#1

Synfonie

in Liebe und Leidenschaft 25.07.2006 17:22
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Synfonie

So oft mich deine Blicke streiften,
so oft der Wind das Land durchfuhr,
ich tappte blind auf weiter Flur
und sah nicht, wie die Ähren reiften.

Ich wollte mit den Schatten wandern:
im Kreis, und jeden Tag von vorn.
Dann platzte in der Nacht das Korn
und alles war von einer andern

Natur beseelt, die mich sofort verschlang.
Der Wind, der vorher leise rauschte - sang.
Er nahm uns mit, wir wurden Klang:

zwei Töne einer Melodie.
Und nun verrauschen wir als Synfonie.
Es sei denn, einer von uns beiden schrie.


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#2

Synfonie

in Liebe und Leidenschaft 26.07.2006 09:47
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Ulli

Eine Beziehung mit einer Sinfonie (*) zu vergleichen, ist sicher nicht neu. Du magst dem Vergleich aber doch etwas Neues abzugewinnen. Die Einbettung in die Natur nämlich. Schön auch die Beschreibung des Reifens und des Erkennens der wahren Werte.
Was mir nicht sonderlich gut gefällt ist die Doppelung ‚rauschte/verrauschen’’. Als Sinfonie verrauschen klingt so nach alten kratzigen Platten. Und das ‚schrie’ am Schluss wirkt ein bisschen dem Reim geschuldet.

Gruss
Margot

(*) Schreibst du das absichtlich falsch? Eigentlich heisst es ja Sinfonie oder dann halt Symphonie. So aber, sieht es eher nach einer Mischung zwischen Symbiose und Sinfonie aus .... ach, ich höre wohl wieder Zebras galoppieren.

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#3

Synfonie

in Liebe und Leidenschaft 26.07.2006 21:50
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte

EDIT: So jetzt ist Zeit und es geht ran an den Speck:

In diesem Gedicht wird die Entwicklung einer Liebe sozusagen auf dem Feld ausgetragen. Der Wind stellt eine Art Intensitätsindikator dieser Beziehung dar. Das lyrIch sagt es sei blind, ist es aber doch nur, weil es mit den Schatten wandern wil, oder es eher nicht besser weiss - doch das lyrDu reisst das lyrIch aus diesem Teufelskreis heraus.


Zitat:


So oft mich deine Blicke streiften,
so oft der Wind das Land durchfuhr,
ich tappte blind auf weiter Flur
und sah nicht, wie die Ähren reiften.



Das lyrIch bemerkt nicht die Signale des lyrDu. Blind für seine Blicke und taub für den Wind, tappt es herum. Doch unbemerkt reifen auf diesem Feld die Ähren auf das Unvermeidliche hin.


Zitat:

Ich wollte mit den Schatten wandern:
im Kreis, und jeden Tag von vorn.
Dann platzte in der Nacht das Korn
und alles war von einer andern



Die Schatten, in denen das lyrIch wandern will sind auch Grund seiner Blindheit. Aus dieser wird es gerissen als die Körner platzen.
In der letzten Zeile wartet ein hübsches Enjambament, welches uns atemlos in das erste Terzett hasten lässt.


Zitat:


Natur beseelt, die mich sofort verschlang.
Der Wind, der vorher leise rauschte - sang.
Er nahm uns mit, wir wurden Klang:



Das lyrIch taucht in eine neue Welt ein, eine völlig neue Natur. Und diese Natur ist vielleicht nicht nur ein bildhaftes Element, das lyrIch selbst erlangt eine neue Natur seines Wesens. Es sieht nun das Feld und es hört den Wind. Es wird von dieser neuen Natur verschlungen, als hätte sich alles verändert, als gälten nun sogar völlig neue Naturgesetze.
Hier kommt auch der synästhetische Charakter des Gedichtes zum Tragen, denn die Gefühle der beiden kann man nicht benennen: Sie sind nun Klang im Wind, nicht mehr fassbar und weit abgehoben aus dieser Schattenwelt. Das ist ihre Natur - für den kostbaren Moment.


Zitat:

zwei Töne einer Melodie.
Und nun verrauschen wir als Synfonie.
Es sei denn, einer von uns beiden schrie.



Sie sind eine Melodie, eine Synfonie, doch diese endet. Das ist der Preis für die Intensität, die sie erfahren durften. Das "Schreien" zum Ende führt zu einem offenen Ende - Waren es Schmerzensschreie, Lustschreie, war es Streit, war es Gewalt oder die schreckliche, viel zu späte Erkenntnis dass jede Synfonie endet?

Dass soll offen bleiben und führt das Gedicht zu einem würdigen Abschluss.

Diese Verse haben mir gefallen, sie sind in sich geschlossen und vollendet. Es ist nur eine Beschreibung einer Liebe von vielen, eine Anlehnung an die Natur von vielen, ein Heranziehen von synästhetischen Elementen zur metaphorischen Beschreibung der Gefühlswelt zweier Liebender von vielen - doch das auf vollendete Weise.
Dieses gedicht wird in der Masse von Liebesgedichten untergehen und bleibt dabei doch eine Perle -

pathetischer Ton Ende

Grüßle
Willi

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#4

Synfonie

in Liebe und Leidenschaft 29.07.2006 21:06
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

Zitat:

Wilhelm Pfusch schrieb am 26.07.2006 21:50 Uhr:
Diese Verse haben mir gefallen, sie sind in sich geschlossen und vollendet. Es ist nur eine Beschreibung einer Liebe von vielen, eine Anlehnung an die Natur von vielen, ein Heranziehen von synästhetischen Elementen zur metaphorischen Beschreibung der Gefühlswelt zweier Liebender von vielen - doch das auf vollendete Weise.



dem kann ich mich beinah uneingeschränkt anschliessen. (ich vermute lediglich eine Wortverschmelzung zwischen Synchronie und Symphonie)
und ich bedanke mich für die vorangegangenen aufschlußreichen Erläuterungen, Wilhelm.

die Einbettung in eine Monokultur hatte ich mit einigem Befremden gelesen. die Anspielung auf einen Reifungsprozess erschein mir zu offensichtlich. allerdings war ich nicht auf die (zündende) Idee gekommen, Naturphänomene als Intensitätsindikator zu betrachten. wobei Wind als Brandbeschleuniger doch offensichtlich wäre. wieder was gelernt.

ach ja: ein Dankeschön auch dem Autor.

Gruß
Alcedo


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#5

Synfonie

in Liebe und Leidenschaft 31.07.2006 20:57
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Ich war für einige Zeit weg und bin es auch gleich wieder. Deshalb nur einen schnellen Dank für eure Kommentare und ein paar Sätze dazu.

Ich habe versucht den Einbruch der ekstatischen Zeit in die chronische Zeit zu beschreiben, den Schock des Augen-Blicks im gleichförmigen Lauf der Dinge (wobei ich "Schatten" keineswegs negativ verstehe). Die "Natur" dieses Ereignisses (es geht um "Liebe" im weitesten Sinn) vernichtet die Ego-Natur, die blind "ihren" Weg läuft und alles unter Kontrolle zu haben glaubt. Das Ich wird zum Ton und als Ton Teil einer Melodie (Liebe zu einem anderen Menschen) und als Melodie Teil eines noch größeren Zusammenklanges (Liebe zum Ganzen) - sobald aber in dieses Sichöffnen der Liebe ein egoistisches Moment hineinkommt (einer schreit), fällt die Musik in sich zusammen. Statt einer großen verrauschenden Synfonie bleiben nur einsam jammernde Ichs zurück.

Ich fürchte, ich habe mich wieder einmal maßlos übernommen. Um so mehr danke ich euch für die Mühe, die ihr euch mit meinen Versen gemacht habt.

Gruß, Ulli



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#6

Synfonie

in Liebe und Leidenschaft 31.07.2006 21:22
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
Jetzt habe ich es verstanden. Bei mir kam deine Intention also leider nicht an. Schade, sie gefällt mir besser als meine Interpretation.

In diesem Sinne: Weiter so. Was du nun erläutert hast lässt sich durchaus logisch "extrahieren."

Grüßle
Willi

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