#1

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 18.04.2005 11:49
von muh-q wahn (gelöscht)
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Selbstbildnis

Eine Monographie

„Weh denen, die dem ewig Blinden
des Lichtes Himmelsfackel leihn,
sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden,
und äschert Städt' und Länder ein.“

Das Lied von der Glocke - Friedrich Schiller



Man möchte gerne Arschloch nennen,
wer wie ein solches sich verhält.
Ich möchte hier und heut bekennen,
dass man mich selbst oft für eins hält.

Ich bin ein Großkotz, Parvenü,
ein Schwätzer unter Alkohol.
Heut sag ich hott und morgen hü
und meine Predigten sind hohl.

Ein falscher Heiliger bin ich,
bar jeder Lehre; Misanthrop,
Moralapostel – widerlich! -
und wenn nicht blind, so doch Zyklop.

Dein Splitterauge, doch das Stroh
im eignen Kopf erkenn' ich nicht.
Im Gegenteil: Ich bin noch froh,
entzünde damit kleines Licht.

Das blendet höchstens in der Nacht
Und auch nur die, die wenig kennen.
Wer daraus eine Fackel macht,
der kann nur zündeln, niemals brennen.

Obwohl ich mich ganz gut erkenne,
spricht meine Tat der Rede Hohn.
Auch wenn ich selbst mich Arschloch nenne,
bin ich noch stolz; wer macht das schon ?

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#2

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 18.04.2005 12:15
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi muh

Einfach köstlich, danke fürs laute Lachen. ..... Witzige Reime Parvenü/hü .... Misanthrop/Zyklop .... alleine dafür möchte man dich küssen – lach.

Und jetzt zur Kritik. Stroh im Kopf kann keiner sehen, nicht mal ein Arschloch, da hinkt der Vergleich mit dem Splitter im Auge ganz gewaltig. Sowieso ist diese Str. etwas wackelig und fällt, nach diesen fulminanten Reimen, ab. Auch die letzte Zeile gefällt mir nicht .... wer ist das schon ... oder, wer kann das schon .... klingt das nicht besser?

Also, die ersten 3 Str. sind absolute Klasse und die ganze Aussage finde ich sowieso 1A, aber dann lässt du etwas nach. Ich schreibe jetzt nicht: Das kannst du aber besser! – weil, ich hasse diesen Spruch wie die Pest! – aber vielleicht magst du ja noch ein wenig daran werkeln. Wobei, du bist auch so einer, der das Geschriebene meist so lässt wie’s ist, n’est-ce-pas.

Grüsse
Margot



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#3

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 18.04.2005 12:30
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
molière, ich glaub, man kann ihn kennen,
- umschrieb uns lichterloh den misanthrop -
und du mein muh, laß 's mich bekennen,
bist selbst nicht so, nur ein chaot.

molière indes, ist auch schon lang von danne
er lag wohl sicher unter dichter's tanne.
und nur die, nicht er im sarg, verbiegt sich
bei wind - seit sechzehnhundertdreiundsiebzig.

was sollt' man nehmen, aus den zeilen?
die texte, muh, sind tannen uns'rer ichs
auch wenn wir längst im untergrund verweilen
biegt sie der wind ganz leicht - allabendlich.

gern gelesen, muh.

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#4

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 19.04.2005 00:13
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
Potzblitz schon wieder so ein Hammer Sehr gerne gelesen Hat schon jemand erwähnt das Einsicht der erste Schritt zur Besserung ist ? (Immer diese autobiographischen Züge)
Erinnert mich an: (Ärzte oder Hosen?) Ich bin stolz ein Arschloch zu sein

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#5

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 19.04.2005 14:22
von Feaníl (gelöscht)
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ja, wow, super gelungen.

äh ja.

ein gedicht das wohl ohne große probleme von vielen als 'wahrheitsgemäß' gelesen werden könnte, ich hatte jedenfalls keine großen schwierigkeiten dies und das für mich herauszulesen.. dennoch bin ich hoffentlich weit vom arschlochdasein entfernt.
dass man allerdings die selbstreflexion damit abschließt einfach festzustellen dass man eben ein arschloch ist, nun, darüber kann man streiten - oder nicht. als gedankenanstoß erfüllt es gewiss seinen zweck. arno hat ja schon den ein oder anderen ins rollen gebracht

die von margot kritisierte S4 finde ich gerade gut, selbst wenn das stroh im kopf nicht von großem einfallsreichtum zeugt, solls vielleicht auch nicht. das splitterauge (woher kommt denn bitte splitter im auge @ margot?) steht in starken kontrast dazu und verrät den ein oder anderen 'hellen moment' eines deppen der keine großen ambitionen hat viel mehr zu werden als das was er heute ist und gestern war. verrenne ich mich hier? es wurden leider schon viele fackel gemacht die aus kleinem feuern stammen, und leider kommt es nicht oft vor dass man einsieht schlechte ideen zu haben, falsche ansichten, verzerrte realitäten als wahr propagandiert zu haben. es sind die schlauen arschlöcher, vor denen man die kleineren warnen muss.

ich danke für den anstoß, auch wenns vielleicht nicht deine absicht war dies oder jenes auszulösen.


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#6

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 19.04.2005 15:26
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
@ Limm

Bergpredigt, Matthäus, Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!

Mt 7,2 Denn wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden, und nach dem Mass, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden.
Mt 7,3 Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?
Mt 7,4 Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen! - und dabei steckt in deinem Auge ein Balken?
Mt 7,5 Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.

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#7

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 19.04.2005 15:31
von Feaníl (gelöscht)
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@ Margot

oha.

[ L Ü C K E ]


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#8

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 19.04.2005 21:15
von Richard III | 868 Beiträge | 871 Punkte
Wow! Endlich Einer, der den Sinn des Lebens begriffen hat! Für dieses Gedichtchen (und hoffentlich bist du wirklich so!) liebe ich Dich!

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#9

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 20.04.2005 10:45
von muh-q wahn (gelöscht)
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Zitat:

Margot schrieb am 18.04.2005 12:15 Uhr:
Wobei, du bist auch so einer, der das Geschriebene meist so lässt wie’s ist, n’est-ce-pas.



Oui, ma déesse ! Aber weniger aus Großkotzigkeit, als aus der Erfahrung heraus, dass, wenn ich erst einmal damit beginne, hinterher noch weniger herauskommt. Ich freue mich über dein Gelächter, dass ich wie einen Kuss empfinde.

Zur Kritik: Der Splitter im Auge ist ja auch eher sinnbildlich und nicht tatsächlich zu sehen. Gedanklich war es vom Balken im Auge zum Brett vorm und schließlich Stroh im Kopf kein gar so weiter Weg, weil ich doch vom Zündeln kam und das Stroh sich nicht nur dafür eignet, sondern im Strohfeuer auch noch sowas von allegorisch daherkommt ... ich konnte einfach nicht widerstehen. Du hast schon recht aber wo soll ich jetzt anfangen, ohne nicht ein neues Gedicht zu schreiben ? Und ich schreibe gerade wieder andere neue, was also tun ?

Wer macht das schon ? Wer nennt sich schon Arschloch und meint es auch so ? Nicht kokett oder mit dem hier sondern tatsächlich und allen Ernstes. Deine Vorschläge klingen alle besser und ich bin auch nicht sonderlich glücklich aber ändern ? Da sage ich mit Rammstein: Ich hab' keine Lust.

@Arno: Ich fürchte, dass aus jedem desillusionierten Romantiker ein Misanthrop wird, ... bis er den nächsten Anfall hat.

@Wilhelm: Über wen sollte ich sonst schreiben ? Niemand ist mir annähernd so wichtig und/oder interessant. Allerdings bin ich nicht stolz darauf, das hast du daraus gelesen.

@Limmerick: Das ist für mich das Größte, wenn ich tatsächlich einen Denkanstoß liefern kann. Das Ergebnis ist ja völlig egal und wenn mein Gedicht später als größter Scheißdreck entlarvt wird, was ich hier als lyr. Ich ja selber besorge , dann ist das auch gut. Insofern fühle ich mich jetzt von dir 1a gelobt.

@Richard: Ich bin so. Bei solcher Emphase werde ich vielleicht doch noch schwul. Fühl dich sanft gebuckelstreichelt.

Vielen Dank für die Kommentare und Anregungen ! Ein schöner Tümpel ist das.

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#10

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 20.04.2005 12:08
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi muh

Ja, ich verstehe dich schon, ich habe auch Mühe damit, bereits Geschriebenes nochmals hervorzuholen und zu überarbeiten. Ich bin nämlich – entschuldige die Wortwahl – ein fauler Sack, was das anbelangt. Und mich locken auch immer die ungeschriebenen Dinge. Aber, ich besitze doch den Ehrgeiz, meine Werke so gut, wie möglich zu machen. Und wenn mir jemand Tipps gibt, die ich für gut befinde, dann setze ich sie sofort um. Denn wenn ich es nicht sofort mache, dann tue ich’s eben nie mehr.

Wie gesagt, ich verstehe deinen Standpunkt. Auch den, dass aus Flickwerk kaum etwas Gutes entsteht, jedoch sehe ich in deiner Haltung – vor allem, wenn du sie öffentlich vertrittst – auch die Gefahr, dass mancher denken könnte: Weshalb soll ich ihm Anregungen geben, wenn er sie doch nicht umsetzt?
Dann sind wir nämlich genau dort, wo die Kürzestkommentare anfangen. Ich will dich nicht von irgendetwas überzeugen, wie käme ich auch dazu? *g .... Aber, vielleicht mal einen Denkanstoss vermitteln.

Liebe Grüsse
Margot

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#11

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 20.04.2005 14:08
von muh-q wahn (gelöscht)
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D'accord, Margeaux !

Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich alle Anregungen nicht nur genieße, sondern sehr ernst nehme und erkannte Schwächen beim nächsten Anlauf zu vermeiden suche. Wenn Kommentare mich sogleich überzeugten, habe ich übrigens auch schon sofort geändert. Hier könnte ich mir für S4 folgendes vorstellen:

Dein Splitterauge, doch das Stroh
im eig'nen Kopf erkenn' ich nicht.


Wäre das besser ? Mit der letzten Zeile habe ich meine Schwierigkeiten, wobei ich aber konzedierte, dass die nicht recht gelungen ist. Die Aussage soll nicht sein, dass das lyr. Ich etwa auf sein Arschloch-Dasein stolz wäre, sondern darauf, es zu erkennen und zu benennen. Wenn es vielleicht auch zu schwach ist, sich zu ändern, so gibt es sich zumindest keinen Illusionen hin. Darauf und nur darauf ist es stolz. Wer ist schon so schonungslos selbstkritisch und ehrlich ? (Anmerkung des dichtenden Über-Ich: Das macht es noch schlimmer und unverzeihlicher. Wenn ich schon erkenne, dass ich ein Arschloch bin, dann sollte ich mich gefälligst ändern.)

Diese Aussage kommt vermutlich gar nicht herüber, weshalb eben zuviel geändert werden müsste und darauf habe ich keine Lust. Das ist schlicht misslungen und kaum zu retten. Mit deinen Vorschlägen würde nach meinem Gefühl diese meine gewollte Aussage aber noch mehr entstellt.

Oder nicht ?

Liebe Grüße und vielen Dank, dass du dir mit einem alten Rindvieh soviel Mühe machst.

muh-q wahn

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#12

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 21.04.2005 09:06
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Ja, das scheint mir logischer, aber du musst den Text natürlich nicht meinetwegen ändern. Letzendlich muss er zuallererst dich überzeugen. Und das ist doch keine Mühe, es macht mir einfach Spass, an dir rumzukritteln.

Je te souhaite une bonne journée.
Amicalement
Margeaux

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#13

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 21.04.2005 11:40
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
Muh, es spricht doch für dich, dass du etwas als misslungen betrachtest, dass den meisten hier gefällt Ich hatte dieselbe Lücke wie Limm und finde den Bezug Splitter-Brett-Stroh einfach Spitze

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#14

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 14.01.2006 14:32
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Kinder! Ich meine damit aller jüngeren Tümpler wie mich, es lohnt sich, von Zeit zu Zeit in die Katakomben zu gehen und die alten Zeichen zu betrachten, die dort in die Wände geritzt sind und der Witterung trotzen. AFAKAM (A former artist known as muh-q-qahn) hat hier ein Selbstbildnis hinterlassen, das mich so lange anstarrte, dass ich am Ende wie in einem Spiegel nur noch mich selbst sah. Danke, MWQ und deiner Reinkarnation Mattes, dass ich dieses Gedicht nicht mehr selbst schreiben muss... ich werd es mir aufhängen, irgendwo, wo ich die Wahrheit vertrage und mich von Zeit zu Zeit davor verbeugen. Gassho, Ulli

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#15

Selbstbildnis

in Philosophisches und Grübeleien 14.01.2006 20:16
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Mensch, Ulli, das wird die alte Kuh ziemlich verlegen machen, so weit kenne ich die ganz gut.

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