#1

Die Wahl

in Parodien und Persiflagen 04.03.2005 17:20
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Die Wahl

Sie lesen mich in sich hinein. Ja, das denken Sie doch, oder nicht? Sie lesen meine Worte und spülen sie mit einem Schluck Château Margeaux hinunter und fühlen sich wohl dabei, weil der Alkohol so schön wärmt und ich Ihnen angenehme Schauer verpasse. Second-hand-Gefühle, leicht zu konsumieren und dann schnell vergessen.

Gut, mir soll’s recht sein. Mich juckt es nicht, dass Sie keine eigenen Gefühle mehr haben. Ehrlich gesagt, ist mir das Jacke wie Hose. Ich habe sogar Mitleid mit Ihnen. Ja, lachen Sie nur, aber ich lache nicht dabei. Mir ist es Ernst. Dieses Mal wird es etwas anders laufen, als sonst, glauben Sie mir. Sie wirken erstaunt? Weshalb denn? Meinen Sie vielleicht, das sei immer nur einseitig? Ha, Sie wissen aber reichlich wenig!

Ich kenne viele Leute, die so wie Sie sind. Die nicht mehr in der Lage sind etwas Eigenständiges aus ihrer Seele zu holen. Ah, Sie widersprechen mir? Ho, ho! Dann bitte, lassen Sie mich nachfragen: Was fühlen Sie denn, wenn sie mich lesen, oder meine Worte, was ja das selbe ist oder zu sein scheint?

Ich verstehe, es ist Zeitvertreib. Schön, wenn man Zeit hat, die vertrieben werden muss. Ich könnte mir das nicht leisten. Aber bitte, jedem das Seine.
Und Unterhaltung. Gut, Sie unterhalten sich also, wenn ich Ihnen meinen Geist auskotze. Ist das nicht etwas primitiv und voyeuristisch? Nein? Ich finde schon. Sie sind vielleicht auch so jemand, der in fremde Fenster schaut, nicht? Der in fremden Leben spioniert und sich daran ergötzt, wenn es anderen schlechter geht.

Sie müssen sich nicht verteidigen. Ich spinne nur ein paar Fäden zu einem Netz, ob Sie sich darin verfangen, nun, das ist sekundär. Schliesslich waren Sie es, der mich aus dem Bücherregal genommen hat.

Sie können mich ja einfach weglegen. Niemand hindert Sie daran, oder? Ah, sehen Sie, das wollen Sie auch nicht. Tja, tut mir leid, wenn ich Ihnen etwas ganz anderes biete, als das, was Sie sich normalerweise gewohnt sind. Andere müssten dafür viel bezahlen, um so ein Gespräch zu führen. Sie würden dabei in der Horizontalen liegen und die Schuhe wären adrett unter dem Sofa drapiert.

Jetzt lachen Sie. Schön, mit ein paar Klischees kann man Sie zum Lachen bringen, wie rührend. Unverschämt? So, finden Sie. Ich nicht. Ich bin immer so und Sie haben mich schliesslich gewählt, also sind Sie es, der für das alles hier verantwortlich ist. Wäre ja noch schöner, mir das in die Schuhe schieben zu wollen.

Aber wissen Sie was ich denke? Sie sind so der Typ, der gerne anderen die Schuld gibt. Habe ich Recht? So jemand, der in der Schule den Banknachbarn heimlich verpfiffen hat, und sich dann masslos freute, als dieser bestraft wurde. Ich habe doch Recht, oder? Geben Sie es doch einfach zu!

Ach, jetzt weinen Sie. Verletzend? Ja, die Wahrheit ist oftmals verletzend. Machen Sie sich nicht ins Hemd. Oh Gott, oh Gott, das sind ja wahre Sturzbäche. Passen Sie bloss auf, dass ich nicht nass werde. Ok, jetzt reicht’s aber langsam. Sie sind ja wirklich extrem empfindlich. Gestresst? Das ich nicht lache! Sie wissen ja gar nicht, was Stress ist. Ja dann rauchen Sie halt, wenn Ihnen danach ist. Ich kann nicht husten.

Ehrlich gesagt, habe ich mir etwas mehr von Ihnen versprochen. So nach der äusseren Erscheinung zu urteilen, hoffte ich auf etwas mehr Inhalt und Tiefe. Aber ich habe das Gefühl, dass Sie mir zu langweilig sind. Tja, übel, aber das merkt man eben erst hinterher.

Ich verschwende meine Zeit nicht gerne, wenn Sie also nichts dagegen haben, dann stellen Sie mich bitte wieder ins Regal. Gut, danke. Ich nehme mir lieber einen interessanteren Leser.


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überarbeitet (29.03.06)



Die Wahl


„Sie lesen mich in sich hinein.
Ja, das denken Sie doch, oder nicht?
Sie lesen meine Worte und spülen sie mit einem Schluck Château Margeaux hinunter und fühlen sich wohl dabei, weil der Alkohol so schön wärmt und ich Ihnen angenehme Schauer verpasse:
Second-hand-Gefühle, leicht zu konsumieren und dann schnell vergessen.
Gut, mir soll’s recht sein.
Mich juckt es nicht, dass Sie keine eigenen Gefühle mehr haben.
Ich habe sogar Mitleid mit Ihnen.
Ja, lachen Sie nur, aber ich lache nicht dabei.
Mir ist es Ernst.
Dieses Mal wird es aber etwas anders laufen, als sonst, glauben Sie mir.
Sie wirken erstaunt?
Weshalb denn?
Meinen Sie vielleicht, das sei immer nur einseitig?
Ha, Sie wissen aber reichlich wenig!
Ich kenne viele Leute, die so sind, wie Sie; die nicht mehr in der Lage sind etwas Eigenständiges aus ihrer Seele zu holen.
Ah, Sie widersprechen mir?
Ho, ho!
Dann bitte, lassen Sie mich nachfragen: Was fühlen Sie denn, wenn sie mich lesen, oder meine Worte, was ja das selbe ist oder zu sein scheint?
Ich verstehe, es ist Zeitvertreib.
Schön, wenn man Zeit hat, die vertrieben werden muss.
Ich könnte mir das nicht leisten.
Aber bitte, jedem das Seine.
Ah, Unterhaltung.
Gut, Sie unterhalten sich also, wenn ich Ihnen meine Seele auskotze.
Ist das nicht reichlich primitiv und voyeuristisch?
Nein?
Ich finde schon.
Sind Sie vielleicht auch so jemand, der in fremde Fenster schaut;
in anderen Leben spioniert und sich daran ergötzt, wenn es denen schlechter geht?
Sie müssen sich nicht verteidigen.
Ich spinne nur ein paar Fäden zu einem Netz, ob Sie sich darin verfangen, nun, das ist sekundär.
Schliesslich waren Sie es, der mich aus dem Bücherregal genommen hat.
Sie können mich ja einfach weglegen.
Niemand hindert Sie daran, oder?
Ah, sehen Sie, das wollen Sie auch nicht.
Tja, tut mir leid, wenn ich Ihnen etwas ganz anderes biete, als das, was Sie sich normalerweise gewohnt sind.
Andere müssten dafür viel bezahlen, um so ein Gespräch zu führen.
Sie würden dabei in der Horizontalen liegen und die Schuhe wären adrett unter dem Sofa drapiert.
Jetzt lachen Sie.
Schön, dass man Sie mit ein paar Klischees zum Lachen bringen kann.
Das zeigt ja recht anschaulich Ihr Niveau.
Unverschämt?
So, finden Sie?
Ich nicht.
Ich bin immer so und Sie haben mich schliesslich gewählt, also sind Sie es, der für das alles hier verantwortlich ist.
Wäre ja noch schöner, mir das in die Schuhe zu schieben.
Aber wissen Sie, was ich denke?
Sie sind so der Typ, der gerne anderen die Schuld gibt.
Habe ich Recht?
So jemand, der in der Schule den Banknachbarn heimlich verpfiffen hat, und sich dann masslos freute, wenn dieser bestraft wurde.
Ich habe doch Recht, oder?
Geben Sie es doch einfach zu!
Ach, und jetzt kullern auch noch ein paar Tränen.
Niedlich.
Verletzend?
Ich?
Nein, ich sage bloss die Wahrheit.
Ist ja nicht mein Problem, wenn Sie damit nicht klar kommen, aber passen Sie bitte auf, dass ich nicht nass werde.
Sie sind wirklich extrem empfindlich.
Gestresst?
Das ich nicht lache!
Sie wissen ja gar nicht, was Stress bedeutet.
Ja dann rauchen Sie halt, wenn Ihnen danach ist.
Ich kann nicht husten.
Ehrlich gesagt, habe ich mir etwas mehr von Ihnen erhofft.
So nach der äusseren Erscheinung zu urteilen, erwartete ich mehr Inhalt und Tiefe.
Sie beginnen mich zu langweilen.
Tja, übel, aber das merkt man eben erst hinterher.
Ich verschwende meine Zeit nicht gerne, wenn Sie also nichts dagegen haben, dann stellen Sie mich bitte wieder ins Regal.
Gut, danke.
Ich nehme mir lieber einen interessanteren Leser.“




(c) Margot S. Baumann



(c) Margot S. Baumann

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#2

Die Wahl

in Parodien und Persiflagen 04.03.2005 18:06
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
Es ist wie ein extravagantes "wer das liest ist ein Idiot", durchzogen von der genialen Kehr der Wahl vom Leser zum Autor. Äusserst amüsant, man fühlt sich ansprechend angesprohen.

Ach, jetzt weinen Sie. Verletzend? Ja, die Wahrheit ist oftmals verletzend. Machen Sie sich nicht ins Hemd. Oh Gott, oh Gott, das sind ja wahre Sturzbäche. Passen Sie bloss auf, dass ich nicht nass werde. Ok, jetzt reicht’s aber langsam. Sie sind ja wirklich extrem empfindlich. Gestresst? Das ich nicht lache! Sie wissen ja gar nicht, was Stress ist. Ja dann rauchen Sie halt, wenn Ihnen danach ist. Ich kann nicht husten.

Dieser Absatz ist mein Kritikpunkt. Er passt mir nicht hinein und riss mich aus dem roten Faden heraus, zu übertrieben. Her fühlt sich der Leser wieder überlegen
denn z.B:
Jetzt lachen Sie. Schön, mit ein paar Klischees kann man Sie zum Lachen bringen, wie rührend. Da man an der Stelle mit dem Psychologen tatsächlich lacht wird man hier ertappt! Man wird vom Text eingefangen.

die Stelle mit der Weinerei ertappt den Leser nicht, man wird an dieser Text aus der Interaktion mit dem Text herausgeworfen. Ich schlage Kürzen/Umschreiben/Weglassen dieser Stelle vor.

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#3

Die Wahl

in Parodien und Persiflagen 05.03.2005 00:08
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Willie

Danke fürs Lesen und Kommentieren. Ehrlich gesagt, weiss ich nicht so recht, was Du meinst, aber das kann auch an der Uhrzeit liegen. Ich denke darüber nach.

Schön, dass er Dir ein Schmunzeln entlockte.

Beste Grüsse
Margot


P.S. Ich wollte mal die Erste in einer Rubrik sein. Die Erste soll man ja bekanntlich nie vergessen.

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#4

Die Wahl

in Parodien und Persiflagen 05.03.2005 00:48
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
ach margot, um so später die stunde, desto geistreicher bist du doch.

ich glaube, willi wollte dir sagen, daß an der kritisierten stelle der leser nicht weint, sondern mitlacht. hier ist der leser nicht derjenige, der vom text angesprochen wird. es ist eine abgehobene ebene. der leser hängt über der konversation des textes mit dem nunmehr fiktiven leser.



grüße.
arno.

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#5

Die Wahl

in Parodien und Persiflagen 05.03.2005 13:24
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
Genau das meinte ich dort verliert der Text den Bezug zum Leser.

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#6

Die Wahl

in Parodien und Persiflagen 05.03.2005 20:19
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Vielen Dank für die Erklärung Arno (und die Zustimmung von Willie) aber ich check's nicht.

Mann, ist die doof, Mann!

es grüsst das Murmeltier


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#7

Die Wahl

in Parodien und Persiflagen 05.03.2005 22:08
von MrsMerian (gelöscht)
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Hi ihr.

Ich schließe mich der Kritik gleich an und versuche mal es zu erklären, was die Herren meinen

Der Text ist zuvor so, dass Du sehr treffend die Emotionen im Leser triffst und so ist es geradezu Interaktion, was stattfindet.
Der Leser schmunzelt und dann schreibst DU plötzlich: Jetzt lachst Du, mit Klischees kann man Dich also um Lachen bringen.
Sehr gut getroffen. Und fesselnd, vorallem fesselnd.

Leider geht dies verloren an der Stelle in dem der fiktive Leser (nicht mehr der Deines Textes) anfängt zu heulen.
Denn ich hab nicht geheult und im gleichen Moment denk ich: ärgh... wie übertrieben. Das versaut mir die ganze Spannung, die Du vorher so geschickt aufgebaut hast, denn vorher war ich Deinem fiktiven Leser sehr ähnlich und habe mich ähnlich gefühlt, verhalten und gedacht... aber weil ich keine Sturzbäche weine, verliere ich den Anschluss und finde die Stelle wirklich beinahe albern, sry.

LG
Mrs.

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#8

Die Wahl

in Parodien und Persiflagen 06.03.2005 06:28
von muh-q wahn (gelöscht)
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Ich glaube, ich habe den Text schon einmal kommentiert und ich hoffe, mich richtig zu entsinnen, dass es positiv war. Eine nette Spielerei, die mich angesprochen hat und die ich sogar bis zum Ende gelesen habe. Meistens wird mir vorher schlecht aber dieser Text ist kurzweilig, die Ansprache direkt und der Inhalt kein verquastes, abgehobenes Gestammel, das wichtiger zu erscheinen versucht, als es ist. Das tut dieses "Buch" nicht, nein, es möchte weggestellt werden, um einen interessanteren Leser zu bekommen. Gefällt mir.

Und ich kann dich beruhigen, Margot. Ich bin auch zu blöd. Verliert den Bezug zum Leser, weil der ja gar nicht wirklich weint ? Ich habe vorher auch keinen Chateau Margeaux (witzisch, Margot) getrunken, nicht gelacht, nicht widersprochen, mich nicht verteidigt usw. usf. Das war für mich immer ein "fiktiver" Leser ... !? Wenn überhaupt, habe ich mich eher mit dem Buch identifiziert und bin im Laufe des Textes durch dessen Selbstgerechtigkeit desavouiert worden. Der Unmut über diese Stelle rührt vielleicht eher vom Inhalt her. Die "wahren Sturzbäche" sind übertrieben und wirken platt. Jedenfalls ist das die einzige Stelle, an der ich stockte und den Mund verzog.

Ansonsten ein eher gelungenes Experiment.

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#9

Die Wahl

in Parodien und Persiflagen 06.03.2005 10:46
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Leute

So langsam beginne ich zu ahnen, was Ihr meint. Ok, überzogen ist es wahrscheinlich, aber was ist schon nicht überzogen, in diesem Text? Und wenn man sich angesprochen fühlt, tja, das sollte einem doch etwas zu denken geben.

Des Weiteren versuchte ich, bei der kritisierten Stelle, die Angst des Buches vor Nässe (Wasser) zu verdeutlichen. Ist sie doch, nebst Feuer, der Untergang eines jeden gedruckten Werkes. Aber ich bin keine sehr gute Prosa-Schreiberin und wenn mir 4 Leute sagen, dass das Scheisse ist, dann wird's wohl so sein.

Ich danke Euch allen recht herzlich für die hiesigen, wie auch dortigen, oder drübigen (*g) Kommentare. Und freue mich immer noch, die Rubrik entjungfert zu haben.

Es grüsst
Margeaux

P.S. Ich glaube muh hat diesen Witz als einziger verstanden. Ich darf Dich daher zu einem Glas desselbigen einladen.


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