Liebe Bipontina,
dein Gedicht hat, bis auf ein paar Stellen, eine schöne Satzmelodie, zeigt ein schönes Stimmungsbild. Das lyrische Ich scheint sich selber gut zureden zu wollen, die Hände rein waschen zu wollen von der Verachtung aus dem letzten Vers, sich selbst gedanklich zu bestätigen, dass es richtig ist, was es fühlt und denkt, wobei mich das "der" in V13 ein wenig irritiert.
An manchen Stellen stolperte ich beim Lesen, was zum einen daran lag, dass dir in Vers 2 einmal ein Trochäus in die sonst unbetont beginnenden Verse geraten ist, vermutlich der (absichtliche?) Kettenbruch, zum anderen am unterschiedlichen im Versmaß in S1 und S2.
Das Reimschema abcabcd in der ersten Strophe wechselt in der 2. zu abcabceed, ist an sich innovativ und spannend, leidet nur auch ein wenig unter der unterschiedlichen Silbenanzahl, so dass man, zumindest ich, beim lauten Lesen leicht stockt.
Werd ich gesunden? Mich befreien? (9 Silben)
x X xXx X xXx
Dieser Ketten wieder ledig sein? (9, Trochäus)
Xx Xx Xx Xx X
Wenn sich der neue Winter zeigt: (8)
x X x Xx Xx X
Werd ich die Stunden dann bereuen, (9)
x X x Xx X xXx
die ich in süßem Widerschein, (8)
x X x Xx XxX
Dir allzu zärtlich hingeneigt, (8)
x Xx Xx XxX
verbrachte? (3)
xXx
Und doch will ich in diesen Banden liegen! (11)
x X x X x Xx Xx Xx
Was soll mir Freiheit, wenn sich mich (8)
x X x Xx X x X
in neue Leere stößt? (6)
x Xx Xx X
Wie kann ich d i e s e n Schatten je besiegen? (11)
x X x Xx Xx X xXx
In diesem Schatten ahnt' ich Dich: (8)
x Xx Xx X x X
der alle Sinne löst' (6)
x Xx Xx X
von irdischem Begehren. (7)
x XxX xXx
Was nützt mein Wehren? (5)
x X x Xx
Du bist das Große "Ich verachte" (9)
x X x Xx X xXx
Auch die Wortwiederholung bei "Schatten" stört mich persönlich ein wenig, ebenso, wie die beiden "in-Auftakte".
Insgesamt finde ich dein Gedicht sehr interessant und mag es, nicht dass dies jetzt in der ganzen Mäkelei untergeht.
Liebe Grüße,
roux