#1

Die einseitige Medaille

in Philosophisches und Grübeleien 22.05.2007 13:03
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Die einseitige Medaille

Ein alter Schmied, der alles schon
gefertigt hatte, was es gab,
befragte seinen jungen Sohn
ob er nicht noch Ideen hab,

was Neues noch zu schmieden sei,
was keiner schon gefertigt hätt.
Der Junge sprach, dass alles zwei
Gesichter bräuchte, um komplett

zu sein. Doch schaffte er es, solch
ein Ding zu bauen - sei's ein Schild,
ein Ring, Skulptur, Medaille, Dolch -
das eine Seite nur enthielt,

so wär das sicher völlig neu.
So machte sich der alte Mann
ans Werk und sang ganz ohne Scheu,
dass er so etwas bauen kann.

Er grub sich in die Arbeit ein.
Erst forschte er für viele Jahr,
probierte dann tagaus, tagein,
bis er tatsächlich fertig war.

Das Bild das sich ihm aber bot,
als er voll Glück den Sohne rief,
war dies: Der Sohn war lang schon tot,
und auf dem Tisch lag nur ein Brief.

"Oh Vater", stand darin, "Vergib!
Ich brachte uns wohl diesen Fluch,
der wie ein Mahlwerk uns zerrieb,
und von dem schwierigen Versuch

uns zu erretten wurd' ich krank."
Der Schmied vor Trauer trüb und matt
nahm seinen Hammer von der Bank,
und haute die Medaille platt.

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#2

Die einseitige Medaille

in Philosophisches und Grübeleien 22.05.2007 15:09
von Erebus (gelöscht)
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Hallo Geratewohl,

... das war dann die andere Seite der Medaille?
schaurig, moralisch, schön.
Mit Brüchen oder Stolperstellen, wenn ich das so sagen darf.
Der "Alte Mann" suggeriert auch einen alten Sohn, und tatsächlich, der ist klug genug, zunächst eine abstrakte Zielsetzung für das väterliche Unternehmen zu nennen.
Das ist für mein Empfinden zumindest ungewöhnlich in dieser Art Geschichten, wenn nämlich die Moral gefälligst am Ende zu kommen hat, also die Auflösung das "einseitig" nicht geht.
Ich fände da - auch wenn's in der Konstruktion abgegriffen wäre- ein naives Beginnen der Story um einen jungen Sohn und einen erfahrenen Schmid in den "besten" Mannesjahren besser. Dann hätte der Alte auch mehr Zeit.

Unglaublich - nicht nur für mich - dass der alte Graubart nach Jahren aus der Schmiede stolpert und ups! der Sohn ist lang schon tot.
Besser wäre vllt., er macht die einseitige Erfindung, stellt sie glücklich dem Sohne vor und es ereignet sich damit ein Unglück. Dann könnte man noch lange en bloc darüber philosphieren und moralisieren.

Aber die Idee finde ich pfiffig und interessant. Wären die von mir empfundenen Schwachstellen nicht, würde ich sie Dir abkaufen.

LG

Ulrich
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#3

Die einseitige Medaille

in Philosophisches und Grübeleien 23.05.2007 11:17
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hi Erebus,

ja, so im NAchhinein frage ich mich auch, wie ich auf diese Vater/Sohn-Kombi mit der Konstellation kam. Mir war es wichtig, dass der alte eigentlich sonst alles schon gesehen und gemacht hat. Aber ich gebe zu, dass es da glücklichere Ansätze gibt.
Dass der Alte den Kleinen überlebt, stört mich allerdings nicht so, aber ich kann Deine Störung gut nachvollziehen und empfinde sie auch als Schwäche des Gedichts.

Ich habe auch überlegt, ob sich das nochmal umstellen ließe, aber das ginge nicht ohne erheblichen Aufwand, den ich mir hier lieber nicht mehr machen will. Is halt so wies is, wa?

Danke für Deinen Kommentar.

Grüße,
GW

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