#1

Aufgebahrt

in Düsteres und Trübsinniges 18.06.2005 10:03
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Aufgebahrt

Gelblich grün die Blutergüsse
deiner schmalen Lenden Haut,
kalt erstarrt sind deine Küsse,
Licht der Augen schon ergraut.

Liladunkel Würgemale
zieren deinen zarten Hals.
So liegst du im Leichensaale,
Nachruhm zollt dir bestenfalls

einzig einsam Totenwäscher,
wie er deinen Körper weiht.
Ob der üble Lebenshäscher
letztlich Dir nun auch verzeiht?

(c) Don Carvalho
- August 2004

P.S. zur Komplettierung der Sammlung und schon etwas älter...


Zeichnung: Donna Carvalho

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#2

Aufgebahrt

in Düsteres und Trübsinniges 18.06.2005 13:49
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
hallo don.

als ich es gerade las, überkam mich ein schmunzeln. weshalb? man kommt wirklich locker flockig durch den text. man kann ihn beschwingt lesen und bekommt, gerade auch durch die abschließende frage, das obige schmunzeln. natürlich ist das thema per se kein lebensfrohes, doch die form.. doch die form.. ferner hast du z.t. wirklich gute reime gefunden (str1 güsse-küsse, str2 würgemale-leichensaale hals-bestenfalls und dann auch in str3).

BG
arno.

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#3

Aufgebahrt

in Düsteres und Trübsinniges 20.06.2005 09:41
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Danke Arno für die lobenden Worte. Das Gedicht wurde ja bereits vor längerer Zeit auf .com veröffentlicht und etwas intensiver besprochen. Der güsse/küsse- Reim wurde erst später nachgereicht, nachdem bei der werten Leserschaft Uneinigkeit wegen eines unreinens güsse/ Füße- Reimes bestanden und mit diese Unreinheit irgendwann selbst nicht mehr gefallen wollte...

Im Übrigen ist schmunzeln natürlich erlaubt .

Don

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#4

Aufgebahrt

in Düsteres und Trübsinniges 25.06.2005 17:22
von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
Hallo Don,
also doch die Leiche im Keller.

Spass beiseite, ein eindrucksvolles Gedicht. Wohl Selbstmörder oder Verbrechensopfer. Gerichtsmedizin. (würg)
LG
Knud

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#5

Aufgebahrt

in Düsteres und Trübsinniges 27.06.2005 22:27
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Hallo Knud,

freut mich, dass Dich meine Zeilen würgen lassen ! Auf den Gedanken, dass ein Selbstmord vorliegen könnte, ist bislang m.E. noch niemand gekommen, das finde ich selbst ganz reizvoll, da es ein gänzlich anderes Licht auf einige Passagen wirft. Allerdings sind die Blutergüsse zwar sicherlich erklärbar, aber dennoch nicht vollends schlüssig. Trotzdem...

Hab Dank für Deinen Kommentar,


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#6

Aufgebahrt

in Düsteres und Trübsinniges 28.06.2005 13:58
von Velazquez | 315 Beiträge | 315 Punkte
Hi Don,


Für mich geht es hier eindeutig um einen Kinderschänder, der sich an einem Jugendlichen, einem Jungen meines Erachtens, vergangen hat. Der Text kommt dazu so beschwingt daher, zynisch, wie ein Gerichtsmediziner, der bei der Verrichtung seiner Arbeit ein Hawai-Hemd trägt, ’La Paloma’ pfeift und zum Sezierbesteck einen Zigarillo zwischen den Fingern hält - Humor, wie er schwärzer kaum sein könnte…

Und die letzte Zeile: schön absurd.
Aber mit diesen Denkmustern beschäftigen sich ja gerade die werten Psychologen, die diesen Tätern dann aus der Anstalt Freigang gewähren…


Gefällt mir, insbesondere die zynisch-beschwingte Schreibweise und die letzte Zeile, die ihre Wirkung nicht verfehlen.

LG, Velazquez

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#7

Aufgebahrt

in Düsteres und Trübsinniges 28.06.2005 20:41
von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
an Don
Hi Don, die Blutergüsse können auch fehlgedeutete Totenflecken sein. (soll ja bei uns vorkommen/schmunzel) Und Selbstmörder deshalb da er ja wohl dem Gevatter Tod die Arbeit abgenommen hat.(S3/Z3+4)
LG
Knud

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#8

Aufgebahrt

in Düsteres und Trübsinniges 30.06.2005 11:47
von MelenColia (gelöscht)
avatar
Hallo Don, Hallo allerseits,

wie üblich auf die Gefahr hin, komplett daneben zu liegen, hier nun mein Kommentar.
Angedeutet wurde, dass es sich um den Mord an einem missbrauchten Kind, einem Jungen?, handelt.
Mit dieser Interpretation geh ich nicht konform und zwar wegen
Zitat:

Nachruhm zollt dir bestenfalls

einzig einsam Totenwäscher


dieser Textstelle. Im Allgemeinen ist der Nachruhm (interessantes Wort übrigens,war mir bislang unbekannt) eines durch ein Gewaltverbrechen umgekommenes Kind eher riesig: Blumenmeere vor Whg, Tatorten, Gräbern, Kerzen, Kinderzeichnungen, selbstgebastelte "Warum?"-Collagen, echte und kommerzialisierte Bestürzung eingeschlossen.

Diese Textstelle hört sich für mich an, als sei der einzig Interessierte an dieser Leiche nur der Totenwäscher, vielleicht nicht mal die Gerichtsmedizin.
Mir drängte sich eher das Bild einer älteren/alten zierlichen Frau auf, deren Tod, auch wenn er gewaltsam war, nicht viel Aufsehen erregt, trotz der möglicherweise sexuellen Färbung

Zitat:

Gelblich grün die Blutergüsse
deiner schmalen Lenden Haut,

dieser Textstelle.
Auch impliziert das gelblich grün, dass die Blutergüsse Zeit hatten ein wenig zu heilen, bevor der Tod eintrat, sonst müßten sie eigentlich andersfarbig sein (violett-schwärzlich? *spekulier*), aber das nur so nebenbei. Ebenfalls nebenbei, auch kleine, zierliche Frauen können trotz Mutterschaft schmale Hüften haben (was hier die Lenden wohl sein dürften), siehe meine Nachbarin.
Mir drängte sich das Bild einer allzu dominanten Mutter auf, deren Kind/Sohn, nun erwachsen und mit seinem Leid verwachsen ist, den das Kind ursächlich in seiner Mutter verortete und diese richtet...

Dafür könnte auch die letzte Zeile sprechen:

Zitat:

letztlich Dir nun auch verzeiht?



Wobei ich durchaus diese letzten Zeile zu der Interpretation des mißbrauchten Kindes und der Denkschemata seines Mörders in Verbindung bringen kann.
Das schaffe ich allerdings nicht mit der bereits zitierten Nachruhm Zeile, deswegen kommen zumindest mir Zweifel an diesem Blickwinkel auf.

Insgesamt kann ich mich aber ohne weiteres meinen Vorrednern anschließen: der leicht-lockere Tonfall zu einem solch ernsten Bild hat eine ganz eigene Magie und gefällt mir sehr gut.

(und wenn ich mal groß bin, weiß ich dann bestimmt auch irgendwann mal wie man Gedichte schreibt. so mit metrik und reimschema und so. so richtig halt.... )

Liebe Grüße,
MelenColia

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#9

Aufgebahrt

in Düsteres und Trübsinniges 04.07.2005 09:27
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Hallo Knud und vor allem MelenColia,

eigentlich hatte ich Euch schon geantwortet und bin nun erstaunt, dass meine Antwort hinfort ist. Unbemerkt von mir scheine ich sie beim Abschicken in den unwiderbringlichen Netzäther geschossen zu haben. Seltsamerweise habe ich das wohl aber gar nicht bemerkt, denn ich antwortete euch schon vor Tagen... Gna! Gerade habe ich keine Zeit (und auch keine Lust ) nochmals alles zu schreiben...

@MelenColia: In Deiner Kritik waren viele sehr feinfühlige Erkentnisse dabei, hat mir gefallen!

Ich hole meine Antwort nach, versprochen!


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#10

Aufgebahrt

in Düsteres und Trübsinniges 05.07.2005 10:58
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
So, dann spamm ich mich mal ein bisschen hoch ! Vel bekommt natürlich auch eine Antwort, Dich habe ich völlig übersehen .

@Velazquez: Gute Argumente gegen den Kindesmissbrauch hat MelenColia geliefert, eine derartige Interpretation ist jedoch in meinen Augen nach wie vor möglich. Schlimmer noch als die hawaihemdentragenden Gerichtsmediziner sind übrigens die cordhosentragenden, die - kaum angekommen - erst mal ihr Leberwurstbrot auspacken und das während der Arbeit auf der Fensterbank ablegen ...

@Knud: "soll ja bei uns vorkommen/schmunzel! Bist Du in der Gerichtsmedizin tätig? Wobei dort die Fehlerquote eigentlich nicht mehr so hoch ist, zumeist versieben es ja eher die Haus- und Notärzte...
Die letzten Zeilen so zu verstehen, dass der lebenshaschende Gevatter Tod dem Selbstmörder verzeihen müsste, da dieser ihm ins Handwerk gepfuscht hat, ist nicht schlecht. Ich gebe zu, dass die Zeilen unter diesem Aspekt auch schlüssig sind... wie gesagt: ist bislang noch niemand darauf gekommen, gefällt mir aber!

@MelenColia: Die Betrachtung des Nachruhmes finde ich sehr gelungen. Tatsächlich mag, wenn man sich die Bedeutung dieses Wortes vor Augen führt, dieser eher gegen die Tötung eines Kindes sprechen - wobei selbst beim größten Medienzirkus und aller kollektiven Trauerbekundungen letztlich dennoch die Kinderleiche ziemlich einsam im Kühlraum liegt... Dennoch gute Argumente, die für ein eher älteres Opfer sprechen.

Inwieweit sich Blutergüsse nach dem Tod verfärben, weiß ich leider nicht. Zwar war ich schon bei Autopsien dabei (glücklicherweise abgetrennt durch Glas in einem klimatiserten Nebenraum ), Gerichtsmediziner bin ich jedoch nicht, allerdings ist es wohl recht unwahrscheinlich, dass die Hämatome allzu lang grünlich bleiben.


@all: Euch allen sei für Eure Kritiken gedankt, ich finde, da sind eine Menge guter Ideen und Interpretationsansätze vorhanden. Freut mich, wenn Euch meine Zielen gefallen,


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