#1

Trödler, Künstler, Klinken

in Zwischenwelten 23.03.2009 22:11
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Kunstmarkt

„Lass uns einen Kaffee trinken gehen.“ beschloss sie, als ich mich schon darauf gefreut hatte in wenigen Minuten den Rest des Sonntags schnarchend auf dem Sofa zu verbringen - verdienter Lohn für einen stundenlangen Aufenthalt auf einem Floh- und Trödelmarkt, der auch ein Kunstmarkt sein will.


Das Konzept ist erfolgreich. Ein Gedränge wie bei Knut dem Eisbären. Aber statt einem knopfäugigen Bären - lauter seltsame Leute, die sich durch Anspruch und Geschmack zu tarnen wissen. Soviel Geschmack, das Comics nicht Comics sind, sondern was Besseres, etwas für das man sich nicht schämen muss; eine Art non-mainstream Markenschuh. Ein Ambiente in dem sich der Zweitbuchbesitzer angenehm unterhalten fühlt. Die Kunsthändler und -produzenten, die Trödler freut es offensichtlich auch und ich vermute, es freut sie wegen des Aufpreises.

Mich erfreute, dass ich Imbissbuden entdeckte, die mir eine Curry und Pommes mit Majo verkauften. Wahrscheinlich sind diese Buden noch nicht vom Käfer Catering übernommen worden, weil sie so authentisch wirken. Gegen eine feindliche Übernahme der Panflötenindianer mit ihrer nervtötenden Pustemusik, hätte ich dagegen nichts einzuwenden.

Und zwischen Currywurst und Comictrödel gaben sich die Kunsttrödler die Klinke in die Hand. Das ist eine naheliegende Verkettung, denn Türklinken gibt es da : sagenhaft! Massenhaft Beschläge, Griffe, Klinken - bergeweise. Aber wer braucht das? Wahrscheinlich diejenigen, die an diesem Ort Kinderpuppen kaufen, auf denen „Anfassen verboten“ und ein Traumpreis steht. Aber wieso eigentlich?
Klinken kaufen Leute, die keine Griffe oder keine Klinken haben. Wenn die keine Klinke haben, wie öffnen oder schließen sie dann die Tür? Anders, beschloss ich, einfach anders.


“Jetzt noch einen Apfelstrudel im Einstein - das wäre es!“
Wieso wäre? Statt auf der Couch meine Ruhe zu genießen, stattdessen Strudel im Cafe. Das war fix wie der Ort: Das Einstein – Berlin, Kurfürstenstraße, Künstler Cafe, gehobene Klasse. Da geben sich Promikünstler die Klinke in die Hand und das keine hundert Meter von der Love Sex Dreams - LSD - Filiale entfernt. LSD ist der Megasexshop auf der Discount Sexmeile Berlins. Ficken für Fünffünzig. Fünfzig Cent ist der Zewarollenanteil. Wer sich einen Kopierer kauft, zahlt ja auch Urheberrechtsanteil.

„Wieso sollen Künstler anders ficken, wenn sie genauso kacken?“, durchfährt es mich plötzlich wie eine Erkenntnis aus dem brennenden Dornbusch und ich denke sofort an Quantitätsficker wie Immendorf, die es im Dutzend billiger besorgt bekommen oder an den Leute-beim-Interview-Betatscher Friedmann, der sich mit einer Ladung Mädels aus einem ukrainischen Viehwagon vergnügte. Haben die Frauen eigentlich gehalten, was er sich versprochen hat? Was er sich versprochen hat, vor oder auf oder in oder neben sie zu verspritzen? Ist das recherchiert worden? Ist Friedmann ein Künstler? Es wird so vieles einfach nicht zu Ende gedacht, recherchiert oder gesagt. So viele offene Fälle. So offen wie die Frage ob Ariel Scharon noch immer im Koma liegt.

Vielleicht fehlen einfach die Beschläge um die Krisen zuzumachen? Wo die Beschläge, die Schlösser sind, weiß ich.

Zum Glück ist das Einstein ein Bohnenpuff was soviel wie professionell heißt. Die servieren da jedem, die besorgen es jedem, lassen keinen hängen aber das hat seinen Preis. Einen gesalzenen Preis. So wie die Mad Hefte auf dem Kunsttrödelmarkt. Aber nur die Verrückt Hefte, die von Herbert Feuerstein redaktionell bearbeitet worden sind. Egal - Bedienung ist wichtig. Nicht bedient zu werden, kratzt an der Ehre. Wer nicht bedient wird, muss sich fragen, warum ausgerechnet sein Geld stinkt.


Bedient

Als ich mit meinem feuerwehrroten Discount-Fox-Anorak, den ich günstig in der Banane gekauft hatte, die nichts anderes, als eine verglaste aber bananenkrumme Einkaufspassage in Cottbus ist, ein Cafe in Kreuzberg betrat, da passierte es mir, dass ich nicht bedient wurde.

Das Cafe sah aus wie eine komplett ausgeschabte Höhle. Total reduziert. Wenn verziert, dann nur durch Kohlezeichnungen an den Wänden. Zeichnungen großäugiger, junger Mädchen, die so aussehen, als wollten sie mein Y-Gen ab- oder sich selbst die Pulsadern aufschneiden.

In dieser hippen Gruft war hinten rechts noch eine Ecke frei. Rettung. Ich schob mich - mit deutlichem Unbehagen – vorbei durch die gefühlte Kreativabteilung Berlins. Vorbei an toughen, jungen Weibern mit Kurzhaarigelfrisuren und tief wie dunkel geschminkten Augenhöhlen; vorbei an metrosexuellen Typen mit manikürten Fingern und dem Air Notebook auf dem Schoß.

Den Typen gab ich Namen. Namen wie Biomargarine und vermutete, dass Magarine-Audi R8 um die Ecke geparkt ist. „Neid!“, rief ich mich zur Ordnung. Nur Neid und Frevel meinerseits. „Sei doch nicht so hässlich und steh zu deinem roten Anorak aus der Banane.“
Eben drum, konterkarierte ich mich selbst und klopfte mir obendrein ob dieser Reflektion auf die Schulter, weil ich mich nun very british fühlte. Erleichtert erreichte ich die hinterste Ecke und langte nach der Karte.

Als ich die Karte durch hatte und sich keine Bedienung zu mir verirrt hatte, fühlte ich mich sehr allein.

„Wo gucke ich jetzt hin“, dachte ich, und während ich so dachte, fiel mir auf, dass die Bestellkarte ein individuell gestaltetes Büchlein ist, wo auf jeder zweiten Seite die Bilder dieser psychotischen Kohle-Strich-Mädchen abgebildet sind. Mein Blick wanderte von der Karte zu den Wänden und von überall her, glotzten mich die Kohlefrauen an.
„Toll“, dachte ich und suchte die Karte erneut nach einem Preis für ein Pils durch. Wieder fand ich, wo nach ich gesucht hatte. Dreieurofünfzig für ein Pils vom Fass. Das wollte ich haben. Aber keine wollte es von mir haben.

Eine gefühlte Stunde später, fasste ich die Karte nicht mehr an und schämte mich dafür, dass ich die Karte überhaupt berührt hatte.
Es war offensichtlich, so befand ich, dass man mich mied, weil ich die Karte wie einen Ottokatalog behandelt hatte. Zumindest bildete ich mir das ein. Wenn auch nicht sehr erfolgreich. Es ist nicht die Karte, nagte es in mir. Es ist nicht dein Handeln, es ist deine Aura, deine Präsenz.

You are not one of us. No, no, no, not one of us. Immer wieder hörte ich diese Zeile. Leider gebar mein Herz in dieser Stimmung nur melancholische Peter Gabriel Melodien und Texte. Trotz dieser depressiven Grundhaltung unterließ ich es, mir ein verbrauchtes Glas vom Nachbartisch zu greifen, reinzupissen, auszutrinken, mir den Mund abzuwischen, das Glas auf den Tresen zu hauen und erlöst zu bemerken: „Danke, dass ich wenigstens meine Pisse saufen durfte. Vielen Dank. In Zehlendorf hätten sie mich totgemacht, weil sie meine Armseligkeit nicht hätten ertragen können. Also, Freunde, was bin ich euch schuldig?“


Was wäre passiert, hätte ich Mr. Self Destruct von Nine Inch Nails im Ohr gehabt? Überflüssige Gedanken. Tatsächlich beschloss ich, nachdem ich mich innerlich ausgepisst hatte, mich zu bewegen und nicht mehr auf eine Bedienung zu warten.

So unauffällig und selbstbewusst wie möglich schlich ich zur Theke und war froh, dass ich mich an der Bar festhalten konnte. Nach gefühlten zwei Tagen erbarmte sich eine Bedienung mit Kurzhaarigelfrisur meiner und fragte mich „Was!?“


Das Bier, dass sie mir auf meinen Tisch stellte, schmeckte wie Pisse. Ich saß in meiner hinteren Ecke umrahmt von den Monsterfressen aus Kohle. Ich schluckte, ich trank und ich ließ mir nichts anmerken. Endlich war ich ein Kunde wie jeder andere auch. Das Bier schmeckt hier wohl generell schal, beruhigte ich mich. Ich war sogar stolz, dass ich es geschafft hatte in meinem Outfit, in einem solchen Laden bedient worden zu sein. Strike. Das war doch der Lackmus Test, dass ich kein Gartenzwergsnazispießer bin, dass ich nicht „Konzentrationslager Erhard“ bin? Und warum? Weil mein Geld nicht stinkt. Und wenn mein Geld nicht stinkt, dann bin ich nur ein Kunde.


Als ich dann, weil wieder niemand gekommen war, an der Theke stand und darauf wartete, dass ich endlich abgerechnet werde, bemerkte ich aus dem Augenwinkel einen alten Bekannten, der mich offensichtlich auch bemerkt hatte. Er stand vor dem Lokal, vor dem großen Fenster und er winkte wie ein debiler Duracell Hase auf Viagra. Er winkte mir so zu, als sei das Fensterglas der Kneipe, die Linse einer Fernsehkamera. Ich wünschte mir, dass des Hasen Batterien augenblicklich ihren Geist aufgäben. Sie gaben aber nicht auf und die Igel-Barfrau, der die Situation und mein Unbehagen nicht entgangen war, kassierte mich lächelnd ab.


Strudel Pils Melange

„Eine Melange und den Apfelstrudel mit Vanillesauce, bitte.“, flötete sie der adretten Kellnerin zu.
„Und der Herr?“, wand sich die Dame mit gespitztem Stift zu mir.
„Pils.“, sagte ich nur.

Kurz bevor ich so antwortete, hatte ich mir einen Blick in mein Innerstes gegönnt. Da lagen am Meeresboden meines Magens viele kleine zerkaute Brocken einer Currywurst. Einer Wurst, fein garniert mit gelben Popeln, die mal Pommes waren. Über allem schwebte, ausgeflockte Mayonnaise. Auf Cappuccino mit Sahne und eine Sachertorte war mir der Appetit vergangen.

„Warsteiner vom Fass? Großes, Kleines?“, hakte die Bedienung ungeduldiger werdend nach.
„Ja, bitte.“, antwortete ich gedankenverloren und bemerkte leider den irritierten, wenn nicht angewiderten Gesichtsausdruck meiner Begleitung. Sie war mit der Wahl meines Getränkes offensichtlich nicht einverstanden.
„Also ein kleines Warsteiner vom Fass?“, bemühte sich die Kellnerin weiter. Sie wirkte sehr kontrolliert und professionell.
„Ja.“, wiederholte ich. Die Sinne waren mir vernebelt und mein Gemüt düster.
„Fein.“, zischte die Kellnerin, zog deutlich einen Strich unter die Bestellung, klappte den Block zu und marschierte zum nächsten Tisch.

„Muss ich jetzt fahren? Oder wie hast Du Dir das gedacht? Es wäre nett gewesen, wenn“, giftete sie sofort los.
„Moment“, unterbrach ich ihre Predigt, stand auf und brüllte der Bedienung hinterher: „Fräulein, ich hätte doch bitte ein Großes, ja? Ein großes! Pils. Danke!“, dann setze ich mich wieder und wand mich voll konzentriert meiner Freundin zu, die glücklicherweise genauso verstummt war wie der gesamte Laden.

„Was wolltest Du sagen, Schatz?“, fragte ich freundlich.
„Du bist unmöglich.“, flüsterte sie nur und verbarg weiterhin ihr Gesicht hinter der großen Karte des Einsteins.

So isoliert von meiner Liebsten, Zeit und Raum konnte ich gelassen meine Blicke durch den Saal wandern lassen. Resigniert stellte ich fest, dass meine Erwartungen erfüllt wurden. Lauter schicke und intelligente Menschen, Künstler, Friseure, Promis und größenwahnsinnige Literatur-Studenten. LSD.
zuletzt bearbeitet 23.03.2009 22:15 | nach oben

#2

RE: Trödler, Künstler, Klinken

in Zwischenwelten 05.09.2009 16:48
von Gedichtbandage • Mitglied | 531 Beiträge | 525 Punkte

Hallo Brotnic2um,

hast Du noch mehr davon?
Nein, nicht vom LSD! Aber von diesem Stoff hier, da würde ich gerne mehr konsumieren!
Das LSD-Viertel im Prenzlauer Berg hast Du aber vergessen, Lychner-Schliemann-Duncker. Absicht?

Gruß von und nach Berlin,
Gb.


_________________________________________________________
>> Du verdammter Sadist:
Du versuchst deine Leser zum Denken zu zwingen.<< - E. E. Cummings zu Ezra Pound
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#3

RE: Trödler, Künstler, Klinken

in Zwischenwelten 18.10.2009 20:12
von oliver64 • Mitglied | 352 Beiträge | 352 Punkte

Hallo,

einfach stark. Sehr gut lesbar, selbst für einen Prosa-am-Monitor-Ablehner wie mich. Kurzweilig, inspiriert, unterhaltsam, ohne platt zu sein. An dieser Stelle: "Wo die Beschläge, die Schlösser sind, weiß ich." musste ich laut auflachen und das passiert mir im Netz nicht so häufig. Keine Ahnung, ob das gegen mich oder für den Text spricht, mir hat er gefallen.

Gruß
o.





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