#1

Der Krieg

in Düsteres und Trübsinniges 19.02.2005 11:57
von kein Name angegeben • ( Gast )
Der Krieg


An ihren Hälsen tragen sie zum Zeichen
des Opfers einen schwarzen Strich aus Ruß,
wenn unten sie im Hof vorüberschleichen,
erheben sie die Hände wie zum Gruß.

Die graue Menge schnarrt aus ihrer Mitte,
wenn sie zum letzten Mal die Heimat sieht,
dann bricht sie auf und wie nach alter Sitte
klingt von den trocknen Lippen unser Lied.

Am Fenster summen wir die alte Weise
mit einem stolzen Lächeln im Gesicht
und bleiben dort, die Schwachen und die Greise,
zurück und löschen bald das Kerzenlicht.

Dann sind sie fort und alle Münder schweigen,
nur ferne hört man eine Mutter flehn:
"Bringt mir den Sohn zurück, ihr törichten und feigen
Verbrecher, gebt ihn frei, oh bitte lasst ihn gehn!"

Die Nacht wird bleich und mündet in den Morgen,
der Tag erobert glühend Dach um Dach,
doch unsre Ängste waren wie die Sorgen
in unsern Herzen lang schon vor ihm wach.

"Und weißt du nicht, was sich derweil begeben,
und weißt du nicht, was sich ereignet hat?"
fragt mancher und "Ist der und der am Leben
aus diesem und aus jenem Teil der Stadt?"

Zu Mittag prescht der schlechteste der Boten,
die feindliche Armee, mit Kunde an,
das Feld ist rot und übersät mit Toten,
und überlebt hat nicht ein einzger Mann.

Spät abends, wenn wir in den stummen Mauern
gefangen sind und keine Hoffnung sehn,
wenn wir betroffen um die Söhne trauern,
dann können wir uns selber nicht verstehn.

Wir schwärzen uns mit Ofenruß die Nacken,
so mit dem Tode ganz auf Du und Du,
dann greifen wir zu Spaten und zu Hacken
und decken unsre toten Söhne zu.


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#2

Der Krieg

in Düsteres und Trübsinniges 19.02.2005 12:24
von muh-q wahn (gelöscht)
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Leaving her his last request
Put silver wings on my son's chest
Make him one of America's best
He'll be a man they'll test one day
Have him win the Green Beret


Hi Chameleon !

Ich kann mir nicht helfen, ich hatte beim Lesen die ganze Zeit den o.g. Song im Kopf, weil deine Zeile ähnlich markig klingen und die Stars & Stripes so nett daneben flattern.

Inhaltlich mag ich mich mit diesem Werk nicht anfreunden aber sprachlich ist es stark, vielleicht mit Ausnahme von S4: Dieses "ach, haltet immer ein" wirkt sehr gezwungen. Ansonsten aber bin ich angetan von der klaren, unprätentiösen Art. Die Geschichte erhält ihren Flair in der eigenwilligen Eröffnung (der Strich aus Ruß an den Hälsen), dem Mittelpunkt in S5, der im Gegensatz zum sonstigen Ton sanft und poetisch schildert und dem Schließen des Kreises in der letzten Strophe (Ofenruß im Nacken).

Ich empfinde das Gedicht als gut gemacht. Berühren tut es mich nicht mehr als der eingangs erwähnte Song, tut mir leid. Mir sind alle markigen Worte im Zusammenhang mit Krieg suspekt. Und das Star-spangled-banner ist in diesen Tagen auch nicht sonderlich sympathisch, zumal auch im Gedicht auf "unser Lied" angespielt wird. Darin heißt es u.a.

Then conquer we must,
when our cause it is just,
And this be our motto:
"In God is our trust."
And the star-spangled banner
in triumph shall wave
O'er the land of the free
and the home of the brave


... und mit solchen Assoziationen im Kopf kann und will ich mich mit deinem Gedicht nicht anfreunden. Wahrscheinlich tu ich dir Unrecht, dann entschuldige ich mich dafür.

Digitally Yours

muh-q wahn

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#3

Der Krieg

in Düsteres und Trübsinniges 19.02.2005 15:33
von kein Name angegeben • ( Gast )

Anstatt nach möglichen oder unmöglichen intertextuellen Bezügen zu suchen, hättest du dich besser auf den Text konzentrieren sollen - hier geht es nämlich keineswegs um Propaganda (vor allem nicht solche amerikanischer Machart) und ich finde, dass schon eine gewaltige Portion an Vorstellungskraft nötig ist, um eine in ihrer Aussage so eindeutige Ballade derart misszuverstehen. Nichts für ungut...

Cham

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#4

Der Krieg

in Düsteres und Trübsinniges 19.02.2005 15:45
von Hojaro (gelöscht)
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Hallo Chameleon,

Also am Anfang schreibst du wirklich schöne Bilder und malst dem Leser ein schönes Bild in den Kopf. Ich meine natürlich nicht schön im Inhalt, sondern die Art, wie du es an den Leser bringst: Sicher und klar verständlich. „Besonders die trocknen Lippen, von denen „unser“ Lied klingt, finde ich sehr gut. In diesem Schreibstil geht es weiter bis zur vierten Strophe. Dann kommt diese auch für mich etwas unglückliche Wiederholung von einhalten. Das klingt für den Reim etwas zu Recht geschustert. Danach wird es mich zunehmend schwieriger dir inhaltlich immer zu folgen. Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde, dass du bis zur vierten Strophe schnell und ohne langes Schieben die Strophen geschrieben hast. Ab der vierten Strophe wirkt es an manchen Stellen nicht mehr ganz so flüssig:
Und weißt du nicht, was sich derweil begeben:
Ich halte es hier für ungünstig, das gebeugte Verb „hat“ wegzulassen, zumal du es im zweiten Vers, der syntaktisch gleich aufgebaut ist, verwendest. Es scheint wohl ein Kunstgriff zu sein, doch mich stört es im Lesefluss.
Zu Mittag prescht der schlechteste der Boten,
die feindliche Armee, mit Kunde an,
das Feld ist rot und übersät mit Toten,
und überlebt hat nicht ein einzger Mann.
Die ganze Strophe wirkt ein bisschen verschachtelt. Die Nebensätze wirken gestanzt und es fällt mir schwer den Faden zu verfolgen. Ich weiß auch nicht, warum du so verschachtelst, wo du doch in den vorherigen Strophen klar akzentuiert schreibst. Hier missfällt mir besonders der letzte Vers. Unterschwellig kommt mir hier der Satz in den Sinn: „Ach so, ich wollte noch sagen, dass nicht ein einzger Mann überlebt hat.“ Du schreibst schon im Vers zuvor, dass das Feld mit Toten übersät ist, da scheint es doch unnötig zu erwähnen, dass nicht ein einzger Mann überlebt hat.
dann können wir uns selber nicht verstehn.
Das „verstehn“ stieß mir schon beim ersten Überfliegen des Gedichts auf. Es hat etwas Konstruiertes und bettelt ein wenig den Leser um Mitleid für die Opfer im Gedicht. Das möchte ich aber nicht. Ich will aus freien Stücken Mitleid empfinden und es nicht vorgesetzt bekommen.
Wir schwärzen uns mit Ofenruß die Nacken
Warum Ofenruß? Das verstehe ich nicht. Ist eine Metapher? Wofür denn?
so mit dem Tode ganz auf Du und Du,
auf Du und Du? Ich weiß schon, du wolltest den Tod allgegenwärtig machen und hast ihn deswegen auf eine Stufe mit den Menschen gestellt. Trotzdem gefällt mir dieser Vers überhaupt nicht. Ich kann mir nur schwer vorstellen mit dem Tode auf „Du und Du“ den Nacken mit Ofenruß zu schwärzen. Wenn dann würde ich es mit Gevatter Tod auf „Ich und Du“ machen. Das ergäbe für mich Sinn. Mit „Du und Du“ sprichst du ja eine dritte Person an, die gar nicht vorhanden ist oder zumindest nicht weiter ausgeführt wird.
dann greifen wir zu Spaten und zu Hacken
Hacken ist die Mehrzahl von Hacke, klar. Doch ist Spaten die Mehrzahl von Spaten? Ich glaube nicht, da Spaten laut meinem Wörterbuch gar keinen Plural hat. Es scheint somit ungünstig diese beiden Wörter im Plural zu verwenden. Besser wäre es, beide Wörter im Singular zu verwenden, doch dann kommst du in Querelen mit dem Reim. Ich weiß keinen Ausweg, doch unschön klingt es trotzdem.

Ich habe beim Lesen des Gedichts eigentlich gehofft/gedacht, dass irgendein konkreter Krieg beschrieben wird. Das kam durch den schwarzen Strich aus Ruß an den Hälsen als Zeichen. Ich dachte, dass wäre eine spezielle Andeutung, doch bleibst du in den restlichen Strophen sehr allgemein. Sieh das nicht als Kritik an der Umsetzung des Themas, doch komisch ist es schon, wenn der Dichter in den ersten Versen eine spezielle Anmerkung zu machen scheint und diese dann aber nicht weiter ausführt.
Den Titel „Krieg“ finde ich sehr ungünstig. Dieser Begriff ist dermaßen vorbelastet und initiiert eine Erwartungshaltung. Der Leser meint sofort zu wissen, worum es geht und kann nicht unvoreingenommen in das Gedicht gehen. Das ist natürlich blöd, da eine gewisse Anzahl von Lesern schon im Vorfeld abgeschreckt wird. Das ist eine Eingrenzung bereits vor dem Lesen. Schade…

Hojaro

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#5

Der Krieg

in Düsteres und Trübsinniges 19.02.2005 15:46
von Ahsil (gelöscht)
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also ich habe, mag es an mangender Fantasie liegen, keine Propaganda gesehen. Es ist ein beliebiger Krieg ohne Definition eines LAgers, es könnte jeder sein, der kämpft.
So sehe ich eher eine Verurteilung, wie der Krieg die ZUkunft raubt, indem er sie Söhne mit sich nimmt.
Die Bilder sind wahrlich stark und es herrscht eine drückende Stimmung, die ich gut umgesetzt finde.
Über sprachliches Fauxpas' sehe ich hier hinweg, denn als Ballade ist es Dir gut gelungen.

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#6

Der Krieg

in Düsteres und Trübsinniges 19.02.2005 19:57
von muh-q wahn (gelöscht)
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Zitat:

Chameleon schrieb am 19.02.2005 15:33 Uhr:

Anstatt nach möglichen oder unmöglichen intertextuellen Bezügen zu suchen, hättest du dich besser auf den Text konzentrieren sollen ...




Mir scheint, du kannst besser dichten, als Kritik vertragen. Vielen Dank für die Unterstellung, dass ich mich nicht auf den text konzentriert habe. Ich habe auch mit keinem Sterbenswörtchen davon gesprochen, dass dein Text etwa Propaganda enthalte. Deine so eindeutige Botschaft ist bei mir so eindeutig nicht angekommen, da du von der Sprache her einen etwas altertümlichen Blut-und-Boden-Sound getroffen hast. Krieg kommt mir in deinem Gedicht ein wenig wie eine unvermeidliche Naturkatastrophe vor und die Sprache, die von dir gewählte Sprache erinnerte mich eben an andere "Balladen". Unrecht tat ich dir sicherlich mit dem Verweis auf "Green Berets" und "Star Spangled Banner" aber ich bin auch nur ein Mensch und wenn mir so eine Ballade mit der daneben wehenden Flagge präsentiert wird, dann habe ich zugegebenermaßen Mühe, mich davon frei zu machen.

Also entschuldige bitte vielmals, werter Dichter, dass ein Rezipient dein Werk nicht in gewünschter Weise aufnahm. Es liegt garantiert nur an mir. Ich werde mich nicht noch einmal verheben, versprochen.

Dir aber wünsche ich etwas dickere Haut, selbst hier im Tümpel. Ebenfalls nichts für ungut.

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#7

Der Krieg

in Düsteres und Trübsinniges 19.02.2005 20:45
von MrsMerian (gelöscht)
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Hallo Chamäleon, Meister der Tarnung

S1 Z3 klingt etwas verdreht; ich drehe es beim Lesen automatisch richtig herum und stocke dann des Versmaßes wegen und weil ich im selben Moment bemerke, dass da was nicht stimmt, ich falsch gelesen habe.

S2: sehr schön die trockenen Lippen, die Angst! Im Kontrast dazu „unser Lied“…
sehr schöne Überleitung zur Str. 3:

Die alten, die einst genauso loszogen stehen im Fenster und summen noch die Nationalhymne… mit einem stolzen Lächeln; sie haben wohl einst gesiegt…? Wenigstens aber überlebt. Ob man da nun lächelt oder nicht, da bin ich nicht sicher… ich kann es mir nicht vorstellen, wenn sie ihre Söhne und Enkel in den Krieg ziehen sehen und dann die Bilder ihrer gefallenen Kameraden und Freunde…
Dann wieder sehe ich meine Opas lächeln und ihren Stolz, wenn sie erzählten. Man kann dieses Gefühl nicht beschreiben, ich meine, wahrscheinlich ist es kein Stolz… oder doch?
Es ist ein Trauma! Und wieso dieser Blick? Aber einem Lächeln kommt es dann doch schon nahe irgendwie. Daher stoße ich mich nicht wirklich hieran.

Wieso lässt Du die Mutter in Str. 4 nicht schreien: „Ach, haltet doch nur ein!“ ? Das immer gefällt mir nicht.

Str. 5 sehr schön. Besonders fällt mir hier auf, wie Du mit erobert, glühend, Dach um Dach… Begriffe zusammengestellt hast, die in dem Kontext und den Informationen die der Leser bis hierher hat, bedrohlich wirken. Trotz, dass Du in dieser Strophe gar nicht vom Krieg oder den Soldaten schreibst… nur wie der Tag anbricht.

Zum Rest muss ich kaum etwas sagen, Chamäleon, der ist Dir super gelungen!

Auch ich verstehe nicht dieses Ruß Ritual…
zu der Frage/ den Überlegungen Hojaros: wenn nicht der Ruß ein Hinweis ist, kann es sich um jeden beliebigen Krieg handeln. Ich denke mir hier gern die Deutschen, einfach, weil es mich betrifft und als meine Großväter in den Krieg zogen, haben sicher ihre Väter diesen Blick aufgehabt. Ihre Söhne kämpfen für Deutschland… der gewisse Stolz und trotzdem die Angst. Am Ende der tiefe Fall, dass man sich selbst nicht versteht: Das Hitler Regime bricht zusammen, dass es Hoffnungen geschürt hatte, ist wohl so gewesen; dann die Judenverfolgung und Menschenverachtung; der Krieg verloren, die Söhne tot… trotzdem passt es wohl zu jedem Krieg. Man schämt sich, kann in seinem Stolz keine Fehler eingestehen… keine Ahnung, es ist mir wirklich gerade zu anstrengend näher darüber nachzudenken. (habe gerade in Str. 1 gesehen, dass es "zum zeichen des Opfers" geschieht und werde mir nun den kopf zerbrechen. sry wegen der voreiligen aussage, vielleicht komm ich noch drauf.)

Spaten? Ich nenne mehrere davon seit je her Spaten und es hat mich immer jeder verstanden und nie jemand gelacht. Ich hege gerade gewisse Zweifel, ob mich mein Gefühl für solche Dinge verlassen hat.

Am Ende möchte ich Euch bitten Euch ein wenig zurück zu nehmen und mal Luft zu holen bevor ihr bissig werdet!
Ein Gedicht steht für sich, losgelöst vom Autor und Avataren! Bitte vergesst das nicht!
Ich glaube, muh, das meinte Chamäleon mit „auf den Text konzentrieren“. Du schreibst ja auch kurz darunter, dass die Flagge daneben weht. Cham wollte Dir, wenn ich es richtig verstanden habe mitteilen, dass dies nichts mit der USA-Flagge zu tun hat, es jedenfalls im Text keinen Hinweis darauf gibt und Du hier in Versuchung gekommen bist über den Text hinaus zu gehen (Avatar) und von außerhalb beeinflusst Dinge im Text last /hinein interpretiertest, die man dort nicht belegen kann.

LG
Mrs.

PS: Gerade fiel mir ein, was ich vergessen hatte: Du schaffst eine ähnliche bedrückende Stimmung (bei mir jedenfalls) wie ... war es Owen? ... in "The Sentry". Ich weiß, dass Du es kennst.

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