#1

Lückenlos

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 21.09.2005 23:51
von Roderich (gelöscht)
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Lückenlos


Mein alter Freund Josef war in meine Stadt gezogen. Kaum eine Woche nach seinem Umzug von Salzburg nach München lud ich ihn zu einem typischen Münchner Essen ein, quasi als Willkommensgruß. Da ich noch aus unserer gemeinsamen Studienzeit wusste, dass Josef ein Langschläfer ist, kam ein Weißwurstfrühstück nicht in Frage. Ich entschied mich stattdessen für einen Abend mit selbst gemachtem Döner. Ausgemacht war sechs Uhr, dann konnten wir noch ein wenig über alte Zeiten plaudern.

An jenem Tag kam ich früher von der Arbeit nach Hause, räumte meine kleine Wohnung ein wenig auf (was recht einfach ist: Schranktüre auf, alles überschüssige Zeug rein, Schranktüre zu) und machte mich anschließend daran, das Dönerfleisch genüsslich in der Pfanne herauszubrutzeln. So weit, so gut, ich lag wunderbar in der Zeit und gegen sechs Uhr erwarteten fünfhundert Gramm totes Lamm, warm gehalten im Ofen, meinen Gast. Ich rieb mir die Hände und setzte mich mit einem gut gelaunten Bier auf meine Couch.

Gegen halb sieben war Josef noch nicht da. Das war so nicht seine Art. Obwohl Langschläfer hatte er einen ausgezeichneten Sinn für Pünktlichkeit. Aber gut, er war als Kleinstädter nach München gekommen – da konnte man die Wege schon mal falsch berechnen. Zum Teil erstaunte es mich selbst immer wieder, wie weit sich die Stadt zog. So nahm ich mir einen Kumpel des gut gelaunten Biers von vorhin aus dem Kühlschrank und wartete weiter.

Als Josef nach über einer Stunde immer noch nicht aufgetaucht war, machte ich mir langsam Sorgen. Ich drehte einsame Runden auf meinem gefälschten Perserteppich (das mit einigen Umwegen, da ich mittlerweile mein viertes Bier intus hatte) und überlegte, die Polizei anzurufen. Dabei verfluchte ich Josef, dass er – wohl als Einziger in der Stadt – noch kein Handy besaß. Bei ihm zu Hause hatte ich es schon ein paar Mal versucht, aber er schien schon unterwegs zu sein. Ich malte mir die fürchterlichsten Schreckensszenarien aus, war gerade dabei, mir vorzustellen, wie Josef im Luitpoldpark mit aufgeschlitzten Gedärmen an einem Baum hing, als es an der Türe läutete.
Beim Öffnen: Der Anblick eines total verschwitzten Josef.
Er lehnte sich fix und fertig an den Türrahmen und keuchte. Die Schweißperlen rannen ihm über das tiefrote Gesicht, seine Kleidung war triefend nass.
„Was ist mit dir? Sag bloß nicht, du bist hergelaufen!“
Von seiner Wohnung zu der meinen waren es gute zehn Kilometer und Josef war alles, nur kein Sportler.
Er torkelte mit letzter Kraft in meine Wohnung und ließ sich in meine Ledercouch fallen, wobei es ein saugendes Geräusch gab. Als er wieder einigermaßen zu Atem gekommen war, stellte sich heraus, dass sein hochroter Kopf nicht nur ein Resultat seiner körperlichen Unannehmlichkeiten war.
„Ich sage dir“, setzte er an, hustete dann, wobei ein feiner Sprühregen an Schweiß von seinen nassen Lippen in den Raum stieb, und fuhr fort: „Ich sage dir eines: Nie wieder!“ Ich hätte mir meinen ratlosen Blick, den ich aufsetzte, um eine Erklärung für dieses „Nie wieder!“ zu erheischen, sparen können, denn fast ohne Unterbrechung sprudelte es aus ihm raus: „Weißt du, wann ich aus dem Haus gegangen bin? Um Viertel nach fünf! Mein Auto stand genau vor meinem Haus, der Verkehr war sehr gemäßigt für diese Uhrzeit, da sollte eine Dreiviertel Stunde doch mehr als genug Zeit sein! Ich bin auch gut vorangekommen, habe mich kein einziges Mal verfahren, immer schön die Strecke lang, die du mir am Telefon gesagt hast. Und dann bin ich in deiner Straße, um Viertel vor sechs. Ich fahre einmal die Straße runter, rechts alles verparkt, links alles verparkt.
Gut, dann vielleicht die kleine Seitenstraße, die hinter deinem Haus entlang geht. Auch nichts, nada! Keine einzige Lücke! Nicht einmal aufgestellt hätte ich mein Auto irgendwo reinquetschen können. Und ich habe einen wirklich kleinen Großstadtflitzer, den man in jede Lücke, die diese Bezeichnung verdient, stellen kann. Aber nichts da.
Also muss ich weiterfahren. Nächste Straße: Wieder nichts. Ein paar ganz Wagemutige haben sogar in der zweiten Reihe geparkt. Ich habe mir kurz überlegt, ob ich das auch versuchen soll und setze an, einem kleinen Suzuki die Wegfahrt zu versperren, als ich schon die Parkwächter, zu zweit, die Straße entlang schlendern sehe – rechts und links fleißig Strafzettel verteilend. Ich musste also weiterfahren.
In der nächsten Straße dann überhaupt keine Parkplätze, alles Parkverbot. Ein paar stehen trotzdem dort, sie haben alle einen Strafzettel an die Scheibe geklemmt. So versuche ich es in der nächsten Querstraße. Dort, in der Mitte, dann tatsächlich eine Lücke. In diesem Moment biegt von der anderen Seite ein Mercedes in die Straße. Es ist nur eine kleine Gasse, kaum hundert Meter lang. Der Mercedesfahrer sieht mich, bleibt stehen. Ich bleibe auch stehen. Offensichtlich hat er es ebenfalls auf die Parklücke abgesehen. Und er weiß, dass ich dort auch hinein möchte. Fast glaube ich, den verbissenen Gesichtsausdruck meines Gegenübers durch die spiegelnden Scheiben dieses protzigen Proletenlasters sehen zu können.
Es ist plötzlich alles ganz still, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.
Nur er und ich.
Ich und er.
Ich trete ein wenig aufs Gas, der Motor heult kampfeslustig auf. Er tritt ebenfalls aufs Gas, wir dröhnen uns über hundert Meter an. Ich bin bereit.
Wir warten auf das Signal.
Ein Vogel zischt im Tiefflug über die Straße und wir geben Gas, gleichzeitig. Mein Mucki gibt alles, die Reifen quietschen, ich fliege geradezu über den Asphalt.
Aber was will man gegen solche geldigen Proleten schon ausrichten. Der hat halt die Kohle, um sein Auto aufzumotzen und mit seinen 200 PS kann mein kleiner Mazda nicht mithalten. Fast hätte ich es aber trotzdem geschafft, wenn da nicht plötzlich ein Dackel ohne zu schauen auf die Straße gelaufen wäre.
Der blöde Köter!
Gut, der fünffache Überschlag in der Luft sah schon schlimm aus, aber ich denke, er ist weich gelandet. Jedenfalls hat er noch geatmet, als ich ausgestiegen bin und ihn untersucht habe. Ich habe mir dann gedacht: Der wird schon wieder, der ist zäh, und bin dann weiter. Inzwischen war ich ja schon fünf Minuten zu spät dran. Und ich hatte keine Ahnung, wo ich denn überhaupt war. Während der ganzen Herumsucherei nach einem Parkplatz habe ich komplett die Orientierung verloren. Ich hätte in Dschibuti sein können, da hätte ich mich genau so gut ausgekannt. Jedenfalls bin ich dann sicherlich fünfzehn, zwanzig Minuten wie ein Verrückter durch die Gegend gerast, aber ohne Erfolg. Nirgends ein Parkplatz, rein gar nichts!
Endlich, ich war schon fast am durchdrehen, sehe ich einen Parkplatz, einen freien. Ich habe es zunächst gar nicht glauben können, so durch den Wind geschossen war ich schon. Ich habe schon an Halluzinationen gedacht, aber der Parkplatz war auch noch da, nachdem ich mir die Augen gerieben habe. Also bin ich wie ein Derwisch darauf zu und rein. Dann habe ich mich mal umgesehen, wo ich denn jetzt überhaupt stand. Die Gegend kam mir irgendwie vertraut vor und als mich umblickte, stellte ich fest, dass ich auf meinem Parkplatz vor meinem Haus stand ...“



in memoriam E.K.
Parke in Frieden.

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#2

Lückenlos

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 22.11.2005 23:10
von sEweil (gelöscht)
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Hallo Roderich.

Da hatte ich mir doch damals vorgenommen etwas zu schreiben und es glatt in meiner Zeitnot vergessen.

Dein Text hat mir gut gefallen und schmunzeln lassen, obwohl die pointe gen Ende hin vorhersehbar war.

Lg Thomas.

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#3

Lückenlos

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 23.11.2005 11:15
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte
Jaja
Ich habe die Geschichte auch schon gelesen, aber nie etwas darunter geschrieben, weil du den Mercedes als Proletenkarre bezeichnest.
Sonst war sie aber schon witzig.

LG Gem<---Liebhaber deutscher Automobile

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#4

Lückenlos

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 18.12.2005 12:35
von Roderich (gelöscht)
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Hallo sEweil, hallo Gemini,

vielen Dank für eure Wortspende und sorry, dass ich mich erst jetzt melde. Habe aber, wie in der Plauderecke angekündigt, diplomarbeitsbedingt eine Auszeit genommen. Nun bin ich aber wieder hier und zu allen Schandtaten bereit.

Es freut mich sehr, dass ich euch beide zum Schmunzeln gebracht habe. Das war das Ziel des Textes - nicht mehr, aber auch nicht weniger - und wenn ich dieses Ziel erreichen konnte, bin ich schon sehr zufrieden.

Und @ Gem: Welch Überwindung muss es für dich gewesen sein, doch ein paar Zeilen darunter zu schreiben, wenn ich so auf dem Mercedes herumhacke. Dafür ein extragroßes Danke!

Grüße

Thomas

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