#1

Autumnus

in Natur 21.08.2007 15:14
von bipontina (gelöscht)
avatar
Die fast erloschne Fackel
voll von Dämmer, halbem Brand,
von letztem Blut den süßen Mund so scharf umrissen;
mit Kohlen, Dunst und Brodem -
mit dieser Fackel und mit warmem Laub gefüllt die Hand,
in seinen Augen alles Wissen,
alles Sein des Werdens, Gehens,
Scheidenmüssens
zieht wieder Herbst durchs Land.

In seinen braungefellten Lenden,
in seinem sommervollen Bauch,
an seinen weingetränkten Seiten
dehnt sich das Gras,
wird herb und schwer, wird Ruch und Hauch,
und schüttet seine Samen
hinaus in's düstre, freie Feucht,
in all die offnen Landesbreiten.
Sie sind bereit, draus die Welt zu spreiten.
Sommer fleucht,
er hat die Knospen hingereicht,
willig, warm, so voller Raps und Bergzyklamen.
Herbst steht bereit!
Rundum das Land,
Gauchheils voll,
wird unbemannt, wird fremd, wird weit,
bleibt unbesamt und schreit
vergeblich jetzt nach Fruchtbarkeit.

O Herbst!
Wie willst Du walten?
In Deinen prächtig vollen, alten
Wäldern haust's sich schwer.
Dich tragen Deine vollen Hüften nicht mehr weit,
denn, was Dich mästete, Dich breit
und fruchtbar machte,
ist dahin, ist leer.
Deines Felles, Pelzes, Haares Falten,
Deines wilden Blutes Speer
beugt sich Gewalten,
die Dir nicht mehr
Zweige, Blatt und Früchte halten,
Dich daran aufzuschwingen
in das Heer der Elementargestalten.
Deine Klagen?:
Ja, so sehr
liebt ich Butten, Astern, Schlehenbeer -
und kann sie nicht verwalten
bei dieser bösen Gegenwehr!"

D u bist dahin, mein Herbst,
bist nicht mehr der von einst,
bist schwach geworden,
nackt ,zerfressen, kahl und bleich.
D u bist jetzt der, der bang beweint
die alten Zeiten.
Was Du jetzt voller Tollheit färbst,
was Du mit brauner Trän begreinst,
sind Satans losgelassne Horden:
-so sanft, so blass, so gleich, so gleich,
so tastend, glänzend, silbern, weich -

und Dir und mir ist's Grab gezeigt,
in das wir sinnlos, leblos gleiten,
weil weder Dir noch mir,
noch unsrem unheilsvollen Schwangerschaftsgeschwür
das Leben, das Du gabst,
die Hand gereicht'.





nach oben

#2

Autumnus

in Natur 22.08.2007 10:10
von Erebus (gelöscht)
avatar
Hallo bipontina,

Es interessiert mich ja überhaupt nicht, ob adhoc oder

Zitat:

ein paar Tage nach Tschernobyl



Ich will das Gedicht für sich lesen.

Was mir bei Deinen Werken immer wieder auffällt sind die gekonnten, runden und schwungvollen Bilder. Die (Gedicht)Texte haben eine lyrische Prägnanz, die mich fesseln will.
Wenn das nicht alles so langatmig und opulent angerichtet wäre, würde es mir vermutlich vorbehaltlos gefallen.

Auch hier finde ich wieder wunderbare Bilder, Formulierungen und Findungen, die mich beeindrucken. Das ist sehr lyrisch, aber nicht dicht.
Ich bin, und ich würde es gerne leugnen, ein Konsummensch, einer der Bücher überfliegt, im Programm herumzappt und Gedanken nicht zu Ende bringt. Ich bin auf Kurzfristigkeit angelegt.

Deshalb nehme ich mir nur selten die Zeit, etwas Längeres genauer zu lesen.
Aber wenn ich's dann mache, so wie hier: finde ich es eigentlich sehr gelungen. Jedoch bleiben mir anschließend nur bruchstückhaft einzelne Details und Passagen.
Dir steht anscheinend ein sehr großer Wort-und Bilderraum zur Verfügung, Du schaffst aus der Überfülle und: es bleibt für mich übervoll.

Dennoch sehr schön.

LG
Ulrich
nach oben

#3

Autumnus

in Natur 22.08.2007 12:16
von bipontina (gelöscht)
avatar
Lieber Erebus, ich danke Dir für Deinen Kommentar. Zuerst: den Nachsatz mit Tschernobyl werd ich löschen. Es sollte der Erklärung des zukünftig zerstörten Herbstes dienen, da doch diese Jahrszeit eigentlich tröstend auf das (Werden und) Vergehen hinweist, nach T. für mich nicht mehr.
Ich zappe nicht und lese Bücher sehr gründlich, meine Lieblingswerke meist mehrere Male.Vielleicht sind deswegen meine Gedichte auch so langatmig. Dichten kann ich leider nicht langsam, d.h. ich kann nicht feilen/ausfeilen. Da strömt es (entweder ich füge mich den Worten, oder es wird nichts). Ich habe ungezählte Fragmente, die mir offenbar machten, daß nicht jeder Strom mündet, sondern austrocknen kann. Zur Überfülle kann ich nur sagen: "Wes das Herz voll ist, des geht die Feder über".

LG und Dank: bipontina
nach oben


Besucher
0 Mitglieder und 25 Gäste sind Online

Wir begrüßen unser neuestes Mitglied: Christian87655
Forum Statistiken
Das Forum hat 8220 Themen und 61619 Beiträge.

Heute waren 0 Mitglieder Online:

Besucherrekord: 420 Benutzer (07.01.2011 19:53).