 12:01
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte


Die zeit gebar gelassen, an der weichenquelle
sich und das meer aus scharfem schattenschnitte,
belebte ton aus ferner sternenlichterzelle,
das artenleben mit der bitterquitte.

Seitdem verinnt das leben in fragmenttrillionen,
das all routiert, verschweigt die rätselweise,
es ahnt, dass diese wesen keinem schöpfer lohnen,
die sonnen zirkeln seine wärmekreise.

Und in dem anderland um ihre ängste ziehen,
die sich im traum das ungefragte klagen,
bald werden fremde zu den leeren sternen fliehen,
zurück nur brache, wo einst gärten lagen.

zuletzt bearbeitet 29.01.2012 11:50 | nach oben

#2

RE: Ohne titel

in Philosophisches und Grübeleien 29.01.2012 00:07
von munk (gelöscht)
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hi otto,
ja. gefällt mir deines und es düstert mich zugleich: denn hier scheitert in meiner leseweise die schöpfung an so etwas kostbarem, wie dem menschlichen leben.

die zeit gebar zwar, gebar aber nicht wirklich schöpferisches, eher etwas sich selbst entschöpfendes, sich selbst entleerendes, sich selbst aller vielfalt beraubendes, in einem dimensionalen gleichmaß und in einer gleichgültigkeit, an einem schöpfungsorte, der die zeit selbst generierte, aber auch das wundersame, irdische und lebenspendende meer. warum geschah es aber gerade aus scharfen schattenschnitte, als ob die todessehnsucht, das vergehen einer spezies, einer landschaft schon im entstehen vorweggenommen wäre? aber nein, es geschieht in dieser wahrnehmung noch schlimmeres. der ton, dem der atem des lebens eingehaucht wurde, undzwar aus ferner sternenlichterzelle und so mit größerer hoffnung ausgestattet enttäuscht; er hat von vornherein nichts von prometheischem feuer, aber etwas aus der büchse der pandora , ein „artenleben mit der bitterquitte“, als ob hier elegie und tragödie schon vorgezeichnet seien und auch die karthasis keinen sinn mehr habe.

so scheint auch der menschliche genpool dispositioniert und wie der maya-kalender zu enden: das leben ist nur ein fragmentales verrinnen aller egomanien, heliozentriken. am ende hilft auch keine polykosmopolitische weltanschauung, höchstens die universalhistorische deutung von menschen-geschichte, wenn das zirkeln der aktuellen sonnen noch anhalten sollte.

dennoch, in der dritten strophe, wird prognostisch angedeutet, was einigen wenigen vielleicht doch gelingen könnte: in allarchen, all dem brachen zu entrinnen.

ich lese hier die antizipation unsres weltunterganges, aber auch die hoffnung, das etwas vom „anderland“, von den kokonierten ängsten, von den menschlichen träumen, von gäa, von den letzten der spezies gerettet werden könnte. aber ich lese auch die furcht, dass andere welten, die sich solchermaßen selbstentfremdeten, mit unverständnis aufnehmen könnten…

gern ein wenig assoziiert und skizziert

der munkel

zuletzt bearbeitet 29.01.2012 00:16 | nach oben

#3

RE: Ohne titel

in Philosophisches und Grübeleien 29.01.2012 08:14
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Lieber Michael!

Dank für diesen Kommentar, der mich ermutigt mit meinen Schreibversuchen fortzufahren. Erstaunlich für einen Laien wie mich, dass Du neben Deiner Fachlichkeit ein hohes Maß an Empathie einbringst, um mir auf meiner Spurenreise freundschaftlicher Begleiter zu sein. Selten gehst Du dabei andere Wege, und behälst den Berichterstatter im Blick.

Über die Über-verführungen in die griechische Mythologie habe ich mich besonders gefreut. Tatsächlich beschäftige ich mich mit den Bannungsversuchen der archaischen Ängste bei den Alten, die sich ja Zonen für das ihnen nicht mehr Wißbare suchten. Natürlich kommt unsereiner auch nicht an den ersten und uralten Fragen vorbei, das finde ich tröstlich.

Ja es geschah mir oft an einem ägäischen Inselstrand, dass ich in der Nacht in samtenes Wasser stieg und hinausschwamm. Da war mir als käme ich zurück, wo ich doch hinwollte. Und stieg ich danach erschöpft an Land, dann schaute ich rücklings liegend, und meine Blicke defusierten in den Lichtjahren, die zwischen den Sternen und dem flüchtigen, flüchtenden Gast lagen. Das waren meine Augenblicke, in denen ich mich aufgehoben fand.

otto.

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#4

RE: Ohne titel

in Philosophisches und Grübeleien 29.01.2012 11:23
von yaya (gelöscht)
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Hallo Otto,

mit S2 habe ich ein grammatikalisches Problem: "seine Wärmekreise" bezieht sich doch auf den Schöpfer, dem seine Kreaturen keine Ehre machen. In Z3 steht dieser aber in der Mehrzahl. Dabei liesse sich Z3 sprachlich anpassen. Z.B.: es ahnt, daß diese wesen keinem schöpfer lohnen - und schon stimmt der kreisende Bezug wieder.

Dir ist ein sprachlich gelassen elegantes und thematisch eindrucksvolles Gedicht gelungen, mit interessanten Nebenaspekten. Die Zeit und das Meer als Geschwister anzusehen, macht für unsere terrane meergeborene Fauna durchaus Sinn. Einen richtigen Titel hätte es durchaus verdient. Grüße von yaya

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#5

RE: Ohne titel

in Philosophisches und Grübeleien 29.01.2012 12:08
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Guten Tag yaya,
in Berlin scheint die Sonne, der Tag hat drei Zeiten: Guten Morgen, guten Tag ( zusammenfassend ), und guten Abend. " Hallo" höre ich jeden Tag im Supermarkt.

Guten Tag yaya,
und danke für das genaue Gegenlesen. Das ich bislang keinen Titel fand ist in der Folge weiteren Überdenkens
zu verstehen. Aber gut, ich fasse das Geschriebene unter dem nüchternen Titel "Erträgnis" zusammen. Da hoffe
ich den Lesern ausreichend Raum für Assoziationen zu lassen; danke.

Wie Du nachlesen kannst, habe ich Deine Vorschläge aufgenommen, danke. Eine persönliche Frage gestatte ich mir forumsöffentlich zu stellen: Haben Deine Studiengänge etwas mit Literatur zu tun/zu tun gehabt?
Deine Art zu kommentieren kommt mir lakonisch vor: knapp und zutreffend, nüchtern.

Gruß otto.

zuletzt bearbeitet 29.01.2012 12:08 | nach oben

#6

RE: Ohne titel

in Philosophisches und Grübeleien 03.02.2012 21:48
von yaya (gelöscht)
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Guten Abend, Otto,

den Titel "Erträgnis" finde ich ganz passend.
Nein, mit Literatur weniger. Deswegen müssen wir ja nicht unbelesen sein. Aber mit Marketing und Public Relation.

Die Chancen eines Beitrags im Netz, auch gelesen zu werden, vermindern sich mit jeder Zeile. Auch Unverständlichkeit siebt die Leser aus und schafft in einem zweiten Schritt Ärger. Eine mathematische Formel gilt als Killer. Grüße von Yaya

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