#1

armer toter tod

in Diverse 23.06.2010 18:20
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

in des todes kühnsten träumen
riecht ihr nur das leben schäumen
seht ihr nur die tauben hören
und die atheisten schwören

einsam ist es kalt im hades
speichendrehn des lebensrades
läßt den sensenmann frohlocken
will an mutters busen hocken

inbesondre den barocken
schert er ab die ringellocken
böcke stößt er von den sockeln
tod bringt er selbst eitlen gockeln

nur sich selber mag er nicht
sterben wär des todes pflicht
er muss tot noch weiterleben
an dem sterben weiter weben

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#2

RE: armer toter tod

in Diverse 05.07.2010 14:04
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Hallo Hannes,
.............................. eine Runde herumpoltern muß wohl auch einmal drin sein. Wer ist ihr? Bin ich die auch, ja?
Aber um die Sache ernst zu nehmen, sind mir die Haupt - und die Tätigkeitswörter zu wirr aufeinander bezogen.
Bleibe ich mal bei der ersten Strophe:
Gevatter Tod träumt kühn. Das sagt uns, daß er schlafen kann und sogar dabei träumen. Da er in der Schlußzeile
auch noch weben muß, wird seine Konzeption anscheinend gerade überarbeitet. Da mache doch gerne mal mit.

Problematischer ist die "ihr" also wir oder wer Frage?
Rein grammatisch sind nicht ihr (oder wir) die Träumenden, sondern der Tod träumt von ihnen (uns). Andersherum gemeint?
Zum sprachlichen Ausdruck:
Synästhesie in Gedichten ist nicht so ganz mein Ding. Klar gibt es eine Vermischung von Sinnesqualitäten auch im umgangs-
sprachlichen Ausdruck, wie blaue Stunde, heller Ton, schrille Farben usw. Hier aber werden ungewöhnliche Kombinationen beschworen. Ihr (wir) riechen, wie das Leben schäumt (wenn der Tod von uns träumt). Nun ja, es reimt sich.

Vielleicht erspüren wir die Intensität des Lebens anders und neu, wenn wir gerade eine Vorahnung des Todes durchleben.
Aber das ist kein dramatisch intendiertes Gedicht oder? Sonst geriete es durch sprachliche Mängel in eine unfreiwillige Komik.

Ihr(wir) sehen die Tauben hören? Gemeint ist wohl eine Verhältnismäßigkeit: Taube (Menschen, nicht die Vögel) hören gar
nicht, und ebenso wenig erkennen die Sehenden dieses Gedichtes, denn sie sind seelenblind bzw. einer spirituellen Ebene
nicht aufgeschlossen. Nur so kann ich mir den Verweis auf die schwörenden Atheisten erklären.

Wäre es ein ernstes Gedicht, wären da noch Schwächen in der gedanklichen Konzeption: daß der Tod sich selbst nicht mag und eine Pflicht hätte, dem eigenen Programm zu entsprechen. Aber für eine lockere Volksdichtung, welche die Schüttelreime bereits nahelegen, geht das meiner Meinung nach voll in Ordnung.
Als Rheinländer bin ich kulturell auf Büttenreden eingestellt. Mir gefällt dergleichen. (Nur den Anfang täte ich richten.) LG mcberry

zuletzt bearbeitet 05.07.2010 14:06 | nach oben

#3

RE: armer toter tod

in Diverse 12.07.2010 16:32
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

Lieber mcberry,

Du hast richtig beschrieben, dass das Gedicht eher spassig gemeint ist. (Es ist im Rahmen eines Threads "Komische Lyrik" entstanden.) Die Ringellocken waren sogar mal Ringelsocken in einer früheren Version.

Die erste Strophe, was hab ich mir dabei nur gedacht? Unter "ihr" firmierte für mich die werte Leserschaft. Dass der Tod träumt und die Leserschaft auf magische Weise diese Träume nachempfinden kann, ist gedacht als Kunstgriff, um den Leser dichter in das dynamische Geschehen einzubinden. Ob das so eine gute Idee war, werde ich nochmal überdenken. Dass der Tod aber widersprüchlich und etwas verworren träumt, das sollten die verrückten Bilder deutlich machen. Dass man Schäumen riechen kann, ist für jeden Besucher einer Kläranlage oder eines brisenbeglückten Meeresstrandes, an dem sich tangbeladene Wellen brechen, nichts Außergewöhnliches. Dass gar das Leben schäumt, ist Symbol von Dynamik. Der Tod versteht es ja eigentlich nicht. Genausowenig, wie er versteht, dass er im Traum sehen kann, dass Taube hören und dass Atheisten schwören. Der Tod ist ein wenig zu logisch für solche lebendigen Gedankensprünge. Eine Möglichkeit für den Leser, es anders zu machen, sich einen Reim zu machen auf diese Absurditäten und über den dummen Tod zu schmunzeln. So ist es intendiert. Aber ich glaube, ich könnte davon noch lange schwadronieren, ohne sicher zu sein, dass ich Dich hier überzeugen kann. Ich will nur kurz bemerken, dass dieses Gedicht "eigentlich" aus dem Bauch geschrieben wurde. Und nach schnellen Änderungen an solchen Gedichten habe ich schließlich oft feststellen müssen, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gross ist, sie zu verschlimmbessern. Sieh es mir also bitte nach, dass ich mir hier mit Änderungen etwas zögerlich bin.

Die letzte Zeile mit dem Weben: Da geb ich dir recht, dass das zu den anderen Bildern nicht so ganz passt könnte.

Was hieltest Du von

an dem sterben bleibt er kleben

?

Auf jeden Fall danke ich Dir für die gedankenreiche Auseinandersetzung mit diesem Gedicht.

es grüßt

der.hannes

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#4

RE: armer toter tod

in Diverse 14.07.2010 01:08
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Nee, irgendwie nicht,

weil "weben" schicksalhaft aufgefaßt werden kann, webender Nornen wegen, und das Leichentuch unser letzes Kleid ist.

Lassen wir es dabei bewenden, daß ich die erste Strophe nicht wirklich verstehe. Außerdem sollten Kommentare nicht
versuchen, eine Dichtung auf den eigenen Verständnishorizont herunterzubrechen, und die Gefahr ist immer gegeben.

Nehmen wir es lieber, wie es aus dem Bauch kommt, und hoffen auf weitere konstruktive Eingebungen. LG mcberry

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