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„Ästhetik des Scheiterns“

in Philosophisches und Grübeleien 28.04.2008 11:57
von van hengel (gelöscht)
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„Ästhetik des Scheiterns“

War er eine Stunde mit Menschen zusammen, so brauchte er zehn Stunden des Alleinseins, um wieder ins Gleichgewicht und halbwegs zu sich selbst zu finden. Wusste er lange Zeit nicht, woran es lag, wunderte er sich doch immerzu – und mit zunehmendem Alter immer mehr -, warum er auf so merkwürdig auf andere Menschen wirkte. Er selbst fühlte sich ganz normal, also ganz weit weg von sich.
Sie müssen doch, so dachte er, nein, so fühlte er, merken, dass er alles, was er sagt und tut, nicht so ernst meint, vieles, wenn nicht sogar das Meiste nur ironisch. Aber da wusste er noch nicht, dass er ein ironischer Widerstand war.
Nimmt man sich und sein Leben nicht (ganz so) ernst, weil man Großes vorhat? Nimmt man es ernst, weil man von Anfang an spürt, dass nicht mehr drin ist. Wadenbeißer des Seins. Das wollte er sicherlich nie werden. Konnte er auch gar nicht. Denn er war ausgesucht. Zum Leben und Leiden. Zum reinen Leben und reinen Leiden. Mochte er nicht nur Wasser als Getränk und reine, reinste Luft zum Atmen. Warum schickte er seinen Zarathustra – und warum schickte das Schicksal ihn selber in die Berge, dorthin, wo es kaum Menschen gibt, dorthin, wo es nur Menschen gibt, die kaum sprechen und einen anderen Blick haben…

Was ihn früh verließ, war das, was er liebte. Und das zog sich durch sein ganzes Leben. Zumindest wenn es um Menschen ging, fast muss man, auch wenn es noch sehr früh ist auf unserer Zeilenwanderung, sagen, wenn es um einen Menschen wie ihn selbst ging. Auf irgendeine Weise war er es ja. Auch wenn in seinen letzten elf sogenannten Wahnsinnsjahren in etwas anderer Form.
Oft wundern die Zeitgenossen sich über die eine oder andere Verhaltensweise eines Weggefährten und stempeln ihn schnell ab als verrückt oder nicht sauber im Kopf, um sich gleichwohl vor sich selber etwas Trost zu verschaffen. Denn wer will nicht einzigartig sein und als ebenso anerkannt sein von der ganzen Welt. Man will gar nicht von nur einem einzigen Menschen geliebt sein; man will von allen geliebt werden. Und ob dieser Unmöglichkeit macht man Kinder oder zieht es vor, allein zu bleiben.
Doch, zum Glück, stellte sich diese Alternative für Nietzsche nie. Er bekam keine Baubo, um sich auf körperliche Weise zu verewigen. Er bekam nur seinen Blick nach innen und die vielen Küsse der Musen, von denen man keinen Orgasmus bekommt im herkömmlichen Sinne. Er bekam diese vielen Küsse allein im außermoralischen Sinne, außergewöhnlich.
Und genauso hieß sein wundersamstes, eigentümlichstes Werk. Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. Wir lassen es, müssen uns aber sehr zurückhalten, um nicht seitenweise daraus zu zitieren. Weil es gut tut. Zerstreuung verschafft und einen spüren lässt, was Schönheit bedeutet. Die Schönheit eines Menschen, in der Sprache manifestiert. Und da Frauen mit den Ohren lieben, ist Nietzsche wohl eher ein Frauentyp. Make-up in der Stimme, im Timbre, im Stil, in der Klarheit, in den Nuancen, die das alltägliche Leben übersieht.
Wir haben bis hierher schon fast alle Themen angesprochen, die Nietzsche ausmachen. Ein Mensch wie du und ich, nur anders gewichtet, vor allem sein Ekel vor allem Gekünstelten, was für ihn nur Ausdruck einer Hilflosigkeit vor der unendlichen Vielfältigkeit der sprachlichen Möglichkeiten und damit möglicher Weltbilder und fehlenden Mutes war. Denn nur Mut zeichnet einen Menschen aus. Denn es schließt alles Scheitern mit ein. Denn es macht ihn schön.
Es kommt also gar nicht auf den Erfolg an. Licht und im Licht Seiendes ergreift mich nicht; es hat keinen Begriff von mir übrig. Es bedeutet mir nichts, es schafft keinen Wert in mir. Also muss ich mich lassen, gehen lassen, wenden lassen. Gelassen werden. Was Nietzsche nie geschafft hat. Deshalb wurde er ja irre. Das hat andere Denker nach ihm vielleicht davor gerettet – aber was heißt hier gerettet?
Für Nietzsche gab es keinen Pragmatismus, noch weniger einen Opportunismus. Am schlimmsten musste er das erfahren, als er sich in die Hetäre Lou Salomé verliebt hatte. Wenn du verliebt bist, bist du geliefert. Dann machst du alles. Frisst Scheiße und lässt dich knebeln, bis du erstickst.
Wir wollen an dieser Stelle behaupten, dass Nietzsche zwar zusammengezuckt wäre, wenn er diese Ausdrücke live gehört hätte, sicherlich wäre er aber nicht abgeneigt, weiter zuzuhören, wenn man der Wahrheit eine schöne, vielleicht sogar außermoralische Form verleiht. Und genau das wollen wir hiermit versuchen. Nietzsches Mut, sein lebenslängliches Alleinsein und seine unbändige Kraft, sich zu verschwenden, in aller Bescheidenheit nachzuempfinden. Alles, was er sagte oder schrieb, nachzudenken, können wir nicht; dafür müsste man unendlich viel Text zitieren und auseinandernehmen; ödet; nein, um was es geht – und darum geht es immer im Leben -, man muss etwas empfinden, nachempfinden, und nur daraus entsteht ein persönliches Urteil.
Vielleicht leben wir sogar in einem Zeitalter, das zur Empfindung erzieht. Überinformation und Überflutung suchen einen Rückzug, ein lethargisches Element, würde Nietzsche grinsend einwerfen, um wieder etwas zu sich zu kommen. Niemandem kann man noch vertrauen, weil man nicht weiß, wie überfordert er ist.

Und da haben wir diesen Schnauzbart vor uns, der alle Verwirrtheit vorgelebt hat. Hat er sich zum Schluss nur noch nach seinen Gedichten gesehnt, die er während seines Lebens scheinbar unbemerkt geschrieben hat? Oder wollte er damit nur sagen: Jetzt kommt ihr nicht mehr an mich heran / ihr könnt euern Dreck bei euch behalten / ich bin endlich zur Lotusblume gereift.
Er roch wegen seines beeindruckenden Bartes womöglich schlecht. Deshalb seine Naivität im Umgang mit Menschen. Und von daher sein Rückzug mehr und mehr. Wie gesagt, er war kein Stratege, kein Pragmatiker und kein Opportunist oder Schleimscheißer – er ging seinen Weg in den Wahnsinn. Stampfte wie in Neuschnee herum und bereitete den Weg für viele Nachstampfer vor, die ebenso an Neurosen, Liebesentzug, Enttäuschungen, Idealen, Vergeblichkeit oder zu viel Mensch litten.
Menschen zieht es zu Menschen, die nicht viel reden. Deshalb all diese Veranstaltungen. Nietzsche wollte nicht viel reden. Er fühlte. Und wollte nur seine Gefühle gehen lassen. Egal wohin. Diese Freiheit war eine unnachahmliche. Vielleicht. Wenn man nicht anders kann (Musenknutschflecke am ganzen Leib), dann ist das auch kein besonderes Verdienst. Dann muss man halt.
Nur bleibt die Frage, warum er sich trotz all seines Leidens am Sein und Schicksal und Unförmigkeit der Liebe und Liebesbeziehungen nicht zum Freitod entschieden hat. Trotz? Übermut? Arroganz? Ja, gesunde Arroganz, die vielen fehlt, weil sie Angst haben, dass sie eine aufs dach bekommen, wenn sie sich zeigen, dass sie sich zeigen mitsamt ihren Gelüsten und Phantasien, wenn sie denn was zu zeigen und gelüsten haben, dass sie eine vom Schicksal auf die Fresse bekommen… Nietzsche hat dem Hochmut bezahlt – mit Erlösung. Vom Menschsein. Vom Menschen. Ich liebe euch jetzt erst recht. Mit Worten allein. Ihr wolltet meine Haut und Berührungen ja nicht. Wissen wir das?

Jedes Leben schlägt zwischen dem 41. und 44. Jahr einen neuen Weg ein. Ob man will oder nicht, Männer sollte man eh erst mit 35 für mündig erklären (wenn sie bis dahin nicht schon zu Handlangern ihrer einfachen Bedürfnisse geworden sind). Frauen sind von Geburt an schon Strategen. Was wir mit Nietzsche gerne zu wissen behaupten würden, wäre, dass man keiner Frau über den Weg trauen möge, wenn man nicht selbst als Mann nicht schon fertig ist. Fertig mit einem Gedanken, den man vertreten kann vor sich selber. Und sei es der Einwurf, dass man Zeit braucht, weil man noch nicht so weit ist, also signalisiert, das man auf der Suche sei – und möge sie unendlich lange dauern.
Es reift so die Nähe zu sich selbst. Gespürt am gelassener werden. Auf einen zukommen lassen. Nicht mehr um jeden Preis gewinnen müssen. Es ist ja da drinnen, in einem, schon was gereift, das nicht mehr so schnell umgestoßen werden kann.
Nietzsche spürte das zwar auch, und genoss zeitweise diesen Zustand. Aber er war zu sehr Spieler, zu sehr Spieler seiner eigenen Existenz, als dass er in irgendeinen Hafen einschippern hätte können. Mit seinem kleinen Segelboot mit den vielen Löchern drin. Zweifeln. Belebungen. Küssen. Schmatzflecken am Hals der Seelen, die er lebte. Leben musste. Er wollte sein Los niemanden zu nahe bringen. Wollte keinen mitleiden lassen. Wollte sich keine Liebe erschleichen. Wollte nur lieben, mit seinen Wörtern frieren und schwitzen und schwangergehen und sich umarmen lassen. Wollte nur geliebt werden. Was ja nicht gehen konnte. Eine heftige Aura stand dazwischen. Also nichts für Strategen. Wer so fein in der Sprache ist, ist ein Fremder in Gesellschaft. Nietzsche hatte nicht das Glück, zu einem Anderen sagen zu können, dass er ein peinlicher Mensch ist. Ganz im Gegenteil, als Ritschi Wagner merkte, dass seine verblödete Mätresse Cosima sich in Friedrich zu verlieben trachtete, beschimpfte er Nietzsche als Onanist.
Eine zerstörte Liebe für immer. So wurde er Wagner nie wieder los. Im Kopf. Besonders seitlich der Schmerz über dem Ohr war fürchterlich. Er liebte ihn zeitlebens. Eine Tragödie für sich. Ein Freigeist will leiden. Weil er weiß, wen und was er liebt. Ein Freigeist muss leiden. So bleibt er ganz bei sich. Nahe Menschen sind uninteressant. Realisten gelingt alles. Zweifler scheitern. Für ihr Glück. Sie beben aber lange noch nach. Wörter sind heftiger als Faustschläge ins Gesicht. Heftiger und übers Leben hinaus. Spüren wir es nicht an Nietzsche wie bei keinem anderen?
Der Körper ist nur dazu da, um seine Sehnsüchte nicht zu verlieren. Der Glaube, sein Leben nie ändern zu können. Die Freiheit, die einem manchmal Angst macht.
Jenseits von Gut und Böse sind eigentlich nur die, denen das Gewissen abhanden gekommen ist. Das Gewissen rumort oder man ist der Moral hörig. Das muss nicht unbedingt dasselbe sein. Um gleich auf den Punkt zu kommen: Mit der Moral will man Anerkennung, weil man nicht gerade mit Phantasie beschenkt worden ist. Im Gewissen arbeitet man an sich. Arbeitet seine komischen Gedanken an den vorgegeben (moralischen) Wertvorstellungen ab. Sucht Anerkennung auf anderem Wege. Fazit: Anerkennung ist alles, nicht Glück. Nur durch Anerkennung empfindet man Glück. Nicht umgekehrt. Der Logik erster Teil.
Jetzt aber weiter: Hat man etwas zu sagen im Leben?
Will man seine Gedanken, Wünsche, Wunden mitteilen?
Wenn nicht, warum nicht? Landet man im Alkohol. Warum schämt man sich seiner Gefühle, die so viele haben. Warum flieht man in eine Burg, die nur eine Ruine ist?
Das alles waren Fragen, die Nietzsche unentwegt durch den Kopf gingen. Und diese Kopfgefühle fanden keine Ruhe. Weder bei Menschen noch bei aufgeschriebenen Wörtern (obwohl die zum Gelungensten unter den Wort-Sonnen zählen). Dass Nietzsche Menschen mied, muss nicht eigens erwähnt werden: Menschen sind zu nichts nutze, außer zur Tragödie. Dann erst verspürt man hin und wieder, sie zu berühren.
Und die Worte verlassen einen auch irgendwann. Warum hast du nicht gelebt, sagen sie dir. Und du denkst, sie seien nur noch Häme. Dabei meinen sie es gar nicht so böse. Wie soll man frei werden, wenn man in der Hand eines anderen sich nicht fallen lassen kann?
Außer den Ellenbogen fallenlassen. Nietzsches innere Widerstände bäumten sich zeit seines Lebens gegen ihn auf. Er konnte sich nicht gehen lassen, keinen Scheiß-egal-Standpunkt einnehmen. Gelassenheit wird Heidegger gegen Ende seines Seins es nennen. Wenn man zwischen Erinnerung an seine Jugend, sein Altern und seine ersten Falten (muss man hinnehmen) und sein Gefühl, noch gar nicht so alt zu sein, aber nicht mehr so viel Zeit zu haben, hin und her torkelt.
Wie muss ein Nietzsche sich verausgabt haben, wenn er mit 44 dem Wahnsinn verfallen ist?!
Wie konsequent, wie geistreich, wie scheiß-egal. Er dreht einfach ab, dieser Weltgeist (wie Hegel ihn sicherlich genannt hätte, wäre er nach ihm da gewesen). Umarmt ein Pferd aus Mitleid. Die Nuance. Der Tropfen. Die Versinnlichung des Nicht-mehr-ertragen-Könnens. Wahnsinn. So nah an der Schönheit. Ein Mensch verschmilzt mit dem Leben. Wird von ihm aus reiner Liebe aufgefressen. Hat sich mit Worten dagegen gewehrt. Hat sich mit Trinkwasser und reiner Luft in den Bergen und an den Küsten Europas unschadhaft halten wollen. Hat immer gewusst, dass er nicht hierher gehört. Nicht hierher. Und nicht dorthin. Eine Liebe unmöglich. Schon gar nicht zu einer Frau. Die will eh nur alles fressen. Die Eier, den Schwanz, die Seele. Sie will herrschen. Hat er richtig gesehen. Heute macht man es ihm zum Vorwurf. Die Frauenversteher werden später von der Wahrheit wieder eins ans Bein bekommen. Nietzsche hasste nicht die Frauen, er hasste seinen Unterleib, der ihn nie in Ruhe ließ. Einen anderen Menschen anfassen, dazu noch eine Frau, zerriss ihm das Herz. Er konnte nicht eindringen. Nirgendwo. Er konnte nur empfinden. Aus der Ferne. Um immer etwas dabei zu leiden. Wie es einem Onanisten eben nun mal ergeht. Seine Begierde zu befriedigen, konnte kein anderer Körper – als Zeugnis der Wollust – erfüllen; es wäre ein Zuviel an Zurück in die Wirklichkeit, in die Spiele der Macht, in die Abhängigkeit von anderer Begierde. Da ließ er seine eigene lieber verhungern. Er konnte nicht anders.
Wenn, dann hätte der Andere ihn anfassen müssen. Dazu aber war er zu sehr in seiner eigenen Welt. In seiner eigenen Haut. Seine Phantasie hätte nie ein anderes Wesen befriedigen können. Es wäre ihm nur komisch vorgekommen, wie ein Hindernis seiner Weltflucht. Wie eine schöne Verdammnis.
Ein Mensch, der so mit sich ringt, bleibt auf der Strecke. Wie anders hätte er solche Texte schreiben können. Die sind nun einmal etwas anders. Die Weltgeschichte des Denkens auf dem Gewissen. Das wusste er. Immer. Wer so denkt und wer so denken kann, wer so denken muss – der ist sogar dem Teufel ein Dorn im Auge.
Respekt vor niemandem. Respekt vor dem Nächsten. Tiefste Ehrfurcht. Die Leidenschaft aus der Ferne. Wir bräuchten keine Gesetze mehr, wenn das jedem Menschen inne wäre. Die Leidenschaft aus der Ferne spaltet heute noch die Menschen auf in: Feiglinge der Vernunft und Scheiternde des Gefühls. Des Gefühls eines Geistes, der desorientiert durch die Fußgängerzonen unserer Städte wandelt.
Und irgendwann glaubte er - da war er beinahe 44 -, nicht mehr anders zu können. Er war im Begriffe, sich ein neues Handy zu holen, stand in diesem Laden, der nach einer ganz anderen Welt roch, und schaute aus dem Fenster. Irgendeiner unserer schwarzen Mitbewohner, die er seit seinem Studium nicht ausstehen konnte, hatte ein langes Anliegen. Also sah er sich währenddessen die Beine und Gesichter der vorbeigehenden Damen an; er klassifizierte sie in dicke Beine oder dünne Beine (seit seiner Lou mochte er auch die), in schon genommen: aus Lust oder aus Widerwillen. Die Typen neben den Damen sahen fast durchweg unbefriedigt aus. Aber sie mussten mit. Auch wenn sie auf etwas ganz anderes Lust hatten. Alles hat seinen Preis. Auch die Alleinsamkeit. Dann kam er dran. Er fühlte sich so hässlich. Wollte nur ein neues Gerät, weil sein altes so schnell den Geist aufgab. Und als er begann, von seinen Problemen mit dem Akku zu sprechen und der Verkäufer sofort einsprach, dass ein neues Akku nur 20 Euro koste, da war ihm für einen Viertelsekunde wieder mal klar, dass er gar nicht in diese Welt gehörte… Dennoch bekam er raus, dass er ein neues Ding wolle, mehr nicht… Eines, das keine Fotos machen könne und auch sonst nichts, eigentlich wolle nicht mal ein neues Handy, nur in Ruhe gelassen werden von dem dauernden Aufladenmüssen, mehr nicht, und dachte, dass er es doch sein lassen sollen, an einem Samstagmittag in die Stadt fahren, das kann ja nicht gut gehen… Doch der schwarzhaarige Typ hinter der Ladentheke schob ihm ein neues Handy in einem roten Karton über den Ladentisch, bat ihn, kurz da und dort zu unterschreiben, schloss ihm die Glastür auf und entließ ihn in ein schönes Wochenende. – Sind eh alle gleich, dachte Friedrich, und verließ den Laden.
Auf dem Weg zum Auto fiel ihm ein, dass er die Freundin vom Albert – er kam nicht auf ihren Namen, na ja, dass sie auf jeden Fall ziemlich alt geworden sei, eingefallen, er beobachtete sie dabei, wie sie ihre Wochenendtasche für ihren Aufenthalt beim Jones in den Kofferraum tat, sich dann ins Auto setzte und noch einige Zeit brauchte, bis sie den Motor startete.
Jedem sein Ritual. Er erinnerte sich an Marizz. Die fuhr einige Jahre jeden Sonntag mit Scotty (nicht an die Cote d’Azur) nach Hohenbusch ins Schloss, zum Mittagessen. Er, Scotty, sei nur immer den gleichen Weg gefahren, jahrelang den gleichen Weg, nie einmal eine andere Route, nicht ein einziges Mal, hätte er doch machen können, wenigstens auf dem Rückweg!
Das Leben besteht aus den Unzulänglichkeiten und den leisen Nebensätzen. Die Wahrheit kommt auf Taubenfüßen. Und sie besteht aus deren Scheiße. Die du nie mehr abbekommst. Weder von deinem Mantel noch aus deinem Hirn. Zumindest das, was nie klar ausgesprochen wird. Das ist das Leben. Es versteht sich selber nicht. Das hatte Nietzsche aber sehr schnell raus. Und unter Menschen schon gar nicht. Es entscheidet nicht der Wille, sondern nur die Kraft. Die Kraftlosen brauchen Moral. Die Schwachen noch Schwächere. Es sind nur Wenige auf dem Weg zu sich selbst. Der kann ja im frühen Tod enden. Das ist der Preis, der gerechtfertigt ist. Was soll der ganze andere Small-talk? Die einen wollen es zwischen den Beinen spüren (als Surrogat), die anderen ihren Kopf verwetten (als Egal).
Wir sind hier beim Letzteren. Den Wert nicht auf die Dinge des Lebens ausgelegt, sondern auf das Leben selbst. Beim ersteren bedeutet der Orgasmus, das Auto, das Deo etwas – beim anderen wird das abgezogen und immer nur mit einem Minuszeichen gearbeitet, bis er an die Außenwand der eigenen Seele stößt – und erschrickt.
Die Reduktion der Dinge als die Aufwärmung der Wahrnehmung. Menschen wollen immer nur über sich selbst reden. Nur haben die meisten nicht viel zu sagen. Und dann stehen sie da und müssen sich an ihrem Automobil festhalten, oder sich an die Schränke der aberwitzig teuren Küche anlehnen. Wo die Seele fehlt, wird nichts schmecken.


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