#1

Literatur aus der forensischen Psychiatrie um 1917

in Düsteres und Trübsinniges 26.01.2011 19:52
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Der nachfolgende Textbeitrag wurde in einer Anstalt der forensischen Pychiatrie 1917 in eine Krankenkladde in Heidelberg gefunden:

Vergeige den Schwanz und zähle die Bügel,
entsteige dem Herz mit dem Flattern am Grab,
den Säbel geb`frei dem Kaiser am Hügel,
Soldaten verlocke, der Vogel ein Raab.

Ach sprerre den Eingang, der Otter den Sumpf,
befrage die Zeichen, der Farbe den Klang,
dem Feld weise Lager, und säge den Stumpf,
erlasse die Sünden, dem Kriege sei Dank.

Verpuppe die Rechten, und ächte das Schwein,
und trage die Güte, zur Not sei ihr Gang,
zur Hilfe die Roten! Mit Lied und mit Klang!
Und nestle die Schwachen, als wären sie dein,
der Stern heiß dir Rußland, es klingt der Gesang,
benote Chirurgen, watt mutt dat mutt sein.

zuletzt bearbeitet 26.01.2011 22:25 | nach oben

#2

RE: Literatur aus der forensischen Psychiatrie um 1917

in Düsteres und Trübsinniges 26.01.2011 23:51
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Ja, dieser Text hat es in sich, lieber Otto.

Zweifellos beflügelte er Bleuler, Jaspers, Schneider und wie sie alle heißen zu ihren bahnbrechenden Synopsen über die Verirrungen menschlichen Geistes. Beherzte Worte gewähren uns bis heute tiefe Einblicke, triefende Erkenntnis und nichtsdestotrotz die unwiederlegbare Diskussionsgrundlage zur Betrachtung des Zeitgeistes.

Es mußte alles unbedingt mal gesagt werden. Ich steh`auf so`n Zeug. mcberry

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#3

RE: Literatur aus der forensischen Psychiatrie um 1917

in Düsteres und Trübsinniges 27.01.2011 07:00
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Ich habe mich über Deinen zustimmenden Kommentar gefreut.
Meine Onkel ,Karl und Otto, kamen in den letzten Kriegstagen 1918 bei einem Gasangriff ums Leben. Von Otto nahm ich mir meinen Nicknamen.

Liebe Grüße,

otto.

zuletzt bearbeitet 31.01.2011 07:53 | nach oben

#4

RE: Literatur aus der forensischen Psychiatrie um 1917

in Düsteres und Trübsinniges 31.01.2011 07:52
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Der Text sind die Auswürfe eines Traumatisierten des ersten Weltkrieges, die er auf ein Blatt ... schmiert, so als wäre es mit seinem Blut. Er erinnert, wie er mit Begeisterung für Gott und Vaterland in Reihe und Glied mit Sang und Klang in den Untergang marschiert. Beide Beine abgeschossen, liegt er im Feldlazarett, man hatte ihn nach einem Gasangriff aus dem Schützengraben gezogen, seine Gliedmaßen wurden amputiert.Dann, halb wahnsinnig, wird er nach dem Abheilen der fürchterlichen Verstümmelungen al Traumatiserter in die Psychiatrie eingewiesen. Er sinniert über den feigen Kaiser, sieht seine Zeit mit der russischen Revolution und der aufkommenden rechten politischen Strömung. Nicht fügen will er sich, ihm i s t gefügt.

Gottfried Benn, der große deutsche Lyriker, Arzt, schreibt über menschliche Kadaver, Fäkales in den Leichen, Zerfall, Desorientierung im Leben, er schreibt es mit kristalliner Schärfe, kühl, aus fachlicher Distanz. Eine unheimliche Berichterstattung menschlichen Leides, Zeugnisse gibt er her einer Gesellschaft im geistigen, seelischen Verfall, der Endauflösung, deren fürchterliche Nachgeburt bald heraustritt aus den Verbrechen des mörderischen Wahns des Antisemitismus, des Rassismus, des neuerlichen Krieges, der Menschenverfütterung an den Fronten, im KZ, bei der Vernichtung aller humanistischen Werte.

Ein individueller Zeitgeisttext eines Verstörten, der in seinem Labyrinth von seinem persönlichen Minotaurus alltäglich zerfressen wird.

Und es geht weiter im Heute, wieder und weiter Drill, Sterben und Qual in fremden Ländern, Zinksärge via Heimat,
Gorch Fock, Deutschland wieder im Krieg, Traumatisierte, wer steht ihnen bei?

Dies ein kleiner, hoffentlich aufhellender Kommentar, zu meinem Text.

Liebe Grüße, otto.

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#5

RE: Literatur aus der forensischen Psychiatrie um 1917

in Düsteres und Trübsinniges 31.01.2011 08:04
von Rubberduck | 558 Beiträge | 558 Punkte

Zitat
watt mutt dat mutt



Das ist ein Spruch hier aus dem Norden. Die Norddeutschen sind ja eh für ihre Sturheit bekannt. Einst haben die Dithmarscher den dänischen König nur mit Forken und Mistgabeln vertrieben, darauf ist man heute noch stolz.

Zitat
watt mutt dat mutt



Eine Lebensweisheit die von Generation zu Generation vererbt wird, wie auch die Kriege.
Mutt dat wirklich sien?

fragt Bärbel

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