#1

Tschernobyls Weiden

in Gesellschaft 27.04.2010 07:23
von gheggrun | 377 Beiträge | 377 Punkte

Auf Tschernobyls Weiden die Blüten austreiben,
da niemand vernichtet die zahlreiche Saat.
Die Menschen ihr Kraftwerk hier dauerhaft meiden.

Weil schuldlos Bestrafte tagtäglich schwer leiden
durch Nukleoide von innen verstrahlt,
auf Tschernobyls Weiden die Blüten austreiben.

Aus Tschernobyls Böden die Früchte aufkeimen
als Folge der schlampig-wahnwitzigen Tat.
Die Menschen ihr Kraftwerk hier dauerhaft meiden.

Beton und viel Baustahl bemäntelnd verkleiden
den Herd des Grundübels im rissigen Sarg.
Auf Tschernobyls Weiden die Blüten austreiben.

Die Namen der Helden doch namenlos bleiben.
Zu groß ist die Zahl auf dem Denkmal des Staats.
Die Menschen ihr Kraftwerk hier dauerhaft meiden.

Bestohlen, der Glücks-chance beraubt sind die Kleinen.
Wer wird noch geboren, mit Erbgut bezahlt.
Die Menschen ihr Kraftwerk hier dauerhaft meiden.
Auf Tschernobyls Weiden die Blüten austreiben.


Hastanirwana
GHEG
zuletzt bearbeitet 01.05.2010 08:08 | nach oben

#2

RE: Tschernobyls Weiden

in Gesellschaft 27.04.2010 19:32
von Rainek Radar | 360 Beiträge | 360 Punkte

hallo gheggrun;

was mir hier als erstes und am markantesten ins auge sticht, sind die grammatikalischen verdrehungen, die sich konstant durch den ganzen text ziehen:

wie etwa:

Auf Tschernobyls Weiden die Blüten austreiben

klar hast du so einen binnenreim, aber die frage ist ob es das wirklich wert war, die verdrehungen lenken nämlich erheblich vom inhalt ab;

auch wiederholungen wie:

von Nukleoiden von innen verstrahlt
Die Namen der Helden doch namenlos bleiben

und ein übergewicht an adjektiven wie:

als Folge der schlampig, wahnwitzigen Tat
(hier ist übrigens der beistrich falsch oder ein -en zu wenig)

tragen mmn nicht zur besserung des textes bei;

mfg rainek

zuletzt bearbeitet 27.04.2010 19:34 | nach oben

#3

RE: Tschernobyls Weiden

in Gesellschaft 27.04.2010 22:47
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

hallo gheggrun,

also irgend etwas haben deine zeilen an sich.
auf handwerkliche mängel ist rainek schon eingegangen. allein, da gibt es noch andere aspekte.

die form, zumal mit diesen wiederholungen, erinnert an eine mittelalterliche moritat. die kommt
nie ganz aus der mode. straßentheater und bänkelsänger nehmen sie wieder auf.
ist der stoff dieser verarbeitungsform angemessen? warum eigentlich nicht....

ein problem hatte ich beim lesen mit der schaurigen "tat", weil es die so nicht gab, oder? gewollt
war die katastrophe nicht und reagiert wurde eher zuwenig und zu spät.

besonders schön ist der erste und letzte vers mit den austreibenden blüten: herrlich vieldeutig.

tatsächlich ist der aktuelle und gut dokumentierte stand der dinge im naturschutzpark tschernobyl
wirklich denkwürdig. in abwesenheit der menschen scheint sich die natur bestens zu erholen. als
ob der wald sagen wollte: mit der strahlung können wir leben, nur mit euch ging es nicht. auch in
diesem sinne treiben tatsächlich die blüten aus. natürlich fehlen noch langzeitstudien. lg mcberry

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#4

RE: Tschernobyls Weiden

in Gesellschaft 01.05.2010 08:03
von gheggrun | 377 Beiträge | 377 Punkte

Hallihallo, Rainek Radar und mcberry!
Leider war ich verhindert, gleich zu antworten.
Aber zuerst danke ich für die Kommentierungen.
Ja, "Tschernobyls Weiden" hat die Form eines
altertümlichen (-tümelnden) Liedes. Lieder kom-
men selten ohne Wiederholungen aus. In diesem
Fall sind sie sogar der Form wegen vorgeschieben.
Rainek Radar, du monierst die "Verdrehungen"
sicherlich mit einiger, moderner Berechtigung.
In den slawischen Sprachen (U kraine=Land am
Ende, im Randgebiet) ist die Regel "Subjekt-Verb-
Objekt" aber kein "Muß" und war es auch im
duetschsprachigen Raum m.E. nicht immer.
Bei slawischen Sprachen verstehen wir leicht
zuerst "Der Postbote biß den Hund.", wenn man
nicht genau auf die Fälle achtet.
Ich danke für den Hinweis, den Beistrich betreffend
und das Doppel-"von" in S2Z2.
S3Z2 "als Folge der schlampig-wahnwitzigen Tat":
Die "Tat" bestand darin, den Primärkühlkreislauf
einer Überprüfung des Notstromsystems wegen
einfach abzuschalten, wodurch es zur Kernschmelze
kam. Das war mindestens "schlampig".
"wahnwitzig" bezieht sich aber auch auf den allg.
Wahn der technischen Machbarkeit. Bezüglich der
Atomtechnologie im Großmaßstab ist der, bei etwas
Galgenhumor, n.m.M.ein Witz.
25.000 Tote, direkt Verstorbene, auf einer Liste
bleiben, obwohl auf ihr namentlich aufgeführt,
letztlich namenlos. Wer könnte sie einzeln erinnern?

Für die Anregungen dankt


Hastanirwana
GHEG
zuletzt bearbeitet 01.05.2010 08:04 | nach oben

#5

RE: Tschernobyls Weiden

in Gesellschaft 06.05.2010 22:37
von der.hannes | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte

Hallo gheggrun,

eine Villanelle mit einem kleinen Schlussdreh ... es scheint eine Villanellen-Renaissance auszubrechen.

Du meinst nicht vielleicht Nukleide? Nukleoide sind doch die Zellpartikeln, die strahlen doch eigentlich nicht von selbst.
Die Verdrehung des Satzbaus als Bild einer verdrehten Welt, so lese ich Deine eigenwilligen Formulierungen.

ciao

der.hannes

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#6

RE: Tschernobyls Weiden

in Gesellschaft 07.05.2010 20:36
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Zitat
durch Nukleoide von innen verstrahlt,



Die Nucleoide enthalten neben Protein und RNS eine Chromosom homologe DNS Struktur:
Kernvakuolen. Ob sie nach Bestrahlung von außen dann von innen verstrahlt sind, ja das
ist wahrscheinlich physikalisch korrekt.

Dieses "durch" im Sinne einer hindurch gehenden radioaktiven Strahlung, als dichterische
Freiheit vllt akzeptabel. Einerseits sind wir keine Kernphysiker, andererseits sollten gerade
gesellschaftskritische Texte nicht mit offensichtlichen Unstimmigkeiten die Abwertung ihrer
Aussagen erleichtern. Aber dergleichen konnte ich hier auch nicht entdecken. LG mcberry

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