#1

Der wilde Geist

in Diverse 22.05.2007 19:08
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Der wilde Geist

All der Groll in mir beweist es,
ebenso die roten Wangen:
Die Beruhigung meines Geistes
ist ein schweres Unterfangen,
ihn zu suchen in der Höhle
und zu fangen, dann zu lassen,
ihn zu bändigen, zu zähmen,
nur zu reden, nicht zu schimpfen,
ihn nicht zu hart anzufassen,
unter seinem Rumgegröhle
seine Wut mal kurz zu lähmen -
schnell die wilden Kinder impfen! -
sie nur streicheln und nicht schlagen,
einfach zuhörn, was sie sagen,
zu verstehen, was sie meinen,
auch mal was mit ihnen machen,
wenn sie traurig sind, zu weinen,
sind sie froh, mit ihnen lachen,
und nicht immerzu verneinen -
keine Schrammen abzukriegen,
wach zu bleiben ohne Trübung
für die schützenden Gebärden,
und, obwohl sie immer stärker werden,
krieg ich langsam darin Übung
meinen Geist zur Ruh zu wiegen.

_____________________________________
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#2

Der wilde Geist

in Diverse 23.05.2007 12:19
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Hi Gunter,

das ist aber ein kompaktes Stück Text - und eine sehr eigene Form, die bis auf den beständigen 4hebigen Trochäus sehr wild daher kommt. ABer das passt ja grundsätzlich zum Thema...

Formale Analysen sind bei Dir ja eigentlich nicht mehr vonnöten. Ich mache aber doch mal eine, mehr aber, um selbst hinter die Strukturen Deines Gedichtes zu steigen. Ich habe es daher in Abschnitte unterteilt, die sich weniger nach dem Inhalt als an den Reimen ausrichten und abgeschlossene "Reimeinheiten" darstellen (also wo jeder Reim einen Partner hat).

All der Groll in mir beweist es,
ebenso die roten Wangen:
Die Beruhigung meines Geistes
ist ein schweres Unterfangen,

XxXxXxXx a
XxXxXxXx b
XxXxXxXx a !
XxXxXxXx b
Hier ist alles noch sehr strukturiert. Be-rui-gung kann man lesen, auch wenn man das erste mal drüber stolpert. Das ist also die Einleitung, die das Thema vorgibt: die Zähmung des unbezähmbaren Geistes. Ich bin gespannt...

ihn zu suchen in der Höhle
dann zu fangen, dann zu lassen
ihn zu bändigen, zu zähmen
nur zu reden, nicht zu schimpfen,
ihn nicht zu hart anzufassen,
unter ständigen Gegröhle
seine Wut mal kurz zu lähmen -
Schnell die wilden Kinder impfen! -

XxXxXxXx a
XxXxXxXx b
XxXxXxXx c !
XxXxXxXx d
XxXxXxXx b
XxXxXxXx a
XxXxXxXx c
XxXxXxXx d
bändigen auch auf der 3. Silbe zu betonen, ist nicht ideal, aber derartiges ist eben manchmal nicht zu vermeiden. Hm, ist wirklich kein Problem. Vom Anfangsreimschema hast Du Dich gelöst. Das do0ppelte dann in Z. 2 (nach meiner Aufteilung) finde ich nicht ganz so schön. Vielleicht das erste einfach durch ein "erst" ersetzen:
erst zu fangen, dann zu lassen - oder einem "mal"?
Das Gegröhle mutet mir seltsam an: das lyrIch gröhlt, um die Wut des Geistes zu lähmen? Wobei das lyrIch den Geist unter ständigen Gegröhle kurz lähmt. Irgendwie ist diese Stelle seltsam...

sie nur streicheln und nicht schlagen,
einfach zuhörn, was sie sagen,
zu verstehen was sie meinen,
auch mal was mit ihnen machen,
wenn sie traurig sind, zu weinen,
sind sie froh, mit ihnen lachen,
und nicht immerzu verneinen -

XxXxXxXx a
XxXxXxXx a
XxXxXxXx b !
XxXxXxXx c
XxXxXxXx b
XxXxXxXx c
XxXxXxXx b
In Zeile 3 fehlt ein Komma. Inhaltlich führts Du das Vorangegange weiter aus. Mir gefällt der Gedanke, dass man seine Wut auch zulassen und verstehen können muss, um ihr die Stirn bieten zu können. Allerdings bin ich mir noch nicht über die Kinder des wilden Geistes im Klaren. Sind das kleine böse Gedanken, Neid, Eifersucht, Boshaftigkeit, Schadenfreude etc.? Dinge, die man annehmen muss, um den Geist nicht zerbrechen zu lassen und um zu verhindern, dass diese allein das Denken ausfüllen? Mir kommt dieser Ansatz am schlüssigsten vor.

wach zu bleiben ohne Trübung
für die schützenden Gebärden,
die sie brauchen um zu fliegen,
und obwohl sie stärker werden
krieg ich langsam darin Übung
meinen Geist zur Ruh zu wiegen.

XxXxXxXx a
XxXxXxXx b
XxXxXxXx c !
XxXxXxXx b
XxXxXxXx a
XxXxXxXx c
Nach alter Rechtschreibe setzte man in Zeile 3 vor dem Infinitivsatz ein Komma; heute ist das optional, schöner fänd ich es aber.

Inhaltlich bin ich hier ein wenig irritiert. Das lyrIch übt sich in schützenden Gebärden, um die kleinen bösen Kinder des Geistes fliegen zu lassen... ich vermute mal, unter "fliegen" ist hier loslassen, sich befreien gemeint? Eigentlich verbinde ich mit "fliegen" positives, insofern überrascht die helfend Hand des lyrIch dabei. Zumal kurz darauf festgestellt wird, dass diese stärker werden, was ("obwohl"!) wohl negativ ist.

Das Reimschema scheint keinem bestimmten Schema zu folgen. Das passt, um die Wildheit (fast schon Wahnsin) der Gedanken des lyrischen Ichs darzustellen. gegen Ende wäre womöglich wieder etwas mehr Struktur (so wie zu Beginn ein schlichter Kreuzreim) passend gewesen, um auszuzeigen, dass das lyrIch in der Selbstkontrolle immer besser wird.

Deine Zeilen treiben einem nach Vorne und das Lesen bringt Spaß, wenn man erst mal die wenigen schwierigen Stellen erkann hat. Der Textblock ist allerdings schon recht heftig und auch abschreckend, die Reimform macht dagegen insgesamt Sinn.

Hat was und gern gelesen hab ichs auch.

Don

Des Paten Missetaten

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#3

Der wilde Geist

in Diverse 23.05.2007 12:48
von Erebus (gelöscht)
avatar
Hallo GerateWohl

ich sah es wohl. Jedoch schien mir dieser Textklumpen (ist das ein originärer Klumpwulster?) so unverdaulich, dass ich ihn stehen ließ.
Und siehe da, der Don hat's arrangiert und ich hab's gelesen.
Und finde es wirklich gut.
Ich lese daraus die Selbst-Disziplinierung eines Vaters in der fröhlich gröhlenden Kinderschar. Ich klabüser es bis zur Vierzeiligkeit auseinander...

All der Groll in mir beweist es,
ebenso die roten Wangen:
Die Beruhigung meines Geistes | des Geistes
ist ein schweres Unterfangen,

ihn zu suchen in der Höhle
dann zu fangen, dann zu lassen | anstelle "dann... dann" "mal...mal"
ihn zu bändigen, zu zähmen
nur zu reden, nicht zu schimpfen,

ihn nicht zu hart anzufassen,
unter ständigen Gegröhle | ständigem
seine Wut mal kurz zu lähmen -
Schnell die wilden Kinder impfen! -

sie nur streicheln und nicht schlagen,
einfach zuhörn, was sie sagen,
zu verstehen was sie meinen, | Komma? "verstehen, was"
auch mal was mit ihnen machen,

wenn sie traurig sind, zu weinen,
sind sie froh, mit ihnen lachen,
und nicht immerzu verneinen -
wach zu bleiben ohne Trübung

für die schützenden Gebärden,
die sie brauchen um zu fliegen,
und obwohl sie stärker werden | Komma? "und, obwohl"
krieg ich langsam darin Übung

meinen Geist zur Ruh zu wiegen.


Ja, das gefällt mir gut. Und so wie ich das sehe, ließen sich die Verse gewiss so arrangieren, das ein durchgängiges Reimschema entstünde.

Die Thematik glaube ich bis aufs i-Tüpfelchen zu erkennen, habe ich doch selber drei "Racker". Nur das Impfen kommt ein wenig merkwürdig..

Lieber Gruß

Ulrich
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#4

Der wilde Geist

in Diverse 23.05.2007 16:52
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Ihr beiden,

hm, zwei doch recht gegensätzliche Interpretationen, und ich muss gestehen, dass ich von der Grundintention, die Don recht gut erfasst hat, irgendwie in die von Ulrich reingerutscht bin, was dem Gedicht allerdings, wie ich jetzt finde, gar nicht so gut tut, weil ich die beiden Teile nicht sauber zusammen kriege. Da müsste ich noch riesig Arbeit reinstecken.
Ich hatte irgendwann so ein bisschen so ein Bild vor Augen wie aus dem Film "Die Brut" von David Cronenberg, wo das von Don und auch irgendwie in dem Gedicht beschriebene Bild 1:1 in filmische Realität umgesetzt wurde.

Jedenfalls habe ich jetzt an den von Dir, Don, angemerkten Stellen noch etwas gebastelt und das "fliegen" ersetzt. Jetzt erscheint es mir schlüssiger, ich bin mir aber noch nicht sicher, ob das der letzte Handschlag hier war. Ich fürchte oder hoffe, da geht noch was.

Mich würde natürlich brennend interessieren, Erebus, ob ich so Deiner Interpretation jetzt aus Deiner Sicht den Todesstoß versetzt habe oder nicht.

Vielen Dank für Eure Kommentare!

Grüße,
GW

Edit: Ulrich, hab noch Deine dankenswerten Kommata eingearbeitet. Danke dafür.

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#5

Der wilde Geist

in Diverse 23.05.2007 20:07
von Erebus (gelöscht)
avatar
Hallo GW,


Zitat:

Mich würde natürlich brennend interessieren, Erebus, ob ich so Deiner Interpretation jetzt aus Deiner Sicht den Todesstoß versetzt habe oder nicht.


ne.
Paßt!
Ist für mich immer noch besagte Konditionierung..

LG
Ulrich
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#6

Der wilde Geist

in Diverse 23.05.2007 21:01
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Danke.

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