#1

Steh auf!

in Düsteres und Trübsinniges 07.01.2010 17:58
von Maya (gelöscht)
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Steh auf!

Der Tag klopft an dein Bett. Du wirst geboren,
erblickst mich und ich sag dir, wer ich bin.
Mit müden Augen stierst du vor dich hin,
erblickst mich und dann fragst du, wer ich bin.

Nochmal Vers 1: Du wurdest neu geboren;
zum zweiten: Und ich sagte, wer ich bin.
Erkennst du das? Du gibst den Zeilen Sinn.
Raus aus dem Bett. Ich geb dich nicht verloren.

Kalendertage werden neu geboren,
real wie du und was wir heut erleben.
Auch das hat Wert, vergiss doch mal dein Streben

nach alter Zeit. Die ist vorbei, vergessen und vergraben,
kapiere und genieße doch, dass wir einander haben.
Tag X und ich erwarten dich - und X, das steht für Leben.

zuletzt bearbeitet 11.01.2010 04:46 | nach oben

#2

RE: Steh auf!

in Düsteres und Trübsinniges 07.01.2010 22:05
von Ivana Ivano | 73 Beiträge | 73 Punkte

@ Maya

Die Betonung, da zwei Mal auf >Du wirst geboren und ich sag dir, wr ich bin,< hingezeigt wird,
wird nicht grundlos sein. Ich überlege noch, weil >Mit deinen Augen stierst du vor dich hin<
ebenso einen Sinn haben wird. Interessant und gibt mir zu denken: Erkennst du das? Du gibst den Zeilen Sinn.

Ich muss noch mehr überlegen. Zu entnehmen ist die Aufforderung und auch der Trost (s.Zeile 11,13).
Das Gedicht wirkt gut und interessant. Was nützt es mir, wenn ich denn Sinn nicht, noch nicht durchblickt habe.
Die Stelle, der Tag klopft an dein Bett, muss ich überlegen, kann auch rüttelt verwendet werden, der Tag steht vor dem Bett?
Tschüs
Ivana

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#3

RE: Steh auf!

in Düsteres und Trübsinniges 07.01.2010 22:17
von Gedichtbandage • Mitglied | 531 Beiträge | 525 Punkte

Zitat von Maya
Steh auf!

Der Tag klopft an dein Bett. Du wirst geboren,
erblickst mich und ich sag dir, wer ich bin.
Mit deinen Augen stierst du vor dich hin,
erblickst mich und dann fragst du, wer ich bin.

Nochmal Vers 1: Du wurdest neu geboren;
zum zweiten: Und ich sagte, wer ich bin.
Erkennst du das? Du gibst den Zeilen Sinn.
Raus aus dem Bett. Ich geb dich nicht verloren.

Kalendertage werden neu geboren,
real wie du und was wir heut erleben.
Auch das hat Wert, vergiss doch mal dein Streben

nach alter Zeit. Die ist vorbei, vergessen und vergraben,
kapiere und genieße doch, dass wir einander haben.
Tag X und ich erwarten dich - und X, das steht für Leben.



Hallo Maya,


feinfühlig und gelungen, trotz Kampfansage oder gerade darum.

Demenz, Alzheimer... meinetwegen auch ganz anders interpretierbar, weil zuerst anders gelesen... aber so ist es plausibler ;-) - für mich.

Gern gelesen, gefällt mir, um der Ebenen, die keine sind... uneben eben.


Lieber Gruß,
Gb.


_________________________________________________________
>> Du verdammter Sadist:
Du versuchst deine Leser zum Denken zu zwingen.<< - E. E. Cummings zu Ezra Pound
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#4

RE: Steh auf!

in Düsteres und Trübsinniges 08.01.2010 05:08
von Maya (gelöscht)
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Hallo Ihr Beiden,

danke für Euer Feedback.

Je nach Schweregrad werden Demenzkranke quasi täglich neu geboren, denn Vieles ist für sie eben nicht mehr greifbar, weil ihr Gedächtnis aussetzt. Das ist auch der Grund für die ganzen Wiederholungen im Gedicht, denn das lyrische Ich liest dem Patienten diesen Text vor. Jedenfalls war es so von mir intendiert. Hat man mit Demenzkranken zu tun, dreht man sich sozusagen im Kreis; er fragt, du antwortest, kurz darauf stellt er exakt dieselbe Frage und du antwortest wieder. Anfangs ist es für Demenzkranke besonders schwer, also wenn sie sich (noch) darüber bewusst sind, dass ihr Gedächtnis versagt. Sie machen sich dann oftmals Vorwürfe und verlieren teilweise den Lebensmut. Und davon und der "Kampfansage" seitens des lyrI ist im Gedicht die Rede. Es freut mich, dass zumindest Gedichtbandage erkannt hat, worum sich der Text dreht und dass Ihr die Zeilen interessant bis gelungen fandet.

Liebe Grüße
Maya

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#5

RE: Steh auf!

in Düsteres und Trübsinniges 08.01.2010 15:34
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte

Guten Tag, Maya!

Ein Thema, das Gänsehaut hervorruft, von dem immer mehr Menschen betroffen sind. Sehr gut interpretiert. Die Stelle 'Nochmals Vers1' hätte ich nicht so geschrieben.
Überhaupt hätte mir der Mut und auch der Wille gefehlt, dieses Thema anzufassen, wer nämlich damit zu tun hat oder hatte, weiß welch Horror es ist und den in Mitleidenschaft Gezogenen das Letzte abverlangt; eine unheimliche psychische Belastung. Dir gelang es, es so gut zu machen, daß ich mit Schaudern schnell verdrängen will.

Gruß!
Joame

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#6

RE: Steh auf!

in Düsteres und Trübsinniges 08.01.2010 18:59
von Maya (gelöscht)
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Hallo Joame,

das ist wie Balsam auf meine geschundene Seele. :D Aber das wirst du jetzt nicht verstehen können. Danke für deine Worte.

Grüße
Maya

zuletzt bearbeitet 08.01.2010 19:59 | nach oben

#7

RE: Steh auf!

in Düsteres und Trübsinniges 09.01.2010 11:16
von oliver64 • Mitglied | 352 Beiträge | 352 Punkte

Hallo Maya,

mir war, als habe Gott zu mir gesprochen.

Ich habe den Text überhaupt nicht als Text über Demenz- oder sonstwie Kranke gelesen, weil ich auch gar nicht auf die Rubrik achtete. Ich fühlte mich selbstverständlich direkt angesprochen, schließlich tat es der Autor ja auch. Und ich fühlte mich auch angesprochen, die Wiederholung in den Quartetten ist ebenso ungewöhnlich, wie eindringlich und die Auflösung in den Terzetten ist optimistisch und lebensbejahend. Es bleibt offen, ob der Angesprochene folgt, aber die Möglichkeit ist in diesem Gedicht immerhin da. Bei Alzheimer und Ähnlichem wohl eher nicht, weshalb ich den Text als verfehlt ansähe, wertete ich ihn für mich als einen solchen. Tu ich aber nicht und daher gefällt mir lediglich V3 nicht: Mit wessen Augen sollte ich sonst stieren?

Ich habe das gerne gelesen, empfand es als anders, aber nicht zu sehr. Kräftig, aber nicht mutwillig. Sehr gelungene Verarbeitung des Carpe-diem-Motivs, findet

Mattes





Gedichte und Kommentare in allerbester Absicht

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#8

RE: Steh auf!

in Düsteres und Trübsinniges 09.01.2010 11:26
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte

Hallo Maya

Ich musste beim Titel zuerst an ein Fussballlied denken. Sorry ...

Okay. Es wurde schon viel gesagt, ich schliesse mich dem gerne an. Mir sagt der Text auch zu. Ich möchte aber nicht unerwähnt lassen, dass dir das Akrostichon - für meinen Geschmack - fast perfekt gelungen ist. Ausser dem 'kapiert'. Das passt mE nicht in die gewählte Sprache. Und ich stimme auch Joame bei. Ein schwieriges Thema, das das Risiko birgt, melodramatisch zu werden. Ich habe mich mal an einer KG diesbezüglich versucht und musste leider einsehen, dass Nicolas Sparks das weitaus besser verarbeiten konnte. *g

Gruss
Margot


Die Frau in Rot

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#9

RE: Steh auf!

in Düsteres und Trübsinniges 09.01.2010 13:07
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

Zitat von Maya
Steh auf!

Der Tag klopft an dein Bett. Du wirst geboren,
erblickst mich und ich sag dir, wer ich bin.
Mit deinen Augen stierst du vor dich hin,
erblickst mich und dann fragst du, wer ich bin.

Nochmal Vers 1: Du wurdest neu geboren;
zum zweiten: Und ich sagte, wer ich bin.
Erkennst du das? Du gibst den Zeilen Sinn.
Raus aus dem Bett. Ich geb dich nicht verloren.

Kalendertage werden neu geboren,
real wie du und was wir heut erleben.
Auch das hat Wert, vergiss doch mal dein Streben

nach alter Zeit. Die ist vorbei, vergessen und vergraben,
kapiere und genieße doch, dass wir einander haben.
Tag X und ich erwarten dich - und X, das steht für Leben.

hallo Maya

wie Mattes empfand ich auch die Augenzeile (3. Zeile) als optimierungswürdig.

anstatt "deine Augen" würde ich ein Adjektiv wie "leere Augen" oder etwas ähnliches vorschlagen. in "Der seltsame Fall des Benjamin Button" gibt es eine starke Szene, da hat der Regisseur (David Fincher) diesen Augenausdruck vortrefflich eingefangen. ein Greis im Körper eines Jungen sitzt dabei am Klavier und spricht mit solch leeren Augen und trauriger Synchronstimme den Satz (aus dem Gedächtnis zitiert):

mir ist als hätte ich ein ganzes Leben hinter mir, kann mich aber nicht erinnern.

Gruß
Alcedo


e-Gut
zuletzt bearbeitet 09.01.2010 13:08 | nach oben

#10

RE: Steh auf!

in Düsteres und Trübsinniges 09.01.2010 15:10
von Gedichtbandage • Mitglied | 531 Beiträge | 525 Punkte

Nur keine leeren Augen, BITTE! -

Das würde genau zu diesem adjektiv geladenen melodramatischen Unterton führen. Es würde wertend. Bewertend.
Was ich diesem Gedicht hoch anrechne ist das Herausbrechen aus Diesem, dem sich stellen, die Herausforderung, die Annahme und das Weitergeben.
Der Mut der dazu gehört.
Der ist darin, ohne in Phrasen und zuviel Kopflast zu verfallen, einfach das Tun. Das trotzdem Weitermachen.

Was das lyrische Ich denkt, wenn es allein ist, sei dahin gestellt. Das wäre ein anderes Gedicht.

Liebe Grüße in die Runde,
Gb.


_________________________________________________________
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#11

RE: Steh auf!

in Düsteres und Trübsinniges 10.01.2010 12:53
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

du hast recht, GB, Adjektive wie "leer" oder "stumpf" sind hier nicht das Gelbe vom Ei.

der Feldkamp-Karl benutzt trefflich ein besseres Wort in einem seiner zuletzt eingestellten Gedichte: Milchglasaugen
-> nochwedernoch

Mit Milchglasaugen stierst du vor dich hin,

ja, wäre schön. schöner. und reine Beschreibung.
mal sehen wie Maya das findet, und ob sie womöglich sogar was besseres parat hat.

Grüße
Alcedo


e-Gut
zuletzt bearbeitet 10.01.2010 12:54 | nach oben

#12

RE: Steh auf!

in Düsteres und Trübsinniges 10.01.2010 13:06
von Maya (gelöscht)
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Hallo Mattes, Margot, Alcedo und Gedichtbandage,

erst einmal vielen Dank für Eure Kommentare.

Dass der Text noch etwas Interpretationsspielraum offen lässt, was du mit deiner aufgezeigten Lesart ja unter Beweis gestellt hast, Mattes, freut mich sehr und natürlich auch, dass Ihr mit dem Gedicht etwas anfangen konntet bzw. es für gelungen haltet.

Und ja, bezüglich der Z3 habt Ihr Recht. Kurzzeitig überlegte ich auch, "deine" Augen mit "großen" zu ersetzen, was aber eigentlich gar nicht zutrifft und eher an neugierige Kinderaugen denken lässt. Aber wer "stiert" schon neugierig? Bei Neugierde wirken die Augen interessiert, lebendig und suchend. Und "starre" oder "leere" Augen möchte ich tatsächlich aus dem Grund vermeiden, den Gedichtbandage nannte: Es klänge mir zu negativ, zu (ab)wertend und tot. Eine Alternative, die ich mir jetzt überlegt habe, ist: "mit müden Augen", denn das ist schön zweideutig und lässt sich sowohl auf das Schlafen als auch auf das vorangeschrittene Alter beziehen. Der Vorteil: Müdigkeit lässt sich vertreiben - das lyrI klingt also nicht so, als hätte es den Kranken aufgegeben.

Zitat von oliver64
Es bleibt offen, ob der Angesprochene folgt, aber die Möglichkeit ist in diesem Gedicht immerhin da. Bei Alzheimer und Ähnlichem wohl eher nicht, weshalb ich den Text als verfehlt ansähe, wertete ich ihn für mich als einen solchen.



Das möchte ich zum Anlass nehmen und etwas weiter ausholen, ohne mich direkt auf Mattes zu beziehen, weil ich seine grundsätzliche Einstellung dazu ja gar nicht kenne. Es gibt viele Leute - und das kann ich auch irgendwie nachvollziehen - die gar keinen Sinn darin sehen würden, Demenz- bzw. Alzheimererkrankten zum Beispiel ein Gedicht vorzulesen, weil sie es kurze Zeit später meist sowieso schon wieder vergessen haben oder gar nicht darauf reagieren, weil sie dem Inhalt nicht folgen können. Wozu sollte man sich also die "Mühe" machen, ausgerechnet einem Dementen ein Gedicht zu schreiben oder vorzulesen?

Viele Erkrankte haben ja auch klare Momente, was oftmals vergessen wird. Sie sind dann in der Lage, dir für kurze Zeit zu folgen und zu verstehen, können Anteil nehmen und Freude empfinden bzw. animiert werden. Und wenn sie, weil man mit ihnen Späßle treibt oder ihnen etwas vorliest, lachen, dann wirkt dieses Lachen auch noch nach, wenn sie den Grund dafür längst schon wieder vergessen haben. Diese positive Grundstimmung verbleibt ihnen aber trotzdem, weil durch Freude und Lachen ja der Hormonhaushalt verändert, Botenstoffe ausgeschüttet und das Nervensystem positiv beeinflusst wird. Der Patient fühlt sich also wohl, auch wenn er gar nicht mehr weiß, warum.

Und die Erkrankten bekommen in diesen wachen Momenten auch ganz genau mit, ob du sie für verblödet hältst, quasi "abgestempelt" und aufgegeben hast oder sie respektvoll behandelst - sie also einfach so nimmst, wie sie sind und das Beste daraus machst.

Daher lohnt es sich in meinen Augen immer wieder, zu kämpfen; ein schöner Tag mit etwas Lachen ist doch toll, auch wenn das manchmal halt nicht zu realisieren ist, weil einem die Krankheit einen Strich durch die Rechnung macht und der Demente auf diese Bemühungen nicht anspringt. Aber egal: Dann versucht man es halt in ein paar Tagen wieder. So denke ich, während das für andere oft vergebene Liebesmüh ist, weil in ihren Augen eben kein ausreichender bzw. langfristiger Erfolg erzielt wird. Aber wie gesagt, auch das kann ich verstehen.

Ja, Margot, der Titel ist wirklich einfach gehalten und daher auch wieder irgendwie passend zum Gedicht. Aber für Überschriften hatte ich sowieso noch nie ein Händchen.

Und mit dem "kapiert" triffst du natürlich auch voll ins Schwarze. Mir fiel aber bis jetzt noch keine Alternative dazu ein.

Liebe Grüße an Euch
Maya

zuletzt bearbeitet 10.01.2010 13:08 | nach oben


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