#1

Nachtelegie

in Zwischenwelten 19.09.2006 15:37
von Motte (gelöscht)
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Nachts in fremder Gegend laufen,
wo die leeren Busse fahren
und du die Verbindung
zum Mond noch nicht gefunden hast,
wo dämmernd Hauslaternen stehen,
wie Irrlichter – zu gross geraten,
die nicht weichen und nicht locken
und dich nur freundlich ausladen.

Dort ziehen all die Gesichter
wie ein Reigen in dich ein,
scheinen in gedeckten Nachtfarben
unter gelben Deckenleuchten,
von Lachen und Reden verzerrt,
vom Zurückhalten und Loslassen
verschlüsselter Mienenspiele
unterm Schweissfilm der Anstrengung
und falten sich mit jedem male mehr
auseinander und wachsen in dich hinein.

Dahinter sind noch immer
die vertrauten, etwas blasser
und rühren dich an,
wenn sie durch dich hindurchgehen
wie Geister zu reinem Gefühl geworden,
die dich an dich erinnern
und du sie völlig lieben musst
wie das Ferne, das so einfach
und unrelativ zu lieben ist,
wie etwas Verlorenes, unfreiwillig
Entglittenes, aus der Hand Gefallenes,
das man lange dort gelassen,
schon ganz vergessen hatte
und nun im Schreck erinnert
und gleichzeitig verliert.
Oder die losgelassene Drachenschnur
und die Hand blieb greifend
geöffnet in der Luft hängen,
weil sie den Verlust noch nicht versteht
und wenn sie dann hinabsinkt,
hört sie doch nicht auf,
den Gegenstand zu fühlen:
Er pocht in ihrer halbgeschlossenen Faust.
Und ist es irgendwann verklungen,
so bringt´s nach Langem doch die Geste,
wenn du dir mit tastfreudiger Hand
versonnen durchs Haar fährst – zurück.

So findest du die Ähnlichkeiten
in allen Wegen bei Nacht,
wo Dinge zu dir zurückgehen.
Später zu Hause wirst du die Tür
schliessen und schliesst du die Augen,
dann reihen sich da wieder all die
Hauseingänge Bild für Bild.
Wir sehen wie Katzen
durch das innerglühende Dunkel
wie konzentriert das Herz denkt,
wie die spitzen Sterne
untragbare Wahrheiten aufstechen
und hinterlassen genauso wie diese
nur einen Abglanz im nächsten Tag.

Doch egal wie alles jetzt im Dunkel wühlt:

Auf allen nächtlichen Strassen
wird man doch immer irgendwie
geführt.


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#2

Nachtelegie

in Zwischenwelten 04.10.2006 09:59
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Motte

Ein schwieriger Text, den ich mehrere Male lesen musste, bevor er sich mir ein wenig öffnete. Ich muss dabei sehr stark an Automatisches Schreiben denken. Das soll aber keine Wertung sein und/oder, dass ich denke, Du hättest Dir beim Verfassen nichts gedacht. Der Text ist aber auch sehr fliessend, wobei die Sprunghaftigkeit, wie sie beim Automatischen Schreiben vorkommt, hier fehlt. Zur Form kann ich nicht gross etwas sagen, da sie praktisch nicht vorhanden ist und die Zeilenschaltungen, meiner Meinung nach, auch anders gesetzt werden könnte, ohne den Sinn zu verändern. Deshalb halte ich mich an den Inhalt. Die Prämisse würde – für mich – etwa so aussehen: Nachts sind alle Katzen grau und/oder es besteht ein grosser Plan, den wir (noch) nicht verstehen.
Eine Passage hat es mir besonders angetan und zwar die mit dem Drachen. Die finde ich echt klasse!

Das ist bestimmt kein sehr hilfreicher Kommentar, sorry, aber ich wollte es doch angemerkt haben.

Gruss
Margot

P.S. Sollte es in der 1 Zeile nicht ‚laufend’ heissen?

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#3

Nachtelegie

in Zwischenwelten 10.10.2006 15:42
von Motte (gelöscht)
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Hallo Margot,

an automatisches Schreiben habe ich eigentlich nicht gedacht, während ich den Text schrieb (das ist wahrscheinlich die voraussetzung dafuer ). aber das soll nicht heissen, dass ich ihn nicht doch sehr intuitiv niedergeschrieben habe (so wie ich auch wenig auf die form geachtet habe).
es gibt aber inhaltlich einen roten Faden. Das lyrI spaziert des nachts in einer gegend herum, in der es sich (voruebergehend) aufhält und verarbeitet die eindruecke, die es in diesem neuen umfeld gewonnen hat, vor allem die eindruecke vieler neuer bekanntschaften und menschen. es fuehlt sich entfernt von seiner sonstigen umgebung, von vertrauten menschen und spuert nun in diesem einsamen moment doch ihre präsenz in sich und beschreibt, wie sich diese erinnerung anfuehlt.
die nacht ist hier der ort und die zeit, wo/ in der sich das innenleben des lyrI bemerkbar macht und es sich ueberhaupt damit beschäftigen kann. ein in-sich-hineinhorchen und -sehen. es prueft seine gefuehle und die "untragbaren Wahrheiten" sind eben die dinge (gedanken, empfindungen), die des tags lieber in der schublade bleiben, weil sie (gerade im umgang mit menschen, fluechtigen oder neuen bekanntschaften) da nichts zu suchen haben und weil sie einfach nicht "handhabbar" und unbequem sind...

so in etwa. vielleicht lässt sich der text jetzt inhaltlich ein bisschen besser nachvollziehen..

Liebe Gruesse,

Motte

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