#1

Verkleidung

in Gesellschaft 01.10.2007 17:20
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Verkleidung

Wir treffen uns auf einem Maskenball.
Gezweig und grüne Blätter schmücken dich.
Du fragst mich, was ich sei. Ich sage,
ich sei Einjeder-immer-überall,
natürlich nur verkleidet, äußerlich.
"Aha", sagst du, "ich bin die Unkrautplage",

und schüttelst eine Hand aus meinem Berg
von Händen, "Hab mir sowas schon gedacht."
Ein Krachen lockt uns aus dem Festgemäuer.
Dort schauen wir aufs große Feuerwerk
und sagen Dinge wie "Welch schöne Nacht"
und "Sehen Sie, rubines Rosenfeuer!"

Oft loben wir auch unsere Kostüme
und rätseln scherzhaft, wer darunter steckt.
Wir hören uns gern gegenseitig zu
wie wir palavern auf des Abends Bühne.
Doch bleibt die Lösung letztlich unentdeckt.
Dabei gingst du als ich und ich als du.

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#2

Verkleidung

in Gesellschaft 08.10.2007 00:28
von Rabekin (gelöscht)
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Hallo GerateWohl,

Dein Gedicht finde ich sehr reizvoll. Als ich es das erste mal gelesen habe, habe ich lachen müssen, wegen der komischen Bilder und Figuren, die Du entwirfst. Die Sprache führt auf verschlungenen Pfaden.
Es kommt mir vor, als würde das Gedicht selbst aus mehreren Schichten bestehen, die eine nach der anderen entkleidet werden müssten, um zu etwas durchzudringen, was des Rätsels Lösung wäre. Obwohl, so - „verkleidet“ - ist es verführerischer. Sich eine Bedeutung zu verleihen, die man nicht hat, ist Ver-Führung.
Das Zusammentreffen verkleideter Personen, die ihre wahre Identität, ihre wahren Interessen hinter anscheinend verlockenden Kostümen gegeneinander verbergen – die Relation Person und Maske (Sein und Schein) betrifft hier auch das Verhältnis zwischen dem eigentlichen Inhalt der Kommunikation und der Sprache, die in Deinem Gedicht ebenso maskiert, als „Palaver“, gepflegte Konversation, Smalltalk in Erscheinung trifft. (Die Szene erinnert mich an „Romeo und Julias“ erster Begegnung auf einem Maskenball, bei der sie sich sehr nah kommen, ohne zu wissen, wer sie sind.)
Was ich bemerkenswert finde ist, daß Du die Verkleidung, die äußere und täuschende Hülle mit so vielen anzüglichen Attributen ausstattest – die Farbenpracht, das Phantasievolle, Verspielte, die wundersamen Details, wie der „Berg von Händen“. So komisch und unzweckmäßig diese Hülle auch scheinen mag, bildet sie die Grund- bzw. Ober-Fläche für das ganze Spiel. Sie trägt die Ambivalenz der beobachtbaren Vorgänge. Durchlässig wie eine Membran leitet sie die Signale an den tieferliegenden, verborgenen Schichten. Ahnungen, Vermutungen, instinktives Denken – „Hab mir so was schon gedacht.“ - treten zu Tage.
Alles ist inszeniert, auch das „rubine Rosenfeuer“ am Himmel. Und gerade in dieser gespielten Komödie scheint sich mehr „Wahrhaftigkeit“ zu offenbaren, als im „normalen Leben“. Vielleicht liegt das an dem Sich- bewusst-sein des lyrischen Ichs, für die Maskerade, für das Spannungsverhältnis zwischen Wesen und Erscheinung/Sein und Schein.
Was es mit dem Schluß auf sich hat, bin ich mir nicht sicher. Die Masken sind vertauscht. Man müsste sich selbst im Antlitz des anderen sehen. Ich denke dabei an ein Sich-gegenseitig-spiegeln, wie uns jede Begegnung mit einem anderen Menschen mehr oder weniger zu spiegeln vermag.
Soweit erst mal von mir.
Gruß
Rabekin
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#3

Verkleidung

in Gesellschaft 24.10.2007 10:23
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Rabekin,

ja, ob unter den Schichten hier eine Bedeutung lauert wird vielleicht nie gänzlich geklärt werden.
Den Knackpunkt mit dem Bewusstsein der Maskierung hast Du sehr gut beschrieben. Das ist es, was inklusive dem nicht ernsthaft danach Streben den anderen zu enttarnen, dieser beschriebenen Begegnung die Leichtigkeit verleiht. Es wird darüber gescherzt, damit gespielt, aber im Grunde wird nicht unmittelbar angetastet, doch gerade aufgrund dieser einigkeit innerlich berührt.
Ich will jetzt gar nicht zu tief einsteigen und zuviel verraten, denn vielleicht will ja noch jemand sich seine Meinung bilden. Ich war nur recht motiviert dazu durch Deinen feinen Kommentar.

Vielen Dank und liebe Grüße,
GW

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#4

Verkleidung

in Gesellschaft 28.10.2007 17:31
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Der erste Eindruck war für mich : schwer. Das wirkt alles sehr durchdacht und konstruiert, einem Vorwurf den ich auch nicht mag. Bei Geratewohl erwarte ich es lockerleicht, spielerisch und dennoch tief im Abgang . Diese Sorte Lyrik finde ich ganz besonders gut.

Zumal wenn ich nicht bereit bin, schwäre Kost zu verdauen, weil in Realiter genügend davon genossen werden kann. Ja, ich möchte in erster Linie unterhalten werden, ohne mich anstrengen zu müssen und dennoch das Gefühl haben einem intelligentem Spiel mit den Elementen – welchen auch immer – beigewohnt zu haben. Anders gesagt: Unterhaltung mit Erleuchtungseffekt J.

Die Unterhaltung mit Deinem Gedicht begann vornehmlich durch die Kritik von Rabekin. Die wies mir einen ersten Weg durch Deine Strophen, den ich vorher nicht habe sehen können. Nun denn S1:

LI und LD treffen sich wie zufällig auf einem Maskenball oder können sich nur auf einem solchen treffen? Die erste Zeile macht mir Mühe, obwohl von Karneval und Fest die Rede ist. Ist das Leben ein Maskenball oder werden hin und wieder Maskenbälle veranstaltet auf denen man bereit ist sich mit Fremden zu treffen? Hm.

Noch mehr Schwierigkeiten habe ich mit der Unterscheidung:

Beliebig aber nur zum Schein und Unkrautplage ?

Da stehe ich vor wie: ich gebe vor eine Farbe zu sein und du stellst dich vor als ein Ding. Ich sehe den Gegensatz nicht. Außer wenn ich reindenke, dass das LD Stellung bezieht indem es sagt: Ich bin das vermeintlich Schlechte – Unkraut. Vermeintlich, weil Unkraut nicht schlecht ist und es Unkraut gar nicht gibt, es sei denn man achtet wie das LI – aber auch nur dann, wenn es sich verkleidet - auf den äußeren Schein, z.B. auf einen moosfreien Garten. Aber LI und LD begegnen sich auf einem Maskenball, d.h. beide sind verkleidet und tun nur als ob.

Das LD wird als verkleidetes Unkraut wahrgenommen, weil das LI solch Grünzeug nur als Unkraut wahrnehmen kann? Nein, völlig anders: LI und LD müssen sich erst ihre Kostüme erklären. Grandiose Kostüme, nicht?
Von selbst kommt keiner drauf was der andere darstellen will. Beide werden nicht als das wahrgenommen was sie auf einem Maskenball darstellen wollen. Das erinnert mich an diese Babuschka Puppen, wobei hier immer eine vollkommen andere Puppe drinsteckt als zuvor.


In S2 geht das Versteckspiel zunächst weiter. Das Unkraut LD schüttelt eine beliebige Hand des LI und dann frag ich mich, wer sagt jetzt, dass er es sich schon gedacht hätte? Tendenziell würde ich sagen, dass LI spricht hier. Aber letztlich können beide das sagen. Keiner hat das Kostüm des anderen erkennen können. Beide können natürlich vorgeben es schon geahnt zu haben. Und dann kommt ein Krachen – die Liebe? – ein Feuerwerk, dass aber beide für sich selbst genießen. Es ist kein gemeinsamer Genuss. Beide zeigen auf äußerliche Kracher und Rosenraketen und sagen zueinander so was wie: Hast Du das gesehen? Schau hier herüber, da ist es besonders schön. D.h. getrennte Wahrnehmungen, kein gemeinsames Empfinden. Es endet diese Strophe banal: War doch schön, oder? Das ist, vorausgesetzt, dass Liebe zwischen Menschen eine Illusion ist, weil die Menschen so unterschiedlich sind, dass sie sich nicht mal auf einem Maskenball in ihrer Verkleidung erkennen können, ziemlich bitter.


Das einander nicht verstehen und erkennen können, wird in S3 auf die Spitze getrieben.


Oft loben wir auch unsere Kostüme
und rätseln scherzhaft, wer darunter steckt.


In meiner Interpretation ist das pure Ironie. Keiner, LI wie LD, wissen, was das Kostüm vorstellt – diese Unbedarftheit haben sie in S1 unter Beweis gestellt – und obwohl sie keine Ahnung haben, was der andere an und für sich vorstellen will, machen sie aus lauter Höflichkeit dauernd einen Diener und reichen ein Küß die Hand Madame. Man, das erinnert mich an Forendynamik und etwaige Groupiegruppen.

Wir hören uns gern gegenseitig zu
wie wir palavern auf des Abends Bühne.


Wieder desgleichen. In S1 und S2 wird Gemeinsamkeit ganz schlecht erfunden. Es bedarf eines hormonellen Feuerwerkes, um irgendwie eine Basis zu finden auf der hin und wieder superfette Rosen von LI wie LD empfunden werden können. Palaver? Palaver ist schlicht Geräusch. LI und LD sprechen miteinander und erzeugen dabei Geräusch. Das Vorhandensein des Geräusches erzeugt falsche Zufriedenheit. Du palaverst, ich palavere aber miteinander reden tun wir nicht. Nein, reden kann man nicht auf einer Bühne. Da spielt man eine Rolle. S3 ist das triste Finale einer Beziehung.

Die letzte Zeile, du bist ich und ich bin du, ist nichts anderes als: es gibt keinen Schuldigen am nicht verstehen des Anderen, denn am Ende sind wir selbst der Andere.

Keine Ahnung ob Du diese Lesart intendiert hast, aber ich finde Dein Gedicht in dieser Lesart unterhaltsam und anregend. Aber leicht und flockig mit diesem Schuss hochprozentiger Tiefe ist es m.E. nicht.

Doch bleibt die Lösung letztlich unentdeckt.

Jepp.

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