#1

reste

in Gesellschaft 23.02.2006 10:38
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
reste


abendreste stumm verbracht
ferngeschaut wie jede nacht
partner um den schlaf gebracht
vor dem frühstück schon verkracht

bahn hat zum büro gebracht
graue angestelltenfracht
morgens abends fahrstuhlschacht
auch dazwischen nicht gelacht

gongschlag wieder aufgewacht
schnell noch einen draufgemacht
dann nach hause aufgemacht
abendreste stumm verbracht

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#2

reste

in Gesellschaft 24.02.2006 20:26
von Arkanus (gelöscht)
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Okay, Mattes! Da Du in diesem Forum nach meinen ersten Eindrücken hochgelobt bist, muss ich mich ja früher oder später mit Dir und Deinen Werken befassen. Das hier scheint ganz geeignet:

XxXxXxX
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Das wäre dann auf jeden Fall ersteinmal metrisch perfekt durchgehalten. Reimtechnisch ein echter Genuss: alles reimt sich auf "acht".
Die Begründung für Deine Form ist schnell gefunden:

In einem Gedicht, das die Monotonie des Alltags beschreibt, macht es sich nicht schlecht, eine monotone Form zu wählen. Die Unterstreichung des Inhalts durch die Form ist in jedem Fall sehr gelungen!
Ob man nun noch die Endsilbe jedes Verses "acht" (im Sinne von "gebt Acht", oder auch im Sinne der Zahl "8", die insbesondere im biblischen Kontext "Unendlichkeit" ausdrückt) interpretieren möchte, bleibt wohl dem Leser überlassen und sind mehr Gedankenausflüge meinerseits.

Du verwendest in dem Gedicht desweiteren ausschließlich Ellipsen, was Dein Gedicht nicht gerade ästhetisch aufwertet, aber sich in dem Kontext sehr gut macht. Die Ellipsen erzeugen eine sehr triste Wirkung, und durch die konsequente Einhaltung sind auch sie Ausdruck der Monotonie. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass die Monotonie des Alltages dem lyrischen Ich die Realitätswahrnehmung verstellt. Es nimmt die Welt fragmentiert wahr, findet keinen Ausgleich, hat kein "Ganzheitsgefühl" mehr.
Auffällig ist auch, dass in dem gesamten Gedicht nicht einmal das Wort "Ich" vorkommt. Also fehlt selbst die Wahrnehmung des eigenen Selbst in diesem Brei aus Alltag.
Der Mensch wird insbesondere durch diese Art der Wahrnehmung immer weniger Mensch und immer mehr Zahnrädchen in den Mühlen der postindustriellen Gesellschaft.
Wir haben hier also ein Gedicht, dessen Aussage größtenteils über die Form vermittelt wird.

Fazit: Großartig.

Habe ich Dich irgendwo falsch verstanden?

Gruß,

Arkanus

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#3

reste

in Gesellschaft 25.02.2006 10:00
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte
Hallo Mattes, Arkanus

Eine Sache ist mir noch aufgefallen. Die aber nur, weil in der Vergangenheit eine ähnliche Situation war. Die Kleinschrift soll hier wohl noch das Mindere hervorheben. Den "kleinen Mann".

LG Gem

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#4

reste

in Gesellschaft 25.02.2006 13:23
von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
Hi Mattes,
wie von Arkanus schon beschrieben soll wohl die Monotonie des lyr. Ich das Thema sein. Das ist auch von Dir perfekt im Reimschema dargestellt. (obwohl es mich nicht anspricht)Die Idee mit der Unendlichkeit ist für mich nachvollziehbar, eine unendliche Monotonie der „Reste des lyr. Ich“ Das hat etwas von Metropolis, und Reste sind Fragmente in denen Du sprachlich Deine Aussagen kleidest. Hier könnte ich mir in St2/Z2 auch „angestelltenfracht“ vorstellen.
Gruss
Knud

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#5

reste

in Gesellschaft 27.02.2006 16:09
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte

Zitat:

Arkanus schrieb am 24.02.2006 20:26 Uhr:
Habe ich Dich irgendwo falsch verstanden?



@Arkanus: Ich denke nicht. Danke, dass du dich mit dem Gedicht und nicht mit mir befasst hast. Alles ist gesagt, ergänzen könnte man noch, dass die "Acht" trotz der Unendlichkeit beschnitten ist. Nicht nur, dass sie eine doppelte Ellipse ist, das Wort stammt wohl auch von der Bezeichnung der beiden Hände ohne Daumen her (die beiden Vierer).

@Gemini: Jein. Diese Acht kennt kein Oben und kein Unten und insofern kein Groß und Klein. Außerdem bin ich derzeit in einer Kleinschreibphase.

@Knud: Ja, hier geht die Form vor, worunter die Ästhetik zweifellos leidet. Die "angestelltenfracht" gefällt mir mittlerweile eindeutig besser, also wenn du gestattest, würde ich das gerne aufnehmen.

DG
Mattes

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#6

reste

in Gesellschaft 27.02.2006 21:05
von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
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#7

reste

in Gesellschaft 27.02.2006 22:03
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Lieber Mattes!

Ich las sachte und bedacht
zwölf an Zeilen mit dem ..acht
die Du uns hast dargebracht,
bleischwer als Poetenfracht.

Mir hat sie nichts ausgemacht,
diese schwere Wortenschlacht,
nur mein Bandwurm hat gelacht,
meinte, ihm war's zugedacht.


Gruß: Joame

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#8

reste

in Gesellschaft 27.02.2006 23:14
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Kingt des Dichters Wort zu barsch,
wird sich in die Hos' gemacht.
Ist es für das Hirn gedacht,
sind die Zeilen für den Arsch.

Kommt der Schiss jedoch nur dünn,
wird sehr gerne abgelacht.
Wirkt der Reim auch abgeflacht,
keiner fragt mehr nach dem Sinn.

Denn es ist zum Haareraufen:
Wird der größte Scheiß gebracht,
setzt der Teufel mit Bedacht
noch auf diesen seinen Haufen.

Willst du also, Plebs Joame,
was dem Bandwurm Freude macht?
Oder dient des Schlammes Schlacht
einzig deiner Selbstreklame?


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#9

reste

in Gesellschaft 28.02.2006 01:07
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Eigentlich hätte ich gerne,
wenn ich hier so lieb befragt,
etwas feines für mein Zwerchfell,
was erheitert. - Du verstehst, gell?

Nur Dein ganzes Reimeschema
deutet doch nicht auf Dilemma?
Stimmung wirkt nicht angenehm,
durch Fäkalienproblem,
das in Wortwahl manifest
und sich kaum verschweigen läßt.

Nun zur mir und Selbstreklame:
Mann, Du hast es voll erfaßt,
keine Zeile und kein Wörtchen
werden dazu je verpaßt.

Denn das Große bleibe groß
auch das Kleine möge bleiben;
nicht nur Schreiben ist betroffen,
auch die Dichter, die so schreiben.


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#10

reste

in Gesellschaft 28.02.2006 11:56
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte
Yo, was sehe ich?
Eine dieser hippen "poem battles"

Los Homies gebt uns eure Reim´s

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#11

reste

in Gesellschaft 28.02.2006 11:58
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Ach, Plebis, mein Lieber, ich habe gar keine
Probleme mit Reimen. Ich werfe nur Schweine
im Schlachthaus. Zu gerne würd ich dich erheitern
und noch nebenbei Horizonte erweitern,

doch können die Kloschüsseln gar nicht mehr klopfen,
wenn Brocken wie meine die Därme verstopfen.
Doch Willie kennt Hilfe, zu der ich dir rate:
Humanadäquate Fäkalimitate!

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#12

reste

in Gesellschaft 28.02.2006 14:56
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Männer,

so schlecht war dattoch janich, datt ihr dat jetzt so vereimbeuteln müsst...

ein schöner Hamburger Reigen - n bisschen trostlos wie der dortige Himmel, aber wahr, wahr, war-

um machen wir immer wieder mit in diesem Karussell?

Bevor ich zu inhaltlich werde, noch ein Satz zur Form: quadratisch, praktisch, gut.

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#13

reste

in Gesellschaft 28.02.2006 17:40
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte

Zitat:

Ulli Nois schrieb am 28.02.2006 14:56 Uhr:
...so schlecht war dattoch janich


Dann kann ich mich ja wieder abregen. Sei bedankt.

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#14

reste

in Gesellschaft 28.02.2006 21:35
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Von schlecht überhaupt keine Rede, nur das vereimbeutteln,
datistochjut

Herzlichst grüßt
Joame

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#15

reste

in Gesellschaft 28.02.2006 22:10
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Hallo Mattes!

Mach doch aus Deinem Herzen keine Mördergrube,
wenn es Dich juckt, nur zu dann, Bube!
Wirfst Du im Schlachthaus auch nur Schweine,
gebrauchst Du das Wort hier zum unechten Reime.

Wenn jemand gar von 'nur Schwein' spricht,
sage ich gleich, geringschätze nicht,
das liebe und grunzende kluge Tier,
es ist gar sehr sympathisch mir.

Dann Zeilen weiter lese ich,
von Kloschüsseln, Därmen und Fäkalimitaten.
Da spricht doch einiges für sich,
war er zu fett, Dein Sonntagsbraten?

Zu guter Letzt noch Dein Beteuern,
nullo problemo mit dem Reimen
und gerne wolltest Du mich erheitern,
Dir nebenbei Horizonte erweitern.

Das ist nicht vonnöten, bemühe Dich nicht,
denn Lachen fällt mir immer so schwer;
und Horizont ist nur perspektivische Sicht,
- soviel für heute - ich grüße Dich sehr!

Joame

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#16

reste

in Gesellschaft 28.02.2006 23:47
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
Weiter so

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#17

reste

in Gesellschaft 01.03.2006 05:53
von Roderich (gelöscht)
avatar
Hallo Mattes,

mein Kompliment zu deinem Gedicht - wirklich eine wundervolle Symbiose von Inhalt und Form. Da bleibt nicht anderes zu tun als es staunend zu genießen. Nur eine einzige Kleinigkeit, die mich gestört hat: S2Z4 - das klingt mir einfach ein bisschen zu platt, als ob die Zeile nur des Reimes wegen hier stehen würde. Vielleicht bezieht sich mein Unbehagen bei dieser Zeile hauptsächlich auf das "auch", da ich das mit der vorigen Zeile inhaltlich nicht wirklich verknüpfen kann, wenn du verstehst, was ich meine. Anyway, ein großartiges Gedicht.

Grüße

Thomas

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#18

reste

in Gesellschaft 01.03.2006 18:42
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
@Willie: Auf diesem Wege noch einmal herzlichen Dank für Aufstöberung und Nennung meines definitiven Lieblingsreimes. Ich hoffe, du findest ihn hier würdig angewendet.

@Roadie (immerhin derzeit in apple ): Besten Dank. S2Z4 ist nicht reimtechnisch geschuldet, sondern schon beabsichtigt, wenn auch wohl nicht gelungen. Das "auch" bezieht sich auf die Fahrstuhlfahrten und ist vielleicht wirklich nur zu verstehen, wenn man weiß, wie sehr ich diese Fahrten gehasst habe: eingesperrt mit flöhlichen Kollegen, zu denen man auch noch fleundlich sein musste! Na ja, und dazwischen gibt es eben auch für viele nichts zu lachen. Wie auch immer: Dein Kommentar hat mich sehr gefreut und aufgebaut, nachdem ich schon fürchten musste, das Gédicht wäre echt voll für den Arsch.

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#19

reste

in Gesellschaft 01.03.2006 21:48
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Lieber Mattes!
Da muß ich schon Klartext schreiben, wenn Du solche Bedenken hattest: es ist sicher nicht schlecht!

Freundlich grüßt Dich
Joame

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#20

reste

in Gesellschaft 01.03.2006 23:40
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
Ich wollte ja gar nicht stören, disst euch ruhig weiter

Zum Gedicht: Ich finde die Idee mit dem Reim "acht" als versteckter Hinweis auf die Unendlichkeit genial, erst Arkanus' Kommentar brachte Erleuchtung.

Das Gedicht wirkt einfach, es steckt aber in Sachen Umsetzung viel dahinter und gerade diese Einfachheit ist das beste an diesem Stück. Gefällt mir, ein würdiger Mattes

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