#1

krisenbewältigung

in Gesellschaft 20.04.2009 16:02
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte

sonderpreis verdächtig
die fußgängerzone
verspricht aufbruch
arbeiten pflegeeltern
haften für ihre kinder
plastik drama
für erlebnislose
flaschensammler
schlagen die augen nieder
bei straßenmusik flötet
ausgerechnet mozart
starren nackte schaufenster
männer mit schnörkellosen
unterleibern warten
auf zukunftsmoden
zwischen sexshop auslagen
blinken batterie betrieben
rote brustwarzen
geheime morsezeichen

ratenzahlung
versteht sich und
besonders günstig

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#2

RE: krisenbewältigung

in Gesellschaft 20.04.2009 21:31
von Maya (gelöscht)
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Hallo Karl,

bereits den Einstieg finde ich sehr gelungen, denn schon hier offenbart sich die Doppeldeutigkeit, mit der das ganze Gedicht durchzogen ist.

sonderpreis verdächtig
die fußgängerzone
verspricht aufbruch
arbeiten pflegeeltern
haften für ihre kinder


"Sonderpreis" kann man zwiefach auslegen: Zum einen natürlich als einen besonderen Preis für eine bestimmte (Qualitäts-)Leistung auf einem Gebiet, andererseits als Nomenklatur für "Ramschware" oder Waren minderer Qualität, die über eine Herabsetzung des Preises doch noch einen Käufer finden sollen. In diesem Zusammenhang passt natürlich "verdächtig" wie die Faust aufs Auge, denn Waren mit ausgewiesenem Sonderpreis haben meist einen Haken. Die daran anschließende - Aufbruch versprechende - Fußgängerzone könnte man als zwinkernde Kritik deuten: Wo es Billigwaren gibt, kennen die Leute kein Halten mehr. Doch spricht dieses Verhalten eben nicht gerade für wirtschaftlichen Auf-, sondern Einbruch, also dafür, dass viele Menschen sich schon gar nichts anderes mehr leisten können, als diese minderwertigen Artikel.

Auch die für ihre Kinder haftenden Pflegeeltern sprechen für eine gesellschaftliche Schieflage und familiäre Notlage in der Krise, wo manche Eltern gar nicht mehr für ihre Kinder aufkommen können/wollen und sie lieber fortgeben. Das "arbeiten" lässt sich sowohl auf den "Aufbruch" als auch auf die "Pflegeeltern" beziehen, die - im Gegensatz zu den leiblichen Eltern - eben noch Arbeit haben und so die Ernährung der Pflegekinder sicherstellen können.

plastik drama
für erlebnislose
flaschensammler
schlagen die augen nieder
bei straßenmusik flötet
ausgerechnet mozart


Und der Verfall setzt sich fort. Man nimmt Bezug auf die Flaschensammler, die sogar in Mülltonnen – in Berlin sieht man das wirklich jeden Tag! – nach Leergutflaschen suchen, um noch ein paar Cents zu erhaschen. Tatsächlich ist es mittlerweile so schlimm geworden, dass man v.a. am Wochenende (Samstagabend) auf den Bahnhöfen sehr viele Obdachlose mit Plastiktüten auf den Bahnsteigen sieht, die nur darauf warten, dass die Jugendlichen, die auf dem Weg in die Disco o.ä. sind, ihre ausgetrunkenen Bier- und Alkopopsflaschen auf den Bahnhofsbänken abstellen oder in die Mülleimer werfen, um sie einzuheimsen und in einen Automaten zu stecken. Einige Hersteller gingen ja bereits dazu über, Bier in pfandfreie Plastikflaschen abzufüllen – ein kleines Drama für die Bettler. So jedenfalls verstehe ich die Zeilen.

Was folgt, ist der Verfall der Kultur – es wird zusammengewürfelt, was nicht zusammenpasst, so wie Mozart ganz nebenbei auf der Straße, wo eigentlich keine Zeit und nicht genug Ruhe ist, um auch die Untertöne heraushören und genießen zu können (sofern die Straßenmusiker überhaupt dazu fähig sind, diese zu erzeugen) und um sich in eine bestimmte Stimmung hinübertragen zu lassen. Die Hektik/Atmosphäre der Straße untergräbt das.

starren nackte schaufenster
männer mit schnörkellosen
unterleibern warten
auf zukunftsmoden


Hier musste ich zweimal lesen, um es einmal zu verstehen. Die Stelle würde ich wie folgt umschreiben:

schaufenster starren
mit nackten männern
schnörkellose unterleiber
warten auf zukunftsmoden

Denn wenn ich es in deinem Sinne deute, ist hier ja von Schaufensterpuppen die Rede, die dort "unten ohne" stehen. Man kann das oft in Läden beobachten, die Pleite gegangen sind und ihren bevorstehenden Auszug bereits per Aushang verkünden. Schnörkellos? Bezieht sich das auf die fehlende Ausformung des Geschlechtsteils bei männlichen Puppen? Ja, was bleibt einem schon als Hingucker, wenn sich selbst die Puppe keine neuen Sachen mehr leisten kann? Den Übergang von Schaufenster zu den Sexshops hast du gut gewählt.

zwischen sexshop auslagen
blinken batterie betrieben
rote brustwarzen
geheime morsezeichen
ratenzahlung
versteht sich und
besonders günstig


Diese Zeilen sind für mich Hinweis auf Verfall der Moral und Liebe an sich. Statt Familie, Wärme, Geborgenheit wird schneller Sex praktiziert. Auch ein vermeintlicher Ausweg, eine Krise zu bewältigen und in unbefriedigenden Zeiten eine rasche Befriedigung bestimmter Bedürfnisse zu erlangen.

Ja, also insgesamt gesehen finde ich den Text recht gelungen, auch wenn er natürlich etwas einseitig bleibt und manche Dinge nicht unmittelbar mit der Krise in Zusammenhang stehen, sondern auch schon früher zu beobachten waren.

Grüße, Maya

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#3

RE: krisenbewältigung

in Gesellschaft 21.04.2009 17:09
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte

Liebe Maya,
ganz herzlichen Dank dafür, dass du dich so ausführlich mit meinem Gedicht beschäftigt hast. Es stimmt natürlich, vieles war auch schon vor der Krise. Krisen entstehen aber m.E. immer dann, wenn es zu viel und zu einseitig Existenzbedrohendes passiert.
Dein Vorschlag zu Umstellung gefällt mir auch. Ich habe allerdings gemeint: "nackte schaufenster-männer starren... "(einige Zeilen später auch auch auf die neue Errungenschaften im Sexshop). Daher möchte ich nicht so gern umstellen.
Noch einmal vielen Dank und herzliche Grüße
Karl

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#4

RE: krisenbewältigung

in Gesellschaft 26.04.2009 03:50
von klaasen • Mitglied | 74 Beiträge | 74 Punkte

sorry karl
nichts gegen den text ansich. aber, so habe ich mit 14 jahren geschrieben. dachte, das wäre nicht mehr up to date.
die kritik trifft nicht den inhalt deines textes. die zusammenstellung stört mich. kommt mir wie ein kaktus ohne stacheln vor.

gruss
klaas

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#5

RE: krisenbewältigung

in Gesellschaft 26.04.2009 13:52
von Maya (gelöscht)
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Hi klaas,

In Antwort auf:
die zusammenstellung stört mich. kommt mir wie ein kaktus ohne stacheln vor.


Ich möchte dir deine Sicht nicht nehmen oder auszureden versuchen, nur mal kurz anmerken, dass ich die Darstellung für das Thema Krise recht passend finde - viele Brüche kennzeichnen Zerfall/Auseinanderfallen ehemals gefestigter Strukturen. Normalerweise bin ich auch kein Fan von Einwort- oder Zweiwortzeilen, aber wie gesagt, hier passt das für mich ganz gut. Selbst die "Flaschensammler", die eine ganze Zeile für sich beanspruchen, finde ich gelungen, denn sie stehen ja quasi am Rande der Gesellschaft: Armut = Ausgrenzung/schiefe Blicke der Anderen. Wäre alles fein säuberlich in 3 Strophen à 4 Zeilen untergebracht, herrschte mir für eine Krise zu viel "Ordnung", "Harmonie", "Heile Welt".

Gruß, Maya

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#6

RE: krisenbewältigung

in Gesellschaft 26.04.2009 17:46
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte

Sorry Klaas,
dann würden mich die Gedichte des 14-jährigen Klaas brennend interessieren. Schicke mir doch bitte einmal ein paar Beispiele.
Herzliche Grüße
Karl

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#7

RE: krisenbewältigung

in Gesellschaft 27.04.2009 10:33
von oliver64 • Mitglied | 352 Beiträge | 352 Punkte

Hallo Karl Feldkamp,

das Kaktus-Bild von klaasen kann ich nachvollziehen, wobei ich schon ein paar Stacheln sehe, nur fehlen denen die Spitzen. Ich habe auch keine Ahnung, wie klaasen mit 14 geschrieben hat - ist übrigens keinbe Abwertung in sich, denn einige Größen haben mit 14 schon sehr beeindruckend geschrieben - aber moderne lyrik wirkt tatsächlich häufig so, wie sie eben ist: veraltet. Mich bestätigt dein gedicht erneut in meiner Ansicht, dass die freie Form viel schwerer ist, als die gebundene, weil die Texte sehr schnell wie zerfaserte Flickenteppiche, wie eine Ansammlung zufällig versprengter Waisenkinder wirken. Dieses Gefühl habe ich hier auch. Das mag vom Gesamtbild und -eindruck des Textes als Allegorie auf Krise hinhauen, inhaltlich eher nicht. Es heißt ja aber auch Krisenbewältigung und als solche wird eben häufig nur die Oberfläche geputzt. Das wird hier dargestellt, das moderne, oberflächliche Leben in modernen, ekelhaften Fußgängerzonen. Das ist schon okay, auch dass es nicht jedem gefällt. Mich macht der Telegrammstil auch nicht besonders an, er wirkt doch sehr verbraucht. Ich persönlich bin auch kein Anhänger der Idee, dass dem Leser nur Stichworte zugeworfen werden und der sich dann schon selbst seinen Reim macht bzw. der Vorstellung, dass immer zwei Künstler an einem Gedicht beteiligt wären: der Autor und der Leser. Meine eigenen Gedichte schreibe ich mir auch selbst, ich würde gerne die von Anderen lesen. Und da interessieren mich ausformulierte Gedanken mehr, als nur Stichworte.

Nichts für ungut.

Oliver





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#8

RE: krisenbewältigung

in Gesellschaft 27.04.2009 19:29
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte

Lieber Oliver,
wenn du das Gedicht aufmerksam liest, wirst du feststellen, dass die Zeilen durchaus nicht zusammenhanglos sind und der Text letztlich nur aus insgesamt vier Sätzen besteht. Ausformulierte Gedichte lassen (für meinen Geschmack) häufig die Verdichtung fehlen und geben dem Leser zu wenig Gelegenheit, eigene Fantasien zu entwickeln.
Herzliche Grüße
Karl

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#9

RE: krisenbewältigung

in Gesellschaft 28.04.2009 06:33
von oliver64 • Mitglied | 352 Beiträge | 352 Punkte

Zitat von Karl Feldkamp
wenn du das Gedicht aufmerksam liestl

Weißt du, mein lieber Karl, das ist schon eine Art Unverschämtheit, die unterstellt, ich hätte es nicht aufmerksam gelesen. Die Zusammenhänge sind natürlich da, aber ganz bewusst verzichtest du ja darauf, sie auch herzustellen. Wenn du jetzt behauptest, das Gedicht bestünde nur aus vier Sätzen, dann hast du also nur die bindenden Glieder fortgelassen, die der potentielle Leser sich nur wieder dazu denken muss und hoppala hat er ein ausformuliertes Gedicht. Und was soll diese lächerliche Übung dann?

Gruß
Oliver





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#10

RE: krisenbewältigung

in Gesellschaft 28.04.2009 18:48
von klaasen • Mitglied | 74 Beiträge | 74 Punkte

hallo maya
finde es ja auch ok ,wenn du damit zurechtkommst. wie schon gesagt: es geht mir nicht um den inhalt des textes.

klaas

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#11

RE: krisenbewältigung

in Gesellschaft 28.04.2009 23:20
von Gedichtbandage • Mitglied | 531 Beiträge | 525 Punkte
Hui,

eine Kontroverse! Und noch dazu um Form und Stil!

Klar könnte das Gedicht formschöner sein.
Mancher Wort- oder Zeilenumbruch ist nach subjektivem Empfinden nicht im Einklang mit dem Klangbild oder dem Rhythmusgefühl, da fällt man dann schon mal raus, und doch ist eigentlich alles gesagt/gemalt - beispielsweise Berlin Alexanderplatz getroffen - oder Hamburg, Kassel, Köln, Düsseldorf, Dresden - keine Ahnung, ob es woanders auch so ist, aber ich gehe von einem Gesellschaftsbild aus welches sich immer stärker konturiert...

Hier stellt sich lediglich die Frage warum der Dichter "die Butter bei die Fische" fortließ, gesundheitsbewusst.?!

Mir persönlich gefällt der Inhalt, der Kontrast, welcher dahingestellt wird, die Bindung jedoch fehlt auch mir ein wenig und trotzdem bleibt davon etwas zurück, verpufft nicht einfach so, was hier nicht im Kontext der geheimen Bataillone von fetischistischen Schaufensterpuppen steht, sondern ein wenig traurig macht... mit dem Blick auf das, was bleibt.

Bestens,
GB.

_________________________________________________________
>> Du verdammter Sadist:
Du versuchst deine Leser zum Denken zu zwingen.<< - E. E. Cummings zu Ezra Pound
zuletzt bearbeitet 28.04.2009 23:34 | nach oben


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