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Siedenbachs Schatten
#1
von Erebus (gelöscht)
Siedenbachs Schatten
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 17.11.2007 08:19von Erebus (gelöscht)
Siedenbachs Schatten
Hier, am Rande der Großstadt, fliegen schon lange keine Schwalben mehr durch die Luft. Der Sommer ist staubig von zerfallendem Taubenkot und Reifenabrieb, an heißen Tagen riecht es zur Mittagszeit nach weichem Asphalt.
Jetzt aber riecht es nach Rasenschnitt, so frisch und vormittaglich, so duftig, als ob der Sommer grade heute die besondere Aufgabe habe, zu zeigen, wie hingebungsvoll er ist.
Dabei ist es schon nach fünf Uhr nachmittags. Die Schatten der beiden Kastanien werden länger und ab und zu geht ein leichter Hauch durch die Blätter. Sie schaukeln sanft und manchmal rauscht es ein wenig.
Im Sandkasten vor dem Hochhaus sitzen drei Jungen auf der steinernen Umfassungsmauer und unterhalten sich. Sie werfen nebenbei Sand in die tiefer liegende, ausgeschabte Mitte des Kastens. Dazu benutzen sie ihre Sandalen wie Schippchen und häufen kleine Berge auf, die sie mit der Sohle in Form bringen. Anschließend schütteln sie den Sand mit ausgestrecktem Bein an der Ferse aus den Sandalen.
Dann wieder graben sie mit den Händen, die wie Schaufeln geformt sind, langsam und hingebungsvoll hinein in die dunkleren, schwereren Sandschichten, kratzen genussvoll den feuchten Sand hervor.
Ihre Bewegungen sehen so absichtslos aus, sie passen so genau zu der Unverbindlichkeit des Tages, dass man den Eindruck hat, die Welt sei fest gefügt und ohne jeden Argwohn. Genau so wie die Unterhaltung, die sie führen. Die geht über Kristofs neues Fahrrad, dessen Speichen in der Sonne glitzern, über Mutmaßungen um die Rückkehr Dumbledoors und um den Ausflug zum Freibad, der für morgen geplant ist.
Frau Hellerich will mit ihren Söhnen Jens und Axel und dem Freund, Kristof Beinmann, in aller Herrgottsfrühe zum NauticDream fahren. Mit dem Fahrrad, weil das gesund und umweltverträglich ist, und mit belegten Broten. Irgendwo zwischendurch wird ein Picknick veranstaltet.
Die drei sitzen da, es ist eine Pause eingetreten, sie schweigen versonnen und schauen sich selbst beim Modellieren der Sandberge zu. Ihre Köpfe sind schief gelegt, ab und zu blinzeln sie in Richtung der Sonne nach Südwesten, über die Grünfläche, an der Kastanie vorbei zu den Garagen. Dorthin, wo nach und nach die Väter und Mütter von der Arbeit oder vom Einkaufen zurückkehren und ihre Autos verstauen.
Die Fahrräder blockieren, sorglos hingeworfen, den Fußweg, der von der Strasse zum Hochhaus führt. Das stört niemanden, denn es ist niemand da, den es stören könnte - nur Frau Jedwitz, die so, wie sie es immer tut, auf ihren Balkon im fünften Stockwerk heraustritt, an irgendetwas herumkramt, einen Blick in die Runde wirft.
Hinter ihr läuft leise der Fernseher und es riecht so versöhnlich nach Rasenschnitt.
Die klein gehackten Halme liegen im Sandkasten herum, vom fünften Stock aus gesehen ist der Sand mit einem grünlichen Schimmer überzogen. Auch auf dem Gehweg, der die Rasenfläche umschließt, liegt ein Hauch Grün.
Frau Jedwitz steht eine Weile unschlüssig am Geländer des Balkons, bevor sie sich brüsk umwendet und wieder hineingeht. In der Küche ist noch das Geschirr einzuräumen. Das Kunststoffimitat der bunten Bambusmatte, das den gesamten Balkon umspannt, ist ausgeblichen, rechts stärker als links. Es klopft im lauen Windzug beruhigend gegen das Geländer. So ruhig. Nur das Rauschen der Schnellstraße, die ein paar hundert Meter weiter, hinter dem Park verläuft, dringt gedämpft heran. Man hört es kaum.
Da liegt das Hochhaus auf seiner Raseninsel, wie ein Ozeandampfer am Anleger, mit buntbewimpelten Balkonen. Und wenn man daran vorbei in den Himmel schaut, wo weiße Wolken nach Osten ziehen, dann könnte man meinen, es kreuzt durch die See.
Es wird von einem Straßenring umschlossen, gefolgt von Häuserreihen, die sich wie die Finger einer Hand abspreizen. Dazwischen sind Doppelhäuser und Freiland eingestreut. Im Norden, Osten und Westen wird alles vom städtischen Park umschlossen, idyllisch umgürtet, der jenseits der Schnellstrasse in die Wälder des Taunus übergeht.
Bis auf die Zufahrtsstraße im Süden, zur Stadt hin - da geht es staubig in die weite Welt - ist die Siedlung ganz in sich geschlossen, ganz für sich.
Von dieser Zufahrtsstraße her kommt Theo, wie aus dem Nichts. Seine Schritte dringen wie ein gemächlich lauter werdendes, tackendes Metronom in den Nachmittag.
Theo, mit dem niemand spricht, weil er sowieso nicht antwortet. Zu Theo sagen fünf Kinder nur „Theo“, weil er nicht der richtige Vater ist. Kein Mensch weiß, warum Martha noch einmal heiratete, nachdem sie endlich geschieden wurde, und vor allem, warum ausgerechnet den Theo Hellerich.
Vielleicht wegen des Geldes. Aber bestimmt nicht um einen Mannes an ihrer Seite zu wissen, denn Theo ist eine Erscheinung, ein pünktliches Phänomen, unerklärlich in seinem Auftreten, aber kein Mann. Theo ist nicht so, wie ein Mann zu sein hat, abgesehen von seinem pünktlichen Auftreten ist Theo nicht vorhanden.
Theo erscheint und man könnte die Uhr nach ihm stellen. Jetzt ist es beispielsweise kurz nach halb sechs. Theo kommt von der Arbeit, zu Fuß, weil er keinen Führerschein hat. Er schaut vor sich hin auf den rissigen Asphalt des Bürgersteiges: grade hier, wo die Ringstrasse in die Zufahrtsstrasse mündet, werden immer wieder die unterirdischen Versorgungs- und Abwasserleitungen repariert oder verbessert. Deshalb ist der Asphalt wie ein Flickenteppich, hubbelig und voller Überraschungen, von den Gärten her durchwachsen mit Flieder- und Birkenwurzeln.
In der Faust hält Theo den dünnen Griff seiner Aktentasche. Er geht den Fußweg am Sandkasten hoch, hält kaum wahrnehmbar inne, schwenkt unmittelbar vor den Fahrrädern nach links auf den Rasen, geht hinter den Bänken entlang über die Wiese.
"N' abend Theo" sagt Axel, Jens ruft "Hallo Theo". Theo schaut nicht auf, antwortet nicht, geht geradeaus weiter, schaut auf seine Schuhe, die im kurz geschnittenen Rasen einsinken und kehrt nicht mehr auf den Fußweg zurück.
Vielleicht hat Theo soeben etwas Neues entdeckt, den Rasen entdeckt, so, wie man einen Kontinent entdeckt und dann erobert. Gut möglich, dass er morgen genauso gehen wird, auch ohne Fahrräder: über das weiche Gras auf die dürftige Rosenrabatte zu. Theo geht in sich versunken über den Rasen und der Rasen wächst unter seinen Schuhen, wird eines Tages krautig und fleckig werden, bis ihn der nächste Schnitt wieder weich und frisch macht und Theo weiß das.
Axel und Jens schauen wieder in den Sandkaste. Kristof sieht der Aktentasche nach, die ist aus dunklem Narbenleder, altmodisch, und oben, wo die Klappe sie wie ein Tunnel im Halbkreis verschließt, faserig und abgegriffen.
Kristof blickt der Tasche nach und Theo, mit dem niemand weiter spricht, nimmt den Rasen in sich auf, während er schweigend darüber hin schreitet. Den Gruß seiner Stiefkinder erwidert er nicht. Vielleicht ist seine Arbeit zu schwer.
Am Ende der Grünfläche angelangt, übersteigt Theo mit einem Schritt die Rosenbüsche, die schmächtig, fast blattlos am Boden verkümmern. Zwischen den heruntergetretenen Ästen stecken die Fetzen einer kleingemähten weißen Kunststofftüte. Er überquert den Vorplatz der Kneipe, schlängelt sich zwischen den Tischen und Stühlen hindurch, auf denen niemand sitzt. Er hört einen lauten Knall vom Parkplatz, von den Garagen her, schaut aber nicht auf und verschwindet in der offen stehenden Kneipentür.
Punkt viertel nach neun wird er dort wieder auftauchen und nach Hause
gehen, zu Martha und den fünf Kindern.
Mit links zieht Herr Siedenbach das Garagentor herunter, das rasselnd und mit einem abschließenden Knall die Stille unterbricht. Die Jungen blicken auf, auch wenn sie das, was nun folgt, längst kennen. Siedenbach zelebriert jedes mal das Verschließen der Garage und den gleichen Beifall heischenden Gang nach Hause, so dass man ihm ganz gedankenverloren dabei zusehen kann. Es ist schön, wenn etwas passiert, das harmlos ist, was die Dinge belässt, wie sie sind: wenn etwas friedlich fließt.
Bei Herrn Siedenbach fließt alles. Alles fließt zu einer einzigen Bewegung zusammen, die scheinbar nicht enden will. Herr Siedenbach ist Bewegung, elegant, geschmeidig und routiniert.
Möglicherweise unterbricht er sich, wenn er schläft. Es ist ja schlecht vorstellbar, dass er sich dann in Bewegung hält, möglicherweise weiß seine Frau mehr, die man kaum sieht, die nur zum Einkaufen das Haus verlässt. Die Siedenbachs sind kinderlos.
Und so hatte Herrn Siedenbach viel Zeit, genau genommen zweiundfünfzig Jahre, um Bewegung zu werden. Siedenbach richtet sich aus gebeugter Haltung auf, die Akten, Briefe, Seminareinladungen und Prospekte ordentlich unter dem rechten Arm eingeklemmt.
Mit der Linken lässt er den Griff des Garagentores los, greift in die Jacketttasche, holt den umfangreichen Schlüsselbund hervor, der schon vorbereitet in der Tasche auf diesen Moment wartete. Er greift den ersten Schlüssel vor dem Schild und fädelt ihn sauber - alles in einer einzigen, sanft fließenden Bewegung - in das Schloss ein. Er dreht den Schlüssel, wendet dabei selbst den Kopf über die rechte Schulter hin zu seinem Publikum, den Jungs am Sandkasten, zieht den Schlüssel ab und geht ansatzlos in eine schlenkernde Fortbewegung über. Man sieht ihm die Genugtuung über das gelungene Manöver an.
Nun wendet er sich auf dem rechten Absatz, diesmal etwas weiter als gewöhnlich. Denn er hat mit einem Blick die Lage gepeilt und eingeschätzt. Die Fahrräder verhindern den normalen Weg am Sandkasten vorbei: er wird über die Strasse gehen müssen. Nun gut, warum nicht, das ist eine kleine Abwechslung. Den Schlüsselbund hält er am leicht abgespreizten linken Arm, als sei derjenige Teil des Bewegungsablaufes, der Hand und Arm betraf, beim Verschließen des Tores eingefroren. Den Daumen hat er durch den Ring des Bundes gesteckt, den er beiläufig rhythmisch schüttelt. Die Schlüssel geben das Marschtempo an. Siedenbach pfeift laut und unbekümmert, durchsetzt vom Geklimpere, während er trappsig-schlacksig wie eine Bimmelbahn auf der Strasse vorüberzieht. Den gaffenden Jungs widmet er ein jugendliches Nicken.
Vor dem Hochhaus, auf der Wiese, berührt der Schatten der westlichen Kastanie bereits den Sandkasten. Durch den Schatten der anderen klimpert Siedenbach, sein Blick streift wohlwollend über die Gärten und er weiß, dass Blicke auch auf ihn gerichtet sind. Die Jedwitz guckt wieder mal von ihrem Ansitz hinter der geschmacklosen Plastikbrustwehr herunter, er nickt munter hinauf.
Denn er belohnt alle Blicke, die seinem Auftritt gelten. Blicke, die er aus den dunklen Verandatüröffnungen und hinter Küchenfenstern ahnt, er belohnt sie mit seinem Wohlwollen. Es riecht nach frisch geschnittenem Gras, und plötzlich denkt er daran, dass er den Rasen schneiden müsste. Das Klirren des Schüsselbundes gerät etwas aus dem Rhythmus, er beschließt aber, das erst am Wochenende zu machen, und schon liegt er wieder im Takt.
Kristof sieht die Sonne in den Speichen seines Fahrrads glitzern, das Vorderrad dreht sich leicht im Wind. Ein Verpackungspapierchen, das mitsamt einem Eishölzchen zwischen die Latten der Bank eingeklemmt ist, knistert. Axel schaut auf, sieht das Papierchen zappeln und dahinter die Sonnenflecken im Schatten der Kastanie. Er blickt verträumt.
Auch Frau Jedwitz sieht die glitzernden Speichen. Die Sonne ist längst hinter der Ecke des Hochhauses verschwunden, hinter dem Geglitzer, das zu ihr heraufzwinkert, dehnt sich der Hang hinab zur Vorstadt, von hier oben kann sie alles weit überschauen.
Siedenbach nickt von unten herauf, sie nickt zurück, legt theatralisch die Hand beschattend über die Augen, dabei ist hier, auf der Südostseite des Hochhauses überall Schatten, und blickt über die mittlere Häuserreihe zum Wald.
Dahinten sieht sie das Altersheim, und etwas entfernter die Funkantennen des Truppenübungsplatzes. Das Rauschen der Schnellstraße ist heute auch hier oben im fünften Stock nicht so laut wie sonst. Unten biegt Siedenbach in den Weg vor der zweiten Häuserreihe ein, er wohnt im sechsten Haus.
Die Jungs sitzen immer noch im Sand, aber im Schatten werden sie nun unruhig. Herr Siedenbach ist nicht mehr zu hören, seit er hinter der Häuserzeile verschwand. Sie stehen auf und gehen unentschlossen auf die Fahrräder zu. In diesem Augenblick schwillt ein neues Geräusch in die Luft, eine Art Pfeifen, sie blicken gleichzeitig in Richtung der Garagen.
Jens sieht das Ding am südwestlichen Eck der Siedlung auftauchen, es saust über den Garagenanbau hinweg auf sie zu, überquert den Parkplatz, die Kastanie und den Sandkasten. Es huscht hinüber zu den Reihenhäusern, die es mit einem eleganten Hüpfer überspringt. Dann noch ein Hüpfer, hinauf über die Bäume im Park, hinter deren Wipfeln es verschwindet.
Frau Jedwitz hört ebenfalls das Pfeifen, das aus dem Pfeifen Siedenbachs hervorzutreten scheint und schaut nach rechts. Sie sieht, dass die drei Jungs wie auf Kommando den Kopf drehen und zu den Garagen blicken, die ihrem Blick leider verborgen bleiben, weil sie hinter der Hochhausecke liegen. Mit einem Mal, im selben Moment, als sich das Ding in das Blickfeld Frau Jedwitzs schiebt, dringt ein schriller Lärm zu ihr, sie folgt ihm mit den Augen und denkt: Oh Gott, und dass sie etwas tun müsse. Sie kann sich von dem Anblick nicht losreißen.
Frau Jedwitz sieht die hübschen Schlenker, als der weiße, dünne Körper in zwei Stufen zunächst die Häuserzeile, dann den Waldrand erklimmt. Sie sieht die weiße Röhre schnurgerade über die Wipfel weiter eilen und hinter dem Park, links neben den Antennen, verschwinden. Frau Jedwitz bemerkt, dass der Pfeifton abschwillt. Unten ist Siedenbach irgendwie an seiner Haustür erstarrt.
Siedenbach hat den Schlüssel im Schloss etwas verbogen, als er plötzlich, ganz deutlich, etwas über sich spürte. Einen kreischenden Schemen, der sogleich wieder über den Bäumen verschwand. Er drehte den Kopf nach links, entgegen der Aufschließbewegung, die er gleichzeitig ausführte, mag sein, daran lag's. Der Schlüssel geht nur schwer wieder aus dem Schloss heraus, aber den kann er wieder grade biegen.
Er steht leicht gebückt vor seiner halb geöffneten Haustür. Eigentlich könnte er auch klingeln, seine Frau ist sowieso immer zu Hause. Warum eigentlich nicht, vielleicht würde sie sich ja freuen, ihm abends die Tür zu öffnen. Er richtet sich auf und bemerkt an der rechten oberen Türecke einen hässlichen Spinnweben. Den sieht er so deutlich, wie nur irgend etwas... wie er noch nie etwas sah. Wie der Spinnweb dort baumelt im hellsten Licht. So gleißend, dass es Siedenbachs Schatten, der zum ersten- und letzten mal auf diese Tür fällt, auffrisst, von den Rändern her zur Mitte. Herr Siedenbachs Schatten wird aufgefressen.
Theo sitzt am Tresen und bemerkt, wie das Licht rechts durch die offen stehende Tür hereinkommt, es kriecht etwas flackerig am Eingang herum und huscht mit einem Satz zu ihm in den Schankraum. So, als würde ein blendendes Weiß hereingekippt, in einem grellen Band zu ihm hingerollt. Auch hinter den dunklen Butzenscheiben ist es mit einem Mal hell, unerträglich hell. Die Sonne ist auf den Vorplatz gefallen.
"n' Ufo" kreischt Jens in den Lärm hinein, Axel schüttelt den Kopf, "nee, 'ne Rakete". Der Lärm lässt nach, dafür wird überm Wald der Himmel grünlich, dann platzt eine gelbe Blase ins Grünliche hinein, die wird weiß und mächtig, stürzt sich auf den Wald. Und der schrumpft. Der Wald wird zum Scherenschnitt, helle Löcher brechen darin auf, werden groß und größer und fließen zusammen.
Axel dreht mit einer wilden, panischen Bewegung den Kopf und sieht Theo, der auf dem Barhocker sitzt, auf einem Band schiersten Lichtes, und mit hellrosa Blick zu ihm herglotzt, blinzelt und die Augen schließt.
Frau Jedwitz will eigentlich hineingehen, aber das geht nicht. Sie sieht den Keim neben den Antennen, der wirft sein grelles Wachstum rasend über den Park auf sie zu, saugt alle Farbe aus der Welt und zeigt die Dinge für Sekundenbruchteile in einem ursprünglichen, eigentümlichen Schwarz. Das ist so kümmerlich und nichts sagend ... und dann zerschmelzen die Dinge wie das Glas in Theos Hand, aus dem das Bier verdampft.
© Erebus 2007
Hier, am Rande der Großstadt, fliegen schon lange keine Schwalben mehr durch die Luft. Der Sommer ist staubig von zerfallendem Taubenkot und Reifenabrieb, an heißen Tagen riecht es zur Mittagszeit nach weichem Asphalt.
Jetzt aber riecht es nach Rasenschnitt, so frisch und vormittaglich, so duftig, als ob der Sommer grade heute die besondere Aufgabe habe, zu zeigen, wie hingebungsvoll er ist.
Dabei ist es schon nach fünf Uhr nachmittags. Die Schatten der beiden Kastanien werden länger und ab und zu geht ein leichter Hauch durch die Blätter. Sie schaukeln sanft und manchmal rauscht es ein wenig.
Im Sandkasten vor dem Hochhaus sitzen drei Jungen auf der steinernen Umfassungsmauer und unterhalten sich. Sie werfen nebenbei Sand in die tiefer liegende, ausgeschabte Mitte des Kastens. Dazu benutzen sie ihre Sandalen wie Schippchen und häufen kleine Berge auf, die sie mit der Sohle in Form bringen. Anschließend schütteln sie den Sand mit ausgestrecktem Bein an der Ferse aus den Sandalen.
Dann wieder graben sie mit den Händen, die wie Schaufeln geformt sind, langsam und hingebungsvoll hinein in die dunkleren, schwereren Sandschichten, kratzen genussvoll den feuchten Sand hervor.
Ihre Bewegungen sehen so absichtslos aus, sie passen so genau zu der Unverbindlichkeit des Tages, dass man den Eindruck hat, die Welt sei fest gefügt und ohne jeden Argwohn. Genau so wie die Unterhaltung, die sie führen. Die geht über Kristofs neues Fahrrad, dessen Speichen in der Sonne glitzern, über Mutmaßungen um die Rückkehr Dumbledoors und um den Ausflug zum Freibad, der für morgen geplant ist.
Frau Hellerich will mit ihren Söhnen Jens und Axel und dem Freund, Kristof Beinmann, in aller Herrgottsfrühe zum NauticDream fahren. Mit dem Fahrrad, weil das gesund und umweltverträglich ist, und mit belegten Broten. Irgendwo zwischendurch wird ein Picknick veranstaltet.
Die drei sitzen da, es ist eine Pause eingetreten, sie schweigen versonnen und schauen sich selbst beim Modellieren der Sandberge zu. Ihre Köpfe sind schief gelegt, ab und zu blinzeln sie in Richtung der Sonne nach Südwesten, über die Grünfläche, an der Kastanie vorbei zu den Garagen. Dorthin, wo nach und nach die Väter und Mütter von der Arbeit oder vom Einkaufen zurückkehren und ihre Autos verstauen.
Die Fahrräder blockieren, sorglos hingeworfen, den Fußweg, der von der Strasse zum Hochhaus führt. Das stört niemanden, denn es ist niemand da, den es stören könnte - nur Frau Jedwitz, die so, wie sie es immer tut, auf ihren Balkon im fünften Stockwerk heraustritt, an irgendetwas herumkramt, einen Blick in die Runde wirft.
Hinter ihr läuft leise der Fernseher und es riecht so versöhnlich nach Rasenschnitt.
Die klein gehackten Halme liegen im Sandkasten herum, vom fünften Stock aus gesehen ist der Sand mit einem grünlichen Schimmer überzogen. Auch auf dem Gehweg, der die Rasenfläche umschließt, liegt ein Hauch Grün.
Frau Jedwitz steht eine Weile unschlüssig am Geländer des Balkons, bevor sie sich brüsk umwendet und wieder hineingeht. In der Küche ist noch das Geschirr einzuräumen. Das Kunststoffimitat der bunten Bambusmatte, das den gesamten Balkon umspannt, ist ausgeblichen, rechts stärker als links. Es klopft im lauen Windzug beruhigend gegen das Geländer. So ruhig. Nur das Rauschen der Schnellstraße, die ein paar hundert Meter weiter, hinter dem Park verläuft, dringt gedämpft heran. Man hört es kaum.
Da liegt das Hochhaus auf seiner Raseninsel, wie ein Ozeandampfer am Anleger, mit buntbewimpelten Balkonen. Und wenn man daran vorbei in den Himmel schaut, wo weiße Wolken nach Osten ziehen, dann könnte man meinen, es kreuzt durch die See.
Es wird von einem Straßenring umschlossen, gefolgt von Häuserreihen, die sich wie die Finger einer Hand abspreizen. Dazwischen sind Doppelhäuser und Freiland eingestreut. Im Norden, Osten und Westen wird alles vom städtischen Park umschlossen, idyllisch umgürtet, der jenseits der Schnellstrasse in die Wälder des Taunus übergeht.
Bis auf die Zufahrtsstraße im Süden, zur Stadt hin - da geht es staubig in die weite Welt - ist die Siedlung ganz in sich geschlossen, ganz für sich.
Von dieser Zufahrtsstraße her kommt Theo, wie aus dem Nichts. Seine Schritte dringen wie ein gemächlich lauter werdendes, tackendes Metronom in den Nachmittag.
Theo, mit dem niemand spricht, weil er sowieso nicht antwortet. Zu Theo sagen fünf Kinder nur „Theo“, weil er nicht der richtige Vater ist. Kein Mensch weiß, warum Martha noch einmal heiratete, nachdem sie endlich geschieden wurde, und vor allem, warum ausgerechnet den Theo Hellerich.
Vielleicht wegen des Geldes. Aber bestimmt nicht um einen Mannes an ihrer Seite zu wissen, denn Theo ist eine Erscheinung, ein pünktliches Phänomen, unerklärlich in seinem Auftreten, aber kein Mann. Theo ist nicht so, wie ein Mann zu sein hat, abgesehen von seinem pünktlichen Auftreten ist Theo nicht vorhanden.
Theo erscheint und man könnte die Uhr nach ihm stellen. Jetzt ist es beispielsweise kurz nach halb sechs. Theo kommt von der Arbeit, zu Fuß, weil er keinen Führerschein hat. Er schaut vor sich hin auf den rissigen Asphalt des Bürgersteiges: grade hier, wo die Ringstrasse in die Zufahrtsstrasse mündet, werden immer wieder die unterirdischen Versorgungs- und Abwasserleitungen repariert oder verbessert. Deshalb ist der Asphalt wie ein Flickenteppich, hubbelig und voller Überraschungen, von den Gärten her durchwachsen mit Flieder- und Birkenwurzeln.
In der Faust hält Theo den dünnen Griff seiner Aktentasche. Er geht den Fußweg am Sandkasten hoch, hält kaum wahrnehmbar inne, schwenkt unmittelbar vor den Fahrrädern nach links auf den Rasen, geht hinter den Bänken entlang über die Wiese.
"N' abend Theo" sagt Axel, Jens ruft "Hallo Theo". Theo schaut nicht auf, antwortet nicht, geht geradeaus weiter, schaut auf seine Schuhe, die im kurz geschnittenen Rasen einsinken und kehrt nicht mehr auf den Fußweg zurück.
Vielleicht hat Theo soeben etwas Neues entdeckt, den Rasen entdeckt, so, wie man einen Kontinent entdeckt und dann erobert. Gut möglich, dass er morgen genauso gehen wird, auch ohne Fahrräder: über das weiche Gras auf die dürftige Rosenrabatte zu. Theo geht in sich versunken über den Rasen und der Rasen wächst unter seinen Schuhen, wird eines Tages krautig und fleckig werden, bis ihn der nächste Schnitt wieder weich und frisch macht und Theo weiß das.
Axel und Jens schauen wieder in den Sandkaste. Kristof sieht der Aktentasche nach, die ist aus dunklem Narbenleder, altmodisch, und oben, wo die Klappe sie wie ein Tunnel im Halbkreis verschließt, faserig und abgegriffen.
Kristof blickt der Tasche nach und Theo, mit dem niemand weiter spricht, nimmt den Rasen in sich auf, während er schweigend darüber hin schreitet. Den Gruß seiner Stiefkinder erwidert er nicht. Vielleicht ist seine Arbeit zu schwer.
Am Ende der Grünfläche angelangt, übersteigt Theo mit einem Schritt die Rosenbüsche, die schmächtig, fast blattlos am Boden verkümmern. Zwischen den heruntergetretenen Ästen stecken die Fetzen einer kleingemähten weißen Kunststofftüte. Er überquert den Vorplatz der Kneipe, schlängelt sich zwischen den Tischen und Stühlen hindurch, auf denen niemand sitzt. Er hört einen lauten Knall vom Parkplatz, von den Garagen her, schaut aber nicht auf und verschwindet in der offen stehenden Kneipentür.
Punkt viertel nach neun wird er dort wieder auftauchen und nach Hause
gehen, zu Martha und den fünf Kindern.
Mit links zieht Herr Siedenbach das Garagentor herunter, das rasselnd und mit einem abschließenden Knall die Stille unterbricht. Die Jungen blicken auf, auch wenn sie das, was nun folgt, längst kennen. Siedenbach zelebriert jedes mal das Verschließen der Garage und den gleichen Beifall heischenden Gang nach Hause, so dass man ihm ganz gedankenverloren dabei zusehen kann. Es ist schön, wenn etwas passiert, das harmlos ist, was die Dinge belässt, wie sie sind: wenn etwas friedlich fließt.
Bei Herrn Siedenbach fließt alles. Alles fließt zu einer einzigen Bewegung zusammen, die scheinbar nicht enden will. Herr Siedenbach ist Bewegung, elegant, geschmeidig und routiniert.
Möglicherweise unterbricht er sich, wenn er schläft. Es ist ja schlecht vorstellbar, dass er sich dann in Bewegung hält, möglicherweise weiß seine Frau mehr, die man kaum sieht, die nur zum Einkaufen das Haus verlässt. Die Siedenbachs sind kinderlos.
Und so hatte Herrn Siedenbach viel Zeit, genau genommen zweiundfünfzig Jahre, um Bewegung zu werden. Siedenbach richtet sich aus gebeugter Haltung auf, die Akten, Briefe, Seminareinladungen und Prospekte ordentlich unter dem rechten Arm eingeklemmt.
Mit der Linken lässt er den Griff des Garagentores los, greift in die Jacketttasche, holt den umfangreichen Schlüsselbund hervor, der schon vorbereitet in der Tasche auf diesen Moment wartete. Er greift den ersten Schlüssel vor dem Schild und fädelt ihn sauber - alles in einer einzigen, sanft fließenden Bewegung - in das Schloss ein. Er dreht den Schlüssel, wendet dabei selbst den Kopf über die rechte Schulter hin zu seinem Publikum, den Jungs am Sandkasten, zieht den Schlüssel ab und geht ansatzlos in eine schlenkernde Fortbewegung über. Man sieht ihm die Genugtuung über das gelungene Manöver an.
Nun wendet er sich auf dem rechten Absatz, diesmal etwas weiter als gewöhnlich. Denn er hat mit einem Blick die Lage gepeilt und eingeschätzt. Die Fahrräder verhindern den normalen Weg am Sandkasten vorbei: er wird über die Strasse gehen müssen. Nun gut, warum nicht, das ist eine kleine Abwechslung. Den Schlüsselbund hält er am leicht abgespreizten linken Arm, als sei derjenige Teil des Bewegungsablaufes, der Hand und Arm betraf, beim Verschließen des Tores eingefroren. Den Daumen hat er durch den Ring des Bundes gesteckt, den er beiläufig rhythmisch schüttelt. Die Schlüssel geben das Marschtempo an. Siedenbach pfeift laut und unbekümmert, durchsetzt vom Geklimpere, während er trappsig-schlacksig wie eine Bimmelbahn auf der Strasse vorüberzieht. Den gaffenden Jungs widmet er ein jugendliches Nicken.
Vor dem Hochhaus, auf der Wiese, berührt der Schatten der westlichen Kastanie bereits den Sandkasten. Durch den Schatten der anderen klimpert Siedenbach, sein Blick streift wohlwollend über die Gärten und er weiß, dass Blicke auch auf ihn gerichtet sind. Die Jedwitz guckt wieder mal von ihrem Ansitz hinter der geschmacklosen Plastikbrustwehr herunter, er nickt munter hinauf.
Denn er belohnt alle Blicke, die seinem Auftritt gelten. Blicke, die er aus den dunklen Verandatüröffnungen und hinter Küchenfenstern ahnt, er belohnt sie mit seinem Wohlwollen. Es riecht nach frisch geschnittenem Gras, und plötzlich denkt er daran, dass er den Rasen schneiden müsste. Das Klirren des Schüsselbundes gerät etwas aus dem Rhythmus, er beschließt aber, das erst am Wochenende zu machen, und schon liegt er wieder im Takt.
Kristof sieht die Sonne in den Speichen seines Fahrrads glitzern, das Vorderrad dreht sich leicht im Wind. Ein Verpackungspapierchen, das mitsamt einem Eishölzchen zwischen die Latten der Bank eingeklemmt ist, knistert. Axel schaut auf, sieht das Papierchen zappeln und dahinter die Sonnenflecken im Schatten der Kastanie. Er blickt verträumt.
Auch Frau Jedwitz sieht die glitzernden Speichen. Die Sonne ist längst hinter der Ecke des Hochhauses verschwunden, hinter dem Geglitzer, das zu ihr heraufzwinkert, dehnt sich der Hang hinab zur Vorstadt, von hier oben kann sie alles weit überschauen.
Siedenbach nickt von unten herauf, sie nickt zurück, legt theatralisch die Hand beschattend über die Augen, dabei ist hier, auf der Südostseite des Hochhauses überall Schatten, und blickt über die mittlere Häuserreihe zum Wald.
Dahinten sieht sie das Altersheim, und etwas entfernter die Funkantennen des Truppenübungsplatzes. Das Rauschen der Schnellstraße ist heute auch hier oben im fünften Stock nicht so laut wie sonst. Unten biegt Siedenbach in den Weg vor der zweiten Häuserreihe ein, er wohnt im sechsten Haus.
Die Jungs sitzen immer noch im Sand, aber im Schatten werden sie nun unruhig. Herr Siedenbach ist nicht mehr zu hören, seit er hinter der Häuserzeile verschwand. Sie stehen auf und gehen unentschlossen auf die Fahrräder zu. In diesem Augenblick schwillt ein neues Geräusch in die Luft, eine Art Pfeifen, sie blicken gleichzeitig in Richtung der Garagen.
Jens sieht das Ding am südwestlichen Eck der Siedlung auftauchen, es saust über den Garagenanbau hinweg auf sie zu, überquert den Parkplatz, die Kastanie und den Sandkasten. Es huscht hinüber zu den Reihenhäusern, die es mit einem eleganten Hüpfer überspringt. Dann noch ein Hüpfer, hinauf über die Bäume im Park, hinter deren Wipfeln es verschwindet.
Frau Jedwitz hört ebenfalls das Pfeifen, das aus dem Pfeifen Siedenbachs hervorzutreten scheint und schaut nach rechts. Sie sieht, dass die drei Jungs wie auf Kommando den Kopf drehen und zu den Garagen blicken, die ihrem Blick leider verborgen bleiben, weil sie hinter der Hochhausecke liegen. Mit einem Mal, im selben Moment, als sich das Ding in das Blickfeld Frau Jedwitzs schiebt, dringt ein schriller Lärm zu ihr, sie folgt ihm mit den Augen und denkt: Oh Gott, und dass sie etwas tun müsse. Sie kann sich von dem Anblick nicht losreißen.
Frau Jedwitz sieht die hübschen Schlenker, als der weiße, dünne Körper in zwei Stufen zunächst die Häuserzeile, dann den Waldrand erklimmt. Sie sieht die weiße Röhre schnurgerade über die Wipfel weiter eilen und hinter dem Park, links neben den Antennen, verschwinden. Frau Jedwitz bemerkt, dass der Pfeifton abschwillt. Unten ist Siedenbach irgendwie an seiner Haustür erstarrt.
Siedenbach hat den Schlüssel im Schloss etwas verbogen, als er plötzlich, ganz deutlich, etwas über sich spürte. Einen kreischenden Schemen, der sogleich wieder über den Bäumen verschwand. Er drehte den Kopf nach links, entgegen der Aufschließbewegung, die er gleichzeitig ausführte, mag sein, daran lag's. Der Schlüssel geht nur schwer wieder aus dem Schloss heraus, aber den kann er wieder grade biegen.
Er steht leicht gebückt vor seiner halb geöffneten Haustür. Eigentlich könnte er auch klingeln, seine Frau ist sowieso immer zu Hause. Warum eigentlich nicht, vielleicht würde sie sich ja freuen, ihm abends die Tür zu öffnen. Er richtet sich auf und bemerkt an der rechten oberen Türecke einen hässlichen Spinnweben. Den sieht er so deutlich, wie nur irgend etwas... wie er noch nie etwas sah. Wie der Spinnweb dort baumelt im hellsten Licht. So gleißend, dass es Siedenbachs Schatten, der zum ersten- und letzten mal auf diese Tür fällt, auffrisst, von den Rändern her zur Mitte. Herr Siedenbachs Schatten wird aufgefressen.
Theo sitzt am Tresen und bemerkt, wie das Licht rechts durch die offen stehende Tür hereinkommt, es kriecht etwas flackerig am Eingang herum und huscht mit einem Satz zu ihm in den Schankraum. So, als würde ein blendendes Weiß hereingekippt, in einem grellen Band zu ihm hingerollt. Auch hinter den dunklen Butzenscheiben ist es mit einem Mal hell, unerträglich hell. Die Sonne ist auf den Vorplatz gefallen.
"n' Ufo" kreischt Jens in den Lärm hinein, Axel schüttelt den Kopf, "nee, 'ne Rakete". Der Lärm lässt nach, dafür wird überm Wald der Himmel grünlich, dann platzt eine gelbe Blase ins Grünliche hinein, die wird weiß und mächtig, stürzt sich auf den Wald. Und der schrumpft. Der Wald wird zum Scherenschnitt, helle Löcher brechen darin auf, werden groß und größer und fließen zusammen.
Axel dreht mit einer wilden, panischen Bewegung den Kopf und sieht Theo, der auf dem Barhocker sitzt, auf einem Band schiersten Lichtes, und mit hellrosa Blick zu ihm herglotzt, blinzelt und die Augen schließt.
Frau Jedwitz will eigentlich hineingehen, aber das geht nicht. Sie sieht den Keim neben den Antennen, der wirft sein grelles Wachstum rasend über den Park auf sie zu, saugt alle Farbe aus der Welt und zeigt die Dinge für Sekundenbruchteile in einem ursprünglichen, eigentümlichen Schwarz. Das ist so kümmerlich und nichts sagend ... und dann zerschmelzen die Dinge wie das Glas in Theos Hand, aus dem das Bier verdampft.
© Erebus 2007
#2
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Siedenbachs Schatten
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 17.11.2007 13:14von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Hi Erebus,
was ich immer sehr gelungen finde sind Deine Beschreibungen. Beschreibungen wie die hier:
Im Sandkasten vor dem Hochhaus sitzen drei Jungen auf der steinernen Umfassungsmauer und unterhalten sich. Sie werfen nebenbei Sand in die tiefer liegende, ausgeschabte Mitte des Kastens. Dazu benutzen sie ihre Sandalen wie Schippchen und häufen kleine Berge auf, die sie mit der Sohle in Form bringen.
Oder die
Frau Jedwitz steht eine Weile unschlüssig am Geländer des Balkons, bevor sie sich brüsk umwendet und wieder hineingeht. In der Küche ist noch das Geschirr einzuräumen. Das Kunststoffimitat der bunten Bambusmatte, das den gesamten Balkon umspannt ist ausgeblichen, rechts stärker als links. Es klopft im lauen Windzug beruhigend gegen das Geländer. So ruhig. Nur das Rauschen der Schnellstraße, die ein paar hundert Meter weiter, hinter dem Park verläuft, dringt gedämpft heran. Man hört es kaum.
Da liegt das Hochhaus auf seiner Raseninsel, wie ein Ozeandampfer am Anleger, mit buntbewimpelten Balkonen. Und wenn man daran vorbei in den Himmel schaut, wo weiße Wolken nach Osten ziehen, dann könnte man meinen, es kreuzt durch die See.
Finde ich sehr gelungen. Die Bilder erinnern mich an Deine Gedichte. Aber irgendwie ist die Geschichte voll mit diesen visuellen Eindrücken, die für mich nicht ganz verständlich unterbrochen werden durch Details wie das NauticDream oder Kristof Beinmann.
Nach dem lesen der Geschichte habe ich vermutet, dass Du bewusst manches stärker fokussierst als anderes, dass Du bewusst nur so tust, als ob Details für den weiteren Plot von Wichtigkeit wären und konterkarierst das dann durch das Ende, dass endgültig allen Geschichten jede Wichtigkeit oder Besonderheit nimmt.
Auch der so bedeutend agierende Siedenbach wird auf einen in Beton eingebrannten Schatten reduziert - wenn der Schatten nicht sogar auch aufgefressen wurde. Immerhin schafft es diese Figur sich aber noch in den Titel. Das kann ich in meiner Lesart, als zynisch interpretieren oder als inkonsequent?
Trotzdem habe ich so meine Schwierigkeiten mit diesen Details. Z.B. hatte ich es so verstanden, dass dieser Theo nach Hause kommt. Am Ende sitzt er aber am Tresen. Ist da eine Gaststätte in dem Hochhaus? Die Kinder, die frühmorgens zu diesem NauticDream losgefahren sind, sind die gleichen, die da Nachmittags im Sandkasten spielen? Zwischendurch – auf ihrem Weg - haben sie aber auch Pause gemacht. Das habe ich nicht richtig verstanden. Nur ein Beispiel wo es mich bei dieser Szene aus der Kurve trägt:
Frau Hellerich will mit ihren Söhnen Jens und Axel und dem Freund, Kristof Beinmann, in aller Herrgottsfrühe zum NauticDream fahren.
Sie will, also passiert das doch gerade, oder nicht. Aber eigentlich ist es doch schon Nachmittags fünf Uhr?
Mir kommt es so vor, als ob Du bewusst viele Geschichten anreißen wolltest. Quasi pro Wohnung, Mieter eine Geschichte und das Hochhaus ist so eine Art Narrenschiff, dass unverschuldet ins Verderben fährt. Die Explosion am Ende raubt diesen Geschichten zwar alle Bedeutung, aber so richtig befriedigt bin ich nicht davon, all diese Geschichten in ein und der selben Explosion untergehen zu lassen. Das ist m.E. eine Selbstzerstörung einer Geschichte(n) - aber mit einem wenig subtilen Knall.
Da ich ja nicht immer voll auf der Höhe war, kann es natürlich sein, dass ich voll neben der Spur mit meiner Lesart bin.
was ich immer sehr gelungen finde sind Deine Beschreibungen. Beschreibungen wie die hier:
Im Sandkasten vor dem Hochhaus sitzen drei Jungen auf der steinernen Umfassungsmauer und unterhalten sich. Sie werfen nebenbei Sand in die tiefer liegende, ausgeschabte Mitte des Kastens. Dazu benutzen sie ihre Sandalen wie Schippchen und häufen kleine Berge auf, die sie mit der Sohle in Form bringen.
Oder die
Frau Jedwitz steht eine Weile unschlüssig am Geländer des Balkons, bevor sie sich brüsk umwendet und wieder hineingeht. In der Küche ist noch das Geschirr einzuräumen. Das Kunststoffimitat der bunten Bambusmatte, das den gesamten Balkon umspannt ist ausgeblichen, rechts stärker als links. Es klopft im lauen Windzug beruhigend gegen das Geländer. So ruhig. Nur das Rauschen der Schnellstraße, die ein paar hundert Meter weiter, hinter dem Park verläuft, dringt gedämpft heran. Man hört es kaum.
Da liegt das Hochhaus auf seiner Raseninsel, wie ein Ozeandampfer am Anleger, mit buntbewimpelten Balkonen. Und wenn man daran vorbei in den Himmel schaut, wo weiße Wolken nach Osten ziehen, dann könnte man meinen, es kreuzt durch die See.
Finde ich sehr gelungen. Die Bilder erinnern mich an Deine Gedichte. Aber irgendwie ist die Geschichte voll mit diesen visuellen Eindrücken, die für mich nicht ganz verständlich unterbrochen werden durch Details wie das NauticDream oder Kristof Beinmann.
Nach dem lesen der Geschichte habe ich vermutet, dass Du bewusst manches stärker fokussierst als anderes, dass Du bewusst nur so tust, als ob Details für den weiteren Plot von Wichtigkeit wären und konterkarierst das dann durch das Ende, dass endgültig allen Geschichten jede Wichtigkeit oder Besonderheit nimmt.
Auch der so bedeutend agierende Siedenbach wird auf einen in Beton eingebrannten Schatten reduziert - wenn der Schatten nicht sogar auch aufgefressen wurde. Immerhin schafft es diese Figur sich aber noch in den Titel. Das kann ich in meiner Lesart, als zynisch interpretieren oder als inkonsequent?
Trotzdem habe ich so meine Schwierigkeiten mit diesen Details. Z.B. hatte ich es so verstanden, dass dieser Theo nach Hause kommt. Am Ende sitzt er aber am Tresen. Ist da eine Gaststätte in dem Hochhaus? Die Kinder, die frühmorgens zu diesem NauticDream losgefahren sind, sind die gleichen, die da Nachmittags im Sandkasten spielen? Zwischendurch – auf ihrem Weg - haben sie aber auch Pause gemacht. Das habe ich nicht richtig verstanden. Nur ein Beispiel wo es mich bei dieser Szene aus der Kurve trägt:
Frau Hellerich will mit ihren Söhnen Jens und Axel und dem Freund, Kristof Beinmann, in aller Herrgottsfrühe zum NauticDream fahren.
Sie will, also passiert das doch gerade, oder nicht. Aber eigentlich ist es doch schon Nachmittags fünf Uhr?
Mir kommt es so vor, als ob Du bewusst viele Geschichten anreißen wolltest. Quasi pro Wohnung, Mieter eine Geschichte und das Hochhaus ist so eine Art Narrenschiff, dass unverschuldet ins Verderben fährt. Die Explosion am Ende raubt diesen Geschichten zwar alle Bedeutung, aber so richtig befriedigt bin ich nicht davon, all diese Geschichten in ein und der selben Explosion untergehen zu lassen. Das ist m.E. eine Selbstzerstörung einer Geschichte(n) - aber mit einem wenig subtilen Knall.
Da ich ja nicht immer voll auf der Höhe war, kann es natürlich sein, dass ich voll neben der Spur mit meiner Lesart bin.
#3
von Erebus (gelöscht)
Siedenbachs Schatten
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 17.11.2007 19:02von Erebus (gelöscht)
Hallo Brot,
Das liegt vermutlich an meiner Unreife, was ein konzeptionelles Arbeiten anbelangt. Mein Ausgangspunkt für diese Geschichte war schlicht und einfach das Bild eines tieffiegenden Marschflugkörpers, dessen Treffer "sitzt". Ich habe das nun schon oft von oben herab gesehen, diese Bilder des amerikanischen Militärs, und war ganz einfach am "Unten" interessiert. Kurzerhand habe ich es dann in mein mitteleuropäisches Umfeld verlegt und was da kollateral passiert, unbegreiflich und sinnlos.
Deshalb wollte ich den Leser in eine absolute Normalität entführen, langweilen wollte ich nicht direkt, aber auch keine Äktschn. Da sollte etwas plätschern, so nebenher.
Der Leser soll "hm" und "ja" und "ach ja" machen und sich nicht überanstrengen und dann hau ich alles zu klumpp.
So ähnlich stelle ich mir das vor, wenn irgendwo ein Industrie- oder Militärkomplex ausradiert wird, aus der Sicht derjenigen, von denen man nie etwas hörte oder hören wird.
Bei der Schilderung bin ich dann wohl etwas abgeglitten. Mit direkter Rede tue ich mich schwer, also sollten die Jungs über etwas gewöhnliches, nachvollziehbares reden, das am nächsten Tag stattfinden soll, ein kleines Highlight.
Als Aufhänger bzw. Erläuterung für die nicht ausformulierte Rede, für das Gespräch im Sandkasten. Dass ich damit eine Erwartungshaltung bediene, war mir gar nicht bewußt, auch nicht, dass ich die Story unterbreche.
Ich fokussierte besonders auf Theo, der nicht spricht und von dem man nichts weiß, Siedenbach mit Parade als jemand, der nach innen lebt und Frau Jedwitz, die ständig etwas tun will. Mehr nicht, ganz beiläufig, ich stellte mir vor, der Leser schaut sich ein wenig vor dem Hochhaus um.
Die Kneipe sollte tatsächlich im Erdgeschoss des Hochhauses angesiedelt sein.
...versteh ich nicht. Siedenbachs Schatten heisst die Geschichte, weil der Siedenbach ein schattenloses Nichts ist, der, als er endlich mal einen Schatten wirft nicht in die Annalen eingehen kann. So ungefähr. Eigentlich könnte es auch Theos oder Jedwitz oder der Schatten der Jungen sein, es ist der namenlose Schatten, der hinter all dem lauert, was so frisch und rasenduftmässig schöne Bilder erzeugt.
Das war nicht zynisch gemeint, und eigentlich finde ich es konsequent. Aber vermutlich verstehe ich Dich nicht richtig
Da hätte ich den Hinweis bringen müssen, das der Ausflug für den nächsten Tag geplant sei. Und Theo auf dem Weg nach Hause vorher in der Kneipe halt macht, um sich vollaufen zu lassen, erst später am Abend - pünktlich - zu Weib und Stiefkindern komm.
In meinem Kopf ist die Story vollständig und schlüssig vorhanden gewesen, allerdings habe ich nicht alle Details in der Niederschrift klären können. Ich meine, es ist mir nicht in den Sinn gekommen. Das ist vielleicht auch nicht immer nötig, ob's hier angebracht gewesen wäre, weiß ich nicht. In dieser Richtung ist Dein feedback das erste.
Ja, das wäre genau das gewesen, was ich erreichen wollte: tausend Geschichtchen, die mit einem Knall untergehen. Wenn das so angekommen ist, fände ich das gut.
Narrenschiff - nein, meine ich nicht. Alles im grünen Bereich, normal, Durchschnitt.
Das Dich die Geschichte nicht zufriedenstellt läßt für mich Fragen offen - liegt das am wenig subtilen Knall? Ich weiß nicht, wie ich den Plot hätte subtiler gestalten können, wäre das überhaupt angemessen gewesen? Ich dachte an Atombombe, vielleicht war das zu weit gegriffen? Eigentlich soll die Geschichte ja nicht zufrieden stellen. Ich fände es klasse, wenn mein Leser beim nächsten Blick aus dem Fenster denken würde.... auch hier? Das er damit zufrieden und versöhnt wäre, soll die Geschichte nicht erreichen.
Ich kenne mich in der Gattung, nein überhaupt in der Literatur kaum in der Hinsicht aus, das ich sagen könnte: das ist 'ne KG, dies 'ne Novelle etc. Ich erkenne Gedichte am Reim, könnte man sagen. Von KG weiß ich im Prinzip: kurz, Ende offen, Leser darf weiterspinnen.
Deshalb habe ich das so zusammengebaut. Ich war eigentlich ganz zufrieden, obwohl ich mir der Länge bewußt war (habe aber bereits um fast 15% gekürzt). Ich wollte dem Leser eine kleine heile Sehnsuchts-welt vorschaukeln, durch eine Fülle an Bildern den Leidensdruck erhöhen, eine gezähmte Langeweile, dann kommt der Vater aller Dinge, den sich vielleicht der eine oder andere wünscht, damit in unserer gottverdammten langweiligen Existenz endlich mal was passiert. Deren Vernichtung kann der Leser dann selbst übernehmen. Wie kriegt man das subtiler hin?
Ich bedanke mich särr für Dein Interesse und Deinen Kommentar und ganz besonders für' s Beloben der Bilder. Ich bin scheinbar ein sehr visueller Mensch. Wenigstens etwas. Und freue mich, wenn ich etwas von meiner Faszination vermitteln kann
Gruß
Ulrich
Zitat: |
irgendwie ist die Geschichte voll mit diesen visuellen Eindrücken, die für mich nicht ganz verständlich unterbrochen werden durch Details wie das NauticDream oder Kristof Beinmann. |
Das liegt vermutlich an meiner Unreife, was ein konzeptionelles Arbeiten anbelangt. Mein Ausgangspunkt für diese Geschichte war schlicht und einfach das Bild eines tieffiegenden Marschflugkörpers, dessen Treffer "sitzt". Ich habe das nun schon oft von oben herab gesehen, diese Bilder des amerikanischen Militärs, und war ganz einfach am "Unten" interessiert. Kurzerhand habe ich es dann in mein mitteleuropäisches Umfeld verlegt und was da kollateral passiert, unbegreiflich und sinnlos.
Deshalb wollte ich den Leser in eine absolute Normalität entführen, langweilen wollte ich nicht direkt, aber auch keine Äktschn. Da sollte etwas plätschern, so nebenher.
Der Leser soll "hm" und "ja" und "ach ja" machen und sich nicht überanstrengen und dann hau ich alles zu klumpp.
So ähnlich stelle ich mir das vor, wenn irgendwo ein Industrie- oder Militärkomplex ausradiert wird, aus der Sicht derjenigen, von denen man nie etwas hörte oder hören wird.
Bei der Schilderung bin ich dann wohl etwas abgeglitten. Mit direkter Rede tue ich mich schwer, also sollten die Jungs über etwas gewöhnliches, nachvollziehbares reden, das am nächsten Tag stattfinden soll, ein kleines Highlight.
Als Aufhänger bzw. Erläuterung für die nicht ausformulierte Rede, für das Gespräch im Sandkasten. Dass ich damit eine Erwartungshaltung bediene, war mir gar nicht bewußt, auch nicht, dass ich die Story unterbreche.
Ich fokussierte besonders auf Theo, der nicht spricht und von dem man nichts weiß, Siedenbach mit Parade als jemand, der nach innen lebt und Frau Jedwitz, die ständig etwas tun will. Mehr nicht, ganz beiläufig, ich stellte mir vor, der Leser schaut sich ein wenig vor dem Hochhaus um.
Die Kneipe sollte tatsächlich im Erdgeschoss des Hochhauses angesiedelt sein.
Zitat: |
Auch der so bedeutend agierende Siedenbach wird auf einen in Beton eingebrannten Schatten reduziert - wenn der Schatten nicht sogar auch aufgefressen wurde. Immerhin schafft es diese Figur sich aber noch in den Titel. Das kann ich in meiner Lesart, als zynisch interpretieren oder als inkonsequent? |
...versteh ich nicht. Siedenbachs Schatten heisst die Geschichte, weil der Siedenbach ein schattenloses Nichts ist, der, als er endlich mal einen Schatten wirft nicht in die Annalen eingehen kann. So ungefähr. Eigentlich könnte es auch Theos oder Jedwitz oder der Schatten der Jungen sein, es ist der namenlose Schatten, der hinter all dem lauert, was so frisch und rasenduftmässig schöne Bilder erzeugt.
Das war nicht zynisch gemeint, und eigentlich finde ich es konsequent. Aber vermutlich verstehe ich Dich nicht richtig
Zitat: |
Trotzdem habe ich so meine Schwierigkeiten mit diesen Details. Z.B. hatte ich es so verstanden, dass dieser Theo nach Hause kommt. Am Ende sitzt er aber am Tresen. Ist da eine Gaststätte in dem Hochhaus? Die Kinder, die frühmorgens zu diesem NauticDream losgefahren sind, sind die gleichen, die da Nachmittags im Sandkasten spielen? Zwischendurch – auf ihrem Weg - haben sie aber auch Pause gemacht. Das habe ich nicht richtig verstanden. Nur ein Beispiel wo es mich bei dieser Szene aus der Kurve trägt: Frau Hellerich will mit ihren Söhnen Jens und Axel und dem Freund, Kristof Beinmann, in aller Herrgottsfrühe zum NauticDream fahren. Sie will, also passiert das doch gerade, oder nicht. Aber eigentlich ist es doch schon Nachmittags fünf Uhr? |
Da hätte ich den Hinweis bringen müssen, das der Ausflug für den nächsten Tag geplant sei. Und Theo auf dem Weg nach Hause vorher in der Kneipe halt macht, um sich vollaufen zu lassen, erst später am Abend - pünktlich - zu Weib und Stiefkindern komm.
In meinem Kopf ist die Story vollständig und schlüssig vorhanden gewesen, allerdings habe ich nicht alle Details in der Niederschrift klären können. Ich meine, es ist mir nicht in den Sinn gekommen. Das ist vielleicht auch nicht immer nötig, ob's hier angebracht gewesen wäre, weiß ich nicht. In dieser Richtung ist Dein feedback das erste.
Zitat: |
Mir kommt es so vor, als ob Du bewusst viele Geschichten anreißen wolltest. Quasi pro Wohnung, Mieter eine Geschichte und das Hochhaus ist so eine Art Narrenschiff, dass unverschuldet ins Verderben fährt. Die Explosion am Ende raubt diesen Geschichten zwar alle Bedeutung, aber so richtig befriedigt bin ich nicht davon, all diese Geschichten in ein und der selben Explosion untergehen zu lassen. Das ist m.E. eine Selbstzerstörung einer Geschichte(n) - aber mit einem wenig subtilen Knall. |
Ja, das wäre genau das gewesen, was ich erreichen wollte: tausend Geschichtchen, die mit einem Knall untergehen. Wenn das so angekommen ist, fände ich das gut.
Narrenschiff - nein, meine ich nicht. Alles im grünen Bereich, normal, Durchschnitt.
Das Dich die Geschichte nicht zufriedenstellt läßt für mich Fragen offen - liegt das am wenig subtilen Knall? Ich weiß nicht, wie ich den Plot hätte subtiler gestalten können, wäre das überhaupt angemessen gewesen? Ich dachte an Atombombe, vielleicht war das zu weit gegriffen? Eigentlich soll die Geschichte ja nicht zufrieden stellen. Ich fände es klasse, wenn mein Leser beim nächsten Blick aus dem Fenster denken würde.... auch hier? Das er damit zufrieden und versöhnt wäre, soll die Geschichte nicht erreichen.
Ich kenne mich in der Gattung, nein überhaupt in der Literatur kaum in der Hinsicht aus, das ich sagen könnte: das ist 'ne KG, dies 'ne Novelle etc. Ich erkenne Gedichte am Reim, könnte man sagen. Von KG weiß ich im Prinzip: kurz, Ende offen, Leser darf weiterspinnen.
Deshalb habe ich das so zusammengebaut. Ich war eigentlich ganz zufrieden, obwohl ich mir der Länge bewußt war (habe aber bereits um fast 15% gekürzt). Ich wollte dem Leser eine kleine heile Sehnsuchts-welt vorschaukeln, durch eine Fülle an Bildern den Leidensdruck erhöhen, eine gezähmte Langeweile, dann kommt der Vater aller Dinge, den sich vielleicht der eine oder andere wünscht, damit in unserer gottverdammten langweiligen Existenz endlich mal was passiert. Deren Vernichtung kann der Leser dann selbst übernehmen. Wie kriegt man das subtiler hin?
Ich bedanke mich särr für Dein Interesse und Deinen Kommentar und ganz besonders für' s Beloben der Bilder. Ich bin scheinbar ein sehr visueller Mensch. Wenigstens etwas. Und freue mich, wenn ich etwas von meiner Faszination vermitteln kann
Gruß
Ulrich
#4
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Siedenbachs Schatten
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 19.11.2007 20:13von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Hi Erebus,
eines muss ich gleich los werden:
Das empfinde ich als eine der Hauptschwierigkeiten beim Geschichten schreiben. Was ist wichtig? Was kann draußen bleiben? Diese Fragen stellen sich vielleicht noch mehr, wenn der Plot, wie Du so schön gesagt hast, vollständig inklusive aller Bilder im Kopf ist. Das ist bei mir ganz häufig der Fall, d.h. ich fang erst an zu schreiben, wenn ich weiß wohin die Reise geht und dann passiert es glaube ich aber sehr leicht, dass man zu schnell vorwärtsdrängt und den Leser abhängt. Oder auf Siedenbachs Schatten gemünzt: Du mich abgehangen hast. Sollte ich der einzige sein, ist dieser Kollateralschaden wohl zu verschmerzen . Einen Königsweg um so etwas gänzlich zu vermeiden, gibt es vielleicht auch nicht.
Mir fällt dazu noch ein, dass bei GW die Geschichte sich – wenn ich ihn richtig verstanden habe – erst beim Schreiben entwickelte. Da ist vielleicht die Gefahr des Abhängens nicht so ausgeprägt, weil er nicht nur Autor sondern im selben Moment auch Leser ist. Da tritt die Geschichte vielleicht mal einen Moment auf der Stelle, aber die Perlenkette bleibt zusammen. Bei dieser Vorgehensweise liegt die Gefahr vielleicht darin, dass folgende Frage und Antwort steht:
„Und was passierte dann?“
„Wie und dann? Na, nichts. Ende halt.“
Zurück zu Siedenbach und zwar zur Figur. Du hast geantwortet, dass Du nicht verstehst, warum ich Siedenbach eine größere Bedeutung als den anderen Figuren eingeräumt habe.
Ich hatte ja selber schon vermutet, dass die Figuren gleichberechtigt sind und alle – egal was oder wer auch immer sie zu sein meinten – im selben Inferno untergehen. Ich grübelte deshalb über Siedenbach nach, weil Du m.E. selbst diese Figur als Autor im Titel exponiert hast. Dadurch wurde er für mich zwangsläufig etwas besonderes und ich kam gegen den von dir gewählten Titel zu dem Schluss, den Du ja auch beabsichtigst – wenn ich das richtig verstanden habe – dass die Geschichte auch Theos Glas oder Jedwitz Balkon heißen könnte.
Aber ich zweifelte daran, weil ich mich fragte ob ich vielleicht etwas übersehen habe - wegen des Titels. Jetzt kann jeder sagen, das der Leser auch mal eine Nuss oder mehrere selber knacken darf und insofern der Titel ganz wunderbar ist. Ich hätte mir gewünscht der Ort wo das Hochhaus steht würde Siedenbach heißen.
Bleibt die Frage wie man subtil eine alles in einem Augenblick vernichtende Explosion herbeiführen kann. OK. Gewonnen. Subtil ist da wohl wenig zu machen. Zumindest fällt mir da auch nichts zu ein.
Aber trotzdem glaube ich auch, wie Du selbst schon gesagt hast, dass die A-Bombe vielleicht eine Nummer zu groß war. Bei allen klappert im selben Moment der Sargdeckel. Ich muss da zwangsläufig an eine Fortsetzungsgeschichte – lang ist her – denken, an der ich teilgenommen hatte und irgendjemand nachdem sich mühsam eine Geschichte herauszuschälen begann, deep impact spielen musste und die gesamte Erde verwüstete. Toll. Die Geschichte war damit definitiv zu Ende.
Aber Du hast natürlich recht, so ein Marschflugkörper wäre von einem Moment zum anderen das Ende von allem.
Aber berührt mich dieses Ende? Berührt mich die Jedwitz, der Siedenbach, der Theo oder die Kinder? Die haben alle was, aber sie geben für meinen Geschmack zu wenig von sich preis, dass ich geschockt wäre ob des Einschlags. Wenn Du – um eine Idee von Margot aufzugreifen – die Jungen im Sandkasten etwas finden lassen würdest, also doch ein wenig Budenzauber brächtest und noch mehr so tust als ob, als ob das Fundstück ein schmutziges Geheimnis von Theo, Siedenbach oder Jedwitz bergen könnte, würde ich das spannender finden. Wenn dann das große KRAWUMM kommt, bevor das Geheimnis gelüftet ist, würde mich das mehr irritieren und schocken.
Natürlich ist es in Realität nicht so, dass irgendetwas besonderes passiert bevor der Knall kommt, aber dann ist es Statistik und Statistik finde ich langweilig. Aber KGs enden vielleicht im übertragenen Sinne alle mit einer Explosion.
Gruß
Brot
eines muss ich gleich los werden:
Zitat: |
In meinem Kopf ist die Story vollständig und schlüssig vorhanden gewesen, allerdings habe ich nicht alle Details in der Niederschrift klären können. Ich meine, es ist mir nicht in den Sinn gekommen. Das ist vielleicht auch nicht immer nötig, |
Das empfinde ich als eine der Hauptschwierigkeiten beim Geschichten schreiben. Was ist wichtig? Was kann draußen bleiben? Diese Fragen stellen sich vielleicht noch mehr, wenn der Plot, wie Du so schön gesagt hast, vollständig inklusive aller Bilder im Kopf ist. Das ist bei mir ganz häufig der Fall, d.h. ich fang erst an zu schreiben, wenn ich weiß wohin die Reise geht und dann passiert es glaube ich aber sehr leicht, dass man zu schnell vorwärtsdrängt und den Leser abhängt. Oder auf Siedenbachs Schatten gemünzt: Du mich abgehangen hast. Sollte ich der einzige sein, ist dieser Kollateralschaden wohl zu verschmerzen . Einen Königsweg um so etwas gänzlich zu vermeiden, gibt es vielleicht auch nicht.
Mir fällt dazu noch ein, dass bei GW die Geschichte sich – wenn ich ihn richtig verstanden habe – erst beim Schreiben entwickelte. Da ist vielleicht die Gefahr des Abhängens nicht so ausgeprägt, weil er nicht nur Autor sondern im selben Moment auch Leser ist. Da tritt die Geschichte vielleicht mal einen Moment auf der Stelle, aber die Perlenkette bleibt zusammen. Bei dieser Vorgehensweise liegt die Gefahr vielleicht darin, dass folgende Frage und Antwort steht:
„Und was passierte dann?“
„Wie und dann? Na, nichts. Ende halt.“
Zurück zu Siedenbach und zwar zur Figur. Du hast geantwortet, dass Du nicht verstehst, warum ich Siedenbach eine größere Bedeutung als den anderen Figuren eingeräumt habe.
Ich hatte ja selber schon vermutet, dass die Figuren gleichberechtigt sind und alle – egal was oder wer auch immer sie zu sein meinten – im selben Inferno untergehen. Ich grübelte deshalb über Siedenbach nach, weil Du m.E. selbst diese Figur als Autor im Titel exponiert hast. Dadurch wurde er für mich zwangsläufig etwas besonderes und ich kam gegen den von dir gewählten Titel zu dem Schluss, den Du ja auch beabsichtigst – wenn ich das richtig verstanden habe – dass die Geschichte auch Theos Glas oder Jedwitz Balkon heißen könnte.
Aber ich zweifelte daran, weil ich mich fragte ob ich vielleicht etwas übersehen habe - wegen des Titels. Jetzt kann jeder sagen, das der Leser auch mal eine Nuss oder mehrere selber knacken darf und insofern der Titel ganz wunderbar ist. Ich hätte mir gewünscht der Ort wo das Hochhaus steht würde Siedenbach heißen.
Bleibt die Frage wie man subtil eine alles in einem Augenblick vernichtende Explosion herbeiführen kann. OK. Gewonnen. Subtil ist da wohl wenig zu machen. Zumindest fällt mir da auch nichts zu ein.
Aber trotzdem glaube ich auch, wie Du selbst schon gesagt hast, dass die A-Bombe vielleicht eine Nummer zu groß war. Bei allen klappert im selben Moment der Sargdeckel. Ich muss da zwangsläufig an eine Fortsetzungsgeschichte – lang ist her – denken, an der ich teilgenommen hatte und irgendjemand nachdem sich mühsam eine Geschichte herauszuschälen begann, deep impact spielen musste und die gesamte Erde verwüstete. Toll. Die Geschichte war damit definitiv zu Ende.
Aber Du hast natürlich recht, so ein Marschflugkörper wäre von einem Moment zum anderen das Ende von allem.
Aber berührt mich dieses Ende? Berührt mich die Jedwitz, der Siedenbach, der Theo oder die Kinder? Die haben alle was, aber sie geben für meinen Geschmack zu wenig von sich preis, dass ich geschockt wäre ob des Einschlags. Wenn Du – um eine Idee von Margot aufzugreifen – die Jungen im Sandkasten etwas finden lassen würdest, also doch ein wenig Budenzauber brächtest und noch mehr so tust als ob, als ob das Fundstück ein schmutziges Geheimnis von Theo, Siedenbach oder Jedwitz bergen könnte, würde ich das spannender finden. Wenn dann das große KRAWUMM kommt, bevor das Geheimnis gelüftet ist, würde mich das mehr irritieren und schocken.
Natürlich ist es in Realität nicht so, dass irgendetwas besonderes passiert bevor der Knall kommt, aber dann ist es Statistik und Statistik finde ich langweilig. Aber KGs enden vielleicht im übertragenen Sinne alle mit einer Explosion.
Gruß
Brot
#5
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Siedenbachs Schatten
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 12.01.2008 15:58von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Hallo Erebus,
zunächst zum Formalen, wobei ich in Deiner Geschichte nur über wenige Ortographie-/ Grammatikfehler gestolpert bin. Als alter Pedant werde ich sie Dir dennoch aufs Brot schmieren :
Die Botanik ist zwar nicht mein Gebiet, erst recht nicht in Komposition mit Landschaftsgärtnerei, aber ich vermute mal, Du meinst "Grünfläche", oder?
Der Relativsatz verdient auch am Ende ein Komma.
Das Komma ist überflüssig.
Das Komma vorm Gedankenstrich ebenfalls.
Wohl ein Tippfehler.
Das war es aber auch schon...
Aufgebaut ist Deine Geschichte wie ein typischer Katastrophenplot: zunächst werden verschiedene Personen kurz vorgestellt und es wird ein Einblick in ihr ganz normales Leben und ihren Tagesablauf gewährt, bevor dann die Katastrophe hereinbricht. Einer Kurzgeschichte angemessen beginnt dann natürlich nicht mehr der obligatorische Kampf ums Überleben, in dem Charlton Heston schreiende Statisten mit angesengten Haaren auf Bürostühlen einsturzgefährdete Treppenhäuser herunterlässt - sondern die Katastrophe fällt in ihrer Endgültigkeit mit dem Ende der Kurzgeschichte zusammen.
Formal gesehen wäre ein offeneres Ende vielleicht etwas passender gewesen - bspw. in dem ein Überlebender die Kneipe verlässt und durch den Ascheregen den glühendroten Horizont betrachtet, sodass man sich fragen kann, wie es wohl mit dieser Person weitergeht - ich mag drastische Enden aber ganz gern, für mich passt es daher recht gut.
Die größte Stärke stellt für mich aber Dein Blick fürs Detail dar. Es mag sein, dass da die Gefahr besteht, zugleich den Blick fürs Wesentliche zu verlieren, aber diese bildhaften Beschreibungen auch von nur Nebensächlichkeiten lassen mich als Leser das Geschehen wie in einem Film erleben.
Meine Frau meinte, zeitweise fühlt sie sich erinnert an die Hörtexte für Sehbehinderte bei Filmen, die zwischen den Dialogen einfach nur die Umgebung beschreiben.
Die Handlung kommt mir jedoch alles in allem etwas zu kurz, denn es passiert ja eigentlich nicht mehr, als dass Du die Akteure beleuchtest und dann mit einem Knall das Licht ausschaltest. Das "Beleuchten" ist allerdings wirklich virtuos, denn wenn Deine Geschichte für mich insgesamt
auch nicht die Beste ist, lieferst Du jedenfalls die durch Ihr Detailreichtum besten Beschreibungen. Auf diesem Weg kaschierst Du auch geschickt, dass eigentlich nicht allzuviel geschieht, und Langeweile kam bei mir auch nicht auf.
Gern gelesen,
Grüße,
Don
zunächst zum Formalen, wobei ich in Deiner Geschichte nur über wenige Ortographie-/ Grammatikfehler gestolpert bin. Als alter Pedant werde ich sie Dir dennoch aufs Brot schmieren :
Zitat: |
Die drei sitzen da, es ist eine Pause eingetreten, sie schweigen versonnen und schauen sich selbst beim Modellieren der Sandberge zu. Ihre Köpfe sind schief gelegt, ab und zu blinzeln sie in Richtung der Sonne nach Südwesten, über die Grünflüche, an der Kastanie vorbei zu den Garagen. |
Die Botanik ist zwar nicht mein Gebiet, erst recht nicht in Komposition mit Landschaftsgärtnerei, aber ich vermute mal, Du meinst "Grünfläche", oder?
Zitat: |
Das Kunststoffimitat der bunten Bambusmatte, das den gesamten Balkon umspannt (Komma) ist ausgeblichen, rechts stärker als links. |
Der Relativsatz verdient auch am Ende ein Komma.
Zitat: |
Er schaut vor sich hin auf den rissigen Asphalt des Bürgersteiges: grade hier, wo die Ringstrasse in die Zufahrtsstrasse mündet, werden immer wieder die unterirdischen Versorgungs- und Abwasserleitungen repariert, (Komma weg) oder verbessert. |
Das Komma ist überflüssig.
Zitat: |
Er greift den ersten Schlüssel vor dem Schild und fädelt ihn sauber - alles in einer einzigen, sanft fließenden Bewegung, (Komma weg)- in das Schloss ein. |
Das Komma vorm Gedankenstrich ebenfalls.
Zitat: |
Die Sonne ist auf den Vorplatzes gefallen. |
Wohl ein Tippfehler.
Das war es aber auch schon...
Aufgebaut ist Deine Geschichte wie ein typischer Katastrophenplot: zunächst werden verschiedene Personen kurz vorgestellt und es wird ein Einblick in ihr ganz normales Leben und ihren Tagesablauf gewährt, bevor dann die Katastrophe hereinbricht. Einer Kurzgeschichte angemessen beginnt dann natürlich nicht mehr der obligatorische Kampf ums Überleben, in dem Charlton Heston schreiende Statisten mit angesengten Haaren auf Bürostühlen einsturzgefährdete Treppenhäuser herunterlässt - sondern die Katastrophe fällt in ihrer Endgültigkeit mit dem Ende der Kurzgeschichte zusammen.
Formal gesehen wäre ein offeneres Ende vielleicht etwas passender gewesen - bspw. in dem ein Überlebender die Kneipe verlässt und durch den Ascheregen den glühendroten Horizont betrachtet, sodass man sich fragen kann, wie es wohl mit dieser Person weitergeht - ich mag drastische Enden aber ganz gern, für mich passt es daher recht gut.
Die größte Stärke stellt für mich aber Dein Blick fürs Detail dar. Es mag sein, dass da die Gefahr besteht, zugleich den Blick fürs Wesentliche zu verlieren, aber diese bildhaften Beschreibungen auch von nur Nebensächlichkeiten lassen mich als Leser das Geschehen wie in einem Film erleben.
Meine Frau meinte, zeitweise fühlt sie sich erinnert an die Hörtexte für Sehbehinderte bei Filmen, die zwischen den Dialogen einfach nur die Umgebung beschreiben.
Die Handlung kommt mir jedoch alles in allem etwas zu kurz, denn es passiert ja eigentlich nicht mehr, als dass Du die Akteure beleuchtest und dann mit einem Knall das Licht ausschaltest. Das "Beleuchten" ist allerdings wirklich virtuos, denn wenn Deine Geschichte für mich insgesamt
auch nicht die Beste ist, lieferst Du jedenfalls die durch Ihr Detailreichtum besten Beschreibungen. Auf diesem Weg kaschierst Du auch geschickt, dass eigentlich nicht allzuviel geschieht, und Langeweile kam bei mir auch nicht auf.
Gern gelesen,
Grüße,
Don
#6
von Erebus (gelöscht)
Siedenbachs Schatten
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 14.01.2008 09:08von Erebus (gelöscht)
Hi Brot,
ich muss mich mal wieder für meine verspätete Reaktion entschuldigen!
Positiv ist aber, dass ich jetzt einen angemessenen Abstand zu der Geschichte gewonnen habe.
Allerdings: hätte Don nicht neu kommentiert, wäre mir Dein umfangreicher Kommentar wohl abhanden gekommen.
Ja, genauso geht es mir. Wobei meine Story, das wird mir jetzt immer klarer, weniger aus einer (nach) zuerzählenden Geschichte als vielmehr aus einer Reihe von Bildern und Eindrücken, vielleicht Gefühlen, besteht, die ich in Sprache setzen muss.
Der Tenor, sprich eine Einschätzung zu diesen Bildern, liegt zumeist ganz deutlich vor mir. Ich weiß, was ich ausdrücken will, welche Gedanken ich ableiten kann.
Beim Schreiben versuche ich die konkreten Formulierungen zu finden. Und da wird es dann schwierig, wenn ich mir die Frage nach der Rezipierbarkeit stelle.
Überhaupt weiß ich nicht, ob es vielleicht ein Fehler ist, das Cuvée auf den Lesergeschmack abzustimmen, oder wie weit der darauf Einfluss nehmen darf/soll.
Zum ganz überwiegenden Teil schreibe ich mit mir selbst. Wenn Du mir aber sagst, ich habe Dich abgehängt, dann ist das natürlich sehr wichtig für mich. Wo geschah das, wie?
Deine Einwände kann ich indes jetzt besser nachvollziehen. Auch was Siedenbach in der Überschrift soll, bzw. dass Siedenbach als Ortsbezeichnung schlüssiger wäre.
Ich sehe ein, dass mein Gebrauch des Namens in die Irre leitet.
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir bewusst, dass ich einen anderen Weg probieren sollte, nicht an dieser Geschichte, sondern, wenn es dazu kommt, an einer anderen.
Der Ausgangspunkt für "Siedenbachs Schatten" war das Bild eines Sommernachmittages in einer Vorstadt, wenn plötzlich ein Marschflzgkörper über die Häuserreihen wippt. Das faszinierte mich und dann habe ich mich anscheinend verrannt, als ich dies als Mittelteil zwischen den friedlichen Nachmittag und die alles vernichtende Explosion einbaute.
Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, den Nachmittag spannender zu gestalten, so wie Margot oder Du es vorschlagen, und die Story mit dem fliegenden Flugkörper zu beenden, also mit dem Bild, das mich ursprünglich zu der Story veranlasste.
Wenn ich jetzt darüber nachdenke, erscheint es mir sogar reizvoll, die Geschichte zu überarbeiten. Wobei ich etwas vor den Schwierigkeiten zurück scheue. Zum einen, weil mir "Action" nicht so recht zu liegen scheint, zum anderen halte ich es für schwierig, die Bedrohung durch den Flugkörper "subtil", d.h. ohne dezidierte Hinweise, zu erzeugen.
Dann wäre der Abschluss "nur" eine Bedrohung und nicht das ultimative Sargdeckelzuschlagen. Ja, Du hast Recht. Außerdem finde ich es jetzt echt reizvoll, die Jungen im Sandkasten etwas finden zu lassen. Dann ergäben sich eigentlich zwei Geschichten. Ich müsste sie nur schlüssig verbinden.
Ich glaube, Dein Kommentar war mir sehr hilfreich. Ganz herzlichen Dank!
LG
Ulrich
_______________
Hallo Don
zunächst meinen Dank, dass Du Dich der Geschichte angenommen hast, sogar noch einen häuslichen Austausch darüber pflegtest - beneidenswert!
Die Ortographie- und Grammatikfehler entferne ich umgehend.
Aber Dein Kommentar ist äußerst hilfreich. Vor allem trifft er mich in bekehrbarer Stimmung an. Zusammen mit Brots Erläuterungen wird mir bewusst, dass die Geschichte anders aufgebaut werden kann.
Den "typischen" Katastrophenplot könnte ich abmildern und mehr Handlung einbauen, und ich glaube, dennoch könnte die Geschichte wesentlich gewinnen.
Die Beschreibungen stünden nicht mehr im Vordergrund, sondern gleichberechtigt zur eigentlichen Handlung.
Jetzt habe ich wirklich die größte Lust, mehr daraus zu machen. Ich hoffe nur, das es für mich auch machbar ist.
Ich merke, wie wenig durchdacht ich an die ganze Aufgabe gegangen bin. Was daran liegt, das ich eben sehr stark in Bildern denke, die faszinierten mich, und ich scheine sie auch ganz gut hinbekommen zu haben (danke sehr für die betreffende Belobigung). Allerdings habe ich mir nicht genug Gedanken darüber gemacht, wie daraus eine richtige Geschichte wird.
Dass dennoch keine Langeweile aufkam, das muss mir ja als Ansporn dienen.
LG
Ulrich
ich muss mich mal wieder für meine verspätete Reaktion entschuldigen!
Positiv ist aber, dass ich jetzt einen angemessenen Abstand zu der Geschichte gewonnen habe.
Allerdings: hätte Don nicht neu kommentiert, wäre mir Dein umfangreicher Kommentar wohl abhanden gekommen.
Zitat: |
Das empfinde ich als eine der Hauptschwierigkeiten beim Geschichten schreiben. Was ist wichtig? Was kann draußen bleiben? Diese Fragen stellen sich vielleicht noch mehr, wenn der Plot, wie Du so schön gesagt hast, vollständig inklusive aller Bilder im Kopf ist. |
Ja, genauso geht es mir. Wobei meine Story, das wird mir jetzt immer klarer, weniger aus einer (nach) zuerzählenden Geschichte als vielmehr aus einer Reihe von Bildern und Eindrücken, vielleicht Gefühlen, besteht, die ich in Sprache setzen muss.
Der Tenor, sprich eine Einschätzung zu diesen Bildern, liegt zumeist ganz deutlich vor mir. Ich weiß, was ich ausdrücken will, welche Gedanken ich ableiten kann.
Beim Schreiben versuche ich die konkreten Formulierungen zu finden. Und da wird es dann schwierig, wenn ich mir die Frage nach der Rezipierbarkeit stelle.
Überhaupt weiß ich nicht, ob es vielleicht ein Fehler ist, das Cuvée auf den Lesergeschmack abzustimmen, oder wie weit der darauf Einfluss nehmen darf/soll.
Zum ganz überwiegenden Teil schreibe ich mit mir selbst. Wenn Du mir aber sagst, ich habe Dich abgehängt, dann ist das natürlich sehr wichtig für mich. Wo geschah das, wie?
Deine Einwände kann ich indes jetzt besser nachvollziehen. Auch was Siedenbach in der Überschrift soll, bzw. dass Siedenbach als Ortsbezeichnung schlüssiger wäre.
Ich sehe ein, dass mein Gebrauch des Namens in die Irre leitet.
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir bewusst, dass ich einen anderen Weg probieren sollte, nicht an dieser Geschichte, sondern, wenn es dazu kommt, an einer anderen.
Der Ausgangspunkt für "Siedenbachs Schatten" war das Bild eines Sommernachmittages in einer Vorstadt, wenn plötzlich ein Marschflzgkörper über die Häuserreihen wippt. Das faszinierte mich und dann habe ich mich anscheinend verrannt, als ich dies als Mittelteil zwischen den friedlichen Nachmittag und die alles vernichtende Explosion einbaute.
Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, den Nachmittag spannender zu gestalten, so wie Margot oder Du es vorschlagen, und die Story mit dem fliegenden Flugkörper zu beenden, also mit dem Bild, das mich ursprünglich zu der Story veranlasste.
Wenn ich jetzt darüber nachdenke, erscheint es mir sogar reizvoll, die Geschichte zu überarbeiten. Wobei ich etwas vor den Schwierigkeiten zurück scheue. Zum einen, weil mir "Action" nicht so recht zu liegen scheint, zum anderen halte ich es für schwierig, die Bedrohung durch den Flugkörper "subtil", d.h. ohne dezidierte Hinweise, zu erzeugen.
Dann wäre der Abschluss "nur" eine Bedrohung und nicht das ultimative Sargdeckelzuschlagen. Ja, Du hast Recht. Außerdem finde ich es jetzt echt reizvoll, die Jungen im Sandkasten etwas finden zu lassen. Dann ergäben sich eigentlich zwei Geschichten. Ich müsste sie nur schlüssig verbinden.
Ich glaube, Dein Kommentar war mir sehr hilfreich. Ganz herzlichen Dank!
LG
Ulrich
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Hallo Don
zunächst meinen Dank, dass Du Dich der Geschichte angenommen hast, sogar noch einen häuslichen Austausch darüber pflegtest - beneidenswert!
Die Ortographie- und Grammatikfehler entferne ich umgehend.
Aber Dein Kommentar ist äußerst hilfreich. Vor allem trifft er mich in bekehrbarer Stimmung an. Zusammen mit Brots Erläuterungen wird mir bewusst, dass die Geschichte anders aufgebaut werden kann.
Den "typischen" Katastrophenplot könnte ich abmildern und mehr Handlung einbauen, und ich glaube, dennoch könnte die Geschichte wesentlich gewinnen.
Die Beschreibungen stünden nicht mehr im Vordergrund, sondern gleichberechtigt zur eigentlichen Handlung.
Jetzt habe ich wirklich die größte Lust, mehr daraus zu machen. Ich hoffe nur, das es für mich auch machbar ist.
Ich merke, wie wenig durchdacht ich an die ganze Aufgabe gegangen bin. Was daran liegt, das ich eben sehr stark in Bildern denke, die faszinierten mich, und ich scheine sie auch ganz gut hinbekommen zu haben (danke sehr für die betreffende Belobigung). Allerdings habe ich mir nicht genug Gedanken darüber gemacht, wie daraus eine richtige Geschichte wird.
Dass dennoch keine Langeweile aufkam, das muss mir ja als Ansporn dienen.
LG
Ulrich
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