Go with the flow
„Weißt du – du schreibst Geschichten, Bücher. Die werden dann sogar veröffentlicht. So richtig mit Autorenhonorar. Dann glaubst du irgendwann, dass du gut bist. Dass du gute Geschichten erzählen kannst. Glaubst, dass du mindestens genau so gut bist wie die anderen da draußen, die Bücher veröffentlichen. Wie ein Kafka vielleicht. Obwohl der schon tot ist. Aber du fühlst dich wie Kafka. Mysteriös. Labst dich an Bedeutungsebenen. Du willst interpretiert werden. Doch deine Texte haben nicht genug Substanz. Du versuchst dir Bedeutungsebenen einzureden. Das hast du so gemeint und das so. Das Problem dabei ist: Beim Schreiben hast du nicht daran gedacht. Da hast du einfach nur geschrieben. Und im Nachhinein für dich selbst was hinein interpretiert, was beim Schreiben gar nicht da war.“
„Und was heißt das dann? Dass ich nie so gut geworden bin, wie ich dachte?“
„Dass du nur daran gedacht hast, besser zu werden, ohne es tatsächlich in Angriff zu nehmen.“
Der Alte zog an seiner Zigarette, blies den blauen Dunst sinnierend in den nächtlichen Himmel. Dann blickte er mir wieder in die Augen. „Tja, Kleiner, wolltest ein Bukowski werden? Gegen all die Scheiße anschreiben? Deinen ganzen Mist in schöne Worte kleiden, damit Eindruck schinden?“
Ich schüttelte den Kopf. „Bukowski habe ich nie gelesen.“
„Egal. Dann halt Kafka. Wie ich schon sagte. Es ist meistens Kafka.“
„Und, soll ich das Schreiben lassen oder was?“
Er lachte auf. „Nein, du sollst damit anfangen!“
Er drückte seine Zigarette am kalten Asphalt aus.
„Oder such dir einfach einen Job.“
Mit diesen Worten ging er und ließ mich allein auf der alten Steinbrücke zurück. Ich sah ihn erst zwanzig Jahre später wieder, in einem Buchladen. Neben Bukowski.
Und ich?
Verdammt, ich habe eine liebevolle Frau, drei Kinder, einen sicheren Job. Schreiben ist was für Realitätsfremde, wie der Alte einer ist. Ich habe eine Familie zu versorgen. Mir geht es gut, habe viele Freunde, führe ein beneidenswertes Leben.
Doch manchmal sehe ich den Alten in der Nacht an meinem Bett stehen. Er beugt sich über mich, nimmt sich die obligatorische Zigarette aus dem Mund und haucht mir ins Ohr: „Schisser!“