#1

Abgesang

in Düsteres und Trübsinniges 16.05.2007 10:10
von Albert Lau (gelöscht)
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Abgesang


Mit tränensticker Stimme quäle
ich Worte in den Raum und zähle,
wie viele Augenpaare weiten,
mit Abscheu mein Gebet begleiten,

in dem die frustvernutzte Seele
ich irgend einem Gott befehle,
denn welches Jenseits auch versprochen,
ich käme nicht dafür gekrochen

und diese angstverzerrten Blicke,
in welchen Saal ich euch jetzt schicke,
trocknen mir die trauerlaugen
Tränen wundgehöhlter Augen.
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#2

Abgesang

in Düsteres und Trübsinniges 16.05.2007 11:33
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Lau,

ich habe hier leider mehr Fragen als Antworten.

Erstmal meine Lieblingsfrage: Was ist eigentlich ein Abgesang? Jetzt kannst Du sagen, Dein Gedicht hier sei ein Abgesang, steht doch drüber. Das meine ich aber nicht. Ist eine ernst gemeinte Frage. Laut Wiki sind Abgesang auf den Aufgesang im Minnesang folgende, meist ungereimte Verse oder Waisen. Sind die Waisen gereimt, spricht man nicht von Abgesang sondern von Körnern. Da diese Verse hier gereimt sind, stellen sie aus der Sicht dieser Mittelhochdeutschen Verform keinen Abgesang dar. Aber da wirst Du Dir schon was gedacht haben. Aber was?

Nebenbei sagen mir die zahlreichen Wortschöpfungen nicht so zu. Bei "tränensticker" stelle ich mir so ein kleines rundes Schildchen mit einer Sicherheitsnadel hinten dran vor, das ich mir an die Jacke pinnen kann und auf dem "Heul doch" steht. Auch das "frustvernutzte" ist nur wieder ein schönes Beispiel für die Universalität der Silve "ver", die eigentlich immer passt, wenn ich nicht genau weiß, wie, aber das an den Leser weitergeben will, der sich auch promt darin wieder findet, aber schön ist das nicht.
Ich gestehe, die "wundgehöhlten Augen" liegen außerhalb meines Sprachverständnisses. Was tun die Augen? Sie höhlen? Und das so lange bis sie ganz wund sind. Was ist Höhlen? In einer Höhle wohnen? Und davon wird man wund? Versteh ich nicht.
Einzig mit dem dem Reimzwang entsprungenen "trauerlaugen" kann ich sinnhaft etwas anfangen, schön finde ich das aber nicht.

Ansonsten versinkt hier nach meinem Verständnis ein frustriertes Ich in Selbstmitleid. Es befielt seine Seele einem Gott, wobei mich wundert, dass dies im Sinne bedeutet, dass das Ich diesem Gott seine Seele aufzwingt, da es ja nicht dafür gekrochen kommt. Ich hätte, jemandem meine Seele befehlen, eher so verstanden, unter den Befehl desjenigen stellen, sich anvertrauen, somit also schon eher gekrochen kommen. Hier unterscheidet sich wohl wiederum unser Sprachgefühl.

Jedenfalls scheint dass einzige, was den Frust und das Selbstmitleid des Ich lindert, die Angst seiner Mitmenschen zu sein, die es diesen einjagt. Kein sehr angenehmer Zeitgenosse. Aber für mein Gefühl auch kein besonders gutes Gedicht über ihn.
Nicht meins.

Trotzdem wüsste ich gerne mehr über den Gegenstand des Titels.

Schöne Grüße,
GW

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#3

Abgesang

in Düsteres und Trübsinniges 16.05.2007 12:02
von Albert Lau (gelöscht)
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Hallo Wohl,

ein Abgesang ist ein Nachruf, allerdings meist schon zu Lebzeiten. Das ist ebenso einfach, wie allgemein, was mir einmal mehr zeigt, dass Wicki auch nicht alles ist.

Zum Gedicht hattest du ja gar keine Fragen, sondern nur die Mitteilung, dass es dir nicht gefällt. Das ist okay. „tränensticker“ heißt natürlich nichts anderes als „tränenerstickter“, die Freiheit, die ich mir nahm, ist die Freiheit, damit auf die Fresse zu fallen. „Frustvernutzt“ soll zusammenfassen, dass die Seele ebenso benutzt, wie miss- und dadurch verbraucht wurde. Natürlich ist das auch ein Sprachmissbrauch, den ich hier aber angemessen fand. Nur angemessen, wenn ich dafür auch einmal Prügel erhalte. „Wundgehöhlt“ sind Augenhöhlen, die um so dunkler und tiefer erscheinen, je verheulter, hier – richtig erkannt! – sogar genölter sind. Die Larmoyanz des lyrI ist ja wenigstens deutlich transportiert worden.

Die Unterstellung, dass „trauerlaugen“ durch Reimzwang entstanden ist, nehme ich dir übel. Tatsächlich war das Wort „trauerlaugen“ zuerst da und dann erst fiel mir auf, wie wundervoll das ja mit Augen reimt. Ich hätte allerdings alarmiert sein sollen, wie einfach das war. Wenigstens kannst du mit diesem Neologismus etwas anfangen.

Etwas überrascht bin ich nämlich schon, wie ungnädig du den Wortschöpfungen gegenüber stehst. Damit meine ich nicht, dass man sie nicht als misslungen bezeichnen soll, wenn man sie so empfindet. Aber warst du nicht derjenige, der sich sogar etwas mehr als Künstler bestätigt findet, wenn er seine Wortschöpfungen goggelt und nicht findet? Nun, dann lass anderen auch mal ihren Spaß!

Das mit dem Versinken in Selbstmitleid ist völlig richtig erkannt. Und ja, das lyrI befiehlt seine Seele, d.h. es gibt (sie) auf, auch völlig richtig. Nur befiehlt sie sie irgend einem Gott, wer eben immer (existieren) mag. Und genau daher kriecht es eben auch nicht, dafür ist es viel zu fatalistisch. Ich denke schon, dass das sinnlogisch passt.

Und es ist tatsächlich ein mieses Ich. Ich finde auch, dass Mitnahmesuizid eine miese Nummer ist.

DG
Mattes
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#4

Abgesang

in Düsteres und Trübsinniges 16.05.2007 12:51
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Lau,

o.k. Das mit dem Reimzwang ist ein Irrtum von mir, ein vielleicht nachvollziehbarer und hoffentlich entschuldbarer.
Du hast natürlich recht, dass ich grundsätzlich ein Fan von Wortschöpfungen bin, somit dieser Text in der Beziehung genau auf meiner Linie liegen müsste. Vielleicht bin ich deshalb so ungnädig, weil ich genau deswegen dachte, es müsste mir doch eben deshalb gefallen.
Das wundgehöhlte Auge kann ich nun übrigens nachvollziehen und finde den Begriff auch ganz gut.
Ich hab mir auch natürlich gedacht, dass tränensticker von tränenerstickter kommt, werde damit aber nicht warm.
Die zweite Strophe verstehe ich jetzt, finde für mich diesen Zusammenhang, dass aus der Beliebigkeit des Gottes ersichtlich ist, dass das Ich sich hier nicht beugt, nicht ganz schlüssig, zumindest nicht ohne Deine Erklärung.

Wahrscheinlich hast Du recht und ich hätte etwas gnädiger sein können bei meiner Beurteilung, aber nachdem Du bei meinem letzten Lob für eines Deiner Werke schon gleich gedroht hast, auf meiner Schleimspur wieder aus dem Forum fort zu glibschen, dachte ich, ich kann auch trockener.

Und es ist so, dass ich mit diesem Gedicht nicht sehr warm werde, liegt aber, fürchte ich, auch nicht zuletzt am Thema.

Und danke für die Erläuterung von Abgesang. Ich hatte mir das schon so gedacht, war mir aber nie sicher. Geht mir häufig so bei Modewörtern, und ich finde Abgesang ist eines, dass die in aller Munde sind, und ich mich frage, wer alles, mich eingeschlossen, das verwendet, ohne genau zu wissen, was es bedeutet.
Die zwei Begriffe, die ich am häufigsten falsch verwendet hörte oder las, waren und sind "Status Quo" und "kongenial".
Deshalb wollte ich das wissen. Das ist jetzt aber nicht gegen Deinen Titel gerichtet, der hier ja so durchaus passt.

Viele Grüße,
GW

_____________________________________
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#5

Abgesang

in Düsteres und Trübsinniges 16.05.2007 15:07
von Krabü2 (gelöscht)
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Hi!
Bei allen Fragen und Antworten - und, nein, (auch) mir gefällt dieses Gedicht nicht, auch aus schon genannten Gründen, aber auch wegen der 1. Strophe, 3. Zeile:
wie viele Augenpaare weiten, ....
es müsste sich weiten heißen, für mein Sprachgefühl. Das Fehlen des 'sich' stört mich. Vielleicht könnte man - so es nicht nur mir so geht - den Rhythmus da anpassen oder insgesamt verändern. So find' ich das recht holprig.
Was heißt 'in welchen Saal ich euch jetzt schicke'? - was ist damit gemeint? Ein 'ins-Boxhorn-Jagen'? Das versteh' ich nu ja nich... und wünschte mir ne Erklärung.
Grüße
Uschi
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#6

Abgesang

in Düsteres und Trübsinniges 16.05.2007 15:25
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Nicht nur die 'frustvernutzte Seele' unter der ich mir etwas vorstellen und mich sogar damit identifizieren kann,
gefällt mir.
Das Gedicht ist insgesamt für mich verständlich und eine ähnliche Aussage zu treffen, verlangt es mich schon seit längerem. Dabei ist es hier gelungen, kurz zu bleiben und zugleich aussagekräftig.

Meine Zustimmung!
Joame
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#7

Abgesang

in Düsteres und Trübsinniges 16.05.2007 22:24
von Albert Lau (gelöscht)
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Hallo Wohl,

natürlich entschuldbar, wer bin ich denn? Und nicht falsch verstehen: Missfallen okay, Verständnis für den Versuch aber vermisst.

Beste Grüße
Lau

Hallo Bürste,

bei der Augenweitung achte ich dein Gefühl, reklamiere aber dennoch poetische Lizenz. Holprig finde ich es nun gar nicht.

In welchen Saal? Nun, erst werden Worte in den Raum, dann Menschen in einen Saal geschickt und diesem überlassen. Daraus möge jeder ziehen, was er mag. Das Bockshorn halte ich dabei für textfern, sorry.

DG
Mattes

Hallo Joame,

danke für die Zustimmung und ein Toast auf die unterschiedlichen Geschmäcker! Nicht falsch verstehen: Ich unterstelle kein Gefallen und/oder will dich nicht vereinnahmen. Aber die Quittung über die Verständlichkeit erhielt ich sehr gern.

DG
Mattes
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#8

Abgesang

in Düsteres und Trübsinniges 17.05.2007 01:45
von Krabü2 (gelöscht)
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Mit Verlaub, lieber Mattes,
Augen können weiden (sich und an etwas), man oder etwas kann für jemanden auch eine Augenweide sein, und bei allem Respekt, dass Du das evtl. im Kopf hattest bei Deiner 'Abwandlung' auf 'weiten', es geht hier nicht, denn das Wort weiten ist bezüglich/rückbezüglich.
Komm' mir nicht mit dichterischer Freiheit oder Neologismen. Das funzt nicht.
Weil es nicht geht, es ist sprachlich nicht korrekt.
(sag ich mal, nachdem ich mein Gefühl in den Kopf gesogen habe *lächel*)
Lieben Gruß
U.
Edit: Vorschlag: 'die Augenpaare, die sich weiten'
weiter(n)hin find ich es schade, dass Du 2 x 'Augen' und 'Tränen' schreibst in so einem kurzen Gedicht, Somit ist die letzte Zeile dieses Stücks für mein Erachten nicht so gut gelungen. Mit 'tränenstick' freunde ich mich nunmehr an, verleitet mich das Wort doch auch, an 'Sticker' zu denken, an was 'Aufgeklebtes'. Ich las was von Mitnahme-Suizid, das seh ich im Gedicht nicht. Zuallererst hab ich an meine Jugendkreiszeiten gedacht, damals, mit 14-15 Jahren, wo einzeln gebetet wurde, was oft hieß, da sprach einer aus, was er 'Beschämendes' gedacht/getan hat, die Anderen beteten still mit, das sollte unterstützend wirken. Dann dachte ich an so was wie ne Selbsthilfegruppe Dann dachte ich an Jemanden, der gern schockiert, einen guten 'Schauspieler', wo auch immer, der sich damit ins Aus stellt, dass er die Anwesenden brüskiert mit seinen Erzählungen, die durchaus völlig übertrieben sein können, u. woraus er Lust und Spaß zieht, wodurch er eine Hauptrolle, die des 'Sorgenkindes' einfordert. Ist natürlich ebenso krank Der Gestus des Erzählens würde diese These unterstützen: Die WIrkung, die das LI erzielt, trocknen ihm ja sogar die Tränen, es ist es also zufrieden. Das LI erhöht sich kolossal, da, wo es 'denkt', es käme nie und nimmer gekrochen, egal, welche Versprechung ihm angetragen wird. Höchst ambivalent bei dem vielen Weinen: ein abgefeimter Täuscher auf der einen, sich und Reaktionen Anderer klar registrierend, ein verzweifelter Geist auf der anderen Seite.
Mir ist übrigens egal, ob er damit sympathisch ist oder nicht, denn was ist das schon, worauf beruht Sympathie schon... meist darauf, dass sich der Sympathisierende nicht in seiner 'Seelenruhe' gestört fühlt. Dieses LI ist markant. Individuell. Kein Herdentier. Das ist schon gut herausgearbeitet.
U.
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#9

Abgesang

in Düsteres und Trübsinniges 22.05.2007 18:20
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Hi Mattes,

eben hatte ich einen anderen Text vor der Nase, bei dem ich den Paarreim bemängelte. Du nun zeigst, dass man diese Reimform auch weitab jedweder Büttenrede platzieren kann. Formal ansonsten sehr rund, auch der Wechsel zu den Trochäen in den letzten beiden Zeilen passt.

Ob mir Deine Zeilen aber nun gefallen, weiß ich auch nach mehrmaligem Lesen nicht. Was ich aber dabei festgestellt habe, ist, dass sie unerhört gut klingen. Mir scheint, Du hast den Klang mehr als üblich in den Vordergrund gestellt und auch die Neologismen in dessen Dienste gestellt.

Einzeln betrachtet und quasi aus dem musikalischen Kontext herausgerissen sagen mir einzelne Formulierungen auch nur bedingt zu. Tränensticker ist schwierig; und hat man erst einmal GW's "Heul doch"- Button vor Augen, wird es nicht besser... Frustvernutzt finde ich clever, denn man erhält einige zum Kontext passende Assoziationen, überzeugt bin ich aber nicht. Die wundgehöhlten Augen - klanglich sicher nicht unbeabsichtigt an wundgeheult erinnernd, aber erheblich düsterer daherkommend - gefallen mir dagegen sehr.

Inhaltlich bin ich nicht wirklich durch Deine Zeilen durch. Insgesamt habe ich das Bild eines Trauergottesdienstes vor Augen, in dem der Geistliche (den ich nicht auf eine Religion festlegen würde) - oder der Redner auf einer Trauerfeier - der trauernden Gemeinde versucht, Trost zu spenden und die Toten (einem) Gott zu empfehlen, wohlwissend, dass dieser Trost nichts ist und die paradiesischen Verheißungen nicht einmal das lyrIch selbst locken würden, obschon die ihn ja am ehsten locken müssten. Womöglich waren die Toten ja einer falschen Idee aufgesessen und verblendet.

Vielleicht ist dieses Bild zu weit hergeholt, aber es überlagert immer wieder meine Interpretationsansätze - also bleib ich dabei .

Den Titel finde ich natürlich toll. Kein Wunder, hab doch auch so einen .

Grüße,

Don

Des Paten Missetaten

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#10

Abgesang

in Düsteres und Trübsinniges 22.05.2007 20:12
von Albert Lau (gelöscht)
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Hi Don,

hab Dank für deine Worte, sie versöhnten mich wieder mit diesem Kling-Klang-Klong-Gedicht, denn so ist es entstanden. Und larmoyant ist es, weil es in eben solcher Stimmung entstand, in die ich mich hineinsteigerte und es dann textlich übersteigerte. Das nennt man method-rhyming, tja.

DG
Mattes
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#11

Abgesang

in Düsteres und Trübsinniges 23.05.2007 11:03
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
"Kling-Klang-Klong-Gedicht"

Des Paten Missetaten

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