#1

Buntglas-Aussichten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 13.08.2006 18:50
von Krabü2 (gelöscht)
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Brillenblicke

Vielleicht kaufte sie sich heute eine randlose Sonnenbrille; blau, grün, rot, rosa, gelb? Sie drückte den Joint aus.
Die wenigen Vorbehalte vor dem Einlassen auf ein Flash-Erlebnis mit Kaleidoskopen vor den Augen, dass jetzt nur eine Ahnung war, machte der Vorstellung darüber, wie gut sie dabei wohl träumen oder meditieren könnte, keine Konkurrenz. Sich von seiner eigenen Welt und den Gedanken ablösen zu können, vielleicht einen Trancezustand zu erreichen bei gleichzeitigem Hören von klassischer Musik, stellte sich ihr vor wie die Heimkehr ins eigene Reich, ins eigene Ich, während sie vor dem Spiegel stand, sich die Haare kämmte.

Musik, die in die Seele entführt, und dazu bunte, tanzende Lichter ohne das Augenverschließen, um durch gedankliche Odysseen Traumbildern entgegenzuschiffen, wo glitschiges Ruder dem Griff entflutscht oder doch nur Grübeleien ansteuerte, sondern Farb- und Formkonstellationen, denen sie sich in voller Aufmerksamkeit hingeben konnte. Sie zog sich die Lippen nach. Ob das Gehirn das überhaupt schaffte, beide Augen diesem optischen Überreiz standhielten? Oder ob es streikte - ganz in Schwarz?


Akustische Begleitung zum Auspendeln der Sinne und die Vorstellung, wie ein Mozart, ein Haydn, ein Beethoven als Schüler beider, abends komponierend mit Kerzen am Flügel das siebente Notenblatt zerreißt.. Irgendwo in einer kleinen Kammer in Wien die weiße Langhaar- Lockenperücke mit dem vielleicht samtschwarzen Bändchen um den Zopf sich vom Schädel reißt, um seine Kreativität zu befreien, von einem Schädel, von dem das Haar schon ab Mitte Zwanzig den Kopf wie welkes Blattwerk den Baum verlassen hat. Sie musste sich sputen, um pünktlich zur Arbeit zu kommen, oder - nein, sie meldete sich krank und legte sich noch ein wenig aufs Bett.

Jetzt denkt sie an die Sehnsucht nach dem Tod und diesen Hunger nach Leben, die schmerzenden Gefühle der Einsamkeit, absonderlich oder gestaltlos zu sein, ein Alien, in einer Fremdgalaxie zurückgelassen und auf diese Weise langsam erkaltend. Würde sie diesem Zustand weiter ausgesetzt, würde er Besitz von ihr ergreifen und wie ein Bergarbeiter senkrecht Schächte in ihre tiefsten Tiefen schlagen. Heute wollte sie sich vielleicht lieber nur Brillen kaufen und das Licht der Sonne durch verschiedenfarbene Schleier besehen - als ein Spiel mit ihr, mit den Augen, der Seele, den Farben des Meeres und des Himmels, der Bäume und Pflanzen, der Farbe des Blutes, dem alles erweichenden, auflösenden Rosa und der Farbe der Gestirne - später.

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#2

Buntglas-Aussichten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 25.08.2006 14:05
von sEweil (gelöscht)
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Hallo Uschi.

Tada!
Ohne Einleitung gleich rein geworfen:

Vielleicht kaufte sie sich heute eine randlose Sonnenbrille; blau, grün, rot, rosa, gelb? Sie drückte den Joint aus.
Die wenigen Vorbehalte vor dem Einlassen auf ein Flash-Erlebnis mit Kaleidoskopen vor den Augen, dass jetzt nur eine Ahnung war, machte der Vorstellung darüber, wie gut sie dabei wohl träumen oder meditieren könnte, keine Konkurrenz. Sich von seiner eigenen Welt und den Gedanken ablösen zu können, vielleicht einen Trancezustand zu erreichen bei gleichzeitigem Hören von klassischer Musik, stellte sich ihr vor wie die Heimkehr ins eigene Reich, ins eigene Ich, während sie vor dem Spiegel stand, sich die Haare kämmte.


Der erste Satz ist schonmal vielversprechend - nein eher vielsprechend:
Das "Vielleicht kaufte.." zeigt die Eventualität des naiven am Charakter, aber auch ein gewolltes Sehen durch die Brille, wobei randlos grenzenlos bedeutet. Die Farben legen sich nicht fest, durch welche Brille gesehen wird, sondern sagen schlicht: Es könnte alles sein, denn alles würde es sein müssen? Alles unter einem anderen Licht sehen.
Der Rest wirkt eher bildlich. Zwar werden hier noch Wünsche angesprochen, aber eine weitere Sinnebene wie zum Anfang seh ich jetzt nicht.
Das Flash-Erlebnis mit den Kaleidoskopaugen könnte noch gewollte Flucht sein, oder etwas Milderndes, aber darauf geb ich keinen Stimmzettel an.

Musik, die in die Seele entführt, und dazu bunte, tanzende Lichter ohne das Augenverschließen, um durch gedankliche Odysseen Traumbildern entgegenzuschiffen, wo glitschiges Ruder dem Griff entflutscht oder doch nur Grübeleien ansteuerte, sondern Farb- und Formkonstellationen, denen sie sich in voller Aufmerksamkeit hingeben konnte. Sie zog sich die Lippen nach. Ob das Gehirn das überhaupt schaffte, beide Augen diesem optischen Überreiz standhielten? Oder ob es streikte - ganz in Schwarz?

Klassische Musik greift sich dein Innerstes, dieser Harmonie kann niemand entkommen.
Hier werden die Wünsche geformt. Mit offenen Augen sehen - Wirklichkeit - kein Träumen, ein Erblicken. Wobei die Frage der Überreizung eher nebensächlich gestellt wird. Bildlich mit offenen Augen soll es vor einem stehen.
Die optische Überreizung ist mir etwas zuviel hier, da die eigentliche Frage danach bereits beantwortet ist: Ist es eine Überreizung?

Akustische Begleitung zum Auspendeln der Sinne und die Vorstellung, wie ein Mozart, ein Haydn, ein Beethoven als Schüler beider, abends komponierend mit Kerzen am Flügel das siebente Notenblatt zerreißt.. Irgendwo in einer kleinen Kammer in Wien die weiße Langhaar- Lockenperücke mit dem vielleicht samtschwarzen Bändchen um den Zopf sich vom Schädel reißt, um seine Kreativität zu befreien, von einem Schädel, von dem das Haar schon ab Mitte Zwanzig den Kopf wie welkes Blattwerk den Baum verlassen hat. Sie musste sich sputen, um pünktlich zur Arbeit zu kommen, oder - nein, sie meldete sich krank und legte sich noch ein wenig aufs Bett.

Musikalische Genies, Haydn, Mozart, Beethoven - auch Menschen mit Haut und Haar(oder auch nicht mehr) die nicht vollkommen sind, als Spiegelbild zum Protagonisten. So seh ich das hier.

Jetzt denkt sie an die Sehnsucht nach dem Tod und diesen Hunger nach Leben, die schmerzenden Gefühle der Einsamkeit, absonderlich oder gestaltlos zu sein, ein Alien, in einer Fremdgalaxie zurückgelassen und auf diese Weise langsam erkaltend. Würde sie diesem Zustand weiter ausgesetzt, würde er Besitz von ihr ergreifen und wie ein Bergarbeiter senkrecht Schächte in ihre tiefsten Tiefen schlagen. Heute wollte sie sich vielleicht lieber nur Brillen kaufen und das Licht der Sonne durch verschiedenfarbene Schleier besehen - als ein Spiel mit ihr, mit den Augen, der Seele, den Farben des Meeres und des Himmels, der Bäume und Pflanzen, der Farbe des Blutes, dem alles erweichenden, auflösenden Rosa und der Farbe der Gestirne - später.

Hier hab ich ein Verständnis Problem: Ich bilde mir ein "er", der senkrechte Schächte in die tiefsten Tiefen schläge, sei _die_ Sehnsucht, was aber am "er" scheitern würde, aber was ist "er" denn dann? Der Gedanke?
Aber auch ohne Verständnis gefällt mir dieser Abschnitt besonders.
Das wiederkehrende "vielleicht" deutet mir nun auch auf eine Unentschlossenheit des Prot. hin.
Das später lässt mich ratlos zurück.
Sehr gern gelesen Uschi, wenn mir meine "Analyse auch schwammig vorkommt.

Lg Thomas

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#3

Buntglas-Aussichten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 25.08.2006 20:37
von Krabü2 (gelöscht)
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Hallo Thomas,
vielen Dank vorweg für das Lesen meines Textes und Deine intensive Beschäftigung damit. Das freut
Hmm, ja, Du liegst natürlich mit Vielem richtig. Meine Prota ist hier eigentlich längst 'in der Falle' zur Depression. Sie versucht sich abzulenken und aufzubauen, womit auch immer. Sie will sich ablenken bzw. mit den Sinnen einlenken, in die Waage bringen. Schon der Gedanke an die Arbeit, an Alltägliches, lässt sie erschauern, und somit sammelt sie Gedanken an etwas, was sie erfreuen könnte. Stimulation der Sinne und Genuss. Sie geht spazieren mit den Gedanken und vertieft sie, bis sie sich dann doch an einen Joint macht :-). Dieser lässt sie zurückfallen in Einsamkeitsgefühle und außerdem schläfrig werden. Sie entsagt dem Alltag, aber mindestens vorerst ebenso dem beabsichtigten Vorhaben. Eine Stimmungsaufnahnme sollte das sein, dieser Text. Oder eine Phasenaufnahme, ein Ausschnitt. Einsamkeit kann berauschend und beglückend sein, aber auch Angst machen. Auch das steckt hierin.
(eigentlich wollte ich nie,nie,niemals wieder was interpretieren, was ich geschrieben habe *hhmmsmile*)
LG
Uschi

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#4

Buntglas-Aussichten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 25.08.2006 21:25
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Hallo Uschi!

Du beschreibst einen derzeit nur allzuhäufig vorkommenden Charakter. Mir kommt er unreif, wenn nicht gar (egal durch welche Umstände) verwöhnt vor.
Es ist eben das Produkt unserer Gesellschaft, die insbesondere labilere junge Menschen zu derart kranken Reizflutsüchtigen formt. Einen ganz wesentlichen Anteil daran tragen Medien und andere Gewinnstreber bei. Gewiß auch das Elternhaus, die sozialen Bedingungen und zu einem gewissen Maß auch nicht vorhandener schulpädagogischer Einfluß, der kaum noch unter die Oberfläche zu dringen vermag.

Es ist traurig und dennoch wahr, depressive, verwöhnte und vergnügungssüchtige Menschen sind unser aller - und auch Dein Schicksal. Aus ihren Reihen erwachsen die Verantwortungsträger für die künftige Moral und eventuell noch vorhandene Humanität.

Der Kreisel der Normalität trudelt bedenklich und schreibt stets größere Kreise. Kranke extreme Gedanken sind längst zur Basis geworden, die die Norm darstellt, aus der abermals extremes Denken und Handeln entspringt.
- Rechnen wir am besten gar nicht die Ergebnisse hoch, die irgendwann im tiefsten Irrsinn und totaler Perversion gipfeln. Die Anfänge erleben wir ja schon.

Nun rasch noch eine gute radikale Kur für den Protagonisten.
Da würde ich sofort einen Aufenthalt in abgeschiedner Landschaft unter einfachsten Umständen befürworten; verbunden mit Arbeitstherapie, z. B. Erdarbeiten, Rodungen oder Pflanzenpflege. Ebenso gut vorstellbar wäre ein längerer Arbeitsaufenthalt in einem Tierheim.

Jetzt habe ich gar nichts von der Qualität Deines Werkes geschrieben, das durch die Art des Beschreibens die Stimmung und Konfusität, den psychischen Zustand des Protagonisten gut verspüren läßt. Insoferne ist es gut gelungen.

Es grüßt
Joame

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#5

Buntglas-Aussichten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 25.08.2006 21:37
von Krabü2 (gelöscht)
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Danke Joame,
für Deine Auseinandersetzung damit :-) und dass Du die Beschreibung gelungen findest, freut mich natürlich. Ich weiß nicht so recht, ob Du Deine Sicht der Dinge ironisch meinst oder ob sie authentisch Deine sind. Ich glaube, eine Diskussion zwischen uns wäre lustig :-)
Dich grüßt
Uschi

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#6

Buntglas-Aussichten

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 25.08.2006 23:19
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Liebe Uschi!

Ich bezweifle nicht, daß eine Diskussion zwischen uns lustig sein könnte, muß Dich aber wahrscheinlich enttäuschen, denn meinen Kommentar habe ich zutiefst ernst gemeint. Wer meinen Gedankengängen folgen könnte, dem verginge auch das Lachen.

Mit freundlichem Gruß!
Joame

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