#1

uriel

in Mythologisches und Religiöses 28.10.2006 04:01
von Albert Lau (gelöscht)
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Morgens, wenn bei halbbedeckten,
herbstlich angehauchten Sphären,
horizontne Sonnen Bäume
dunkelbunt erstrahlen lassen
und im Augenblick entdeckten
Regens dieses Bett beschweren,

ziehen erste Vogelschwärme
stimmlos südwärts in die Ferne
und auf nassen, satten Weiden
äsen Pferde, ähnlich schweigend,
bei Gehöften, welche träumen,
vor der letzten Felder Ernte.

Während Nebel leise weichen,
picken Raben Wintersaaten,
nicken zu den Vogelscheuchen,
um sich darauf zu erheben
und mit starken Flügelschlägen
außer Sicht zu Nestern streben.

Irgendwer wird Herbstlaub fegen,
ganz am Ende der Alleen,
weil dort gelbe Bäume stehen,
die sich spärlicher bekleiden.
Hier, wo kümmerliche Kirchen
längst den Häusern Höhe neiden,

herrscht für den Moment die Stille,
scheint die Zeit noch abzuwarten,
lässt in diesem grauen Garten
Heim- und Einkehr uns genießen
und Gevattern wenn nicht freudig,
doch gefasst begrüßen

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#2

uriel

in Mythologisches und Religiöses 28.10.2006 11:02
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Guten Tag Herr Lau

Wie ich gelesen habe, sind Sie ein Verfechter der formellen Anrede, mir soll’s recht sein.

Wenn ich im Gedichte über Laub, Blätter und Alleen lese, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Autor Rilke liest. Die Assoziation zu seinem Herbst-Gedicht ist einfach immer da und meist gelingt es dem Autor nicht wirklich, etwas Eigenständiges zu schaffen. Und doch haben Sie, sagen wir mal, die Stimmung ähnlich getroffen, wenn auch wortreicher. Viele Worte ergeben aber noch kein gutes Gedicht, schauen wir mal, ob Sie dem Rainer nacheifern, oder ihn lediglich nachäffen.

Ein durchgängiges Reimschema ist nicht zu erkennen. Meist sind die Reime eher lautmalerisch und manchmal sogar strophenübergreifend. Dadurch wirkt der Text etwas unruhig, aber auch interessant, weil das Ohr auf den Gleichklang wartet. Die fehlende Zeichensetzung erschwert das Verständnis erheblich, was ich – nehme ich mal so locker an – von Ihnen beabsichtig ist, mir persönlich gefällt dies jedoch nicht besonders. Als fauler Leser überlasse ich die Arbeit lieber dem Verfasser und vertraue seiner führenden Hand. So zwingt es aber natürlich auch zu genauem Lesen und das lohnt sich m.E. wirklich. Die Bilder entstehen im Kopf und gleich einem Film zieht der Augenblick vorüber.
Was mich ein wenig stört sind die stummen Vogelschwärme, haben sie doch so nichts gemein mit den tatsächlichen Schwärmen, die meist lautstark schimpfend ihre Bahnen ziehen, bis sie dann endlich verduften. Auch die satten Weiden sind nicht wirklich naturgemäss, da sie im Herbst meist schon das zweite Mal gemäht worden sind und dann eher mager da liegen. Nichtsdestotrotz vermag Ihr Gedicht mich zu begeistern, da es Ausdrücke enthält, die ich für originell halte.
Es ist zwar nicht weltbewegend, die Vergänglichkeit der Natur mit dem Sterben bzw. dem Warten auf den Tod zu vergleichen, doch liest man Solches immer wieder gerne und die leise Melancholie, dass wir alle irgendwann mal wieder in die Natur eingehen, transportieren Sie ohne grosses Brimborium. Einzig die Zeile: … um sich darauf zu erheben … scheint mir persönlich nicht ganz richtig zu sein. Sich auf etwas zu erheben habe ich noch nie gehört, aber ich bin ja Ausländerin und evtl. geht das wirklich.

Habe die Ehre!
Margot S. Baumann

P.S. Ach, ja, was den Titel angeht. Uriel (Mein Licht ist Gott) geleitet die Verstorbenen zum Jüngsten Gericht. Irgendwie kriege ich die Kurve zum Text, aber sie ist ein wenig ausladend.

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#3

uriel

in Mythologisches und Religiöses 28.10.2006 11:45
von Albert Lau (gelöscht)
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ich begrüße sie, frau baumann und bedanke mich für ihren kommentar. werde ich an rilke nur gemessen, fühle ich mich ausgezeichnet und sollte ich verblassen.

nein, weltbewegend ist es nicht. es ist ein herbstbild, ein subjektives zumal. die vogelschwärme zum beispiel, da gebe ich ihnen unumwunden recht, die sind meisten lausig laut. hier aber, am morgen des entstehens zog so ein schwarm vollständig lautlos über meinen kopf. und standen pferde auf dunkelsatten wiesen (sie haben mich erwischt), schweigsam äsend und nebenan auf den feldern rabenvögel usw. sie verstehen?

ich bin derzeit von der kleinschreibung sehr angetan, weil sie bequem ist und ich an den bildschirmen der welt keinen unterschied hinsichtlich der lesbarkeit verspüre. da kommt es eher auf zahlreiche absätze an. gedruckt ist das etwas ganz anderes, wie mir scheint.

in gedichten eröffnet es assoziationsräume aber ich gebe ihnen zu, dass der dichter gefahr läuft, sein oder einen teil seines publikums zu verlieren und zwar solche leute wie sie oder mich, die der meinung sind, der autor habe gefälligst zu arbeiten. ich gehe das risiko ein. ich muss gut arbeiten, klar. genau das will ich herausfinden.

der titel ist schwach, zugegeben. die kurve ist ausladend, weil der titel am ende eines großemn umwegs stand. zu groß, wie es scheint.

vielen dank für ihren kommentar!


edit: die raben erheben sich daraufhin, aber die assoziation war natürlich beabsichtigt.

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#4

uriel

in Mythologisches und Religiöses 09.11.2006 12:05
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Hallo Albert Lau,

ich hoffe, es stört nicht allzu sehr, wenn ich beim "Du" bleibe. Auch wenn es noch nicht angeboten war, ist es doch im Netz ebenso wie in diesem Forum die übliche Anrede. Wenn es doch stört, dann einfach Bescheid sagen .

Die fehlenden Satzzeichen und die Kleinschreibung verlangen dem Leser tatsächlich einiges ab und üblicherweise bin ich ebenso wie Margot der Auffassung, dass ein Autor ruhig etwas für seine Leser tun kann. Die hier vorliegende Form birgt die Gefahr, so fürchte ich, dass viele potentielle nach wenigen Zeilen abgeschreckt werden und wieder aus diesem Thread switchen. Andererseits können auch die Leser ruhig mal etwas tun, Lyrik soll ja schnellverspeisbares Fast Food sein und nicht selten sind es gerade die schwierigen Stücke, die etwas mehr nachhallen. Bei diesem Text ist es auf jeden Fall schade, wenn man sich nicht die Mühe machte.

Diese unterschwellige Reime, die keinem Schema folgen, machen mir viel Vergnügen. Durch die dargebotene Form lese ich dieses Gedicht sehr langsam und schenke jedem Wort die erforderliche Aufmerksamkeit. Die stummen Vogelschwärme sind mir ebenfalls aufgefallen, ebenso die schweigend äsenden Pferde (so laut sind die im Allgemeinen ohnehin nicht und beim Äsen wohl noch weniger), weshalb ich überlegt hatte, ob das lyrische Ich diese Szene in einem Haus durchs Fenster sieht. Unabhängig sind dies Kleinigkeiten, die weder unmöglich sind, noch der kreierten Stimmung abträglich sind.

Dafür stechen bspw. die horizontne sonnen positiv ins Auge, aus Horizont ein Adjektiv zu machen um die tiefstehende, herbstliche Sonne darzustellen ist ebenso logisch wie klangvoll. Auch die (zunächst) von Margot bemängelten, sich vom Boden erhebenden Raben finde ich gelungen, eben weil sie einen zunächst grübeln lassen, bis man das darauf zeitlich versteht. Ich meine aber, dass in dieser 3. Strophe die Grammatik dennoch nicht korrekt ist, denn wenn mich nicht alles täuscht, fehlt in der letzten Zeile ein "zu", um die Infinitivsätze mit dem und der Str. 3/Z.5 sauber zu verbinden. Thematisch ist dies im Übrgen eine gute Gelegenheit, die vollständigen und durchaus komplexen Sätze lobend zu erwähnen: hier wird nicht sprachlich gehackstückelt, was einen der Stimmung angemessenen, getragenen Vortrag ermöglicht.

Womit ich noch keinen Frieden geschlossen habe, ist dieses bett in Str. 1/ Z. 6. Welches Bett? Das Gedicht gibt darüber noch keine Auskunft, auch wenn ich dem Zusammenhang entnehme, dass ein Grab und somit Totenbett (wenn auch nicht im eigentlichen Sinne) gemeint ist. Dies wiederum drängt sich mir so auf, dass das dieses fast gerechtfertigt ist, vielleicht mache ich mit dieser Stelle ja noch meinen vollständigen Frieden .

Der Titel mag nicht originell sein, doch im Zusammenhang mit dem Gedicht verfehlt er nicht seine (inhaltliche) Wirkung. Das Thema der Vergänglichkeit wäre zweifellos auch so wahrnehmbar gewesen, Uriel gibt dem jedoch etwas sehr konkretes und färbt sehr viel eindeutiger Stellen wie ende der alleen oder den grauen garten ein - letzteren finde ich übrigens als Bezeichnung für den Friedhof ebenfalls sehr gelungen, auch und gerade in dem farblichen Absetzen zum dunkelbunten Herbst - auch wenn es ein wenig seltsam anmutet, dass die später als gelb bezeichneten Bäume in der Strophe durch die Sonne dunkelbunt scheinen; natürlich kann und wird es sich um verschiedene Bäume/ Baumgruppen handeln, was man sich als Leser denken kann, doch im Gedicht wird da nicht unterschieden (außer in der Farbe natürlich).

Trotz meiner kleinen Mäkeleien sagt mir dieses Gedicht sehr zu, das ist ein schöner, herbstlicher Text mit der für diese Jahreszeit und das Thema angemessenen Melancholie. Tja, und nun hätte ich Dich fast kein einziges Mal geduzt und mich oben zur Gänze umsonst ausgelassen !

Gern gelesen,

Don

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#5

uriel

in Mythologisches und Religiöses 01.12.2006 15:16
von Albert Lau (gelöscht)
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Liebster Don Carvalho!

Das darf ich so sagen, denn ich kenne schließlich keinen anderen. Außerdem habe ich mittlerweile sowohl der Kleinschreibung, als auch dem Siezen abgeschworen und zudem hast du die Stummschaltung der Welt vermittels des Blickes aus einem quasi schalldichten Raum durch ein Fenster so großartig erkannt, dass ich ganz platt bin. Ich muss zugeben, dass mir das nur halb bewusst war (wenn überhaupt), aber nachdem du das jetzt schreibst, fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren. Es unterstreicht auch gelungen die Abkapselung des lyrischen Ichs, welches die Außenwelt dadurch zusätzlich ästhetisiert, da es nur mittelbar daran teilnimmt.

Schön, dass die relativ langen Sätze dein Gefallen finden und ein Bandwurmcharakter vermieden werden konnte. Auch hierbei ist die Kleinschreibung eher nicht hilfreich, ein weiterer Grund, sie nicht zu favorisieren. Die Sache mit dem fehlenden „zu“ in der letzten Zeile der Strophe 3 ist korrekt. Ich vermisste es gar nicht, weil da doch schon eines ist. Ich glaube immer noch, darauf verzichten zu können, gebe aber zu, dass es garantiert nicht die eleganteste Stelle des Gedichtes ist.

Ja, das „Bett“ ist eine harte Nuss. Entstanden ist es – natürlich – als freie Assoziation und vermutlich habe ich in der ersten Euphorie nur Himmelszelt mit Himmelbett verwechselt. Aber dann war ich gefangen, auch in dem Bild, wie sich die Regenwolkendecke durch Ablieferung ihrer Fracht gleichsam auf Feld und Flur und natürlich auch die Totenbetten legt. Ich kam nicht mehr davon los und daher blieb das (eigentlich verkehrte) Bett, wo es war.

Danke auch für den Hinweis mit den Bäumen. Das war mir gar nicht gegenwärtig, dass Leser die ersten und die späteren Bäume gleichsetzen könnten. Es waren und es sollten auch andere Bäume sein, solche des spärlichen Lebens und solche des Sterbens. Die Allegorie mit den Blättern ist eine altbekannte: Solche des prallen, sommerlichen Lebens sind zumeist eintönig, jene bunteren des durchwachsenen Herbstes erscheinen letztlich auch nur deshalb dunkelbunt, weil Sonne und Wolkendecke hier sinnbildlich miteinander ringen. Die Blätter des gelebten Lebens sind dann zwar wieder eintönig, aber stellen doch in ihrem leuchtenden Gelb einen Kontrast in diesem grauen Garten dar. Hoffentlich ist es so, dann können wir Gevatter Tod wirklich gefasst begrüßen.

Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Ich habe mich sehr darüber gefreut und setze das Gedicht jetzt in Großschreibung um, weil es mich eines meiner Besseren dünkt und nicht aus dem von dir beschriebenen Grund weniger Leser haben sollte. Dank dieses Spamming guckt ja vielleicht auch noch jemand rüber.

Viele Grüße nach Berlin!

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#6

uriel

in Mythologisches und Religiöses 01.12.2006 19:23
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Zwar vorher schon mehrmals darübergeblinzelt,
gucke ich es nochmals an.
So ist es auch für das etwas verwöhntere Auge leichter, es zu lesen.
Es fällt es mir nicht schwer, zu bekunden:
mit Aussagekraft und Formulierung trifft es meinen Geschmack.

Joame

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#7

uriel

in Mythologisches und Religiöses 02.12.2006 12:44
von Primel (gelöscht)
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@Albert Lau

Nach der erfreulichen Wiedereinordnung in die Forenbräuche der Anrede und der Groß-Kleinschreibung bleibt von den Randproblemen, die uns "entzweiten" vielleicht nur die Schriftgröße, die hier jedoch nicht exzessiv ist. So kann ich ruhig und bescheiden meine Anerkennung für einen gelungenen Text aussprechen, der zwar Allerseelengedanken bringt, doch auch heute, Anfang Dezember, immer noch wirkt.

Was mir weniger gefiel, ist der "Gevatter", den man wohl kaum für sich allein stehen lässt. Schnitter wäre möglich, ist aber brutaler. Hingegen gefällt mir die Verkürzung der Schlusszeile um eine Hebung, mit der der Gedanke an das Ende verstärkt wird!

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#8

uriel

in Mythologisches und Religiöses 01.02.2007 13:58
von Albert Lau (gelöscht)
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Nicht, dass ich zwanghaft spammen wollte, auch wenn meine Geltungssucht kaum Grenzen kennt, jedoch las ich so gerade im Netz herum und traf dabei auf ein Gedicht, in dem der Mond am "horizontnen" Strange hängt.

Nun reklamierte ich die Adjektivierung ja auch nicht für mich, fand das aber schon damals keine so besondere Leistung, da ich es auch schon anderweitig gelesen zu haben glaubte (einbildete?). Dieses Gedicht kannte ich vorher nicht, aber es wird auch in anderen Texten bereits Verwendung gefunden haben, weshalb ich mich wohl unterbewusst erinnerte.

Bei dieser Gelegenheit danke ich noch schnell Joame und Primel, ich hatte deren Postings überhaupt nicht wahrgenommen und bitte um Entschuldigung. Die generelle Kleinschreibung war ein Irrtum und auch alsbald von mir aufgegeben. Das Du oder Sie benutze ich nach Bedarf.

Allerseelen, das ist korrekt. Und seltsamerweise verschlimmbesserte ich das vorherige, korrekte "Gevattern" irgendwann in "Gevatter". Das wird jetzt wieder korrigiert, da auch das korrekte Gevattern den Bezug zum Gevatter ermöglicht.

Danke für die Anmerkung.

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#9

uriel

in Mythologisches und Religiöses 30.07.2007 12:10
von bipontina (gelöscht)
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pardon! ich dachte, nur für Rehe u,ä. gilt "äsen". Bin ich eklig, wenn ich statt "äsen" ein "ruhen" , "grasen" (pferdemäßige Nahrungsaufnahme),oder gar etwas von Dir natürlich Besseres vorschlage?
Bitte nicht grollen!
Das Gedicht ist so wundervoll, daß ich wünsche, ich selbst könnte so etwas zustande bringen!

l ie b e n gruß von bipontina
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