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Idylle - Vorgeschichte eines Romans über Hexenschüsse
Idylle - Vorgeschichte eines Romans über Hexenschüsse
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 10.10.2009 23:18von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Idylle - Vorgeschichte eines Romans über Hexenschüsse
Jemanden umzubringen ist ja so eine Sache. Abgesehen davon, dass ich mich - wenn überhaupt - lediglich in solchen Momenten dafür in der passenden Stimmung befände, in denen ich von der Konzentration her überhaupt nicht in der Lage wäre, einen solchen Akt vernünftig zu planen, ist Umbringen ja zunächst mal verboten. Aber was heißt heutzutage schon verboten. Vor 40 Jahren bedeutete das noch, Pass auf, sonst bist du dran. Vor ca. 20 Jahren hatte es sich mittlerweile in ein Du darfst dich halt nicht erwischen lassen gewandelt. Und heute, würde ich sagen, schwimmt es nur noch als nahezu leere Nussschale auf unserem schwappenden Gesellschaftskörper und enthält einen kleinen Notizzettel auf dem gekritzelt steht Das Gegenteil von ‚erlaubt’. Und erlaubt ist ja bekanntlich was gefällt. Demnach ist verboten nur noch das, was einem nicht gefällt, und das will man ja sowieso nicht haben.
Wenn ich auf jemanden so richtig sauer bin, kann mir die Idee, dem mit Wucht einen Backstein in sein hämisches Grinsen zu rammen oder ihn aus einem hochgelegenen Gebäudefenster zu stoßen, schon gefallen. Bei der letzten Variante würde mit meinem Blick gerne dem im Fallwind flatternden Körper bis zu seinem Aufschlag auf einem möglichst soliden Untergrund folgen und das entstehende Geräusch mit milder Genugtuung zur Kenntnis nehmen.
Ungünstigerweise wohne ich Parterre und habe es schlimm im Kreuz, weswegen mich beim Schupsen der Person oder schon beim Aufheben des schweren Backsteins möglicherweise ein Hexenschuss oder Bandscheibenvorfall ereilen würde. Töten aus dem Affekt heraus erfordert in der Regel ein Mindestmaß an körperlicher Anstrengung, und ich bin halt nicht mehr der Jüngste. Somit bliebe mir nur ein geplanter heimtückischer Mord, und ich bilde mir ein, dafür nicht der Typ zu sein, schon wegen des konzeptionellen Aufwands, aber auch aufgrund meiner moralischen Prägung.
Also doch der Backstein, allerdings auf Greifhöhe aus dem bequemen Stand. Spitze Kannten sollte er haben, dann müsste er auch nicht so schwer sein, um effektiv zu wirken. Eine ordentliche Portion Wut im Bauch und deren Verursacher keinen Meter weit entfernt vor mir stehend, am besten mit dem bereits erwähnten Grinsen. Das wäre ein praktikables Szenario.
Genuss bereiten im sexuellen Sinne würde mir diese spontane Tat gewiss nicht. Da wäre kein orgasmisches Gefühl oder etwas Vergleichbares mit im Spiel. Es käme eher der Erleichterung auf dem Örtchen nahe oder dem mildernden Kratzen eines Mückenstichs.
Mücken habe ich schon viele ermordet, früher als ich noch jung war. Das war zum einen nicht verboten und konnte zum anderen durchaus befriedigend sein, da es mit einem kleinen bisschen Fantasie dem Gefühl nahe kam, ein Unglück abgewendet zu haben, nämlich den juckenden Mückenstich. Aber nicht nur das. Es erzeugte auch ein Quäntchen mehr Ruhe auf dieser hektischen Welt.
Eine ansonsten rastlos umher schwirrende und Menschen wie mich zum Herumfuchteln zwingende Mücke schwieg plötzlich für immer. Idylle ohne Mücke ist ein friedvolleres Bild als eines mit dem Titel Aufruhr durch Mücke.
Morden für den Frieden ist ja auch keine besonders neue Idee. Sie ist so alt, wie das Morden selbst. Denn letztlich meint es doch jeder nur gut, auch der Mörder. So sind die Menschen.
Jedes Mal wenn ich an das Wort Macht denke, kriege ich Hunger. Vielleicht weil es auf Dauer den Mund so austrocknet, wenn man es ausspricht, oder weil es mir meine eigene Machtlosigkeit vergegenwärtigt und die Machtlosen dieser Welt so häufig hungern und mich augenblicklich die Angst befällt, von dieser Stufe der Machtlosigkeit nicht mehr allzu weit entfernt zu sein. Nicht ausschließen möchte ich, dass es mich einfach auch nur an früher erinnert, in der wir, ich und meine Geschwister, wirklich wenig zu beißen hatten. Das war zur Zeit der Berlinblockade und wir mussten Brennnesselspinat essen. Mag sein, dass Brennnesselspinat heute als Delikatesse gilt, ich konnte das Zeug noch nie leiden.
Damals habe ich gelernt, wie laut mein Magen wirklich knurren kann. Ich fühlte mich permanent wie eine abgemagerte Ausgabe dieser Teddybären, die brummen, wenn man sie auf den Rücken legt, und das ist auf Dauer kein schönes Gefühl. Seit damals habe ich dieses Gefühl erfolgreich vermieden, und dennoch, obwohl mein Magen nicht mehr vor Hunger knurrt, habe ich es nicht vermeiden können, dem Teddybären immer ähnlicher zu werden. Ich trage eine stolze Wampe vor mir her, und wenn ich mich abends auf den Rücken lege, ertönt schon bald ein brummendes Schnarchen. Zumindest haben meine Exfrau und sogar meine Nachbarn sich schon mehrfach darüber beschwert. Es scheint besonders laut und von unangenehmer Durchdringlichkeit zu sein. Daher wäre es vielleicht ganz gut, wenn ich jetzt nichts äße. Allerdings ist das auf Dauer ja auch keine Lösung, und ich könnte jetzt wirklich einen Happen vertragen.
Also erhebe ich mich von meinem Schreibarbeitsplatz, gehe in die Küche und werfe einen Blick in den nahezu leeren Kühlschrank. Da ist nicht viel zu holen. Butter könnte ich essen, wenn ich wollte. Irgendwo in der Küche liegt doch bestimmt noch Knäckebrot. Ich mache mich auf die Suche.
Ich bin nun seit zwei Monaten im Ruhestand, habe alle Zeit der Welt, um einkaufen zu gehen und tue es trotzdem nicht. Mir fehlt nicht die Arbeit selbst, aber der Weg dort hin und wieder zurück, sowohl die Bewegung als auch die Einkaufsmöglichkeit. Ich brauche neue Gewohnheiten. Die alten habe ich zwangsweise abgelegt, mir aber noch keine neuen angeeignet. Ein Hobby wäre vielleicht nicht schlecht. Da kommt mir prompt wieder das Töten in den Sinn. Nicht dass es mich unentwegt danach verlangen würde, jemanden zu töten, oder ich das auch nur zuvor jemals ernsthaft in Betracht gezogen hätte. Auch der erwähnte Aspekt des Verbotes interessiert mich dabei nur am Rande. Über diesen ist bereits vieles überdacht, formuliert und niedergelegt in Gesetzbüchern, Zeitungen oder Glaubensschriften. Nein, mir geht es um den reinen Erfahrungsaspekt. Denn wenn ein Schriftsteller halbwegs glaubhaft über das Töten erzählen möchte, zum Beispiel in einem Krimi, einem Thriller oder einem Abenteuerroman, dann kann er entweder halbgar bei seinen Autorenkollegen abschreiben oder sich aus seinem Geist etwas halbwegs Nachvollziehbares zusammen fantasieren, für das er von jedem, der mit der realen Praxis des Todes zu tun hat, mit Sicherheit ausgelacht würde. Oder man schöpft aus entsprechenden eigenen Erfahrungen, und das möchte ich tun. Ich will die lächerlichen Hirngespinste meiner geistreichen Kollegen verlachen können, weil ich es besser weiß als sie, weil ich erlebt habe, wie es ist, dem Tod ins Auge zu sehen - möglichst dem eines Fremden und nicht meinem eigenen. Vorsprung durch Wissen. Nur so habe ich eine Chance, mich als Autor gegenüber anderen zu behaupten, die weitaus länger als ich schreiben. Denn ich bin schon 65 und fange gerade erst mit dem Schreiben an.
Ah, da ist ja das Knäckebrot. Mist! Die Motten sind drin. Also ab in den Müll damit. Es muss sich dringend etwas ändern in meinem Leben. Vor meiner Nase an der Wand über meinem Küchenmülleimer sitzt eine blöde Motte. Ich wette, jemand, der sich mit Mottenmimik auskennte, würde mir bestätigen, dass mich das Biest gerade hämisch angrinst. Aber warum tut es das? Weil es genau weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ich es mit einem Schlag meiner flachen Hand erledige, aufgrund meiner Langsamkeit und ihrer Schnelligkeit, relativ gering ist, und dass auf der anderen Seite die Wahrscheinlichkeit recht hoch ist, dass ich mir beim Versuch, sie dennoch zu erschlagen, den Rücken ausrenke oder mir anderweitig Verletzungen zufüge. Aber habe ich denn eine Alternative? In meinem Alter darf man nicht wählerisch sein. Immerhin, Erfahrung ist Erfahrung.
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in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 11.10.2009 12:09von Joame Plebis • | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
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