#1

fort schreiben

in Philosophisches und Grübeleien 21.05.2006 14:29
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
fort schreiben

das wort das da steht
darf nicht dort bleiben
das wort wenn es geht
musst du fort schreiben

so fort schreiben
so fort

dass das wort dir nicht
vor schreibt
dass das wort dich nicht
fest schreibt

und dir nichts bleibt
als
das wort das da steht

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#2

fort schreiben

in Philosophisches und Grübeleien 21.05.2006 14:42
von Krabü2 (gelöscht)
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Hi Ulli,
das zehrt, aber wenn es glückt, dann macht man vielleicht einige Versehrtheit zunichte - gewaltfrei, entsagend.
Falls ich es richtig verstehe :-))
Es ist die Einfachheit der Worte hier, in denen Inhaltsschwere sich ausdehnt. Finde ich. Finde ich gelungen.
LG U.

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#3

fort schreiben

in Philosophisches und Grübeleien 16.07.2006 16:23
von Maya (gelöscht)
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Hi Ulli,

Du bist schon ein Meister der Doppeldeutigkeiten. Ich war schon öfter hier, hab diese Perle bewundert und bin stumm geblieben. Nu aber!
Die Überschrift ist schon mal ein Wink mit dem Zaunpfahl. Es scheint zum einen auf das Fortschreiben, zum andern auf ein *Wegschreiben* anzuspielen. In dem Sinne, dass Worte, die in der Vergangenheit verfasst wurden, mit neuen Worten überdeckt und somit ausgelöscht werden. Geht es hier um die stetige Erneuerung im Prozess des Schreibens? Um die Entwicklung eines Schreibers, der mit jeder niedergeschriebenen Silbe wächst und die alten Unzulänglichkeiten hinter sich lässt?

das wort das da steht
darf nicht dort bleiben
das wort wenn es geht
musst du fort schreiben


Beim ersten Lesen dieser Strophe ist man geneigt, auch religiöse Aspekte herauszulesen („das Wort“). Wenn man will, lässt sich dieser religiöse Faden sogar bis zur letzten Strophe spinnen. Doch glaube ich, dass das hier weniger gemeint ist und lasse mal davon ab.

Die erste Aussage wirft zugleich eine Frage auf: Warum darf das Wort dort nicht stehen bleiben? Warum dürfen und nicht können? Ich begreife das als einen Wandel, einen Fortschritt, denn bliebe das Wort, wäre Stillstand vorprogrammiert. Man würde auf der gleichen Stelle verharren, ohne sich weiter zu entwickeln.

Die letzten beiden Zeilen sind ebenso zweideutig gehalten. „das wort wenn es geht“ involviert zum einen, dass das Wort verschwindet, zum anderen könnte sich das „wenn es geht“ auf die nachfolgende Zeile beziehen; i.d.S. wenn Du in der Lage dazu bist, dann schreibe es fort. Schreibe den Stillstand fort, indem Du Nois *g schaffst.

so fort schreiben
so fort

dass das wort dir nicht
vor schreibt
dass das wort dich nicht
fest schreibt


Das ist wunderbar! Das Wort „schreiben“ hast Du tatsächlich fort geschrieben, denn es fehlt ja in der zweiten Zeile. Genial!
Zugleich scheinen die folgenden Zeilen darauf anzuspielen, dass der Mensch seinen Worten vorausgeht – nicht die Worte definieren ein Ich, sondern das Ich bildet sich selbst in seinen Worten ab. Demzufolge sollte man mit Begriffen vorsichtig hantieren, denn gebraucht man sie falsch, schreiben sie dich in den Augen anderer fest.

und dir nichts bleibt
als
das wort das da steht


Daher verstehe ich das auch als eine Warnung, mit Worten zu lachs umzugehen – denn letztlich fallen sie auf die Person zurück, die sie äußert. Sowas kann schief gehen. Und um den Kreis zu schließen: Ich denke, das es im Gedicht darum geht, seine Entwicklungsfortschritte, die man (als Dichter) macht, auch auf sprachlicher Ebene (wenn möglich) transparent zu machen. Der Gedanke des ständigen Erneuerns steckt dahinter. Oder nicht?

Auf jeden Fall mag ich diese Doppeldeutigkeiten, auch wenn sie manchmal schwer zu deuten sind.

LG, Maya

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#4

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in Philosophisches und Grübeleien 16.07.2006 18:13
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Da muss ich dir doch so-fort antworten, da ich dieses Gedicht schon ab-geschrieben hatte, jedenfalls für den Tümpel.

Was soll ich sagen? Du hast das Gedicht in deiner Interpretation im ge-mein-ten Sinne fort und weiter geschrieben. Man mag das alles für neckische Wortspielereien halten, sinnfreie Jonglagen mit Mehrdeutigkeiten. Für mich ist dieses Gedicht eine Art persönliches Pro.gramm, ein Programm freilich, auf das ich nicht festgelegt werden möchte, denn dann würde es sich selbst widersprechen...

Ich habe nur Angst, dass Willy gleich mit seinem Ford vorbeikommt...

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#5

fort schreiben

in Philosophisches und Grübeleien 16.07.2006 20:04
von AiAiAwa (gelöscht)
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Zitat:

Ulli Nois schrieb am 16.07.2006 18:13 Uhr:
...
ein Programm freilich, auf das ich nicht festgelegt werden möchte, denn dann würde es sich selbst widersprechen...



Solche Geschichten liebe ich ja.

Ebenso wie Wortspiele. Und darum geht es hier ja auch, was die formale Finesse angeht. Also das gekonnte "Verfälschen" von Wörtern, sei es nur durch Trennung der Wortbestandteile, wodurch das ganze einen neuen Sinn bekommt. Und je mehr man nun an den Wortursprung gelangt, desto mehr analysiert man. Und Dein Text, Ulli, ist wahrhaft prädestiniert für eine Wort-für-Wort-Betrachtung. (Und das kann man wirklich als Lob auffassen.
Da Maya dem nun schon weit vorgegriffen hat, nur eine kurze Interpretation und Kritik von mir.
Was ich interessant fand, war vor allem die Reihenfolge (--> Kausalität). Das Wort geht und man muss es anschließend fort schreiben? Es passiert etwas mit der Sprache und man selber muss reagieren. So wirkt das Gedicht fast wie eine Mahnung bzgl. des Stillstandes und des Verharrens, Festfahrens innerhalb der sprachlichen Ebene, ergo: auch auf der geistigen.
Dieser teil ist gelungen, wenn auch nicht ganz flüssig zu lesen beim ersten Mal. Die kurzen Zeilen machen es einem nicht leicht. Klasse ist natürlich, dass Du mit einem geringen Wortvorrat und durch geringfügige Varation viel ausdrückst. In poetischer Hinsicht ist das ganze etwas trocken, da es hier eher auf Kopfarbeit und Durch-Denken des Textes ankommt. Das erzeugt zudem eine schwere Zugänglichkeit.
Weiter: Die zweite Strophe ist wegen der konkreten Verknüpfung vom Gedicht an sich mit seinem Inhalt schon sehr pfiffig. Auch wenn die Formulierung selbst "so fort schreiben" eher plakativ ist und nur wegen seiner demonstrativen Wirkung eine Berechtigung hat.
Anschließend wieder die "Mahnung": Sehr schön, das "vor-" und "fest-" vor dem "schreiben" - hier kommt wieder Zweideutigkeit ins Spiel; Aussage: Das Wort sollte dich nicht beherrschen, du musst mit den Wörtern umgehen können und den Umgang mit ihnen pflegen.
Die letzte Strophe wsit wiederum auf den Bedeutungsverlust des Wortes im Falle der Nichtbeachtung der vorherigen Hinweise hin. Das Ende ist insofern gut, da es die Brücke zum Anfang schlägt, doch ehrlich: es reißt nicht viel und klingt rasch ab. Wenn man sich nicht bemühen würde, das ganze Gedicht durchzuarbeiten, weil man darin den Reiz vermutet, könnte man schnell diesen Text abschreiben.
Auch wenn er sehr lesens- und bedenkenswert ist.

Also insegsamt ein "Hat mir von der Aussage her sehr gefallen" mit guten Wort-Tricks. Doch die zweckmäßig zurückhaltende, blasse Sprachwahl (s. Verdichtung) macht's einem nicht leicht, mit dem Text warm zu werden. Andere Werke von Dir habe ich um einiges lieber gelesen. =)
Nichtsdestotrotz sehr gekonnte Darstellung von Abhängigkeit und Abhängigwerden von Wort und Sprache. Daumen hoch.

Grüße
Philipp

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