#1

Hölderlinturm

in Düsteres und Trübsinniges 07.06.2007 11:28
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Hölderlinturm

Vase mit Blumen,
unten auf Dielen,
mitten im leeren
Zimmer im Turm.

Es will nicht gelingen
weiter zu atmen,
wenn durch die letzten
seiner drei Fenster
endgültig dringen
dunklere Fluten,
Stocherkahnsingen,
dunklere Fluten,
in Tübingen, hier.

e-Gut
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#2

Hölderlinturm

in Düsteres und Trübsinniges 07.06.2007 20:54
von Erebus (gelöscht)
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Hallo Alcedo,

Ich kenne sowohl Hölderlin als auch Tübingen nur flüchtig.

Mag sein, das Stocherkahnsingen hat eine eigene Wurzel. Aber allein für dieses Wort verdient Dein Gedicht eine tiefe Verbeugung.

Ich habe das Gefühl, den Turm zu besuchen, das Andenken des Dichters in der leeren Enge zu suchen und in den dunkleren Fluten das Leid des Dichters zu sehen.

Das Großschreiben des "Seiner" wäre nach meinem Gefühl nicht notwendig gewesen.
Der Text nimmt ich gut mit, ist knapp und stringent, und das "Zerbrechen" der Sprache in Wiederholung und Inversion gegen Ende von S2 ist wirklich gelungen ausgeführt.

Gefällt mir ganz ausgezeichnet.

Lieber Gruß

Ulrich
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#3

Hölderlinturm

in Düsteres und Trübsinniges 08.06.2007 11:39
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hi Alcedo,

Du machst es einem mit dem Kommentieren Deiner Gedichte nicht gerade leicht, zumindest mir nicht, weil Du gerne Bezüge zu Dingen einbaust, von denen ich gelinde gesagt, nur den Hauch einer Ahnung habe. Daher ist es keine Ignoranz sondern eher pure Ahnungslosigkeit, die mich davon abhält.
Hölderlinturm? Ich weiß nicht viel über den Herrn Hölderlin und seine Gedichte, was wahrscheinlich eine böse Bildugnslücke ist, die es bis zum Ende meines Lebensweges noch zu schließen gilt. Wieder ein Punkt auf der Liste. Danke dafür.
Der Text macht einen durchaus neugierig, doch wende ich mich innerlich sogleich ab und denke, mir fehlt eh das Hintergrundwissen um zu verstehen, worum es hier geht. Daher hoffe ich auf schlauere Kommentare zu dem Text als meinen.

Grüße,
GerateWohl

_____________________________________
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#4

Hölderlinturm

in Düsteres und Trübsinniges 08.07.2007 12:17
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
@Erebus:
"Der Text nimmt ich gut mit, ist knapp und stringent, und das "Zerbrechen" der Sprache in Wiederholung und Inversion gegen Ende von S2 ist wirklich gelungen ausgeführt. "
freut mich sehr, dass mir dies gelungen ist. vielen Dank für die Rückmeldung.

ich hatte den Turm besucht und war in sein Zimmer hochgestiegen. keine Ahnung was ich dort erwartet hatte, aber es war ziemlich geräumig und vor allem leer. völlig leer, mit einer Blumenvase auf dem nackten Dielenboden. die Außenwand war ein Halbrund mit drei Fenstern, die zum Neckar schauten, wobei man den Eindruck hatte direkt über dem Fluss zu stehen. Stocherkähne mit Touristen mit aufgespannten Regenschirmen glitten in Zeitlupe vorbei. und aus einem wurde gesungen, im Chor, irgendwelche Studentenlieder, dumpf durch die geschlossenen Fenster zu hören. im darunterliegenden Museum hatte ich vorher Hölderlins Manuskript zur "Hälfte des Lebens" betrachtet und die Stiege hinauf war die Wand gesäumt von Scardanelli-Texten. ich hatte vorher gar nicht gewusst dass er in seiner Turm-Zeit(mehr als 30Jahre) auch noch kreativ gewesen war. es war beklemmend für mich, seine Turmgedichte zu lesen. sie befremden vor allem durch die schlichte Reim- und Wortklarheit.

die Stocherkähne fahren also auf dem Neckar, der vor dem Turm vorüber fliesst. du musst sie dir wie venezianische Gondeln vorstellen, aber halt schwäbisch schlichter. das schwäbische Pendant das Gondoliere, stochert mit ca. 5m langen Holzstäben im Flussbett herum und schiebt die Touristen vor dem Hölderlinturm auf den Neckarwellen auf und ab.



@GerateWohl:
ich kann dir den Hölderlin nur empfehlen. böse Zungen behaupten zwar, sein lyrisches Hauptwerk bestünde lediglich aus Rhythmusstudien, aber jeder darf sich ja bei der Rezeption seinen eigenen Reim darauf machen. ich bringe dir mal ungefragt einen Ausschnitt:

Zitat:

aus AN DEN AETHER

von Friedrich Hölderlin

(...)
Himmlischer! sucht nicht dich mit ihren Augen die Pflanze,
Streckt nach dir die schüchternen Arme der niedrige Strauch nicht?
Dass er dich finde, zerbricht der gefangene Same die Hülse,
Dass er belebt von dir in deiner Welle sich bade,
Schüttelt der Wald den Schnee wie ein überlästig Gewand ab.
Auch die Fische kommen herauf und hüpfen verlangend
Über die glänzende Fläche des Stroms, als begehrten auch diese
Aus der Wiege zu dir; auch den edlen Tieren der Erde
Wird der Flug zum Schritt, wenn oft das gewaltige Sehnen,
Die geheime Liebe zu dir, sie ergreift, sie hinaufzieht.
(...)
Aber indes ich hinauf in die dämmernde Ferne mich sehne,
Wo du fremde Gestad umfängst mit der bläulichen Woge,
Kömmst du säuselnd herab von des Fruchtbaums blühenden Wipfeln,
Vater Aether! und sänftigest selbst das strebende Herz mir,
Und ich lebe nun gern, wie zuvor, mit den Blumen der Erde.



ich hab damals auch Fotos geschossen vom Turm. werd vielleicht mal was in die Plauderecke stellen. damit ihr bei einem Tübingenbesuch das Museum nicht verfehlt.
selber war ich auch nur das eine Mal dort im Turm. unlängst war ich zwar wieder in Tübingen, aber leider hatten sie den Tag geschlossen.
deshalb hier auch für mich zum besseren timing
die Öffnungszeiten des Museums:
Dienstag bis Freitag 10.00 bis 12.00 Uhr und 15.00 bis 17.00 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertag 14.00 bis 17.00 Uhr

liebe Grüße
Alcedo

edit:
die unangebrachte Großschreibung von "seiner" hab ich wieder zurückgesetzt. danke euch für die Hinweise.




e-Gut
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