#1

angeschmiert

in Gesellschaft 23.09.2011 16:48
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Ein Zugeständnis flüchtig zwar,
notwendig etwas zu erreichen,
gefolgt von allerlei Vergleichen,
den ersten Teil sofort in bar.

Gewohnheit fordert nächste Raten.
Kaum merklich schwerer wird die Last.
Auf engen Pfaden ohne Rast,
Durch tief verschlammten Grund zu waten.

Den Buckel schmerzlich aufgeraut,
Steigt Feuchtigkeit bis in die Augen.
Und zwiebelgleich schält sich die Haut

In gut geschmierten Daumenschrauben,
Wo pochend Blut die Adern staut.
Selbstachtung schwindet mit dem Glauben.


alte fassung:
ein zugeständnis flüchtig zwar
notwendig etwas zu erreichen
gefolgt von allerlei vergleichen
vom preis sofort ein teil in bar

gewohnheit fordert nächste raten
unmerklich schwerer wird die last
auf engen pfaden ohne rast
durch seichten untergrund zu waten

den buckel schmerzlich aufgeraut
steigt feuchtigkeit bis in die augen
und zwiebelgleich schält sich die haut

in gut geschmierten daumenschrauben
wo pochend blut die adern staut
selbstachtung schwindet mit dem glauben

zuletzt bearbeitet 24.09.2011 21:21 | nach oben

#2

RE: angeschmiert

in Gesellschaft 23.09.2011 19:23
von Rainek Radar | 360 Beiträge | 360 Punkte

hallo mcberry;

bei der flüssigkeit der übrigen zeilen, fallen die verschobenheitenfolgender zeilen sofort auf (mit zumindest)

vom preis sofort ein teil in bar
und
unmerklich schwerer wird die last

vielleicht setzt du dich da noch mal dran und schaust, ob du die sätze in den übrigen fluß reinbringst; vielleicht störts dich aber auch nicht und du lässt es so, wie es ist;
however;
die definition des selbtswertes durch: wie viel schmerz kann ich etragen? was kann ich mir abfordern;
stand irgendwann mal der hedonismus im zentrum, musste der wohlstandbauch dem hart erkämpften six-pack weichen; kam zuletzt und ging zuerst; wofür´s gut ist? die älteren haben uns da vielleicht was vorausgehabt; früher mal ging man ins kloster, wenn man sich der askese verschrieb; heute bekommt man es im glamour magazin inszeniert; abgelichtet und angeschmiert; was bringt´s? das muß jeder selber wissen;

mfg
rainek

zuletzt bearbeitet 23.09.2011 19:24 | nach oben

#3

RE: angeschmiert

in Gesellschaft 24.09.2011 15:26
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Hallo Rainek Radar,

nett, daß du dich der Sache annimmst. Ein bißchen Verschrobenheit will ich an sich nicht leugnen.
Aber S1Z4 hieß zunächst: ein teil des preises gleich in bar - dann störte mich das zweimal gleich.

Hauptsache kein User kommt auf die Idee, hier drunter zu tippen wie hübsch die Zeilen sind. Ich will etwas Bewegung in Richtung Bauchmuskulatur - unter dem Zwerchfell, und den Gefallen hättest du mir nun getan.

Hedonismus ist überholt. Die Fun Generation versuche ich gar nicht erst einzuholen. Sei bedankt. HG - mcberry

26.09.2011 die Zwerchfellzeile kommt ja beinahe überall schief an. Aber in meinem eigenen Thread darf ich zur Klärung anatomischer Gegebenheiten nachlegen (ohne den Text oben zu verändern):

Lachen bewirkt eine stoßweise Ausatmung und dadurch eine Erschütterung des Zwerchfells.
Letzteres liegt quer und trennt den Brustkorb mit Herz und Lunge anatomisch von der Bauchregion. Unterhalb des Zwerchfells liegen Leber, Magen und Bauchspeicheldrüse.
Vllt stört der Ausdruck: "Sich vor Lachen den Bauch halten", den ich aber nicht verwandte. Indirekt lassen sich durch Umspannen der Taille Atembewegungen des Brustkorbes einschränken, wie bei einem Mieder.
Link:

Zitat
http://de.wikipedia.org/wiki/Zwerchfell


Ich hoffe, es ist nun klarer geworden. Ohne Komik auszukommen scheint mir echt nicht einfach. - mcberry

zuletzt bearbeitet 26.09.2011 20:40 | nach oben

#4

RE: angeschmiert

in Gesellschaft 24.09.2011 19:00
von Salome | 140 Beiträge | 140 Punkte



hi mcberry,

ich will mich auch deines werkes annehmen, nicht weil ich nett sein will, sondern weil ichs in vielerlei hinsicht als sehr interessant finde.
vor allem gefällt mir, wie du "alltagszwänge" in einer festen form , die sich eng am sonett orientiert, aber doch eigenwillig, nicht so ganz den üblichen "wegen" folgt, abbildest.

da gilt es zunächst zugeständnisse zu machen, kompromisse, die davon abhalten der eigentlichen "berufung" zu folgen.
gewohnheit, alltagstrott, müssen und sollen... lassen kaum luft und raum zur entfaltung.
zusätzlich werden einem noch allerlei lasten auferlegt, druckstellen, schmerz, tränen - die haut schält sich, wird dünner und empfindlicher... an so vieles muss man sich anpassen, so vieles wird einem (mittels daumenschrauben) abgepresst, da kann die selbstachtung, der glaube an was auch immer leicht auf der strecke bleiben...

ich las gerade in deiner antwort an rainek radar , dass du dir bewegung der bauchmuskulatur bei deinen leser_innen wünscht. ehrlich, auf die idee, wäre ich nie gekommen. auf mich machen deine verse einen ernüchterten, resignierten eindruck. wenn ichs mir jetzt ein bisserl länger anschau, kann ich in dem "angeschmiert" vielleicht doch einen anflug von galgenhumor erkennen.

zur umsetzung im detail ist mir ganz vieles aufgefallen, das ich dir hier auch gern wiedergeben möchte. du hasts in 4-hebigen jamben abgefasst (zu ein paar metrischen abweichungen komme ich gleich), strophenaufteilung und reimschema entsprechen dem sonett, ein bisschen besonders sind die reime in den terzetten, die mit wechselnden kadenzen in "au" (-aut und -auben) das zudrehen der daumenschrauben auch "lautlich" sehr gelungen wiedergeben.
auch im zweiten quartett laufen die verse schon nur noch in "a" (-aten und -ast) aus, während im ersten noch ein bisschen weichere töne durch "-eichen" zum "-art" für "stimmung" sorgen.

In "notwendig", "unmerklich" und "selbstachtung" brichst du mit der jambischen struktur, und da dein sonett so "durchgestylt" erscheint, kann ich nicht glauben, dass das zufällig geschah oder dir unabsichtlich "passierte". ich finde es in "notwendig" und "selbstachtung" auch stilistisch hervorragend gesetzt, um jeweils auch inhaltlich die brüche zu verdeutlichen, bei unmerklich bin ich nicht sicher, sollte das nicht tatsächlich unmerklich, unauffällig bleiben. könntest du dir vorstellen, statt dem Xxx betonten unmerklich auf ein "kaum merklich" zu schwenken? Wär das in deinem sinne sinnvoll, oder hab ich da was nicht ganz verstanden?

Zitat
durch seichten untergrund zu waten


hier kommt mir das "seicht" zum "waten" wiedersprüchlich vor. ich könnte mir da z.b. ein "durch den verschlammten Grund zu waten" sehr gut vorstellen. was meinst du?

ein bisschen gehen mir in dieser kurzen, knappen ausdrucksweise die satzzeichen ab (kommata, doppelpunkte, .., die strukturieren helfen) und ich bin neugierig, warum du dich dazu, sie wegzulassen, und zur konsequenten kleinschreibung entschieden hast. hat das besondere vorteile, die ich übersehen habe? willst du dadurch ein höhepunktsloses einerlei, alltagstrott ohne unterbrechung darstellen?

ich hoffe sehr, du empfindest meinen kommi jetzt nicht als gefühlloses zerpflücken, das dem genie des dichters nicht gerecht wird. ich lese halt gedichte immer mit dem herzen und dem hirn gleichzeitig und versuche die zusammenhänge von form und inhalt zu erfassen und freue mich daran, wenn sie, wie in diesem falls so schön hand in hand gehen und einander zuarbeiten.

liebe grüße, salome


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#5

RE: angeschmiert

in Gesellschaft 24.09.2011 21:58
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Hallo Salome,

eine so eingehende Analyse scheint mir fast zu viel der Ehre. Beim Renovieren ist mein Daumen in den Türspalt abgerutscht (nicht schlimm) und die schlechte Laune wurde in der eingetretenen Streichpause lyrisch bewältigt.
Zum Inhalt:
Die Verse sollten nicht lustig sein, sondern in die Magengrube gehen. Allerdings kamen mir bei den vielen gereimten Auas leise Zweifel, ob das nicht anfängt komisch zu wirken. - Auch deine Auffassung in Sachen Dramatisierung von Alltagszwängen entspricht genau der Intention.

Zur Form: Der Autor kippt aus den Filzpantoffeln.
Bis auf das Wort Selbstachtung ( X X x) rutschen die Zeilen für mich metrisch glatt. Dialekt? Wäre möglich.
Ernsthaft: unmerklich (x X x), ebenso notwendig (x X x) betone ich auf der zweiten Silbe. Den mißlichen Notzustand durch einen metrischen Bruch zu untermalen, ginge ja noch. Aber S2Z2 muß anders, ohne Frage.

Die Interpunktion macht mir Mühe. Deshalb entschied ich mich für Kleinschreibung mit ineinandergreifenden Sätzen als Stilmittel für einen Prozeß, der fast versehentlich beginnt und dann kein Ende findet.

Setzen wir die Anregungen mal um. Meine Lyrik nehme ich nicht so bierernst. Meistens liest es sich dann auch so. Ernsthaften Dank für den linguistischen Feinschliff. Des Hochdeutschen glaubte ich mächtig zu sein. HG - mcberry

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#6

.

in Gesellschaft 25.09.2011 22:57
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte

.

zuletzt bearbeitet 21.12.2021 20:27 | nach oben

#7

RE: angeschmiert

in Gesellschaft 26.09.2011 08:11
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Merci, Joame,

die Xung besänftigt letzte Zweifel in Richtung Metrik.

Nach Befragung mehrerer - nicht mit Dichtung befangener - Zeitgenossen darf ich aber versichern,
daß eine xXx Betonung für notwendig regional gebräuchlich scheint, bzw. beides geht.

Nach reiflicher Überlegung lasse ich den Holperstein stehen. Die rückblickende Frage, wieso hineingeraten
in den Sumpf, erlaubt eine nachträglich Sinngebung. Jeden Geschmack zu treffen war erklärtermaßen nicht
mein Ziel. Danke der Beschäftigung mit den schwerfälligen Zeilen. HG - mcberry

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#8

RE: angeschmiert

in Gesellschaft 26.09.2011 11:26
von Rubberduck | 558 Beiträge | 558 Punkte

Hallo mac,

angeschmiert, mit Butter lackiert.....

Dein Text ist knapp, kurz angebunden.

Er ist ungeduldig, er fordert.

Es kommt mir vor, als wenn jemand eine Rechnung zu begleichen hätte:
Ein notwendiges Übel, dem Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.

Oder ein Versprechen, das voreilig gegeben, nun gehalten werden muss.

Stocken musste ich bei deiner letzten Zeile:

Zitat
Selbstachtung schwindet mit dem Glauben.



Sie gibt viel Raum für Fragen.
Wieso stellt LI diese Behauptung auf? An was glaubt es denn, das seine Selbstachtung schwinden lässt? Ist der Glauben an sich gemeint, also Religiösität? Empfindet LI die Religion als Daumenschraube oder sind es die gesellschaftlichen Zwänge, die einen religiösen Status einnehmen? Wer legt uns Daumenschrauben an? Lassen wir uns welche anlegen – und wenn ja, können wir den Druck kontrollieren, der aufgebaut wird? Wer ihm erliegt, endet oft im Burn-out.

Lg,
rubber

zuletzt bearbeitet 26.09.2011 11:27 | nach oben

#9

RE: angeschmiert

in Gesellschaft 26.09.2011 14:13
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo mcberry,
"angeschmiert" zu werden gefällt keinem von uns.
Die Frage ist, was können wir dagegen tun, dass ständig
Zugeständnisse und Gewohnheiten uns ihre Knute aufzwingen.
Da kommen sicher Schlagworte wie "Austeigen oder innere Einkehr" auf, letztlich ist es doch nur wichtig aus dem Erkennen Kapital zu schlagen und selbst zum Handelnden zu werden.
Ein wenig würde ich mir, auch im Sinne des Sonetts (These, Antithese, Synthese) am Schluss eine kleine Wendung, einen Blick heraus aus dem Trübsal wünschen.
LG
Perry

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#10

RE: angeschmiert

in Gesellschaft 26.09.2011 21:16
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Hallo, liebes nachdenkliches Gummientchen,

an die Dinge, die wir im Alltag tun, sollten wir schon auch glauben, damit unsere Arbeit die Mühe wert ist.
Gezielt die Religion hatte ich zwar nicht im Sinn, der Text darf aber so gelesen werden. Zermürbt von Sorgen schwindet
wohl auch religiöser Eifer. In eine Sekte hinein zu geraten könnte einen ähnlichen Prozeß auslösen, oder?

Dieses wütende LI da oben hat noch kein Burn-Out, das wäre das Ende eines solchen Prozesses. Habe ich mal eine Geschichte drüber angefangen aber nicht zu Ende geschrieben, weil sie mir zu trostlos wurde. Kein Happy End in Sicht.

Ja Perry, das würde ich mir auch wünschen.

Eine saubere Synthese zur Beendigung einer solchen Dynamik macht sich auch dichterisch viel besser. Hier wurde nur beschrieben, keine Lösung angedacht. Nachgeliefert einige zur Wahl:

1) Es greift zum Hackebeil: Der Haumen ist ab. - Die blutige Version.
2) LI gesteht alles: Tut mir bitte nicht mehr weh! - Für Weicheier.
3) Geschieht ihm Recht: Im letzten Leben böses Karma gesammelt. - Neurotische Opferhaltung.
4) LI bittet um mehr davon, ist gerade zum Masochisten konvertiert... - unglaubwürdig, oder?
5) Ein Retter erscheint und befreit unser LI. - Für Rambo Fans akzeptabel.
6) Opfer spuckt Gift und Galle und brennt mit der Ehefrau des Peinigers durch. - Hysterische Version.

Ich glaube, die letzte gefällt mir am besten. Für ein weniger schlecht gelauntes und anderes Gedicht.
Dieses ist zweite Wahl meinetwegen, aber hin und wieder will ich die Sache ungesüßt. HG - mcberry

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