#1

Späte Rückkehr

in Liebe und Leidenschaft 09.04.2005 09:13
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Späte Rückkehr

Vielgeliebte, tiefverehrte
Freundin Mutter Gattin Weib,
leise grüßt der Kriegsversehrte -
tote Seele kalten Leib.

Lange harrte meiner Rückkehr
Deine Liebe, auch Dein Hass.
Schließlich blieb Dein Herz gefühlsleer,
ich trieb fort im Aderlass.

Meine Schande bringt Dir Zukunft,
mein Verderben löst die Qual.
Hinter Dir liegt jetzt die Altbrunft,
vor Dir nun der Freudensaal.

Wünsch Dir Glück und langes Leben.
Meine Treu sei Glückes Pfand,
ihn will ich ans Herz Dir geben,
reich zum Abschied Dir die Hand.

(c) Don Carvalho
- Dezember 2004

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#2

Späte Rückkehr

in Liebe und Leidenschaft 11.04.2005 16:13
von muh-q wahn (gelöscht)
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Hallo Don !

Hier machst du mir ein Angebot, das ich nicht abschlagen kann. Gewohnt sicher reimst du hier im Kreuze A-B-A-B vier Strophen lang in sicherem Rhythmus

XxXxXxXx
XxXxXxX
XxXxXxXx
XxXxXxX

so routiniert vor dich hin, dass es einerseits eine Freude ist und man sich andererseits voll auf Sprache und Inhalt stürzen kann.

Das lyrische Ich ist dem Weibe, an das sich diese Zeile richten, tief zugetan, was die Aufzählungen und Verstärkungen der ersten zwei Zeilen dick unterstreichen: Solches könnte ansonsten allenfalls Sarkasmus sein und dazu später. Zunächst einmal nehmen wir an, warum sollten wir an Don zweifeln, dass die Liebe rein und schier ist.

Die Ansprache (Grüße) des lyr. Ichs ist jedoch verhalten, leise, er bezeichnet sich zudem als kriegsversehrt. Hiermit wird vermutlich mehr der Kampf der Geschlechter oder eine ausgedehnte Promiskuität, denn wirklicher Krieg gemeint sein, allerdings begleitet uns das Rätsel der vierten Zeile der ersten Strophe durch das ganze Gedicht: Wenn jemand wirklich tot ist, wer ist es ? Der Kriegsversehrte güßt "tote Seele kalten Leib". Rein formal ist das falsch, was könnte es alles heißen, zudem mit dem vorangegangenen Gedankenstrich ?

a) Die tote Seele des ansonsten lebendigen lyrischen Ichs grüßt den (gefühls-)kalten Leib des lyrischen Du
b) Das wirklich oder unwirklich tote Ich grüßt das entweder gefühlskalte oder auch wirklich tote Du
c) Beides bezieht sich aufs Ich oder beides aufs Du

Ich weiß im Grunde nicht, was ich meinen soll, würde aber um Aufklärung bitten. Ich habe alle Möglichkeiten durchgespielt und tendiere dazu, dass nur das lyrische Ich echt tot ist. Warum ? Darum:

Das lyrische Ich war fremd- und/oder fortgegangen, vielleicht nicht einmal in physischer Hinsicht aber es war entfernt. Die Erfahrungen, die es in der Fremde gemacht hat, haben es verletzt und es kehrt reumütig zurück; die Rückkehr wird unterstrichen. Während er oder sie fort war, wartete der oder die Verlassene eine ganze Zeit lang halb liebend halb hassend auf eben diese Rückkehr. Irgendwann hatte es das Warten satt, die nun doch eintreffende Rückkehr war zu spät, es war kein Gefühl mehr da. Nun könnte zwar S2Z4 auch bedeuten, dass das lyr. Du sich die Pulsadern geöffnet hat aber warum sollte es das tun, wenn das Herz letztlich gefühlsleer war ?

Vor allem spricht S3 dagegen: Die Schande des lyr. Ichs ist einerseits der Fortgang, andererseits der Suizid. Sein physisches und psychisches Verderben löst die teilweise quälende Ungewißheit und macht das lyr. Du frei. Die alte Beziehung ist endgültig beendet, die Qual der sexuellen Routineübungen liegt hinter dem Du, mit Freude kann das Leben nach dem Tode (des lyr. Ichs) beginnen. Hier wird für mich auch deutlich, dass das lyr. Ich nicht wirklich weg war, sondern das Paar sich lediglich auseinandergelebt hat.

So ganz uneigennützig ist das lyr. Ich jedoch nicht: Strophe 4 ist zu versöhnlich, zu kitschig, zu kindlich, um noch echt zu sein. Ich sehe hier eher eine bitterböse Botschaft, wonach das lyr. Ich dem lyr. Du die Schuld an seinem Verderben zuschiebt. Vielleicht hätte ich das bei einem anderen Dichter anders gesehen aber hier schließt sich für mich auch der Kreis zur ersten Strophe (siehe oben).

Insgesamt kann ich das Werk nur loben, da es mich zu solcher Beschäftigung mit ihm einlud und diese auch mit Freude vergalt. Ich wäre aber nicht der, der ich bin, wenn ich nicht doch ein oder sogar zwei Haare in der Suppe fände:

S1Z4 mag als Rätsel beabsichtigt sein aber dann ist es sehr gewagt: Zu nahe ist die Möglichkeit sprachlicher Verirrung, darum bin ich mir auch so sicher: Wenn ich recht habe und die tote Seele meint das wirklich tote Ich und der kalte Leib das gefühlskalte Du, dann lasse ich mir das gefallen. Sonst nicht.

S3Z3: Die Altbrunft ist ja sehr findig aber richtig schmecken tut sie mir nicht. Erstens heisst es Brunst und höchstens in der Jägersprache und nur bei Hirschen Brunft und zweitens ist der Neologismus Altbrunst für zurückliegendes Sexualverhalten älterer Paare extrem abfällig und passt mir nicht recht in die Sprache des lyrischen Ich ... wollte ich gerade schreiben und denke: Halt, so verkehrt ist das eigentlich doch nicht. Hm, hm, also vermerken wir nur ein leichtes Unwohlsein ob der reimgeschuldeten Brunft.

Need to say more ?

Digitally Yours

muh-q wahn

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#3

Späte Rückkehr

in Liebe und Leidenschaft 12.04.2005 17:28
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Hallo muh-q wahn,

es freut mich, dass Du dieses Gedicht alles in allem recht positiv aufgenommen hast, insbesondere da ich selbst schon seit längerem mit ihm hadere. Bereits seit Ende letzten Jahres schmoren diese Zeilen auf meiner Festplatte, immer mit der Überlegung, wie ich sie mir selbst gefälliger mache (klingst das selbstgefällig? :D), bis ich sie nun einfach mal in den Tümpel geworfen habe um zu schauen, ob sie vielleicht doch schwimmen können. Immerhin scheinen sie nicht wie ein Stein untergangen zu sein...

- genug geschwafelt -

Zu Deiner zentralen Frage: lebt es, das lyrische Ich oder nicht? Ich denke, letztlich ist beides möglich und auch vernünftig begründbar. Ich persönlich sehe es (wie Du) tot - irgendwie scheint das eine persönliche Affinität zu sein ! Mit diesem toten lyrischen Ich habe ich zwei Fäden verfolgt. Der eine ist in der Tat der des Auseinanderlebens, des emotionalen Sterbens, der schließlich zur entsprechenden körperlichen Umsetzung führt. Dieses so gesehen makabre Ende mit dem darin implizierten Vorwurf an das lyrische Du hat mir gefallen, allerdings hätte ich nicht gedacht, dass dies auch von anderen gesehen wird. Naja, ein wenig kennst Du mich ja nun auch schon und eine feine Nase bei Interpretationen hast Du ja eh...

Die zweite (für mich eigentlich auffälligere) Lesart spielt auf ganz anderen Boden: Ich hatte da den in Kriegsgefangenschaft Verstorbenen vor Augen. Dies war sogar das Thema, mit dem meine Zeilen den Anfang nahmen und das mir aber eigentlich gar nicht gefällt... daher mein Hadern. Aus diesem Grunde habe ich dann versucht, weitere Interpreationsmöglichkeiten zu eröffnen, um von diesem mich nicht reizendem Thema wegzukommen (umso größer die Freude, dass dies nicht gänzlich misslungen ist!).

Den Aderlass würde ich übrigens ebenfalls nicht als das Öffnen der Pulsadern sehen (auch wenn das bei der unterschwelligen Thematik denkbar wäre), sondern mehr im "gefühlsausschüttenden" Sinne verstehen.
Die Brunft muss man nicht zwingend nur auf Paarhufer beziehen, sondern man auch andere Säugetiere mit einbeziehen, bei denen es einen zyklischen, hormonell gesteuerten Paarungsrythmus gibt. Ich gebe zu, auf die partnerschaftliche Ebene bezogen ist das ziemlich böse... meines Erachtens ist dabei Brunft ebenso wie Brunst korrekt (zumindest unterscheidet da weder mein Meyers Taschenlexikon noch die Wikipedia).

tote Seele kalten Leib ist echt so gewagt? Muss ich noch einmal drüber nachdenken...

Danke für Deine Kritik,


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