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Die Radkappe (Kappus radialis kuller) [Prosa des Zeitraums April-August 2009]
Die Radkappe (Kappus radialis kuller) [Prosa des Zeitraums April-August 2009]
in Ausgezeichnete Prosa 27.08.2009 22:17von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Die Radkappe (Kappus radialis kuller)
Die gemeine Radkappe, Kappus radialis kuller, ist eine der urtümlichsten Lebensformen unseres Planeten. Offensichtlich stammt sie von urzeitlichen Quallen ab. Die Nesselzellen sind samt Fangarmen freilich mit der Zeit verkümmert, aber die verbliebenen Fortsätze an den flachen, perfekt abgerundeten Rümpfen, welche in konkaver Form dahinrotieren, weisen rundläufig zur auffälligen Verwandtschaft hin. Mittels umfangreichen DNS-Analysen ist es den Wissenschaftlern unlängst gelungen den Urahn aller Radkappen zu extrapolieren. Demnach werden die ersten Vertreter dieser Gattung bereits zu Zeiten der Dinosaurier vermutet ( pRotopteryx und Ampelosaurus).
Fossile Funde sind leider nicht bekannt. Der älteste Nachweis ist indirekter Natur. Die Entzifferung einer Inschrift im Fries einer toltekischen Pyramide* ergab folgende spektakuläre Bedeutung: „Du Ródkapplmuster, du bleedes!“. Das ist insofern eine Sensation, als doch das Rad nach bisheriger landläufiger Meinung der Experten, ja erst viel, viel später durch die Spanische Penetration in die Neue Welt gelangt war. Dieser Fund scheint also die Vorhersagen einiger Seher zu untermauern, welche schon früh außerirdische Landebahnen und Wirte antizipierten. Ein Wirt von Däniken weinte Freudentränen angesichts dieses Fundes und die restliche Intelligenzija der westlichen Welt verewigte daraufhin die Kappen in aufwendigen Kornkreisen.
Die Paarung vollzieht sich stets über eine Achse.
Die Spermien der männlichen Kappen, welche meist fälschlicherweise für Bremsabrieb gehalten werden, haben eine sehr klebrige, haftende Konsistenz und verbreiten sich mit einer ausgefeilten Verwirbelungstechnik durch die Lüfte, vorzugsweise entlang von Alleen, Landstrassen, Feldwegen, Autobahnen und sonstiger Trassen, analog zu den maritimen Meeresströmungen aller Urkappen und wie es die restlichen Medusen ja heute noch treiben.
Die Eier der weiblichen Kappen sind Rost. Sie haften mit parasitärer Hartnäckigkeit in verschiedensten Nestern, treten sporadisch als Flugrost auf und fressen sich, einmal eingenistet, wie Alienblut durch Blech, Stahl, Grauguss und Eisen, am liebsten im Schutze dünnblätternd glänzender Lackierungen. Aber auch tief verborgen unter dick aufgetragenem Unterbodenschutz und sogar unter lange ausgehärtetem Glasfaserspachtel wurden sie nachgewiesen. Man kann also getrost behaupten, jegliche Form der Versiegelung bietet ein hervorragendes Milieu für die befruchtete Brut. Zur erfolgreichen Befruchtung wird allerdings eine Mindestmenge Feuchtigkeit benötigt, welche aber bereits bei schwachem Nebel, oder bei einer Luftfeuchtigkeit knapp über den Werten der Sahelzone gegeben ist (wie Merkelmerci** und Schwartzexport*** unabhängig voneinander in umfangreichen Experimenten mit tausenden Abwrackprämienstudienteilnehmern eindeutig vor Ort nachweisen konnten).
Die befruchteten Eier begeben sich auf eine lange Reise über verschiedenste Wirte (endgültig ist diese Metamorchose noch nicht erforscht) und veranlassen diese durch eine hochkomplexe hormonelle Steuerung ihres vegetativen Nervensystems, Werkstätten und Autoteilehändler aufzusuchen, wo schließlich der Schlupf der fertigen Kappen erfolgt.
Verirrte Radkappen schaffen es durch geheimnisvolle Pheromohne zufällig vorbeikommende Säugetiere zu beeinflussen, die dann sofort innehalten, sich unverzüglich wie in Trance auf selbige zubewegen um sie mitzunehmen - oder falls den Kappen der jeweilige Wirt dann bei näherer Begutachtung doch nicht genehm sein sollte (die biochemischen Mechanismen dieser hochkomplizierten symbiotischen Selektion gilt es auch noch zu entziffern), sich zumindest an proeminenten Stellen in der Landschaft zu platzieren zu lassen um optimale Verführbarkeit zu gewährleisten.
Die Verbreitung der Radkappen ist grenzenlos. Sogar im fernen Grönland, an Stellen wo das ewige kilometerdicke Festlandseis gerade weggeschmolzen war, und nichts als Schaum die Moränen bedeckte, sogar hier wurde eine pionierhafte Besiedlung attestiert. Angeblich sollen sie es geschafft haben sogar das jungfräuliche Krakatau vor den Spinnen und vor den Farnen zu erobern. Den Forschern die vorschnell behauptet hatten, sie würden schon in der eruptiven Lava vorkommen, welche frisch aus Vulkanen quillt, sind die Experimente von Dekaperone Aufsammlus entgegenzuhalten, der in umfangreichen Studien fast sämtliche existierende Unterarten in den Auswürfen des Ätna testete. In seinem Nachlass blieb sauber dokumentiert, dass alle Radkappen rückstandslos eingingen sobald sie mit der heißen italienischen Muttererde in Kontakt kamen. Einige schon davor. Es ist aber nicht auszuschließen, dass in manchen Strassengräben doch noch Radkappen-Spezies schlummern die auch solche Strapazen unbeschadet überstehen würden. Böse Zungen behaupten, der Forscher wäre von solch einer Spezies geschubst worden, die sich unauffällig von hinten an ihn genähert hatte, offenbar angelockt von den für uns unhörbaren Todesschreien (Ultrainfraschall) der Versuchskappen, und die dem Langzeitexperiment beherzt ein Ende bereitete, da der Forscher selbst im Krater landete, beziehungsweise verschmorte.
Der natürliche Feind der Radkappe ist die Alufelge.
Die Radkappen ernähren sich von Reifenabrieb, welchen sie durch die Kapposynthese über Sonnenlicht und Spucke zu Gummi verwandeln. Ihre Ausscheidungen bestehen aus reinstem Kaugummi, meist ohne Süssstoffe (wie es sich über Feldverkostungsversuche leicht nachweisen lässt). Das kann leicht jeder nachprüfen, welcher die Reviermarkierungen vom Strassenrand probiert. Mein Geheimtipp: vornehmlich in der Nähe von Ampeln mit langer Rotphase, wo sie stets in grossen Mengen vorzufinden sind (übrigens ein ausgezeichneter Indikator für die Populationsdichte eines Gebietes!) empfiehlt es sich diese umgehendst zwischen Zunge und Gaumen zu verfrachten und im Gegensatz zu Austern nicht gleich zu schlucken, sondern mindestens 10 Minuten herzhaft darauf herumzukauen. Dann erst kommt das köstliche Aroma vollends zur Geltung. Kenner bezeichnen die Delikatesse als die Krönung eines Geschmackserlebnisses, welches das Beste aus Trüffeln, Austern, Kobe-Rind und Arganöl verflicht zu einem Sonettkranz der Geschmacksknospen, dass einem regelrecht schwindelig werden kann vor lyrisch-lukullischer Seligkeit.
Bleibt noch anzumerken dass die Massenkapphaltung, wie sie rücksichtslose Konzerne wie whOrbitch und Würglays praktizieren (häufig mit genveränderten Klonkappen!) eigentlich überflüssig wären, wenn alle umweltbewussten Verbraucher, wie wir, ihren Bedarf an Gummi mit der schonenden Ernte vom heimischen Strassenrand decken würden. Und wer braucht denn schon künstliche Süssstoffe.
Der Nutzen der kullernden und allseits lieblich anzumutenden Kappen überwiegt also bei weitem die Schäden welche gelegentlich in Forscherkreisen angerichtet werden. Bleibt zu hoffen, dass wir uns noch lange an einem reichlichen Vorkommen in allen unseren highmatlichen Gefilden ergötzen dürfen.
* viertes Jahrtausend vor Benz
** Angelus Merkelmerci: „Die Laufwege des Opel Kadett von Burkina Faso über die Volta, Mali und zurück“, Aufbau Verlag Berlin, 2008
*** Bakschisch Schwartzexport: „Liebesstellungen bei Benzin- und Kamelantrieb mit Geiseln auf Golfrücksitzen zwischen Dünen“, Bundesdruckerei Ouagadougou, 2009
RE: Die Radkappe (Kappus radialis kuller)
in Ausgezeichnete Prosa 29.08.2009 23:11von Joame Plebis • | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Guten Tag, Alcedo!
Eine sorgfältig recherchierte Abhandlung über Kappus radialis kuller, bei der mancher Leser Eckzähne im Falle eines Grinsens sichtbar werden.
(Meine habe ich vorausdenkend abgefeilt, es muß niemand wissen, ob ich lächle oder nicht.)
Eine stichwortartige Kurzbeschreibung mit einem Bild dieser Daseinsform - Lebensform will ich sie nicht bezeichnen - , könnte noch mehr aufwertend wirken.
Ob ein Zusammenhang mit der rasanten Verbreitung und der Klimaänderung besteht, diese Frage wurde leider nicht behandelt. Soviel ich eruieren konnte, wollen sie unter keinen Umständen eine Symbiose mit Randsteinen eingehen, obwohl sie dort gelegentlich anzutreffen sind. Ebenso in kurvenreichem Gelände scheinen sie Straßengräben zu bevorzugen. Das kann aber doch noch nicht als Hinweis auf eine Bevorzugung dieses Terrains gewertet werden.
Offensichtlich verhalten sie sich regional sehr unterschiedlich. Unerwähnt blieb, daß in Großgermanien viele Funde eigenartige alphabetartige Zeichen aufwiesen, die wie ein V und ein W aussahen. Darüber rätseln die Archäologen schon seit geraumer Zeit, konnten sich bisher zu keiner einstimmigen Erklärung durchringen.
Wie gut, wenn Bürger ein wachsames Auge haben, Unwesentliches beiseite schieben, um über ein wirklich ernstes Phänomen zu berichten.
Für diese Arbeit, die der Menschheit und ihrer Wissenschaft zugute kommt, sollte eine Auszeichnung verliehen werden. Warten wir die Wahlen ab, womöglich hat die nächste Regierung schon eine Förderung und Bereitstellung von Mitteln in Aussicht gefaßt, um den Pionieren, die sich mit Kappus radialis kuller beschäftigen, finanziell unter die Arme zu greifen.
Gruß
Joame
RE: Die Radkappe (Kappus radialis kuller)
in Ausgezeichnete Prosa 21.09.2009 21:28von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
hallo Joame
danke für das Feedback.
eine Beschreibung hatte ich anfangs zwar intendiert, aber dann doch bald verworfen. ich wollte den Leser ja nicht langweilen, wie weiland der alte Brehm, der halbe Seiten allein mit der Beschreibung des Federkleides eines Buchfinkes füllte. andererseits haben Kappen ja keine Federn. nun ja, mit meinem Einstieg bin ich nicht ganz zufrieden. der erste Absatz kommt mir zu dröge vor.
Daseinsform anstatt Lebensform? werde ich nicht nehmen. sie bewegen sich, sie phalanxen sich fort, sie mutieren sogar, verbreiten sich rasant (wie du selber zugibst) - ergo, sie leben. basta.
die Buchstaben sind Brandzeichen, wie sie bei jeder Massenkapphaltung vorkommen. wusstest du das nicht? ich dachte das bräuchte man nicht extra anzumerken, da es doch allgemein bekannt sei.
Zitat von Joame Plebis
Für diese Arbeit, die der Menschheit und ihrer Wissenschaft zugute kommt, sollte eine Auszeichnung verliehen werden.
Zitat von Maya
Zu den ausgezeichneten Werken verschoben.
was soll das? geht das hier noch mit rechten Dingen zu? seit wann werden Volkes verstecktesten Wünsche so prompt erfüllt?
Kullerkollergrüße
Alcedo
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